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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Michelle - Ein kleines Mädchen tanzt

© Benjamin Klingemann


Ich sah ein kleines Mädchen. Ein kleines Mädchen, das tanzte. Den Wellen gleich schwang Sie Ihre kleinen Hüften, ein sonniges Lächeln durchzog Ihr Gesicht. Die Musik verstummte, doch das traf Sie nicht. Sie tanzte und lachte weiter. Zum Vorbild nehmen sollte ich Sie mir, dachte ich. Ihr Haar wehte im leichten Wind, Ihre kleinen Füßchen stapften und Ihre helle Stimme sang. Ich sah ein kleines Mädchen. Ein kleines Mädchen, das tanzte... Es bewegte mich. Auf Ihrer Stirn befand sich ein großer schwarzer Fleck. Sie hatte Ihn bereits entdeckt. Ich sah auf diesen Fleck und spürte, dass es keine Farbe war. Kein Filzstift und keine Tusche. Man hätte das Mädchen waschen können. Immer und immer wieder. Der Fleck jedoch würde nicht verschwinden. Eine eisige Kälte kroch mir langsam in die Glieder. Ich fing an es zu verstehen. Nein, es war nicht einfach nur ein Fleck. Es war ein Zeichen, ein Symbol, und die Hand, welche es hinterließ, war eine knöcherne. Sie war nicht mit Haut oder Fleisch bedeckt, und kein Blut durchfloss Sie. Sie war auch nicht böse, aber viel Angst hinterließ Sie bei den meisten Menschen. Nur das kleine Mädchen. Das tanzte da so fröhlich. Es war Winter. Für Sie aber scheinbar Frühling. Die Leichtigkeit, die Sie mit sich herum trug steckte an, und die Harmonie umschlang Sie wie ein kaum sichtbares Band... wie ein Lebewesen, das sich in der Nähe dieses kleinen Mädchens so wohl fühlte, und nie wieder ging. Ich wollte schon ein wenig neidisch werden... doch ich war es nicht. Ich gönnte es dem Mädchen, das ohne Musik tanzte. Ich gönnte es Ihr so sehr. Und der schwarze Fleck, den der Tod auf Ihre Stirn stempelte, wie ein unbrechbares Siegel, schien mir zum ersten Mal amüsant. Es machte mir einfach keine Angst. Der Tod hinterließ dieses Siegel um die Menschen zu kennzeichnen, die er nun bald holen würde, auch bei dem Mädchen, das da so fröhlich tanzte. Dieses Siegel war mehr als nur ein Zeichen, es war ein Versprechen und niemand würde es je aufheben können. Niemand. Das schwarze Zeichen war so unumgänglich wie jenes, wofür es stand. Als ich das begriff fühlte ich mich seelenlos. Ich war glücklich... doch nur weil das Mädchen Ihr Glück mit mir teilte. Mein Herz aber war so unsagbar traurig, das ich kaum noch atmen konnte. Warum dieses Mädchen, dachte ich mir. Wo war der Sinn? Sollte es nicht einen verdammten Sinn ergeben? Ich schaute in die Augen des Mädchens... diese wunderbaren, braunen Augen und ich sah Jehova. Ich sah ihn ganz genau, und fragte Ihn warum... So stand ich da, aber das kleine Mädchen hatte keine Angst. Es tanzte und sang. Ich glaube, das ist es, was Jehova für Sie tat, das ist es wohl, was er Ihr gab. Ich verstand es und meine Trauer war nur Egoismus und ich fragte mich, Michelle, bist Du glücklich?



Eingereicht am 21. März 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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