Karin Reddemann
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Unwichtig© Karin ReddemannGeorg Kettler hätte sich gern mal kurz und kräftig übergeben. Impulsiv gierte er danach, und grundsätzlich wäre es vermutlich gut und richtig gewesen, einfach nur beherzt zu kotzen, aber Kettler ließ es und verschob es auf morgen. Oder sonst irgendwann. Irgendwo irgendwie würde er schon ein Plätzchen finden, um seinen Kummer herauszuwürgen. Jetzt nicht. Keine Zeit, kein Ort für schwache Momente. Er zog nervös an seiner Zigarette. Die Entscheidung, immer noch zu rauchen oder eben nur noch peinlich versteckt oder vielleicht auch überhaupt niemals wieder, war weg. Egal, basta eben. Unwichtig. Affig geradezu. Noch war er ein freier Mann. Er stand vor dem kleinen Polizeirevier an der unübersichtlichen Kreuzung, die er in seinem Leben wohl an die hunderttausend Mal verflucht hatte, wenn er rechts abbiegen musste, um nach Hause zu fahren. In die Winkler Gasse 12, wo er gemeinsam mit Maria wohnte. Gewohnt hatte. Sie zumindest. Maria Kettler wohnte dort nicht mehr, nicht im eigentlichen Sinn. Sie lag mit eingeschlagenem Schädel neben der neuen Eckgarnitur. Zitronengelber Cordsamt mit orangefarbenen Dekorkissen. Maria, geborene Wiemann, jüngst verstorbene Kettler, hatte das chic genannt. Südländisches Ambiente. Puffambiente wohl eher. Er schüttelte sich. Dann schluckte er, schluckte noch mal, da hockte was Zickiges in seiner verdammten Kehle, irgendwas Lästiges stieg im in die Augen. Jetzt bloß nicht losheulen. Gott, er hatte sie nicht umbringen wollen, nicht wirklich, direkt verdient hatte es die Gute, die Liebe, dieses verdammte Stück Leben nicht, jetzt schon nicht mehr da und dort und überhaupt zu sein. Grundsätzlich war es halt zu früh für eine 42-jährige Frau, tot dort auf dem gesprenkelten Parkett zu liegen, da gehörte sie einwandfrei trotzdem und immer wieder wirklich nicht, einfach noch nicht hin. Er warf seine Zigarettenkippe achtlos auf die unterste Stufe, atmete tief durch. Noch eine in Freiheit, dann würde er es hinter sich bringen. Er würde alles erzählen. Über sich. Seine Eltern. Seine kleine süße Steffi, die jetzt schon drei Monate in dieser kalten Erde lag. Über seine Liebe. Seine Trauer. Seine Wut. Hass. Hasshass. Auf Jochen, der ihm nehmen wollte, was ihm übriggeblieben war. Über Maria. Hasshasshass. Diese endlose Geschichte. Aber egal, er würde sie erzählen. Er hatte alle Zeit der Welt. Jetzt wieder. Und weiterhin. Er würde erzählen. Alles, was wichtig war. Alles war wichtig. Alles. Wichtigwichtig. Gedankenverloren sah er in die sternklare Nacht, verfolgte mit seinen Augen die bläulichen Rauchkringel, die vor seinem Gesicht aufstiegen, hoch, höher, bis sie sich selbst zerstörten. Puff. Puffambiente. Er sah klar. Es war, wie es war. Bitte sehr, da habt Ihr mich. Er warf die halb gerauchte Zigarette auf den Boden und zertrat sie. Tot bist Du. Er lachte bitter auf. Dann nahm er raschen Schrittes die sechs Stufen und drückte die Tür auf. Er wunderte sich, dass zu so relativ später Stunde nicht geklingelt werden musste. Da konnte ja jeder kommen und einfach so ins Polizeirevier marschieren. Bodenloser Leichtsinn, so was. Er würde das mal zur Sprache bringen. Irgendwann. Drei Mann. Zwei sitzen an ihren Schreibtischen, einer lehnt am Fensterrahmen. Er trinkt aus einer abgegriffenen pflaumenblauen Tasse mit billigem Goldrand, Kaffee vermutlich, vielleicht mit einem Schnäpschen