Ahoi "Hanjin Lisbon"!
© Holly Redington-Narewski
15. Juli 2003
Empfangen wie eine VIP, brauchte ich mich bei der Ankunft in Kairo um nichts zu kümmern. Das Einreise-Visum, mein Gepäck, der Transfer zum Hotel, alles wurde von einem jungen sympathischen Ägypter erledigt.
Bei 34° C im Schatten fuhren wir in einem klimatisierten Wagen durch den "Wahnsinnsverkehr" in diese Stadt hinein. Ein guter Rat von mir: Je todesmutiger man sich in diese Situation hinein begibt, desto schonender für die Nerven. Schließlich weiß man bei einem Blick aus dem Wagenfenster ohnehin nicht genau, ob es sich noch um eine reale Welt handelt. Mal fährt man durch Stadtviertel mit ruinenähnlichen Bauten - kaum zu glauben, dass hier Menschen wohnen - und dann wieder durch Straßen, gesäumt von pompösen
palastartigen Gebäuden, bei denen sich trotz ihrer Modernität unwillkürlich Bilder aus 1001 Nacht aufdrängen. Der junge Mann, der mich am Flughafen abgeholt hatte und neben mir im Wagen saß, passte ebenso gut in diese Fantasien: Schön wie ein Märchenprinz, mit vornehm getönter Haut, feinen ebenmäßigen Zügen und einem freundlichen aber distanzierten Blick; dazu offensichtlich wohl erzogen. Über die Tatsache, dass er sich mehr nach meiner Tochter erkundigte (Alter, Haarfarbe, Familienstand usw.) als nach meinem
Wohlbefinden, habe ich großzügig und mit einer gewissen Altersweisheit hinweg gesehen. Als er mir jedoch beim Verabschieden in der Hotelhalle sagte, ich könne dort jederzeit ohne Probleme Jemanden mit aufs Zimmer nehmen, wurde ich stutzig. An wen hatte er da gedacht?
Etwas verunsichert ließ ich mich wenig später im Hotelzimmer auf das Bett nieder und grübelte darüber nach. Doch ein Blick in den Spiegel beruhigte mich. Er hatte es wohl nur gut mit mir gemeint - keinesfalls würde ‚man' bei mir gleich auf irgendwelche dummen Gedanken kommen - oder doch?
Einige Stunden später, nach einem Spaziergang am Nilufer, sitze ich hier im Hotel-Bistro und schreibe bei 'heißer' und vor allen Dingen lauter Tanzmusik diese Zeilen. Ein frisch gepresster Mangosaft mundet köstlich, und es juckt mich direkt in den Füssen, loszutanzen.
Übrigens kann ich mit Stolz berichten, dass ich heute, am ersten Tag in Kairo, tatsächlich ohne fremde Hilfe zwei riesige Autostraßen überquert habe. Und das, ohne irgendwelche Zusammenstöße zu verursachen noch Schaden an meinem eigenen Leib zu nehmen. Wer Kairo kennt, weiß, wovon ich rede.
Jetzt aber meldet sich bei mir der Hunger und ich werde mich in das Hotelrestaurant begeben. Anschließend wird nur noch ein Bett für mich interessant sein - oder vielleicht doch nicht?
16th of July 2003
This is my second day in Cairo, and I have planned to go to the Egyptian Museum in the morning. According to information I got from the hotel it wouldn't be more than a 2 km walk, so I started off by foot immediately after breakfast. Oh dear, how could I know that 2 Egyptian kilometres are about 4 German kilometres! Apart from the distance being far longer than I expected I had also forgotten, that this meant walking constantly in the sun, which is here just as "overwhelming" as the people themselves
are. Anyway, returning to the hotel later on, I noticed that my face was red like a tomato, and feeling sick and dizzy I took two Aspirins and dropped down on my bed like dead. That very minute I could have sworn an oath, that not even 'Ramses' or 'Tut-ench-Amun' personally would have been able to stir up any part of my body or certain feelings. Well, this state could not be kept up very long as it was soon rather boring, so feeling hungry I got up and went down to the hotel-bistro to eat a sandwich. Well, I
tell you what, as much as the Egyptians seem to underestimate walking distances they seem to exaggerate with the amounts of food. At least I could not remember having ordered a whole chicken on one slice of bread - but, this was what I got! Not without chips, tomato and cucumber slices, of course, which accompanied this "poor" meal but with hardly enough space for the tomato ketchup! Although showing my surprise about this mega-sized sandwich and trying to explain to the waiter, what size I had expected,
I soon swallowed it all without any problems and enjoyed this food from first to last bite. Feeling a lot better afterwards, I decided to do some English homework first and then return to this diary later on.
