Ein PC namens Rödelkiste
© Klaus-Peter Behrens
"Jetzt reicht es, Rödelkiste kommt endgültig weg!" Erstaunt sehe ich meine bessere Hälfte über den Rand meines Buches hinweg an, die mit frustriertem Gesichtsausdruck vor dem Bildschirm unseres betagten Rechners sitzt. Zu Ihrem besseren Verständnis, liebe Leser, sei erwähnt, dass der Anlass der Verärgerung bereits das ergreifende Alter von 7 Jahren seit geraumer Zeit überschritten hat und mit seinem 366 Mhz-Prozessor tapfer, aber aussichtslos versucht, unseren ständig wachsenden Ansprüchen gerecht zu
werden. Die glücklichen Eigentümer schnellerer Prozessoren unter Ihnen können vielleicht die an Verzweiflung anmutende Stimmung nachvollziehen, die sich regelmäßig bei uns einstellt, wenn unser Rechner - liebevoll Rödelkiste getauft - sich mit Enthusiasmus und Unterstützung unseres ebenfalls betagten 56 K Modems anschickt, die Herausforderung des Internets zu meistern. Manch einer hätte vermutlich bei einer Aufbaurate von fast einer Minute pro Seite und Downloadzeiten, die eher in Tagen als in Sekunden zu
bemessen sind, Rödelkiste schon längst zu seinen Ahnen geschickt, doch ich muss gestehen, auch wenn mich Rödelkiste immer wieder auf die Palme bringt, ich habe mich an ihn gewöhnt. Leider habe ich mich auch an mein neues Auto gewöhnt und so stößt dieser Einwand in der Regel auf wenig Verständnis.
"Hab Geduld, er arbeitet doch fleißig", versuche ich meine bessere Hälfte zu beruhigen, während Rödelkiste zustimmend brummt und knurrt. Mein Blick streift über den blauen Aufbaubalken. Weit ist er noch nicht gekommen. "Du weißt doch, Bilder mag er nicht", füge ich besänftigend hinzu in der Hoffnung, mich wieder meiner spannenden Lektüre zuwenden zu können. Fehlanzeige.
"Wir leben in der Steinzeit! Kauf endlich einen Laptop, dann kann man überall surfen, und wir sparen außerdem Platz, indem wir Rödelkiste entsorgen", flötet meine bessere Hälfte, wobei sie mit ihren langen Fingernägeln ungeduldig ein Stakkato auf die Tischplatte trommelt. Während ich mir eine diplomatische Antwort überlege, fällt mein Blick auf den beanspruchten Rechner, der beleidigt zu knurren scheint und konsequent die Internetverbindung abbricht. Anscheinend ist ihm das Wort "Entsorgen"
nicht bekommen. Systemfehler ist nun auf dem Bildschirm zu lesen, was die Laune meine bessere Hälfte nicht gerade hebt.
Zugegeben, damit hat Rödelkiste auch mich in letzter Zeit des Öfteren zur Verzweiflung getrieben. Besonders gelungen war auch sein Abbruch der letzten digitalen Bildbearbeitung unserer 400 Urlaubsfotos von Florida kurz vor der Fertigstellung, womit mehrere Stunden Arbeit umsonst gewesen waren.
Vielleicht hatte er mir aber auch nur den Einbau des Brenners übel genommen, vielleicht ist er aber auch tatsächlich nur endgültig an seiner Leistungsgrenze angekommen. Ich seufze also und füge mich ins Unvermeidliche, wobei ich zugeben muss, dass auch ich seit geraumer Zeit mit einem Laptop liebäugle. "Also gut, ich sehe mich einmal um", gebe ich nach und ernte dafür ein strahlendes Lächeln.
"Wurde auch Zeit!"
