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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Goldener Oktober

© Walter Schäfer


Es ist noch früh!
Nebelschwaden ziehen träge und tief durch den friedlich schlafenden Ort bis hinunter zum Fluss.
Gestern war es heiß, über 35 Grad, heute soll es regnen. Ich freue mich darauf. Wer kann sie schon über längere Zeit ertragen, diese brütende Hitze.
Ich verlasse die kleine Pension durch den Hinterausgang und schlendere durch die, bei Tag, so malerischen Straßen des stillen Ortes.
Es ist Oktober, der heißeste Oktober seit ich denken kann.
Wenn es heute regnet, bekommen wir einen Jahrhundertwein, den Besten, den es je gegeben hat. Ich überquere die Hauptstraße und stehe ohne Übergang auf der Wiese am Ufer des Flusses.
Die Weinberge auf der anderen Seite kann ich nur erahnen. Noch herrscht absolute Dunkelheit.
Das nahe, gurgelnde Wasser vor mir, lässt mich stehen bleiben, denn ich sehe nichts.
Es kann nicht mehr lange dauern bis zur Dämmerung. Schon erklingt vom Ort her ein erster Hahnenschrei. Doch von einem Sonnenaufgang ist nichts zu sehen.
Eigenartig irgendwie.
Ich mache kehrt und gehe zurück in den Ort hinein.
Ein noch fernes Grollen empfiehlt mir meine Schritte zu beschleunigen.
Ein Gewitter, hier zwischen den Weinbergen, ist viel gefährlicher als anderswo.
Ich schaue auf meine Armbanduhr.
Schon kurz vor acht, das kann doch nicht sein! Dann hätte sich ja der Hahn vorhin in der Zeit geirrt. Aber bei dieser Schwärze? Kein Wunder.
Ich sehe grelles Licht am Horizont! Die Luft knistert! Dann dieser urzeitliche Knall, nicht mehr weit!
Ein Hund rennt mit eingeklemmtem Schwanz ganz dicht an mir vorbei und versteckt sich irgendwo.
Es blitzt jetzt ganz nahe schon und ich höre fast gleichzeitig den fürchterlichen Donner, der mir mein Trommelfell zu sprengen droht.
Ich höre noch etwas! Es ist ein Rauschen, ein Rauschen wie das eines Wasserfalls.
Was kommt da auf uns zu? Hier wo ich stehe, vor dem einzigen Gasthauses im Ort, fällt noch kein Tropfen, aber es kommt näher, dieses Rauschen, immer näher.
Ich glaube eine noch tiefere Schwärze in der Dunkelheit zu erkennen, bekomme ein schlechtes Gefühl in der Magengegend. Geht das gut?
Im nächsten Moment reißt es mich von den Beinen und mir stehen alle Haare zu Berge!
Unweit meines Standortes ist ein gewaltiger Blitz in ein altes Haus eingeschlagen.
Wirbelnde Trümmer fliegen mir um die Ohren. Ich liege flach auf der Erde, schütze meinen Kopf mit beiden Armen.
Und dann kommt Sie, die Wasserwand.
Ich schnappe nach Luft, werde von den Wassermassen auf den Boden gepresst.
Trotzdem kämpfe ich mich hoch und sehe gerade noch, wie das eben noch brennende Haus wieder in tiefer Dunkelheit versinkt.
Der Boden unter meinen Füßen vibriert beim nächsten Donnerschlag.
Die Erde scheint sich aufzutun, oder die Hölle?
So schnell ich kann renne ich zu dem vom Blitz getroffenen Haus, denn jemand ruft kaum hörbar um Hilfe. Eine junge Frau liegt unter zusammengebrochenem Häuserschutt und streckt mir flehend ihre Hände entgegen. Ich kämpfe mir einen Weg durch die Wassermassen, räume Trümmer von ihren Beinen und schreie sie an, ob noch jemand im Hause sei, aber sie schüttelt den Kopf. Sie ist verletzt, aber kurzerhand werfe ich sie mir über die Schulter und laufe, so schnell ich nur kann, zurück zum Gasthaus. Der Wirt steht in der offenen Tür und schaut mir entgegen. Er ist ein alter Mann, schlottert am ganzen Körper. Dennoch nimmt er mir die Frau aus den Armen und trägt sie ins Haus.
Als ich mich umdrehe, hört der wahnsinnige Regen mit einem Mal auf, so, als wäre er nie da gewesen und es wird schlagartig hell.
Es trifft mich wie ein Keulenschlag, als ich die Verwüstung sehe!
Die Straßen sind übersät mit ausgespülten Weinstöcken und lehmigem Matsch. Immer noch fließen ganze Sturzbäche durch die Straßen, überall gurgelt es.
Am gegenüberliegenden Ufer liegt bergeweise der ganze Ertrag an Weintrauben für dieses Jahr, von diesem kurzen, aber gewaltigen Unwetter geerntet.
Goldener Oktober.



Eingereicht am 10. Mai 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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