Well, there is not much more to tell you about this evening. Trying not to upset my stomach again I left dinner out and went straight to bed.
19. Juli 2003
Seit 10.00 Uhr sitze ich in der Hotellobby und warte auf den Fahrer, der mich nach Suez bringen soll. Die Zeit vergeht nur langsam, und, obwohl ich konzentriert Englischaufgaben mache, in der Hoffnung, mich damit abzulenken, will mir das nicht ganz gelingen. Eine Zitronenlimonade versüßt mir etwas die Zeit und beruhigt den nicht wenig aufgeregten Magen. Gestern noch verzweifelt darum bemüht, meine Darmträgheit zu überwinden, habe ich heute die Befürchtung, dass mich die Aufregung mehr als nur einmal zur Toilette
jagen wird. Denn nun beginnt der kritische Teil der Reise. Noch ist die Freude auf das Wiedersehen mit meinem Sohn an Bord der "Hanjin Lisbon" in Suez getrübt von der Angst, es könne Irgendetwas nicht klappen und somit alles schief gehen. Schließlich ist das "Einschiffen" in Suez offiziell nicht erlaubt und sollte, wenn überhaupt, möglichst ohne Einsatz des dortigen Reedereiagenten zustande kommen, da dieser unverschämt viel Geld dafür haben wollte. Endlich, es ist so weit, und ich werde abgeholt.
Ein nicht kleiner Trost ist die Tatsache, dass mich der gleiche sympathische Ägypter nach Suez begleiten wird, der mich bereits am Ankunftstag in Kairo so freundlich empfangen hatte.
In Suez angekommen, sitze ich schon seit einigen Stunden in einem Hotel und zähle die Minuten bis 22.00 Uhr, die Zeit nämlich, zu der ich abgeholt und auf die "Hanjin Lisbon" gebracht werden soll. Folgendes war inzwischen passiert: Die Hafenbehörde hatte mir die Ausreise ohne Einsatz des Reedereiagenten nicht genehmigt, und so mussten wir wohl oder übel diesen doch noch von meiner Absicht in Kenntnis setzen. Der wiederum war über die Tatsache, dass er weder über meine Person etwas erfahren noch der
Kapitän ihn darüber benachrichtigt hatte, dass in Suez eine Person an Bord gebracht werden sollte, zutiefst beleidigt (wahrscheinlich eher darüber, dass man ihm das damit verbundene Entgelt vorenthalten wollte). Und erst, als ich seine Fragen nach "Oliver Kahn" und "Klose" gespielt fachmännisch beantwortet hatte, schien sich seine Laune ein wenig zu bessern. Allerdings konnte er es sich nicht verkneifen, eine Art von kleiner Rache zu üben, indem er darauf bestand, mich in ein Hotel zu bringen,
das ich dann für einen ganzen Tag bezahlen musste. Dort ließ er mich bis zur Abfahrt buchstäblich schmoren. Erst hieß es nämlich, er käme gegen 19.00 Uhr, dann wurde mir telefonisch übermittelt, er käme gegen 20.00 Uhr, und zuletzt, er käme gegen 22.00 Uhr, um mich für den Transfer auf die "Hanjin Lisbon" abzuholen. Inzwischen waren meine Nerven zum Zerreißen angespannt, wusste ich doch, dass die "Hanjin Lisbon" schon in den frühen Morgenstunden ihre Anker lichten würde, dass es mir außerordentlich
schwer fiel, Haltung zu bewahren. Als mir beim Verabschieden noch mit süßlichem Lächeln geraten hatte, mich doch einfach während dieser Wartezeit zu amüsieren, hätte ich ihn unter anderen Umständen auf der Stelle erwürgt.
