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eBook Karin Reddemann: Ganz normal verpickelt
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eBook Karin Reddemann: Rosen für Max

Dez
01
Ganz normal verpickelt
© Karin Reddemann
Ulrich Terbowen hatte eine phantastische Jugend. Nach fünf duldsamen Jahren fand er sich endgültig damit ab, ein von übelster Akne gezeichneter Schwuler mit (tut mir echt leid, Böwi!) derben genetischen Defiziten zu sein. Mit siebzehndreiviertel färbte er sich die Haare und verpatzte sein Coming Out. Seitdem hat er diesen großartigen psychischen Knacks, der ihn wohl definitiv zum Säufer gemacht hat.

Ich beneide Böwi brennend um seine Geschichte. Sie macht ihn zu einer spektakulären Person. Es ärgert mich in irrelevanter Hinsicht maßlos, dass ausgerechnet Böwi dieses verdammte Glück hatte, tragisch sein zu dürfen. Ein tragischer Schwuler eben, dem das Schicksal jetzt auch noch sozusagen übergangslos den bekifften Liebhaber, Oberklugscheißer Pete Machulski, genommen hat. Um den es grundsätzlich wirklich nicht schade ist. Tot ist er sowieso nicht. Nur weg. Logisch und Böwi-typisch, dass diese rührende Beziehung nicht einfach nur so beendet wurde, sondern schon recht extrem, eben mit blanken Ärschen unter Küchenschürzen und einer Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Damit wird sich wohl Hermann-Josef Wurstgesicht befassen, wenn auch nicht gern. Solche Fälle schätzt er nicht.

Ich persönlich bin noch nicht einmal schwul. Zurzeit gehe ich regelmäßig mit Babba ins Bett und habe eine feste Kolumne im Town-Talk, die unbedingt komisch sein muss. Sonst druckt mein inkompetenter Chef Fritz Heuerling sie nicht, der mich ansonsten mal kreuzweise kann. Meine morgendlichen Sit-ups, After Shave ohne Alkohol (der trocknet die Haut aus) und eine Kräuterminz-Maske am Sonntagabend sind mittlerweile zur liebenswerten Notwendigkeit geworden, weil auch ich nicht mehr zwanzig bin. Auch nicht dreißig. So gönne ich mir ab und an ein Honig-Mandel-Körper-Peeling, lass mir jetzt zum dritten Mal meine Zähne bleichen und nehme mir nach zu viel Burgunder Jahr für Jahr vor, noch einmal nach Lulldorf zu reisen. Dort wohnt Bibo, die ich vor Jahren auf einer Rucksacktour durch Südbayern, sehr südlich, kennengelernt habe. Seitdem schreibt sie mir beharrlich. Ich finde das rührend. Aber Babba und davor Sissa und Susanne und all die anderen wollten immer woanders hin. Außerdem ist da noch der Hund. Otto. Arrogant und sehr eigenwillig. Der fliegt sowieso nicht. Glaube ich. Faktum ist ergo, so wie ich das rein oberflächlich betrachtet sehe: Ich bin wohl einfach nur ganz normal. Das behauptet auch mein Spezialfeind Wurstgesicht, Dr. jur. H.J. Kotterhoff für Nicht-Eingeweihte. Und dieser Mistkerl ist nun so ziemlich der Allerletzte, der mich normal nennen darf. Das werde ich mit Sicherheit nicht auf mir sitzen lassen. Ich zitiere hiermit die Schar meiner Bewunderer, in persona Kalle Feldhaus und Lupo Bruckner aus der Mucki-Bude, also echte Kerle, die diese Welt kennen:

Jochen, alte Kanone, bist und bleibst doch der Größte. Fuchs du, kannst den Ball wohl nie flach halten, du gerissenes Arschloch, du.

Aufrichtige Worte.

Mit Wurstgesicht bin ich noch nicht fertig. Rückblickend muss ich sagen, dass ich ihm schon an diesem Abend in Ullas Pinte voll einen vor den Latz hätte knallen müssen. Verdienterweise. Immerhin hatte er mit dem ganzen Quatsch angefangen. Unfreiwillig allerdings.