Tja, und nun habe ich das Dilemma. Gesagt, getan, ein Mann, ein Wort usw. heißt es ja bekanntlich, und so fahre ich am nächsten Samstag mit gemischten Gefühlen die Rolltreppe in einem einschlägigen Fachgeschäft zur Computerabteilung hinauf, während ich mich hartnäckig zu fragen beginne, ob das wirklich eine so gute Idee ist. Sie kennen das bestimmt, diese Zweifel, die sich uns Menschen nur allzu leicht aufdrängen, wenn wir vor einer Entscheidung stehen, bzw. wenn wir sie dann getroffen haben. Meist eingeleitet
mit einem "hätte ich bloß nicht" oder "soll ich wirklich". Wahrscheinlich haben wir alle unsere ganz persönlichen "hätte´s" in unserem Leben schon gehabt, tröste ich mich, während mein Blick auf ein Ehepaar fällt, das mir auf der Rolltreppe entgegenkommt. Ein schüchtern wirkender Mann neben einem Dragoner. Er tut mir Leid. Das ist vermutlich noch schlimmer als mein Leben mit Rödelkiste.
Ich überlege, was in seinem Kopf wohl vorgehen mag. "Hätte ich doch bloß den Mut gehabt und Luisa damals auf der Schulabschlussfeier angesprochen, oder hätte ich sie bloß nicht angesprochen! Soll ich vielleicht doch lieber die 45er Magnum kaufen?" Wie auch immer, während es mit dem Paar weiter abwärts geht, führt mein Weg mich hinauf an das Ende der Rolltreppe und zum Beginn meines ganz persönlichen "hätte". Zögernd betrete ich die Computerabteilung und stehe schon bald vor einer mir endlos
erscheinenden Anzahl fröhlich blinkender Laptops der unterschiedlichsten Preisklassen. Hartnäckig melden sich nun mein "hätte" zu Wort. Hätte ich doch nur (meinen Mund gehalten, Rödelkiste wieder zum Laufen gebracht, mir nie einen PC angeschafft, dieses Angebot in der Zeitung nicht gelesen etc) und sollte ich nicht lieber (wieder verschwinden, auswandern, behaupten, alles war ausverkauft) und so weiter schießt es mir durch den Kopf, als das Verhängnis seinen Lauf nimmt.
"Kann ich Ihnen helfen?"
Erstaunt sehe ich mich unvermittelt einem freundlich grinsenden Verkäufer gegenüber. Ich bin wider Willen beeindruckt. Das ist Rekordzeit. Es ist noch keine Minute vergangen, und schon befindet man sich im gnadenlosen Griff des geschulten Verkaufspersonals. Irgendwo in meinem Hinterkopf ertönt die Melodie aus dem Phantom der Oper: Von nun an gibt es kein Zurück ...
"Interessieren Sie sich für einen Laptop?" Ich beginne ernsthaft an der Zurechnungsfähigkeit meines Gegenübers zu zweifeln. Was könnte ein Kunde in einer Laptopabteilung wohl schon wollen?
Nein, eigentlich wollte ich eine Waschmaschine im Zwergenformat erwerben, liegt mir auf der Zunge, doch ich schlucke die Bemerkung im letzten Moment tapfer hinunter, könnte sich doch eine derartige Eröffnung möglicherweise unvorteilhaft auf den weiteren Verlauf der Beratung auswirken und nicke stattdessen nur stumm. Die Augen des Verkäufers bekommen darauf hin einen weggetretenen Glanz, der mich an einen tibetanischen Gebetsmönch kurz vor der Erleuchtung erinnert. Doch mein nächster Satz befördert ihn gnadenlos
aus dem Nirwana zurück in die Gegenwart. "Günstig sollte er sein und alles können." Dem Gesichtsausdruck meines Gegenübers zu urteilen, habe ich damit offenkundig eine Kombination gewählt, die jedenfalls im näheren Umfeld dieses Sonnensystems nicht aufzutreiben ist.
"Was soll er denn alles können?", kontert mein Gegenüber und stürzt mich damit in Verlegenheit.
"Nun, er sollte zum Beispiel schnell im Internet sein", erwidere ich stolz auf meine, wie mir scheint, professionelle Erwiderung, "und bei der digitalen Bildbearbeitung nicht versagen", füge ich in Erinnerung an Rödelkistes letzten Streich hinzu. Das möchte ich wirklich nicht noch einmal erleben.