Zwischenzeitlich war es mir, Gott sei Dank, gelungen, vom Hotel aus den Kapitän an Bord der "Hanjin Lisbon" zu erreichen und ihn über den Stand der Dinge zu informieren. Somit konnte auch mein Sohn an Bord bzw. meine Tochter in München Information über meinen Verbleib erhalten. Da saß ich nun, fühlte mich völlig von der Außenwelt abgeschnitten, und starrte von der Terrasse des Zimmers aus sehnsüchtig auf das Meer.
Das also war mein letzter Abend dieser Reise auf ägyptischem Boden! Kein Yousseff, kein Ashraf, kein Ayman, kein Taha und kein Amr (alles Bekannte in Kairo, die sich dummerweise just zu dieser Zeit nicht in Kairo aufhielten), die mich hätten trösten bzw. mir die Zeit leichter machen können. So blieb mir in dieser misslichen Lage nichts anderes übrig, als auf meine gelernte Atemtherapie zurück zu greifen und die Quellen von Glaube und Hoffnung anzuzapfen, die mir noch geblieben waren.
23. Juli 2003 - Rückblick
Doch bevor meine Erinnerungen, vor allem die negativen, von den darauf folgenden Erlebnissen überzeichnet werden, will ich erzählen, wie es in Suez weitergegangen war. Erstaunlicherweise hatte ich gegen 21.30 Uhr endlich den Anruf im Hotelzimmer erhalten, dass ich mich mit meinem Gepäck ins Foyer begeben sollte. Es sei ein Herr von der Agentur da, der mich für den Transfer zum Schiff abholen wollte. Binnen ein paar Sekunden hatte sich der Klumpen in meinem Magen aufgelöst, und obwohl noch eine Spur von Restangst
zurückblieb, bin ich, wieder mit stolz erhobenem Haupt, in die Hotel-Lobby marschiert. Zu meiner angenehmen Überraschung stand dort nicht der mir äußerst unsympathische Reedereiagent, sondern tatsächlich ein "Mensch", um mich abzuholen. Ein Ägypter mit tiefdunkler Haut und beinahe negroidem Aussehen, mit schlohweißem Haar und dem Alter nach so um die fünfundsechzig. Die warmen Augen und das wahrhaftige und freundliche Lächeln hätten mich um ein Haar vor Freude und Erleichterung losheulen lassen. Wie
er mir wenig später auf dem Weg zum Hafen erzählte, stammte er aus Assuan, ganz im Süden Ägyptens, und war fast sein ganzes Leben lang zur See gefahren. Natürlich kannte er auch meine ehemalige Heimatstadt Hamburg und erzählte mir begeistert von seinen Aufenthalten dort. Seine warmherzige Art tat mir so gut, dass ich mich allmählich wieder sicher und geborgen fühlte, wobei eine innere Stimme mir sagte, dass mir mit diesem Mann an der Seite nichts Schlimmes würde passieren können, und dass der glückliche Ausgang
dieses ganzen abenteuerlichen Unternehmens nun bevorstand.
Während unserer Fahrt zum Hafen fuhr ständig ein anderer Ägypter auf einem Motorroller neben uns her, den mein Begleiter gut zu kennen schien, und der durchaus noch wichtig für mich werden sollte. Bei der Passkontrolle am Eingang zum Hafengelände musste ich im Auto sitzen bleiben, während mein Begleiter mit ziemlich lauter und erregter Stimme auf die Passbeamten eingeredet hat. Offensichtlich war meine leibliche Person bei dieser ganzen Angelegenheit völlig nebensächlich. Jedenfalls wurde ich weder dazu aufgefordert,
auszusteigen, noch hat einer der Beamten mein Passfoto mit mir vergleichen wollen. Lediglich meine Papiere wurden ständig von einer Hand zu anderen gereicht, und ich hatte wirklich Mühe, sie dabei ständig im Auge zu behalten. Plötzlich schnappte sich der Mann auf dem Motorroller meine Papiere und sauste zu meinem allergrößten Entsetzen einfach davon. Was in aller Welt sollte das nun bedeuten? Mein Begleiter beruhigte mich aber sogleich mit den Worten: "Don't worry, Madam, don't worry, he will come back
again."