Ich konnte an diesem Abend meine Augen nicht von seiner blöden Nase lassen. Vorn auf der Spitze, boshaft platziert wie in der guten alten Pennälerzeit, hatte er einen feudal fiesen fetten Pickel, eben genau an der unübersehbaren Stelle, die uns als Jugendliche fast in die Massenhysterie getrieben hat. Ein Pickel! Direkt auf der Nase! Bin grausam deformiert! Kann nicht auf die Fete! Muss sterben! Dann Entwarnung. Weiterleben. Es ist ein Gelber! Gott sei mit dir! Quetsch ihn aus, Mann!

Der von Hermann-Josef war rot. Einer von der ganz hinterhältigen Sorte. Unterirdisch aktiv. "Drück da nicht rum, Jochen, der muss erst noch reifen. Du machst das nur schlimmer." Meine dumme kleine liebe Mutter! Muss reifen!!! Hatte ich Äpfel im Gesicht? Als hätte ich freiwillig bis zum Sanktnimmerleinstag gewartet, um meine Entstellung loszuwerden. Ich drückte wie wahnsinnig. Es sah natürlich sehr viel schlimmer aus. Und es tat mordsmäßig weh. So völlig unbelastet ist meine Jugend also auch wieder nicht gewesen. Das nebenbei bemerkt.

Nun dachte ich mir wirklich nichts verbal Ausbaufähiges dabei, als ich Hermann-Josef dezent auf seinen imposanten Furunkel ansprach. Ich mein, mit neununddreißig (H.J. sieht älter aus, das verniedlicht die Sache nicht grad) muss man so was nun wirklich nicht unbedingt auch noch haben, und als Strafverteidiger will man ja vom Prinzip her für halbwegs voll genommen werden. Auch wenn die Welt einen nur als "Wurstgesicht" kennt. Was ich grundsätzlich wirklich betrüblich finde für H.J. Kotterhof. (Und jetzt auch noch dieses Mordsinstrument auf der Nase. Denke ich so.) Also sage ich: "Mensch, Wurstgesicht, du hast vielleicht ein Ei auf deinem Zinken."

Hermann-Josef fixiert mich kurz, eiskalte Mimik, grinst gequält, schielt dann hinterhältig zu Böwi rüber, der auf seinem Stuhl kauert wie herzlos zusammengefegtes Fallobst, und greift mich aus dem Hinterhalt frontal an. Ohne Vorwarnung. "Du bist wirklich ein Riesenarschloch, Jochen. Böwi geht's hundsmiserabel, und dir fällt nichts Intelligenteres ein als solch ein idiotischer Scheiß."

Ich, völlig baff, werde erst mal augenblicklich sauer. "Kann ich was für deine dämliche Optik? Blaff mich hier bloß nicht so an." Gut so. Vorerst. Tatsächlich rotiert es in meinem eigentlich auf Stimmungssaufen einprogrammierten Hirn. Wieso war da was mit dem kleinen Böwi? Notorisch verzweifelt, die Träne, ist ja nun bekannt. Und trotzdem. Wieso, verdammt, hatte ich das jetzt wieder nicht mitbekommen? Akustische Zwangsblockade, vermute ich bei sachlicher Reflektion. Ein Abend mit Böwi und Hermann-Josef nötigt einen schon mal, sich rein mental völlig zu lösen. Ich denke dann an Sex und Zahnseide oder verkokelten Gemüseauflauf oder einfach nur an guten Sex und die wirklich geniale Grießklößchensuppe meiner Großmutter oder schlimmstenfalls an Scheißpickel in blöden Visagen und wirklich miserablen Sex, und während ich so denke und trinke und mir eine Filterlose drehe, können die Typen um mich herum sich unbesorgt über ihren letzten vorzeitigen Samenerguss (höchst erniedrigend ab einem gewissen Alter!) oder ihre Schwanzlänge (noch erniedrigender, aber mit Unterhaltungswert!) auslassen, ich krieg das gar nicht mit. Normalerweise höre ich bei so was recht interessiert zu.