"Was haben Sie denn jetzt zu Hause, DSL, ISDN?", fragt mein Gegenüber, während er zu meiner Beunruhigung einen Laptop in der Preisklasse jenseits der 1.400 Euro ins Auge gefasst zu haben scheint. Jedenfalls liegt seine Hand wie zufällig plötzlich neben einem erschreckend teuren Gerät. Ich versuche das zu ignorieren und konzentriere mich lieber auf die Frage.
"56K, normaler Telefonanschluss", erwidere ich trotzig und ernte dafür einen Blick, wie Sie Irrenärzte normalerweise für besonders schwere Fälle übrig haben, kurz bevor sie die Zellentür verschließen und den Schlüssel für immer wegwerfen.
"56 K, normaler Telefonanschluss", wiederholt er ächzend. Ich nicke.
"Funktioniert", versichere ich treuherzig und verdränge entschlossen Rödelskistes letzte Attacke.
"Kaum zu glauben", ächzt mein Gegenüber. Offenkundig ist er derartige Kunden nicht gewöhnt. Fast habe ich ein wenig Mitleid mit ihm.
"Nun ja, wenn Sie nichts herunterladen und einen schnellen High-Speed Rechner haben, langt das natürlich", räumt er widerstrebend ein.
"366 MHZ", bestätige ich mit einem Grinsen.
"Ich dachte, die wären alle im Museum." Mit Bestürzung registriere ich, dass mein Gegenüber blass geworden ist und mit fahrigen Finger eine kleine Glasflasche mit roten Pillen aus der Hosentasche kramt. Während er emsig beginnt, den Inhalt wie Bonbons in sich hineinzustopfen, informiere ich ihn über Rödelkistes weitere Highlights. Als die Erwähnung meiner Festplattenkapazität von stolzen 4 Gigabyte ihm ein hysterisches Kichern entlockt, halte ich es für angebracht, besser das Thema zu wechseln, um ihn
wieder auf die Spur zu bringen.
"Der Laptop, der alles kann, genau", brummelt mein Gegenüber, froh darüber, wieder in eine Welt eingetaucht zu sein, die ihm vertraut ist, "also da wäre dies Modell genau das richtige für Sie." Wie befürchtet bleibt seine Hand erneut auf dem bereits erwähnten Modell liegen, während er eine beeindruckende Zahl von Informationen herunter spult, die nebenbei alle auf dem beigefügten Angebotsschild zu lesen sind und mich nicht wirklich weiterbringen. Zumindest ist die kleine Glasflasche wieder
verschwunden und dafür die Selbstsicherheit meines Gegenübers ein wenig zurückgekehrt. Zumindest bis zu meiner nächsten Frage.
"Und was ist daran nun besser als an dem Modell dort hinten für 699 Euro?" Mit einem unterdrückten Grinsen registriere ich, dass die Glasflasche wieder aus der Versenkung auftaucht. So eine hätte eigentlich auch neben Rödelkiste gehört überlege ich, bei der Erinnerung an die diversen Streiche unseres Rechners.
"Der Unterschied?", haucht mein Gegenüber, wobei es mir nicht gelingt zu beurteilen, ob die Verzweiflung in seiner Stimme durch meine Frage, oder die Tatsache, dass die Flasche leer ist, hervorgerufen wird.
"Der Unterschied", hake ich nach. Heldenhaft gibt sich mein Gegenüber einen Ruck und wankt vor mir zum Ende des langen Verkaufstresen hinüber.
"Der..", er räuspert sich, weil ihm die Stimme versagt, "..... Unterschied ist ganz einfach zu beschreiben. Das hier ist ein alternder Fiat 500 und das dort hinten ein guter Mittelklasse BMW." Das bringt mich ins Grübeln. In welche Kategorie dann wohl erst Rödelkiste fallen würde? Motorbetriebene Kutsche? Ich verkneife mir im Hinblick auf den ohnehin schon angeknacksten Gesundheitszustand des Verkäufers eine diesbezügliche Nachfrage und überlege stattdessen, was wäre, wenn dieses vermeintlich
günstige Gerät sich zu Hause als genauso hinterhältig erweisen sollte, wie Rödelkiste? Dann hätte ich nichts gewonnen. Mit einem Seufzen gestehe ich mir wohl oder übel ein, dass ich mich wohl von der Idee des günstigen Laptops verabschieden muss.