Kurze Zeit später, nach einer schnellen und sehr oberflächlichen Kontrolle meines Koffers beim Zoll (kaum zu glauben, schließlich war ich noch immer ohne meine Papiere) ging es weiter bis zur Kaimauer, wo kleine Motorboote angelegt hatten, um Waren oder Passagiere auf die großen Schiffe zu bringen, die draußen auf dem offenen Meer auf Reede lagen. Mein Begleiter und ich waren mit dem Auto direkt am Wasser stehen geblieben und warteten dort auf den Mann mit dem Motorroller. Innerlich in höchstem Erregungszustand
- schließlich trennte mich nur noch eine halbstündige Fahrt von dem Schiff, auf dem mein Sohn auf mich wartete - hätte ich meinen Begleiter am liebsten vor Freude umarmt, wäre mir nicht bewusst gewesen, dass eine solche Geste hier in Ägypten möglicherweise missverstanden werden kann. Die Freude und Dankbarkeit ihm gegenüber in meinen Augen hat er wohl auch so ablesen können. Während ich dem Steuermann eines kleinen Motorbootes und seinem Sohn vorgestellt wurde, die mich zur "Hanjin Lisbon" bringen sollten,
war mein Gepäck bereits auf dem kleinen schwankenden Boot verstaut worden, und nun kam auch endlich der Mann auf dem Motorroller mit lautem Knattern herangesaust. Er wedelte mit meinen Papieren, offenbar mit der entsprechenden Ausreisegenehmigung, was ich seinem lauten Rufen entnehmen konnte: "Emigration o.k., Emigration o.k.!". Vollends erlöst von jeglicher innerer Anspannung atmete ich ganz tief durch und nach einem schnellen und herzlichen Abschiednehmen von meinem Begleiter, der zu meinem allergrößten
Erstaunen kein Trinkgeld von mir annehmen wollte (habe ich ihm dann einfach ihn die Brusttasche seines Hemdes geschoben), ging es los. Mit "Schmetterlingen im Bauch" hüpfte ich wie ein junges Mädchen mit Hilfe vieler Hände, die mir von allen Seiten gereicht wurden, an Bord des kleinen Kutters und setzte mich auf die im Boot umlaufende Bank.
Wie soll ich die nächste halbe Stunde beschreiben, damit mein geschätzter Leser nachempfinden kann, was da in mir vorging? Auf ruhigem Wasser stampfte das kleine Boot in Richtung offenes Meer, der "Hanjin Lisbon" entgegen, die draußen auf dem offenen Meer an einem ihr zugeteilten "Warteplatz" lag, um sich am frühen Morgen nach Anweisung der Hafenbehörde von Suez in den Schiffskonvoi einzureihen, der dann in einem sehr gemächlichen Tempo den Suezkanal durchqueren sollte. In meinem Herzen klang
liebliche Musik, am Himmel funkelten Tausende von Sterne und meine Augen funkelten wohl nicht minder hell. Vorbei an großen Schiffsleibern, die vor Anker lagen, und mit ihren vielen Lichtern geschmückt wie aufgetakelte Damen auf ihren großen Auftritt zu warten schienen, fuhren wir immer weiter in die tiefschwarze Dunkelheit hinaus. Ständig versuchte ich, das Schiff zu entdecken, welches das Ziel meiner bisherigen Reise und Wünsche sein sollte; und endlich, nach ungefähr einer halben Stunde, zeigte der junge Mann,
der neben mir Platz genommen hatte, auf eines der großen Schiffe und rief "Hanjin Lisbon, Madam!"
