Die Stranderotik
©Maria-Luise Kleineberg
Endlich bricht nach einer verregneten Urlaubswoche die Sonne durch die Wolken, die der Wind auf das Festland treibt. Ich liege allein am Strand und betrachte freudlos das Treiben um mich herum. Weiße, halbnackte Körper liegen verschanzt hinter Nylonmuscheln und sind trotzdem nach wenigen Stunden mit krebsroten Verbrennungen ein guter Kontrast zu dem weißen Sand. Die Lust auf Lust vergeht mir bei diesem sommerlichen Körperwelten. Alternde Männer mit dürren Beinchen und schwabbelnden Bierbäuchen, auf denen ich
die Haare zählen kann, lassen sich ihr Bier schmecken. Die hängenden Weiberbrüste als Pan-Ton dazu mästen ihre Cellulitis zierende Figur lieber mit Pommes und Bratwurst. Mein ästhetisches Empfinden ist beleidigt. Ich vertiefe mich in ein Buch, um mich der Fleischbeschauung zu entziehen. Die aufkommenden Windböen sind mir eine willkommenen Erfrischung. Ich vergesse, angeregt durch meinen Lesestoff, die Welt um mich. Ein rotes Etwas reißt mich jäh aus meiner Versunkenheit. Der Wind hat es mir in meine Buchseite
geweht. Zaghaft berühre ich den Stoff. Mit zwei Fingern halte ich ungläubig eine Badehose in die Höhe. Ich blinzele gegen das Sonnenlicht. Da sehe ich ihn vor mir. Ein Cherubim ohne Flügel steht in göttlicher Schönheit vor mir. Haselnussbraune Locken mit goldenen Lamettasträhnchen umrahmen ein kantiges Gesicht. Wie zwei Milchtropfen in einer Moccatasse strahlt das Weiß seiner Augen. Die Nase ist kräftig, lang und leicht gebogen. Ich zwinge mich nicht gleich zwischen seine Beine zu schauen. Er lächelt mich an
wie aus einem Plakat für Zahnpastawerbung. Die Zahnlücke gibt ihm etwas Verwegenes. Entgeistert starre ich auf seinen Oberkörper. Auch das Haarkleid seiner Brust ist gelockt. Über tiefbrauner Haut schimmert es verführerisch golden. Für einen Moment versinke ich in seinem Nabel, der wie ein Golfloch diese Körperlandschaft ziert. Er schwingt sich mit einem Schritt auf mich zu. Die hüpfende Bewegung seiner Scham raubt mir die Sinne. Ich schaue auf seine Manneskraft und kann unmöglich glauben, dass diese Pracht
in solch winzige Badehose passen soll. Die Badehose, ich habe sie die ganze Zeit über krampfhaft zwischen meinen Fingern gekrallt, um mich an dem roten glänzenden Stoff fest zu halten. Wortlos reiche ich sie ihm. Er lächelt immer noch, greift den Stoff und kehrt mir, ohne ein Wort des Dankes den Rücken zu. In Gedanken lasse ich aus seinen breiten Schulterblättern riesige Engelsflügel wachsen. Dabei erinnert mich die feste Rundung seines Gesäßes an die festen Backen der Putten an der Wand im Wohnzimmer meiner
Großmutter. Wie aus Trance erwacht, schaue ich mich um und weiß, ich bin einem Engel begegnet, einem Engel mit Engelstrompete in roter Badehose. Gerne hätte ich sie zum Klingen gebracht.
Eingereicht am 26. Februar 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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