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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Oh, wie schön ist Karneval!

© Gaby Schumacher


Ach, welch tolle Zeit. Die halbe Welt lacht, singt, schunkelt. Viele verkleiden sich, schlüpfen in die Figuren ihrer Wunschträume, leben für ein bis zwei Tage diesen Traum. Auf den grellbunten Karnevalswagen stehen die genauso farbenfroh gestylten Jecken. Es regnet Bonbons, Schokolade. Sogar kleine Blumensträuße und auch lustige Stofftiere segeln in kühnem Schwung in die wartende Zuschauermenge. Ein begeisternder Sport: Jeder versucht mit hoch gerissenen Armen eine dieser Kostbarkeiten zu erwischen. Die preisgünstigen Bonbons werden zu ersehnten Trophäen.
Und ich wäre so gerne mit von der Partie. Aber mir ist es nicht gegeben, alle Disziplin zur Seite zu lassen und ohne alle Hemmungen mitzumischen. Auf der Strasse herum zu schreien und zu hopsen, bis mir die Puste ausgeht. Nein, ich stehe abseits und beneide die Leute, die diese Gabe haben.
Doch all das reicht den Karnevalisten längst nicht aus zum wahren Vergnügen. Was wäre Karneval ohne die Stände, die Bratwurst, Bockwurst, Erbsensuppe oder Gulaschsuppe anbieten, mit denen sich sowohl durchgefrorene Aktive als auch die zuschauenden Narren aufwärmen. Und natürlich dürfen Bier und Schnäpse nicht fehlen, die sich viele von daheim mitgebracht haben. Nüchterner Karneval lohnte sich offensichtlich nicht!
Grölende enthemmte Menschen. Noch ein Bier. Ja und noch ein Schnaps. Egal, wie viele. Nach jedem weiteren fühlt man sich freier, fröhlicher, was kostet die Welt. Einfach herrlich... diese Unbeschwertheit, diese innere Freiheit. Doch Viele kennen ihre Grenzen nicht oder ignorieren sie bewusst. Nach mindestens drei Schnäpsen und entsprechend viel Bier kümmert die Meisten gar nichts mehr. Es wird gerempelt und gestoßen. Was macht es da schon aus, wenn der Nebenmann einen ordentlichen Puff einstecken muss. Schließlich möchte man ja was sehen da vorne. Man selber ist der Mittelpunkt der Welt. Sollen die Anderen doch sehen, wo sie bleiben. Nach nur wenigen Minuten fliegen die ersten leeren Bierflaschen durch die Gegend, rollen auf die Strasse und hindern manchmal sogar den Zug am Weiterfahren. Oder noch schlimmer, treffen Umstehende im Gesicht. Das wird von den betrunkenen Werfern höchstens noch mit bierseligem Lachen registriert. Stattdessen die dringlichst angebrachte Entschuldigung zu stammeln, haben diese Dosenballer überhaupt nicht nötig bzw. sind gar nicht mehr fähig dazu. Die schweben inzwischen im achten Himmel und merken schon gar nicht mehr, was sie mit ihrem Verhalten anrichten. Ihnen geht es bombig! Doch können sie von Glück sagen, dass sie noch aufrecht stehen und nicht schon längst in irgendeiner Ecke herum hocken wie viele ihrer Gleichgesinnten, die vor Übelkeit vor sich hin kotzen. Oder platt im Halbschlaf da liegen. Man muss noch aufpassen, dass man in dem Gedränge nicht auf sie tritt. Wahrhaft lustiger Karneval!
Jecken sind von ausgesprochen heiterem Gemüt. Denkt man. Traurigerweise gibt es Gegenbeweise. Oft in ganz schlimmer Ausprägung. Nicht jeder wird einfach nur fröhlich und für die ihm fremden Nachbarn zugänglicher. Je nach Veranlagung und Temperament kommt es auch zu Brutalitäten. Denn man identifiziert sich zunehmend mit seiner Verkleidung, wird eventuell zum echten Piraten oder zum echten Schläger. Manche führen echte Waffen bei sich. Ein paar von ihnen sind so berauscht vom Alkohol, dass sie diese einsetzen, auf Andere zustürmen und ihnen Wunden zufügen, auf sie einschlagen oder -stechen. Die Polizei hat alle Mühe, sie zu überwältigen und dingfest zu machen. In ihrem Rausch entwickeln diese Kerle enorme Kräfte. Zurück bleiben unschuldige Verletzte, die sich am Boden krümmen vor Schmerzen. Für diese Gequälten endet der ach so heitere Karnevalstag im Krankenhaus. Richtig, so hatten sie sich die lustigen Tage auch vorgestellt,. Deren absoluter Wunschtraum ist damit in Erfüllung gegangen. So nach dem Motto: Man gehe zum Karneval, um...!
Am nächsten Tag liest man in der Zeitung, was man teilweise am Rande selber mitbekommen hatte. Vierzig Menschen mussten abgeführt werden. Es gab Betrunkene en masse. Ein Mann mit 10 Promille war dabei. Man schüttelt den Kopf...der muss doch halbtot gewesen sein. Dass der überhaupt noch lebt.
Doch das ist nicht die traurige Krönung dieser Festivität. Es kommt noch weitaus schlimmer:
Eine junge Frau stieg aus einem der noch fahrenden Wagen aus. Wahrscheinlich alkoholisiert, stürzte sie rückwärtig auf die Strasse und wurde vom Wagen überrollt. Diagnose: Tod im Karneval.
Nach all dem überlege ich doch sehr ernsthaft, ob ich in Zukunft solcherlei Veranstaltungen meide?
Denn Sterben ist ja soo schön.



Eingereicht am 08. Februar 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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