Mit gedrosseltem Motor ging unser Boot längsseits der "Hanjin Lisbon", und wie aus einer Nussschale heraus starrte ich auf den kolossalen Riesen, der sich direkt vor meiner Nase Meter für Meter aufbaute. Beim Anblick der Gangway jedoch, die aus gewaltiger Höhe vom Deck dieses Ungetüms bis zur Wasseroberfläche schräg herunterhing, blieb mir buchstäblich die Spucke weg; und es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, ich hätte keine Angst davor gehabt, diese hinaufzusteigen, vom Sprung auf die unterste
kleine Plattform dieser Gangway ganz zu schweigen. Ein junger Philippine, der dazu abkommandiert worden war, mich und mein Gepäck in Empfang zu nehmen, stand dort, und nach einem kurzen Zuruf seinerseits, fasste ich seine mir entgegen gestreckte Hand und schaffte es hinüber. Während er sich um mein Gepäck kümmerte, stieg ich "beschwingt und betont lässig" die schaukelnde Gangway hinauf. Einen Blick nach unten habe ich gar nicht erst riskiert.
Endlich oben, kam mir mein Sohn schon freudestrahlend und wahrscheinlich ebenso erleichtert wie ich entgegen. Am liebsten wäre ich wie der Papst auf die Knie gefallen, um die "Schiffsplanken" zu küssen; so glücklich war ich, heil hier angekommen zu sein. Und weil ich aus bestimmten Gründen bei dem Agenten und der Hafenbehörde als die Ehefrau des II. Ingenieurs hatte gelten müssen, meldete ich mich ordnungsgemäß beim Kapitän als Ehefrau des II. Ingenieurs und als Mutter des II. Offiziers an Bord.
Der Willkommenstrunk, der mir vom Kapitän bei klassischer Musik (Le Mére von Debussy) in seiner Kabine gereicht wurde, ließ diesen Tag, der noch vor wenigen Stunden so dunkle Schatten auf mein Gemüt geworfen hatte, außerordentlich stilvoll zu Ende gehen. Meine Kabine schließlich, die mir in den nächsten 7 Tage zur Verfügung stehen sollte, verstärkte noch den Eindruck, dass diese Reise wirklich die Erfüllung eines langgehegten Traums werden sollte. Diese bestand nämlich aus einer Toilette mit Dusche und zwei großzügigen
Räumen, von denen der eine mit einer gemütlichen Sitzecke, Minibar, Schreibtisch, Fernseher und Musikanlage ausgestattet war und der andere mit einem großzügigen Doppelbett. Dieser als "Eignerkabine" titulierte Luxus bot weiterhin aus beiden Räumen einen fantastischen Panoramablick auf das Vorderschiff und die scheinbare Unendlichkeit der See. Wie beschwipst von all den Herrlichkeiten und von einem Hauch Luxus umweht fiel ich schon bald in einen tiefen Schlaf.
24. Juli 2003
Oben auf dem Sonnendeck lasse ich mit einem Gefühl von wohliger Trägheit das Ufer des Suez-Kanals an mir vorüber ziehen, und Erinnerungen an eine Reise auf dem Nil 1997 mit meiner Tochter tauchen vor meinen Augen auf: Luxor - Assuan [Abu Simbel] - und zurück. Seitdem sind sechs Jahre vergangen, in denen ich ganz allmählich, mit mehr oder weniger Wehmut, mich mit dem Gedanken an die Rolle der älteren Frau befasst habe - gewissermaßen ein "Abschiednehmen von der Frau als geschlechtsspezifisches Wesen",
wie Simone de Beauvoir es in ihren Briefen an Sartre so treffend bezeichnet hat. Ende dieser Woche würde ich 57 werden und war somit der Zahl mit einer Null gefährlich nahe. Wie dem auch sei, Jetzt ist Hier und Heute. Das Jetzt erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit für ein abwechslungsreiches, mitunter anstrengendes aber immer abenteuerliches Leben, mit Männern an meiner Seite, die mich stets dazu angeregt haben (nicht immer bewusst und freiwillig), mein eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Das Hier und Heute
auf diesem Schiff, mit einem Sohn, der offensichtlich in dieser Hinsicht erblich belastet, ebenso hartnäckig und vor allen Dingen ohne Opportunismus bereit ist, sein Leben so weit wie möglich selbst zu gestalten und es sich nicht "gestalten zu lassen", erfüllt mich mit Stolz.