Ich grüble also noch so vor mich hin, da macht Wurstgesicht einen auf überwichtig. Saftbirne. Haut mir seine fette Pranke auf die Schulter und schnauzt mir ins Ohr. "Hast du eigentlich nie etwas anderes als dich selbst in deinem verdammten Schädel? Jochen, echt, Mensch, nimm's mir nicht krumm, aber deinen Ego-Trip find ich so was von zum Kotzen, das ist ja so was von typisch für dich, dieses völlig einseitig Orientierte, Kerl, werd endlich mal erwachsen, du verzogener Flachwichser."

(Huch, da hatte dieser Möchtegern-Psychoscheißer es mir aber gegeben!) Ich hör mir das erst mal relativ wenig erschüttert an, nehme ihn traditionsbewusst nicht die Bohne ernst und höre mich mit Samtstimme sagen: "Gleich bist du tot, Wurstgesicht." Und knall ihm gleichzeitig eine gesunde Spur zu kräftig die flache Hand auf den Rücken. H.J. bricht fast zusammen. Kein Witz. Er ist groß, aber durchweg schwabbelig. Tipp seinen Zeh an, und sein Kinn vibriert. Schauderhaft, das beobachten zu müssen. Wurstgesicht keucht stumm, mit zusammengepressten Lippen. Eindeutig gedemütigt, weil ich sowieso stärker bin und er das prinzipiell akzeptiert. Sehr viel stärker. Das nutze ich gern aus, so läuft das auf freier Wildbahn auch ab.

H.J. grinst gequält, glotzt beifallheischend zu Böwi rüber (Merk dir das gut, Böwi, das kommt in die Akten!) und lässt den Therapeuten los: "Das musste jetzt sein, Jochen, ja?! So was kannst du. Armselig nenn ich so was. Hat Herr von Wickertsmühle nicht mehr zu bieten?"

Absolut unverschämt. Allein schon die affektierte Art, wie Hermann-Josef meinen mir rechtmäßig zustehenden Namen aussprach, schrie danach, diesen verpickelten verblödeten Sumpfsack kommentarlos umzuhauen.

Hätte ich es nur getan. Stattdessen antwortete ich ihm auch noch. Blaublütig böse. "Wenn du's ganz genau wissen willst, du asoziales Doktörchen: Das Einzige, das ich Leuten wie dir bieten möchte, sind die Pickel auf meinem Arsch." Künstlerische Pause. "Aber ich trag sie wenigstens nicht auf der Nase spazieren. So wie du. Und jetzt leck mich." Ende. Ich hob mein Glas und zwinkerte der drallen Blonden am anderen Ende der Theke zu. Irgendwie war das Thema damit für mich erledigt.

Außerdem befand ich mich nicht unbedingt im sicheren Schützengraben, weil ich mich bereits leicht besoffen fühlte, und ich hätte mir zwei, drei Wodka-Lemon mehr im Hirn (wenig Lemon, bitte!) auf jeden Fall liebend gern noch gegönnt, ohne mir diesen aufgesetzt blasierten Gesichtsausdruck von Hermann-Josef Wurstgesicht antun zu müssen. Mir war nicht nach ihm. Nach Böwis Weltschmerz auch nicht. Herrgott, kann man nicht einfach nur Spaß haben? Konnte man wohl nicht.