"Gibt es nicht ein Modell dazwischen? Vielleicht einen VW Golf, die sind doch bekanntlich zuverlässig", frage ich.
Das Gesicht des Verkäufers hellt sich wieder auf. Während er mir unzählige Daten verschiedener Laptops (alle so um die 1.000 Euro und ein wenig mehr) um die Ohren haut, nimmt meine Verwirrung stetig zu. Schließlich habe ich einen rettenden Einfall.
"Kann ich ihn eigentlich wieder tauschen, wenn er mir nicht gefällt?" Entweder kommt meine Frage nicht so gut an, oder mein Gegenüber hat gerade auf eine saure Zitrone gebissen. Wie auch immer, es dauert einen Moment, bis er mit verbissenem Gesicht mühsam hervor quetscht:
"Sicher, aber das kommt äußerst selten vor." Ich nicke zufrieden. Das genügt mir. Beschränktes Risiko. Also, auf ans Ausprobieren. "Wenn das so ist, nehme ich das teure Modell", teile ich ihm lässig mit und bin wieder einmal erstaunt, wie sich der Gesundheitszustand eines Menschen durch ein paar simple Worte schlagartig verbessern lässt. Für einen Augenblick spiele ich ernsthaft mit dem Gedanken, mich als Schamane niederzulassen. Irgendwo in der Nähe einer PC-Abteilung, gleich neben der Beschwerdestelle.
Zumindest bräuchte ich dann keinen Laptop. Mit einem Grinsen wische ich meine diesbezüglichen Gedanken weg und wende mich wieder dem aktuellen Geschehen zu.
"Na ja, dann kann ich jetzt wenigstens überall schreiben", teile ich dem Verkäufer freudestrahlend mit, der gerade ein solide verpacktes Paket aus dem Regal hervorzieht. Meinen ersten Laptop!
"Schreiben?"
Das Unverständnis auf dem Gesicht meines Gegenübers irritiert mich.
"Schreiben, Sie wissen schon, mit diesen geheimnisvollen Zeichen hier." Demonstrativ tippe ich auf ein paar Tasten. Der Verkäufer schüttelt den Kopf.
"Dafür brauchen Sie ein Programm." Das erschüttert mich, hatte doch Rödelkiste seinerzeit das Komplettprogramm bereits on board.
"Wozu braucht man einen Laptop, wenn man damit nicht schreiben kann", frage ich erstaunt, worauf ich einen Blick ernte, als hätte ich gerade nach dem Sinn des Atmens gefragt.
"Die Geräte werden doch nur zum Spielen gekauft", erklärt mir mein Gegenüber geduldig, wobei sein Blick Bände spricht. Das wiederum verwirrt mich. Offenkundig hatte ich den wahren Nutzen eines Laptops bisher völlig falsch eingeschätzt.
"Nun, ich will darauf jedenfalls schreiben. Zu Hause habe ich noch ein Word 97 Programm, das werde ich installieren", erwidere ich mit fester Stimme, was mein Gegenüber wieder zu dem hysterischen Gekicher veranlasst.
"Word 97, das ist gut." Erneut ertönt das nicht enden wollende Gekicher. Ich entscheide, dass ich mir das nicht länger antun muss, greife mir mein Paket und verlasse die Computer Abteilung, wobei ich geflissentlich, wenn auch mit einer bösen Vorahnung, das irre Kichern des Verkäufer, das langsam hinter mir verklingt, ignoriere. Ein Mann, ein Wort rufe ich mir ins Gedächtnis. Während ich mich an das Ende der Kassenschlange anstelle und ein schlechtes Gewissen bekomme, wenn ich an Rödelkistes fragwürdige
Zukunft denke, drängen sich ein paar Sanitäter mit besorgten Gesichtern durch die Menge und verschwinden die Rolltreppe hinauf in der Computerabteilung. Mein schlechtes Gewissen verstärkt sich, wird jedoch schlagartig durch Magendrücken verdrängt, als ich die Bestätigen-Taste des Kartenlesegeräts drücke. 1.450 Euro. Rödelkiste war eindeutig preiswerter.