Meinen Tagesablauf an Bord der "Hanjin Lisbon" habe ich weitgehend dem Dienstplan meines Sohnes, II. Offizier an Bord, angepasst. Das heißt, ich begleite ihn auf seinen Wachen von 12.00 bis 14.00 Uhr und von 24.00 bis 4.00 Uhr. Geschlafen wird also von ca. 4.30 bis 10.00 Uhr und von 19.00 bis 23.30 Uhr. Im nach hinein war das eine goldrichtige Entscheidung, denn somit hatte ich die Möglichkeit, den Beruf meines Sohnes näher kennen und achten zu lernen, abgesehen von den vielen Einzelheiten der Nautik,
die für mich selbst nicht nur interessant und aufregend waren, sondern auch mein Wissen erweitert haben. Trotz allem bleibt noch genügend Zeit, um allein zu sein, in der Sonne zu liegen, zu zeichnen, zu schreiben oder nur die Gedanken laufen zu lassen. Hinzu kommt, dass die Mannschaft hier an Bord "klasse" ist und damit die Stimmung bzw. Atmosphäre gut. Somit habe ich mich vom ersten Tag an "sauwohl" gefühlt.
Einen ganz besonderen Erlebniswert haben natürlich die Nachtwachen. Nämlich, wenn oben auf der völlig verdunkelten Brücke nur die elektronischen Geräte leuchten und man bei guter Sicht weit über das dunkle Meer hinaus schauen kann. Mit großer Präzision schiebt sich dieser "Riesenpott" durch das Wasser und bei ruhiger See fast ohne jede Erschütterung; und nur an den anderen Schiffen, an denen man vorüberfährt, merkt man, dass man selbst in Bewegung ist. Dabei fährt die "Hanjin Lisbon" im Schnitt
mit 25 Knoten!
Meine Begeisterung ist groß und die Fragen, die ich meinem Sohn stelle, sicherlich nervig, dennoch werden sie von ihm mit Geduld und vor allen Dingen verständlich beantwortet. Dabei geht mir der Gedanke durch den Kopf, dass es sich hier irgendwie um eine Umkehrung der Generationen handelt. Früher hat mein Sohn mir Löcher in den Bauch gefragt und ich habe so gut und verständlich wie möglich geantwortet, und nun bin ich diejenige, die Fragen stellt. Die Bereitschaft und Ausführlichkeit, mit der mir mein Sohn antwortet,
und sein Enthusiasmus, mit der er hier an Bord seinen Pflichten nachgeht, zeigen mir, wie sehr ihm dieser Beruf im Blut liegt.
Wie schon gesagt, lasse ich es mir in der verbleibenden "Freizeit" gut gehen. Ich zeichne, schreibe diese Zeilen oder liege faul in der Sonne herum, wobei das unentwegte Brummen unterm Hintern zur völligen Entspannung beiträgt. Gar nicht zu reden von dem Tiefschlaf, der mich hier, kaum, dass ich in der Koje liege, überfällt. Ein ausgelassener Grillabend auf dem Sonnendeck am zweiten Abend mit der gesamten Mannschaft, umhüllt von noch immer heißer Sommerluft, trägt noch zu meiner guten Laune bei und
ist dazu noch ein kulinarischer Hochgenuss. Wohl selten habe ich so viel verschiedenes gegrilltes Fleisch auf einem Haufen gesehen, und die köstlichen Salate und das in leeren mit Eis gefüllten Benzinfässern gekühlte Bier ist auch nicht zu verachten. Was muss ich nur für ein Gesicht gemacht haben, als ich auf den philippinischen Bootsmann gestarrt habe, der in Nullkommanichts drei riesige T-Bone-Steaks vertilgte und anschließend noch eine Weile darüber nachzusinnen schien, ob nicht noch ein viertes in seinem
Magen Platz hätte. Noch seltener aber habe ich Menschen so ausgelassen herumalbern sehen, wie die Philippinen hier an Bord. Ihr Kichern ist dabei so ansteckend und wohltuend, dass ich gar nicht mehr glauben will, dass wir Zuhause fast nur noch Trübsal blasen.