Böwi sah mich traurig an. Ergreifend traurig für einen vierzigjährigen schwulen Zahnarzt, der die Westdeutsche Allgemeine Zeitung wegen der Peanuts abonniert hat und aufwendig bestickte Tangas trägt, obwohl sein dicker Bauch ihm eh nur soeben noch einen Blick auf seine gelben Zehennägel erlaubt. Na ja, Pete war ja auch noch da, um die Slips zu bewundern. (Dachte ich.) Die gute Tante Pete (für Böwis Sohn Stephan, so was hat der auch). Böwi sah mich also an. Erschüttert irgendwie. Mir wurde ganz anders. Dann sagte er mit dieser tiefen dumpfen Stimme, die nun wirklich überhaupt nicht zu ihm passt, weil er halt nun mal tatsächlich so aussieht, als würde er mehr zum Schrillen (heiteitei, kein Witz jetzt) tendieren: "Jochen, lass doch einfach mal die platten Sprüche, ja?!" Er hielt sein dickbauchiges Glas fest mit beiden Händen umklammert, schaute völlig frustriert hinein (logisch, bis auf ein hellrosa Minipfützchen war es leer) und nickte Conny, der lieblos gepiercten Kellnerin, wortlos zu. Die Verhunzte lieferte nach und nuschelte irgendwas, was keiner verstehen konnte, weil da in ihrer Zunge und sonst wo unappetitliche Fremdkörper steckten. Böwi nahm einen tapferen Schluck und räusperte sich affig. Dann (Jesus, ein Drama!): "Pete ist ausgezogen."

Für mich, so als Mann, der keine Erfahrung damit hat, von einem Kerl sitzen gelassen zu werden (zehn Ave Maria, dass das auch nie passieren wird!), war das ein recht ergreifender Moment. Für Wurstgesicht, und das irritierte mich kurzfristig, wohl nicht unbedingt. Der schien sichtlich unzufrieden. (Köstlich verwirrend, das Ganze!) "Das war jetzt echt unpassend, Ulrich, so leid mir das tut für dich. Jetzt grad ging's um Jochen, und was der hier abzieht, ist ja wohl wirklich unterste Schublade. Mein' ich."

Peinliches Päuslein.

Ich gönnte uns ein putziges Hüsteln. "Wieso Pete? Was ist mit dem?"

Böwi schenkte mir augenblicklich ein devotes Lächeln, kniff dann (das galt dem hohlen Choleriker neben mir) finster seine Knopfäuglein zusammen, mehr Aggressionspotential war nicht drin (Schwein gehabt, Wurstgesicht!) "Weg. Ausgezogen. Hab ich doch gesagt. Aber das scheint ja wohl nicht so wichtig zu sein."

Wurstgesicht wirkte jetzt doch etwas verlegen, brachte mangels Intellekts natürlich nichts Wertvolleres heraus als: "Hach, ja ja, sicher. Mein Gott, natürlich ist das wichtig."

"Was denn nun?" Das war ich. Ich bring die Dinge gern auf den Punkt. "Was ist denn nun mit deinem Pete? Himmel." Insgeheim amüsierte ich mich bereits königlich. Ich ging von einer mordsmäßig guten Geschichte aus. Ergreifend. Und saukomisch. Seitdem Böwi mir von seinem bescheuerten Outing erzählt hatte (natürlich im Suff, ganzes Programm, mit Geflenne und so weiter), sah ich ihn mit anderen Augen. Fast ehrfurchtsvoll.

Hätte Böwi mir davon nicht erzählt, wäre mir übrigens niemals so denkwürdig brutal bewusst geworden, dass ich selbst keine Geschichte habe, in der meine Eltern so richtig schön mies wegkommen. Herzlichen Dank, Mama und Papa, dass ihr solche Langweiler ward. Wurstgesicht hat auch eine, völlig unspektakulär natürlich, was sonst?!, und Böwi, wie ich bereits bemerkte, hat diese wirklich nette. Und ich verlorene Seele mit meiner bekloppten unbeschwerten Jugend darf wohl meinen alten Herrschaften mit Schmackes in den Allerwertesten treten, weil sie mir nichts zum Weitertratschen und Ablästern geboten haben. Nichts tiefenpsychologisch Analysierbares auf jeden Fall. Sich an so was zu erinnern oder zumindest davon zu erfahren macht ja normalerweise sofort wieder stocknüchtern. Betroffen wohl auch irgendwie. Mich aber nicht.

