Nichts Besonderes
© Belinda Fuchs
"Was hast du gesagt?"
Seine Frage drang gedämpft vom Wohnzimmer, in dem er sich hinter seiner Zeitung vergraben hatte, zu mir in die Küche. Ich überlegte kurz, ob ich das, was ich gerade zu ihm gesagt hatte, wiederholen sollte und entschied mich mit einem kurzen "Ach nichts, ist nicht so wichtig" dagegen.
Ich wollte wieder einmal "nichts" von ihm wissen und ihm "nichts" sagen.
Dabei hätte es doch so vieles gegeben, worüber ich mich gern mit ihm unterhalten hätte, so vieles, was ich ihm gern gesagt hätte.
Wann genau war der Zeitpunkt, an dem wir aufgehört hatten, miteinander zu kommunizieren? Wann hatte es begonnen - dieses "Nichts"?
Seufzend hing ich das nasse Geschirrtuch über die Arbeitsplatte und ging zu ihm ins Wohnzimmer. Ich nahm ihm gegenüber auf der Couch platz und sah ihm beim Zeitunglesen zu, betrachtete sein Profil, das wegen seiner Nase aristokratisch wirkte. Ich war noch immer neidisch auf seine langen, seidigen Wimpern, die seinen Augen so einen verträumten Blick verliehen. Ich sah seine Augen nicht, sah nicht seinen Schelm, der immer aus ihnen blitzte und dadurch seinem Lächeln einen jungenhaften Charme verlieh.
Wann hatte er zuletzt gelächelt? Wann hatte ich das letzte Mal gelächelt oder aus vollem Halse gelacht? Lachen war doch so wichtig - auch und gerade in einer Beziehung.
Jetzt sah er von seiner Zeitung auf, sah mich an und fragte mich: "Na, was hast du heute gemacht?"
"Nichts", sagte ich, und weil es eigentlich doch mehr als nur nichts war, was meinen Tagesablauf bestimmte, fügte ich noch hinzu "nichts Besonderes".
Was wäre etwas Besonderes gewesen? Ein Buch zu schreiben? Ein Menschenleben zu retten? Oder wäre es schon etwas Besonderes gewesen, wenn ich einfach nur mal mit dem Auto spazieren gefahren wäre?!
"Wie war dein Tag?", kam die obligatorische Frage von mir, obwohl ich genau wusste, dass er so etwas wie "Na ja, geht schon" sagen würde, was er dann auch tat und womit unsere Gesprächsrunde im Bereich "Persönliches" wieder abgeschlossen war.
Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass sich Ehepaare täglich nur ca. 10 Minuten unterhalten. Damals habe ich über diese Behauptung gelacht. Jetzt, nachdem ich darüber nachgedacht habe, komme ich sogar auf noch weniger Unterhaltungs-Minuten.
Ich stand auf, wünschte ihm eine gute Nacht und ging ins Bett.
Am nächsten Morgen als er das Haus verlassen hatte, beschloss ich, meine Koffer zu packen und einfach fortzugehen. Ich überlegte, was ich ihm in den Abschiedsbrief schreiben sollte.
"Es tut mir Leid dass ich gegangen bin, du bist nicht schuld, es liegt wohl an mir. Ich konnte mit soviel "nichts" nicht mehr leben. Ich hatte das Gefühl, dieses "Nichts" würde mich wie ein schwarzes Loch verschlingen."
Wie konnte ich diese Sprachlosigkeit nur in Worte fassen? Ich konnte es nicht …
Also schrieb ich nur: "Es war nichts - nichts Besonderes, eben nur Alltag".
Eingereicht am 24. Februar 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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