verfeinert, weiß man ja nie so genau. Der Dicke raucht. Alle drei sehen ihn an. Uninteressiert. Abgenervt. Angewidert. Egal. Verdammt beschissen egal aber auch, wie die ihn ansehen. Georg Kettler nickt höflich. Ernst. Ballt die schwitzenden Hände in den ausgebeulten Taschen seines Trenchcoats zu Fäusten, kneift kurz nur und mit letztem Trotz die Lippen zusammen, lockert sie streng, gefasst, bereit, stockt einmal, dann ist's doch erstaunlich leicht. "Guten Abend. Verzeihen Sie die Störung, aber ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen." Die drei Polizisten hocken lieblos hingepflanzt im Raum, starren ihn an, fühlen sich vermutlich irgendwie leicht verarscht und wissen erst einmal überhaupt nicht, was sie machen sollen. Mit dem da. Mit sich selbst. Der Blonde ist noch jung. Ende Zwanzig, ledig. Seine Freundin ist schwanger, aber eigentlich wollte er längst Schluss mit ihr machen. Seinen Kollegen hat er erzählt, sie sei ein geiles niedliches Luder. Aber er hat sie nie vorgestellt, nur Fotos gezeigt. Scharfe Fotos. Sie ist ungebildet. Sie sieht nach gutem Sex aus. Trifft zu. Aber prinzipiell ist sie ihm peinlich. Im Bett sieht ihm keiner zu. Da stöhnt er ihr auch schon mal vor, dass er sie liebt. Aber das Leben spielt sich halt nicht nur in zerwühlten Laken ab. Er will dieses Kind nicht. Seine Freundin kommt aus seinem sozialen Milieu. Da will er nicht bleiben. Er schämt sich, weil seine Mutter immer noch putzen geht. Die Mutter seiner Freundin putzt auch. Sie ist eine versoffene Schlampe. Seine Mutter nicht. Seine Mutter ist eine liebe Frau mit rosa Wangen und breiten Hüften, deren Dauerwelle nach genau dem Sonder-Tarif aussieht, den sie bezahlen kann. Das ist nicht viel. Zum Herzeigen taugt sie nicht. Sie spricht eine einfache Sprache, und selbst die beherrscht sie nicht so, wie sie halbwegs passabel in einigermaßen geordneten Ohren klingen könnte. Aber sie ist seine Beste. Mami. Sie würde alles für ihn geben. Manchmal schämt er sich, weil er sich für sie schämt. Das verdrängt er schnell, das muss sie ja nicht wissen. Seine Freundin sieht verdammt gut aus. Sie macht sich eine Spur zu billig zurecht. Und sie redet ziemlich vulgär daher, da ist seine Mutter anders. Beide scheinen Grammatik für türkischen Eintopf zu halten, aber seine Mutter bemüht sich. Immerhin. Wenn er über seine Freundin nachdenkt, dröhnt sein Kopf. Er ist froh, sie nie zu seinen Kumpels mitgenommen zu haben, weil man da nicht nur geil herumhockt, sondern auch mal den Mund aufmachen muss. Anfangs war er sogar stolz auf sie. Aber das ist eine kleine Ewigkeit her. Ihre Röcke sind zu kurz, und sie schminkt sich viel zu grell. Sie hat schlechte Zähne, das ist ihm erst gar nicht so recht aufgefallen. Sie hat keinen Geschmack. Er ist das Stärkste, was ihr passieren konnte. Aus. Pech für die kleine Last. Er bevorzugt Klasse. Diese Frau, die er kennen gelernt hat, ist älter als er. Sie hat ihn eingeladen, mit ihr zu verreisen. Sie kann sich so was leisten. Sie hat eine schlechtere Figur, mehr Bauch und weniger Busen, aber sie hat Stil. Sie schenkt ihm Klamotten, edle Teile, und sie hat eine eigene Kanzlei und liebt es, ihm zuzuhören. Er würde seiner Freundin die Abtreibung bezahlen. Sie hat ihm eine gescheuert, als er das vorschlug, und wurde ziemlich hysterisch. Er fand das widerlich und hat zurückgeschlagen. So was war nie seine Kiste gewesen. Weiber zu prügeln. Nicht sein Ding. Nicht er. Diese