Dieses bescheuerte Gespräch (Keine Sorge, ich bin noch nicht fertig damit!) liegt jetzt schon ein paar Takte zurück, beschäftigt mich aber immer noch. Wieso hatte ich Wurstgesicht nicht einfach irgendwas Faszinierendes aus meinem Leben so aus dem Handgelenk um die Ohren geknallt? Irgendein lausiges Kindheitstrauma? Warum nicht Opa Pitter, der mich als viereinhalbjährige Leiche gemalt hat? Auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin. Oder Nicole Schlüter, die uns in der Hinterhofgarage des alten Kuchlalski alle ran ließ für ein paar Zigaretten, die ich meinem Vater geklaut hatte, weil ich mit neun noch nicht geraucht hab? Diese Schlampe hat mein Frauenbild versaut, das wäre doch was gewesen. Ich hätte auch von unserem Sofa erzählen können, unter dem ich bäuchlings lag, um mir einen runterzuholen. Ohne zu wissen, was ich da eigentlich treibe. Ich war noch nicht mal eingeschult.

Selbst über ganz banale Pickel hätte ich Stoff zur möglichen Analyse liefern können. Ich erinnere mich jetzt wieder sehr gern mit prickelndem Ekel daran, dass ich in der Blüte meiner Haut meine quengelnde Mutter mit ihren spitzen Fingernägeln die "Reifen" ausquetschen ließ, wenn sie Gelegenheit hatte, mich schamhaft Pubertierenden zu sezieren. Vielleicht hätte ich noch einen regelmäßigen Ständer (Hatte ich NICHT!) hinzufügen sollen, um zum Nachdenken anzuregen. Von wegen: Normal! Hüte dich, Wurstgesicht. Was dich betrifft, Böwi: Gott sei mit dir. Nicht normal zu sein ist wohl auch nicht immer so ergötzlich.

Mein Freund Ulrich Terbowen ist schwer kurzsichtig und trägt eine dicke Hornbrille mit lila-grün gesprenkeltem Rahmen. Er sieht mit seinen 40 Jahren wie ein ganz besonders braver dicker kleiner Hosenscheißer aus, so richtig was zum Knuddeln und Liebhaben, aber das ist nur der äußere Schein. Ich sage das jetzt bewusst ernst, weil Ulrich Terbowen tatsächlich eine tragische Figur ist.

Offensichtlich nicht nur für mich. Auch für den super-hyper-sensiblen (ich kotz gleich!) Hermann-Josef Wurstgesicht, der in meinem Beisein ergriffen Böwis Hand tätschelte. Eindeutig zu lange, aber das geht mich nichts an. Oder vielleicht doch. Bei H.J., der eh keinen Schlag bei den Frauen hat, war ich immer schon misstrauisch. Scheinschwul aus Not, so was gibt's ja. Schert mich aber nicht weiter. Während ich also noch auf Böwis Trennungsdrama wartete, gab Hermann-Josef diesen folgenschweren Satz von sich: "Ulli, mein lieber Ulli, lass man, der Jochen zehrt immer noch vom Wappen auf seinen beschissenen Windeln. Und dabei ist er so verflucht normal. So stinknormal, wie du und ich gar nicht sein können."

Schlagt mich, aber ich musste lachen. Selten so was Dämliches gehört. Nicht zu vergessen allerdings bei all meinem Spaß an dieser wirklich köstlichen Beschreibung (Windelwappen, gefällt mir, hatte ich übrigens NICHT!): Es war infam. Dr. jur. H.J. Kotterhoff bewegte sich verbal auf höchst gefährlichem Pflaster.

Derweil Ulli wie wachgeküsst am Tresen hockte und bescheuert grinsend vor sich hinwinselte, ohne auch nur ansatzweise auf Wurstgesichts bedrohliche Lage einzugehen. "Tut trotzdem verdammt gut, das alles mal ausgesprochen zu haben." Kurze Pause. Dann, feierlich: "Freunde, die zuhören können, sind viel wert." Das galt als dilettantischer Seitenhieb wohl mir. Eindeutig zählte er mich nicht zu den Seligen im Kreis seines Gurus Wurstgesicht, obgleich der ihn so schnöde abgefertigt hatte.