"Endlich!"
Liebevoll streicht die Hand meiner besseren Hälfte über meine mitgebrachte Erwerbung.
"Wäre schön, wenn du mich auch einmal so begrüßen würdest", brumme ich und mache mich an das Auspacken des Geräts. Erstaunt stelle ich fest, dass das Paket deutlich mehr enthält als nur den Laptop. Eine ausziehbare Antenne, diverse Kabel, eine seltsame Platine, zwei Handbücher, CD-s und weitere, zunächst unidentifizierbare Teile tauchen aus den Tiefen des Kartons auf und blinken nun geheimnisvoll im Tageslicht. Verdammt viel Equipment! Mit erster Nervosität fahre ich mir durch die allmählich grau werdenden
Haare, an deren Farbe Rödelkiste nicht unmaßgeblich beteiligt war.
Ein aufkeimendes "hätte" verdränge ich energisch in die hinterste Schublade meines Gehirns und klappe stattdessen den silber glänzenden Laptop auf. "Willkommen in der Computerwelt von heute", sage ich nicht ohne Stolz. Immerhin sind 1.450 Euro ja kein Pappenstil. Meine bessere Hälfte hingegen sieht das Ganze wie immer pragmatischer.
"Stell ihn an", fordert sie mich ungeduldig auf. Typisch, man selbst bekommt erste Zweifel, ob man sich nicht angesichts der aufgehäuften Technik, die dort vor einem auf dem Tisch liegt, nicht zuviel zugemutet hat, und die bessere Hälfte will nur eines, ausprobieren wie das alles funktioniert. Vorsichtig drücke ich den Power-Knopf und sehe mich nach einer kurzen Hochfahrsequenz, bei der Rödelkiste vor Neid erblasst wäre, dem Start-Menü gegenüber. Mutig durchlaufe ich das Programm und gewinne an Selbstvertrauen.
Scheint alles gar nicht so schwierig sein, denke ich, als das Beendet Zeichen auf dem Bildschirm erscheint. Welch voreiliger Schluss, fangen meine eigentlichen Probleme erst an, doch ich greife vor.
"Wozu braucht man denn das?" Neugierig spielt meine bessere Hälfte mit etwas, das an eine alte Radioantenne erinnert.
"Zum Fernsehen", erwidere ich und ernte ein begeistertes Lächeln.
"Klasse, zeig mal, wie das geht." Ich schlucke. Die männlichen Leser unter Ihnen werden verstehen, dass man in dieser Situation kaum geneigt ist, dem weiblichen Geschlecht gegenüber zuzugeben, nicht die blasseste Ahnung davon zu haben, wie man das Gerät zum Laufen bringen soll. "Dafür brauche ich das Handbuch", versuche ich mich aus der Situation zu winden, doch umsonst.
"Scheint das hier zu sein." Ein umfangreiches Buch, eng bedruckt und unübersichtlich gestaltet, landet vor mir auf dem Tisch. Bedienungsanleitung, prangt in großen Lettern auf dem Cover. Ich weiß nicht, ob es Ihnen genauso geht, aber ich hasse diese Handbücher, gewinnt man doch den Eindruck, dass der ausschließliche Wille des Verfassers davon geprägt gewesen zu sein scheint, den geplagten Leser in den Wahnsinn zu treiben. Entsprechend widerwillig nehme ich das Exemplar an mich. "Hmm, mal sehen",
knurre ich. Mit aufkommender Panik blättere ich in dem umfangreichen Index und sehe mich bereits nach kurzer Zeit erwartungsgemäß in den Fallstricken der Bedienungsanleitung gefangen.
