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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Schlüsselerlebnis - Lif(v)ebericht

© Willi Wonder


"Leute, ist das ein Leben. Mir ist eisig kalt. Da hat mich doch glatt jemand steckengelassen.
Jetzt sitze ich hier fest, umgeben von kaltem Metall. Grausam ist das. Gerade war es noch wohlig warm, und nun das hier."
"Ich erzähle euch mal wie das alles anfing."
"Geboren wurde ich in einer Stadt in Deutschland, genauer gesagt in Nordrhein-Westfalen. Aber ihr habt bestimmt keine Vorstellung wie das geschah.
Eigentlich wurde ich auch gar nicht richtig geboren."
"Ich habe gehört, dass ihr Menschen auch nicht geboren werdet, sondern von einem so genannten Storch gebracht werdet. Wer oder was das ist weiß ich auch nicht.
Einige Menschen scheinen darüber auch geteilter Meinung zu sein. Wahrscheinlich kennt ihr euch in solchen Dingen besser aus."
"Zurück zu mir. Ich wurde also nicht geboren, sondern einfach von einer Messingstange abgesägt, äußerlich bearbeitet und geformt. Später erhielt ich dann noch ein schönes glänzendes Kleid - fertig war ich."
"Mein Name ist Schlüssel. Ich unterscheide mich von den meisten meiner Brüder.
Außer im Aussehen besitze ich auch noch einen Nummer, die mich, so viel ich weiß, von allen anderen Schlüsseln unterscheidet. Darauf bin ich stolz. Ich halte mich daher auch für etwas ganz besonderes."
"Heute bin ich genau fünf Jahre alt, habe also Geburtstag. Das scheint aber niemanden zu interessieren."
"Man Leute, ist mir kalt. Was man nicht alles mitmachen muss."
"Die Menschen wissen gar nicht was ein Schlüsselerlebnis ist. Die haben ja gar keine Ahnung. Ich weiß es schon, denn ich habe schon einige davon gehabt, so wie heute auch wieder."
Nach meiner Herstellung lag ich erst mal mit meinem Partner gleichen Aussehens in einem Regal. Bei uns lag auch noch so ein Schloss. Eines Tages wurden wir abtransportiert. Dann wurde ich von meinem Partner getrennt und landete in einem dunklen Umschlag. Macht nichts, dachte ich, dann schlaf ich erst mal eine Runde, denn es war gemütlich warm. Nachdem ich so ca. ein Jahr vor mich hinschlafen und -gedöste hatte, wurde es plötzlich hell um mich herum. Aufgeregte Stimmen ertönten. Es klang so wie: "Ich hab ihn", oder so ähnlich.
Von da an fing das aufgeregte Leben an. Ich wurde auf einen Schlüsselring gezogen. Da waren schon ein paar Leidensgenossen. Nun hatte ich Gesellschaft und das Leben wurde interessant. Es gab einiges zu erzählen, denn die anderen hatten schon etwas erlebt. Auch ich kam nun in die weite Welt hinaus. Manchmal wurden wir getrennt. Dann wurden wieder Erlebnisse ausgetauscht.
Meist lagen oder hingen wir jedoch irgendwo rum, aber wir konnten alles beobachten. Oft wurden wir auch in einer Hosentasche herumgeschleppt. Da war es gemütlich warm. Allerdings konnten wir dann nichts sehen. Wir überbrückten diese Zeiten zur Unterhaltung mit Wetten. Es ging darum wer als nächster dran glauben musste und benutzt wurde. Das war grausam, denn in der Regel erfolgte das in einem kalten Schloss in das einer von uns dann eingeführt wurde. Man muss sich das mal vorstellen - von der warmen Hosentasche in das kalte Schloss.
"Und genau da stecke ich nun auch. Mein Besitzer hatte mich sogar von meinen Kollegen getrennt. Ich bin also zudem noch ganz alleine. Es ist grausam. Ich merke wie ich langsam mit einer dünnen Eisschicht überzogen werde. Das führt dazu, dass ich ungewollt eine innige Verbindung mit dem Schloss eingehe. Das empfinde ich als höchst unangenehm, denn da es einem Schloss bekanntlich an Intelligenz mangelt, taugen sie, meiner Meinung nach, nur für kurze Begegnungen der inneren Art."
"Ich kann auch nicht sagen was das Schloss dabei empfindet, denn es mangelt einem Schloss ebenfalls an Kommunikationsfähigkeit."
"Ich finde mich gezwungenermaßen, mangels Bewegungsfähigkeit, mit meinem Schicksal ab, und versuchte zu schlafen, was mir letztendlich auch gelingt."
"Schock"
"Urplötzlich werde ich unsanft aufgeweckt. Irgendwer rüttelt und zieht an mir, um mich aus dem Schloss zu lösen. Doch es misslingt. Ich bin ja festgefroren."
- Dann, ein paar Minuten Ruhe -
"Was passiert jetzt", denke ich. "Urplötzlich werde ich von einer ekligen, nach Alkohol riechenden Flüssigkeit überschüttet, und zwar komplett. An meinem ganzen Körper kriecht das Zeug entlang. Den Rest bekomme ich nicht mehr mit, denn der Alkohol tut seine Wirkung."
"Erst später werde ich von meinen Kollegen geweckt. Sie fragen mich was passiert sei. Noch ganz benommen berichte ich. Als Antwort bekomme ich von ihnen schallendes, schadenfrohes Gelächter."
"Das tut weh, denn ich hatte Mitleid erwartet und keine Schadenfreude.
Insgeheim hoffe ich, dass ihnen mal ähnliches widerfährt. Aber so ist das Leben eines Schlüssels nun mal."
"Ihr Menschen habt doch gar keine Ahnung was so ein Schlüsselerlebnis ist, und wie grausam es sein kann."



Eingereicht am 02. März 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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