Trotz dieser Ausgelassenheit und Feierstimmung will ich bemerken, dass mich die Tatsache wohl am meisten gefreut hat, hier an Bord der "Hanjin Lisbon" zu jeder Zeit allein sein zu können, wann immer ich es wollte; ohne den sonst üblichen Zwang von gewissen Urlaubsaktivitäten und ohne aufdringliche Kellner, Mitreisende oder sonstige Quälgeister, deren man sich häufig nicht erwehren kann.
Heute Nacht passieren wir die Straße von Gibralta. Ein Erlebnis der Extraklasse. Bei hervorragender Sicht steuern "wir" auf die Meerenge zu, nachdem wir uns bereits vorher an einem bestimmten Punkt für die Durchfahrt angemeldet haben. Einer sogenannten Leitstelle an der spanischen Küste muss die Position des Schiffes und eine eventuell gefährliche Ladung gemeldet werden, damit die gesamte Durchfahrt aller Schiffe durch diese Meerenge kontrolliert werden kann. Diese Leitstelle kann bei Engpässen eingreifen
oder sogar auf Wunsch bei der Durchfahrt behilflich sein. Zwar kann ich den Felsen von Gibralter im Dunkel der Nacht nur als eine riesige dunkle Masse erkennen, dafür aber die hell erleuchteten Küstenstreifen von Spanien und der so nahe gegenüberliegenden Küste Marokkos um so besser. Zutiefst beeindruckt hat mich auch hier wieder die Präzision, mit der diese Meerenge befahren wird. Was müssen erst die Seeleute in den vergangenen Jahrhunderten für große Leistungen vollbracht haben, als sie hier noch ohne jegliche
elektronische oder sonstige technische Hilfe mit ihren Segelschiffen hindurch gefahren sind.
26. Juli 2003
Eigentlich wollte ich für meinen Geburtstagskaffee ein Blech voll Apfelkuchen backen, bedeckt mit einer dicken Sahneschicht und mit Zimt und Zucker bestreut, doch leider fehlte in der Küche das Backpulver. Wie schade! Nach einigem hin und her und trotz Überlegungen des Chief-Ingenieurs, man könne das Backpulver aus einem Gemisch von an Bord vorhandenen chemischen Pulvern herstellen, entschied ich mich, es mit Baisers zu versuchen, die mir Zuhause immer gut gelingen und für die man kein Backpulver braucht. Mit
entsprechendem Lampenfieber und der Hoffnung auf beste Ergebnisse (schließlich wollte ich weder mich noch meinen Sohn vor der Mannschaft blamieren) machte ich mich also daran, mit einer überdimensional großen Industrie-Küchenmaschine aus ca. 12 Eiweiß einen steifen Schaum zu schlagen. Der Schaumschläger des Ungetüms ragte zwar nur einige Millimeter in das Eiweiß hinein, dennoch klappte es ganz vorzüglich. Am Abend lud ich schließlich den Kapitän und die Wachoffiziere sowie Ingenieure zu einem kleinen Umtrunk
an die Bar ein, um diesen Abend würdig zu beschließen. Es war ja nicht nur mein Geburtstagsabend, sondern auch mein Abschiedsabend, wie übrigens für einige der Besatzungsmitglieder auch, die ebenfalls am nächsten Tag von Bord gehen wollten; nur dass mir der Abschied sicherlich nicht so leicht fallen wird. Und nur der Gedanke, dass ich eine solche Reise eines Tages in der einen oder anderen Weise würde wiederholen können, hat mir das Ende dieser außergewöhnlichen Tage versüßt.
AHOI !
Eingereicht am 02. März 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.