Die Platine über die Zusatzverbindung F mit dem Stecker X und dem Empfangsteil A (siehe auch Seite 17, dort mit weiteren Querverweisen) vorsichtig in den vorgesehenen Steckplatz 1 schieben.
Etwas in dieser Art hatte ich befürchtet. Entschlossen klappe ich das Buch zu und mache mich stattdessen verbissen an die Arbeit, die gelesen Anweisungen ignorierend. Wer weiß schon, was sich hinter Stecker X verbirgt?
Mit einem bisschen technischen Verständnis bekommt man das auch ohne Buch hin. Hoffe ich jedenfalls.
"Solltest du nicht besser nachlesen, wie das gemacht wird?", fragt meine bessere Hälfte mit der typischen Nonchalance des weiblichen Geschlechts.
"Dafür braucht man kein Buch", erwidere ich und bastle stoisch weiter. Knappe vierzig Minuten später sieht das Ergebnis zu meiner Freude tatsächlich wenigstens annähernd so aus, wie auf der Zeichnung. Stolz präsentiere ich es meiner inzwischen lesenden besseren Hälfte.
"Wurde auch Zeit", kommentiert sie trocken meinen bisherigen Erfolg. Offenkundig ist ihr Glaube an meine Computerfähigkeiten drastisch gesunken. Egal. Da muss man durch. Entschlossen stelle ich mich der nächsten Herausforderung. Wie herum gehört das Teil nun in den Schlitz und wo befindet sich dieser überhaupt? Ein widerwilliger Griff zum Handbuch hilft erwartungsgemäß nicht weiter. Offenkundig konnte sich der Verfasser nicht vorstellen, dass dies ein Problem darstellen könnte, oder er konnte es sich
gerade gut vorstellen und hat diesen Part deshalb geflissentlich weggelassen. Gemeinheit! Wehmütig denke ich an die unkomplizierte Inbetriebnahme von Rödelkiste zurück. Das war irgendwie einfacher.
"Das kann doch nicht so schwer sein", ertönt es von Seiten meiner besseren Hälfte, "die Hälfte der Menschheit kann mit so einem Ding umgehen." Die Hälfte der Menschheit schluckt wahrscheinlich auch kleine rote Pillen, schießt es mir durch den Kopf, während ich frustriert weiter mit meinem Laptop kämpfe. Irgendwie muss das doch funktionieren. Dann endlich der erlösende Moment. Die erste Hürde scheint geschafft. Das Modul steckt endlich im Laptop.
"Schatz, wir haben jetzt überall Fernsehempfang", teile ich etwas zu voreilig mit. Der misstrauische Blick meiner besseren Hälfte kränkt mich ein wenig. Normalerweise sieht sie so Rödelkiste an, wenn sie mal wieder abgestürzt ist. Nicht zu unrecht, wie ich zähneknirschend feststellen muss.
Starten Sie nun das Installationsprogramm. Information entnehmen Sie bitte der Broschüre oder der mitgelieferten CD-Rom 1, blinkt auf dem Bildschirm.
Verdammt! Hört das denn nie auf!
"Ich verschwinde auf die Terrasse. Das wird ja doch nichts." Enttäuscht sehe ich ihr hinterher. Da wollte ich eigentlich auch sitzen und mit meiner Neuerwerbung schreiben und im Internet surfen und ...... Mit einem Seufzen wende ich mich wieder dem aktuellen Problem zu. Unzählige Flüche, Haareraufen und zwei Bier später erscheint endlich die erlösende Nachricht auf dem Bildschirm.
Die Installation ist beendet.