Frau, mit der er verreisen will, sagte zu ihm, als er ihr die Szene geschildert hatte: "Verzeih' Dir das mal selbst, Schatz, sie hat das gezielt provoziert. Das warst nicht Du." Dann grinste sie süffisant und sagte: "Ein klassisches Miststück, Deine Kleine." Er nickte zustimmend, fühlte sich aber nicht so ganz erleichtert, obgleich sie ja schon verdammt klug war und so weiter. Irgendwie hätte er gern mehr von ihr gehört. Er fühlte sich unwohl, schon so ein bisschen verantwortungslos, eigentlich ziemlich beschissen sogar, aber es kam nichts, und sie wollte es unter der Dusche. Er sagte gar nichts mehr. Georg Kettler betritt in diesem Moment den Raum, dieser Mann ist ihm einfach nur lästig, Scheißkerl, was will der? Er, ja, er weiß, was er will. Er wartet hier nur noch auf den Feierabend, um sich mit seiner schwangeren und von ihm geprügelten Freundin noch einmal so richtig gut auszusprechen. Er ist ja nicht so. Abtreibung hält er immer noch für die optimale Lösung, ist ja noch nicht zu spät dafür, das weiß er. Seinen Koffer hat er schon gepackt, die Juristin lässt er sich nicht nehmen. Er lässt sich nicht ans Bein pinkeln, es ist schließlich sein Leben. Sein dicker Kollege sitzt ihm schräg gegenüber. Er hat Zahnschmerzen. Dieser pochende Schmerz im unteren rechten Backenzahn verfolgt ihn seit Wochen. Er gurgelt mit gekochtem Rotwein und irgendeinem komischen Gewürz darin, das Rezept stammt von seiner Schwiegermutter, aber es hilft nicht. Er schluckt das Zeug, er spuckt es nicht nach dem Gurgeln aus, und wenn er genug davon geschluckt hat, verspürt er ein angenehmes Schwindelgefühl. Das Gefühl, sich übergeben zu müssen, weil das Gebräu einen scheußlichen Nachgeschmack hat, lässt dann sehr schnell nach, er könnte sich fast daran gewöhnen. Aber vorsichtshalber spült er mit ein paar Bierchen nach, das hat seinem Magen eigentlich immer gut getan, und dann kriegt er nicht mehr viel mit. Aber das ist keine Dauerlösung. Er muss sich unbedingt einen Termin beim Zahnarzt machen, am besten morgen früh, und er kommt auch bestimmt sofort dran, so ist das bei Notfällen, und dann ist es auch schon vorbei. Er hatte immer schon panische Angst vor dem Zahnarzt. Er hat Sodbrennen, das kommt wohl vom Wein. Eigentlich ist er kein Weintrinker. Ab und an ein Klarer zum Pils, muss aber nicht sein. Er raucht zuviel. Er isst auch zuviel. Seine Frau ist Diabetikerin. Das stört sie aber nicht. Er hat es aufgegeben, ihr zu sagen, sie würde immer nur die falschen Sachen essen. Sie benimmt sich wie ein bockiges Kind. Der Arzt hat ihr geraten, von ihrem Gewicht herunterzukommen. Er hat ihr auch eine Tabelle mitgegeben. Da steht, was sie essen darf und was nicht. Sie hat die Tabelle brav mit nach Hause genommen und sie in die Küchenschublade gelegt. Seitdem hat sie keinen Blick mehr darauf geworfen. Er hat ihr gesagt, dass es ihm auch nicht schaden würde, Diät zu halten. Er würde gern mit ihr zusammen abnehmen, das soll ja leichter fallen. Sie nennen ihn Dickerchen. Er lacht mit, wenn die Kollegen ihn so nennen, er ist kein Spielverderber. Wirklich lustig findet er das nicht. Er leidet unter seiner extremen Kurzatmigkeit. Wenn er Treppen steigt, schnauft und keucht er. Im Einsatz hält er immer die Luft an, wenn er sich schnell bewegen muss. Was für ihn halt schnell ist. Die Kollegen japsen ja auch nicht, er will nicht, dass sie noch mehr lachen. Einmal ist er mit zum Betriebssport gegangen. Er hat