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Sybille ist zurück oder Moses hätte fragen sollen

© Frank Moné


Nach einem langen Tag saß ich auf der Couch und sah fern. Na ja, eigentlich bekam ich gar nicht richtig mit, was im Fernseher lief; ich wollte nur entspannen und zappte herrlich gelangweilt durch die Kanäle. Jeanette war im Bad, cremte ihren Körper ein und summte eine ihrer Lieblingsmelodien, die Titelmusik von Sex for the City, oder so ähnlich, als das Telefon klingelte. Vorsichtig wandte ich den Kopf in Richtung Bad und fragte mich, ob es glaubhaft war, wenn ich ihr versicherte, dass ich das Klingeln völlig überhört hatte. "Schatz, geh mal ans Telefon, das ist Margit, es ist furchtbar wichtig." Mist. Weibliche Ohren standen Radargeräten wirklich in nichts nach. Außerdem war es ganz bestimmt nicht Margit, sondern Dieter. Der wollte mich um diese Zeit anrufen, weil er Probleme mit seinem PC hatte. Seufzend erhob ich mich also von der Couch, meinem geliebten, einsamen Felsen und griff mir den Hörer. Mit einem, nach meinem Geschmack, völlig ausreichenden "Ja?" meldete ich mich. "Wer bitte ist Ja?", sagte daraufhin Margit. Ich war etwas irritiert. Wieso war Margit dran? Dieter wollte doch anrufen. "Hallo Margit, wie geht's?", hörte ich mich sagen. "Hallo, Frank, ich bin´s, Margit." Aha. Wie überraschend. "Gib mir bitte mal Jeanette, sie hat mich nach ihrer Schulfreundin Sybille gefragt und ich ha..." "Moment, Margit, ich ruf sie", antwortete ich schnell, drehte mich zum Bad um und öffnete meinen Mund um Jeanette zu rufen. Aber ich kam nicht mal bis zum Ausstoßen des ersten Lautes. "Ich kann jetzt nicht, sprich du mit Margit", tönte es aus dem Bad. Zum Einen fragte ich mich, warum Frauen sich anrufen, wenn sie eh auf telepathischem Wege ständig in Verbindung stehen. Und zum Zweiten, warum wollte Jeanette jetzt nicht mit Margit sprechen, wenn es doch so überaus wichtig war. Gut, ich muss nicht alles verstehen. "Du sollst mit mir sprechen, Margit. Jeanette kann jetzt nicht." Schweigen am anderen Ende des Kabels. "Margit, bist du noch da?", fragte ich voller Hoffnung sie wäre in Ohnmacht gefallen. "Ja", antwortete sie, "ich überleg mir nur, wie ich es dir rüberbringen soll." Äh, wie sollte ich denn das verstehen? "Also, pass auf, Frank", fuhr Margit fort, "Jeanette hatte mich nach Sybille gefragt, weil die wieder zurück gekommen ist. Also hab ich Dorothea angerufen, weil die Sybilles Schwager kennt und hab mich eben mal nach Sybille erkundigt. Sag Jeanette bitte, Sybille hätte gleich nach der Schule geheiratet, einen großen Schwarzen, amerikanischer Soldat, weil sie die kaffeebraunen Babys so süß fand. Mit dem ist sie dann zwei Jahre später in die USA, hat sich aber nach acht Monaten wieder scheiden lassen. Dann hat sie einen Kanadier kennen gelernt, mit dem sie auch ein Kind hatte. Bei der Geburt ging da wohl einiges schief, sodass man einen Kaiserschnitt machen musste. Aber mit dem ist sie auch nicht mehr zusammen, der muss wohl einen unerträglichen Mundgeruch gehabt haben. Danach ist sie mit den Kindern und ihrem neuen Lover für ein halbes Jahr nach Tibet gereist. Davon war sie die Hälfte der Zeit im Krankenhaus, hatte sich beide Oberschenkel gebrochen. Seit ungefähr drei Jahren ist sie wieder zurück. Hat sicher irgendwie Diabetes aus Tibet mitgebracht, auf jeden Fall wurde sie umgestellt. Dann lernte sie ihren letzten Mann kennen, einen Franzosen, aber der ist vor zwei Jahren mit dem Auto verunglückt und ist jetzt querschnittgelähmt. Muss ganz schön hart gewesen sein, für Sybille meine ich. Hat wohl keinen anderen Weg mehr gesehen, als ins Kloster zu gehen. dort ist sie jetzt schon ein ganzes Stück. Aber David, das ist der Bruder ihres ersten Schulfreundes, meint, sie wäre auf dem Weg zur Besserung. Also, Frankie, sag Jeanette einen schönen Gruß von mir, ja?" Tuut, tuut, tuut. "Ja, gern, mach ich", hauchte ich in den schon taubstummen Hörer. "Was hat sie gesagt?", kam prompt aus dem Bad. Völlig verwirrt wankte ich zu meinem Felsen, sprich Couch, ließ mich kraftlos fallen und antwortete: "Sybille geht's gut. Richtig gut." Jeanettes Kopf, mit einem Badehandtuch umwickelt, lugte aus dem Bad und ihr zweifelnder Blick sprach Bände. "Na, ich werde Margit gleich noch mal anrufen", zwitscherte sie. Kann ich mir denken, dachte ich. Ich sagte mir aber auch: Sei ruhig und zufrieden, es könnte schlimmer kommen. Und ... es kam schlimmer.
"Schatz, du musst mich unbedingt gleich zu Margit fahren. Was mit Sybille alles passiert ist, ist ja ungeheuerlich". "Aber du hast doch gerade über eine Stunde mit ihr telefoniert", verteidigte ich meinen Feierabend. Jeanette winkte ab: "Das verstehst du nicht." Ach so. Wie konnte ich nur. Da ich mir aber vorgenommen hatte, ein noch besserer Ehemann zu werden, fügte ich mich klaglos in mein Schicksal. Jeanette hatte mir den Namen der Straße, in die Margit vor ein paar Tagen umgezogen war, zwar genannt, aber ich hatte keine blasse Ahnung, in welchem Stadtteil sie sich befand. Natürlich konnte ich das nicht zugeben, das hätte doch zu sehr an meinem Stolz genagt. Also fuhren wir mehr oder wenig ziellos durch die Stadt. "Warum haltest du nicht an und fragst jemand? Wir sind hier völlig falsch". "Quatsch", schoss ich zurück, "ich weiß schon wo wir sind". Beleidigt brummelte die beste aller Ehefrauen irgendwas von Moses. "Was hat Moses damit zu tun?", fragte ich erstaunt. "Der irrte auch durch die Wüste. Vierzig Jahre lang. So wie wir hier herumirren", war ihre bissige Antwort. Na ja, schoss es mir durch den Kopf, vielleicht hätte er wirklich nach dem Weg fragen sollen. Die nächste Anschaffung würde ein Navigationssystem sein. Versprochen. Gleich morgen. Und außerdem wollte ich schon immer so ein Ding haben.
Ach ja, wir fanden Margits Wohnung keine zwei Minuten später. Aber mit Dieter und Kishon hatte ich noch ein Hühnchen zu rupfen.



Eingereicht am 02. Mai 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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