Erleichtert lehne ich mich in meinen Stuhl zurück, überzeugt davon, dass die Eroberung Trojas ein Kinderspiel war im Verhältnis zu meinem Kampf. Doch der Tag ist noch nicht zu Ende. Sie werden es sich sicher schon erahnen, der Fernsehempfang war natürlich auch eine Katastrophe. Für einen Augenblick mag es ja ganz lustig sein, den Ton immer 10 Sekunden nach dem dazu passenden Bild zu hören oder umgekehrt die Sendung per Ohr weiterzuverfolgen, während das Bild einfach hängenbleibt. Auf Dauer hingegen ist diese
Art des Fernsehsehens aber eher für Kandidaten geeignet, die einen längeren Aufenthalt in einem gepolsterten Raum planen. Angesichts dieser unerfreulichen Aussicht schalte ich wütend das Programm ab. Wozu braucht man schon Fernsehen auf dem PC? Gibt doch sowieso nichts Gescheites zu sehen.
Gut, überall die Börsenkurse empfangen zu können, mag für den einen oder anderen vielleicht ganz reizvoll sein, ich aber entscheide, dass dieses sensationelle Zusatzequipment überflüssig ist. Doch damit nicht genug. Gegen Abend macht sich bei mir endgültig die Erkenntnis breit, dass die meisten Funktionen für mich überflüssig sind und ich mit den wenigen, für mich geeigneten, nicht klarkomme, ganz zu schweigen von meinem aussichtslosen Versuch, Word 97 zum Laufen zu bringen. Mit einem Seufzen und dem Handbuch
begebe ich mich in mein Arbeitszimmer, um in aller Ruhe noch einmal am Schreibtisch die Installationsanweisung zu lesen. Doch dort steht Rödelkiste.
Ich bin viel unkomplizierter, scheint sie mir hartnäckig zuzuflüstern.
Wehmütig fahre ich mit der Hand über den Rand des Monitors (17 Zoll und natürlich noch Röhre). Gut, Rödelkiste ist unleugbar in die Jahre gekommen, aber sind wir das nicht alle? Ich denke an die Dienste, die sie uns bisher geleistet hat, an meine ersten Versuche, eine Geschichte zu entwerfen, die Rödelkiste klaglos auf ihre kleine Festplatte gespeichert hat, und das ohne abzustürzen, na ja, von ein oder zwei Ausnahmen vielleicht einmal abgesehen.
In Erinnerung an die vielen Streiche, die sie mir gespielt hat, muss ich unwillkürlich grinsen. Irgendwie erscheint mir Rödelkiste plötzlich mehr wie ein treues altes Familienmitglied als ein zur Entsorgung anstehendes Gerät.
Und dann treffe ich eine Entscheidung.
"Du willst ihn zurückgeben?" Ich nicke entschlossen, während ich sorgfältig die vielen Einzelteile verstaue.
"Und du meinst das wirklich ernst?" Erneutes Nicken. Die Antenne verschwindet im Karton. Resigniert zuckt meine bessere Hälfte mit den Achseln. "Aber verschone mich bitte mit Wutausbrüchen, wenn Rödelkiste dir wieder einmal alle Dateien löscht." Wieder ein Nicken meinerseits, wenn auch zögerlicher.
Inzwischen ist alles wieder wie es war, vielleicht abgesehen von der kleinen Flasche mit roten Pillen, die nun neben Rödelkiste steht, die uns weiterhin ihre Streiche spielt und uns dazu bringt, ständig über den schmalen Grat der Verzweiflung zu tappen, immer am Rande des Herzinfarkts entlang. Aber wenigstens wissen wir, wie Rödelkiste funktioniert und was wir machen müssen, wenn sie streikt. Und das soll man nicht unterschätzen. Glauben Sie mir. Mir ist natürlich bewusst, dass ich irgendwann wieder einmal in
der Computerabteilung auftauchen werde, denn schließlich wird Rödelkistes kleines Prozessorherz nicht ewig ticken, aber bis dahin vergeht hoffentlich noch viel Zeit in der es mir ohne die Verwendung dicker Handbücher und dem Konsum ganzer Valiumpackungen gelingen wird, Geschichten wie diese auf die Festplatte und mit ein wenig Geduld auch ins Internet zu bringen, wenngleich die Vorstellung, einen mobilen PC zu besitzen, unbestreitbar ihren Reiz hat.
Vielleicht sollte ich ja doch noch einmal darüber nachdenken, irgendwann, irgendwo ...
Eingereicht am 25. April 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.