sich umgesehen. Die kürzesten Beine, der fetteste Hals, die schwabbligste Wampe gehörten ihm. Die Übungen strengten ihn an. Als er einen Ball fangen sollte, fiel er hin. Sie mussten ihm aufhelfen. Geduscht hat er zuhause. Er wollte ihnen nicht das verdammte Vergnügen bereiten, sich vor ihnen auszuziehen. Er ist kleiner als seine Kollegen. Er hat eine ganz weiße weiche Haut und Pickel auf dem Rücken. Seine Frau drückt sie ihm aus, wenn sie zusammen im Bett liegen. Ihr macht das Spaß. Sie hat ihm mal gesagt, dass sie sich dabei wie ein Schimpanse vorkommt, der einem anderen Schimpansen die Flöhe aus dem Fell puhlt. Und dann hat sie gelacht. Sie kann herrlich lachen, er kann da nie ernst bleiben. Acht Jahre ist er jetzt mit ihr verheiratet. Sie können keine Kinder bekommen, es liegt an ihm, aber es ist nicht so schlimm. Sie ist sein großes Mädchen. Vor vier Jahren waren sie in Tunesien. Die Männer waren verrückt nach ihr. Sie ist ein Vollweib. Er liebt ihren Körper. Aber sie wird immer dicker. Sie kocht viel zu fett. Sie achtet einfach nicht auf sich. Er schüttelt unmerklich seinen Kopf. Stimmt nicht ganz. Sie pflegt sich. Das ist wichtiger. Sie riecht immer gut. Ihr Geruch haftet frühmorgens an ihm, wenn er zur Arbeit geht. Frühmorgens fühlt er sich immer herrlich. Dann ist er fast glücklich. Die Kollegen fragen ihn nie, ob er nach Feierabend noch mit auf ein Bier kommt. Aber sein Bier kann er auch zuhause trinken. Er wäre gern etwas schlanker, etwas größer. Lockerer, das wäre auch gut. Und jetzt? Seine Frau hat Diabetes, das sollte seine größte Sorge sein, ihm geht's ansonsten doch passabel. Seine Frau hat den ganzen Tag den Fernseher an, sie kennt jeden Mist, aber sie behauptet immer, gar nicht hinzusehen, dafür hätte sie viel zuviel im Haushalt zu tun. Er weiß aber, dass sie oft hinsieht. Und während sie guckt und hört, stopft sie sich Dinge in den Mund, die da nicht hingehören sollten. So recht weiß er auch nicht, wo er hingehört. Wer interessiert sich eigentlich für ihn? Wer fragt ihn denn, wer er ist? Und dann kommt dieser bescheuerte Kerl in seinem abgewrackten Trenchcoat daher und tönt damit herum, etwas Wichtiges mitteilen zu müssen. Was denn? Was quatscht der da, verdammt? Was will der überhaupt? Wieso glotzt der ausgerechnet ihn an, während er das sagt? Der Dicke zieht seine Augenbrauen zusammen. Scheißtag. Der mit der Halbglatze ist der Älteste im Raum. Sein Sohn ist erwachsen. Sein Einziger. Sein ganzer Stolz. Früher mal. Er liebte dieses zerknautschte brüllende Etwas vom ersten Augenblick an. Abgöttisch. Jetzt nicht mehr. Er hasst seinen Sohn. Er könnte losheulen, wenn er daran denkt, aber was sollen die Kollegen sagen. Früher ist er mit ihm zur Trabrennbahn gegangen. Dort hatte Michi seinen ersten Milchzahn verloren. Er trägt ihn immer noch bei sich in einem winzigen Beutel, der an seinem Schlüsseletui hängt. Aber er holt Michis Zahn nicht mehr hervor, um ihn anzufassen. Er wollte ihn wegwerfen, aber er kann das nicht. Michi wollte immer auf die Pferde mit den schönsten Namen setzen. Ein paar Mal hat er sich überreden lassen. Michi strahlte ihn an, und ihm wurde ganz warm. Meistens ging es schief. Ein Pferd mit einem besonders schönen Namen, es hieß Wonderful World, er weiß es noch, weil er ihn übersetzen musste für seinen kleinen glücklichen Jungen, bekam kurz nach dem Start Nasenbluten und musste zurück in seine Box. Michi war völlig aufgebracht und wollte