Böwi schniefte kurz, ein recht zufriedenes Schnäuzen, meine ich so im Nachhinein. Dann traf mich zielsicher ein bemüht vorwurfsvoller Blick aus zusammengekniffenen Augen hinter milchig gelbstichigen Gläsern. Auf so was steh ich, das erklärt mir undefinierbar Leichtes stets aufs Neue. "Na, Jochen, amüsierst du dich auch gut?"

Einfach lächerlich. Trotzdem, das Ganze hatte was. Fand ich. Es hatte leider auch was Entwürdigendes. Was mich betrifft. Weil ich jetzt gezwungen war, völlig seriös Stellung zu nehmen. Ich hatte aber leider diesen verfluchten Lachkrampf, und während ich verzweifelt bemüht war, Böwi davon zu überzeugen, dass zumindest vorrangig nicht er es war, der mich belustigte, geierte ich mich hin bis zu einem mittelschweren Erstickungsanfall.

H.J. räusperte sich. Väterlich. Echt ein Riesenarsch. "Mensch, Jochen, jetzt reiß dich mal zusammen."

Böwi, um tausend Jahre gealtert, winkte müde ab. Schauspieler, elender. "Lass mal, Hermann-Josef, der kann gar nicht anders."

"Mein Reden." Das war Wurstgesicht. "Herr von Wickertsmühle ist mit heiklen Situationen einfach überfordert." (ÜBERFORDERT! Ich wundere mich jetzt noch, dass Wurstgesicht diesen Abend ohne physische Verluste überstanden hat!)

Ich kriegte mich dann tatsächlich wieder ein. Und entschuldigte mich erst einmal bei Böwi, das hätte meine Mutter so jetzt auch auf jeden Fall von mir erwartet. "Sorry, Ulli, das ging nicht gegen dich. Ich nehm dich schon sehr ernst, Bruder." Und dann, gut angriffslustig: "Ich lach über Hermann-Josef. Macht hier wie bescheuert einen auf Psychoanalytiker. Geradezu lächerlich. Echt, Wurstgesicht, ich muss dir ja in einem früheren Leben als Wasserratte tierisch was angetan haben, dass du hier solch einen Scheiß über mich verzapfst. Vorsicht, Junge. Ich sag einfach nur Vorsicht." Ich inhalierte geräuschvoll. Tief und wild, wie nur Männer es wirklich beherrschen. Dann sagte ich klar und deutlich, ganz Meister der wahren Beherrschung: "Und jetzt will ich wissen, was mit Pete und dir los ist."

Böwi zögerte und schielte zu Wurstgesicht rüber. Irgendwie traute er mir nicht mehr. Und irgendwie schien er auch keine Lust mehr zu haben. Ich vertrieb mir die aktionslose Zeit mit zwei, drei Zügen aus meinem Glas und schüttelte mich. Ich überlegte, jetzt vielleicht doch besser auf Bier umzusteigen. Irgendwas Gesundes auf jeden Fall.

Böwi kaute bockig an seiner Unterlippe. Offensichtlich war bei ihm kurzfristig die Luft raus. Bei Wurstgesicht allerdings nicht. Erfreulicherweise, muss ich sagen, denn ansonsten wäre ich an diesem Abend wohl nicht mehr über Petes üblen Verrat aufgeklärt worden. H.J. seufzte theatralisch auf. Dann, endlich. "Böwi hat Pete mit Jonas Gotteswinter erwischt. Feierabend. Hättest vorhin ja zuhören können, anstatt der Tussi da hinten auf die Titten zu glotzen." Er meinte die dralle Blonde. Ich schielte zu ihr rüber. Sie hockte immer noch mit übereinandergeschlagenen Beinen am Tresen, fing meinen Blick auf und zwinkerte mir zu. Ich blieb aber irdisch. Geile Frauen sind immer gut, aber Jonas Gotteswinter interessierte mich momentan mehr. "Ach ja?! Wie denn erwischt?" …

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Die vollständige Geschichte gibt es in dem eBook "Ganz normal verpickelt".

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