nach ihm sehen. Das verlorene Geld war ihm natürlich völlig egal. Er muss lächeln, als er daran denkt. Aber er will nicht lächeln. Manchmal gewannen sie auch. Er legte den Gewinn beiseite für Michis Studium. Aber dann wurde sein Sohn nichts. Nur ein beschissener Musiker. Er war begabt, das sagten alle, aber für ihn war das nur Spinnerei. Kurz vor dem Abitur hatte Michi alles geschmissen. Maschinenbau sollte er studieren, wollte er doch auch, das wär's gewesen. Alles vorbei. Michi ist heute Berufs-Musiker, mittlerweile sogar recht erfolgreich. Er macht moderne Sachen, und weil er sich nicht nur der Kunst, sondern vernünftigerweise auch dem Kommerz zugeschrieben hat, verdient er ordentlich. Es geht ihm gut. Seinem Freund auch. Michi ist schwul. Er ist doch sein Einziger. Manchmal möchte er ein Ende machen. Seine Frau heult zuviel. Sie will Frieden, liebt ihren Sohn, wie er ist. Aber er hat keinen mehr. Manchmal klingelt das Telefon, und wenn er abhebt, wird nach kurzem Schweigen aufgelegt. Er weiß, dass Michi und seine Mutter hinter seinem Rücken miteinander telefonieren. Er will ihn nicht mehr sehen. Er hat ihm Hausverbot erteilt. Er ertappt sich dabei, von zartrosa Baby-Popos zu träumen, die er sanft kneifen und küssen kann, wie er es mit Michis Pobacken getan hat. Das war vor einer Ewigkeit. Irgendwann ist er gestorben, und er kennt noch nicht einmal den Moment seines Todes. Ob Michi glücklich ist? Er will es gar nicht wissen. Michi Wer? Er muss schlucken. Der Kloß sitzt verdammt tief. Er schluckt noch einmal. Da sehen ein Mann und ein kleiner Junge ein wunderschönes Pferd mit einem wunderschönen Namen. Und sie setzen auf Sieg und es gewinnt. Und sie fallen sich in die Arme und weinen gemeinsam. Denn eigentlich hat es verloren. Und da steht dieser schräge Typ im Raum und quasselt was von irgendwas. Von was denn? Er stöhnt abgenervt auf. Er fühlt sich einfach nur beschissen. Georg Kettler sieht die drei Männer an. Sprachlos. Hilflos. Eine Szene in seinem Kopf: Sein Leben kocht auf der Herdplatte, unappetitlicher Fraß, trotzdem, er schlingt es gierig hinunter, würgt es aus, um es augenblicklich wieder zu verschlingen. Alles zu schnell. Viel zu schnell. Er sieht sie nur an, ahnt, zu sehen, glaubt, irgendwas zu verstehen. Aber was? Da setzen sich Bildern in seinem Kopf fest von fremden Menschen. Keine Gesichter. Aber er ist unter ihnen, das weiß er. Er atmet tief durch. Der Dicke spricht ihn an. "Was ist denn?" Kettler überlegt, kurz nur, befreiend kurz, zuckt betont hilflos mit den Schultern, lächelt schief. "Ach. Nichts." Pause. Der Jüngste setzt seinen Kaffeebecher ab, verschränkt die Arme vor der Brust, runzelt streng die Stirn. Verarsche, so was. "Was war denn so wichtig?" "Nichts, gar nichts. Tut mir leid. Ich habe mich geirrt. Unwichtig, wirklich unwichtig." Kettler nickt schüchtern, höflich, kommt sich plötzlich vor wie ein Erstklässler, der sich vor versammelter Klasse in die Hose gepinkelt hat, schämt sich, stammelt nochmals eine Entschuldigung, dreht sich um, geht, bewusst langsam, er ist nicht auf der Flucht, bloß keine Panik, er hat Zeit, nichts ist so wichtig. Oder alles? Wer, verflucht, ist er, dass er das wissen könnte? Er geht hinaus in die Nacht. Einfach so geht er. Dann bewegen sich seine Füße schnell, immer schneller. Er rennt. Und rennt. Und er weint, heult wie ein Waschweib, was soll's, er weint weiter und weiter, weil ihm nichts Besseres einfällt. |