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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Aus dem Leben gerissen

© Anne Jantsch-Kanoune


Er glaubte, es würde ein ganz normaler Tag werden. Er glaubte, es würde sein wie immer. Doch er täuschte sich, aber das konnte nicht wissen ...
Wie jeden Morgen machte sich Brian auf den Weg in sein Büro in der 48th Straße. Er liebte seinen Job und das Leben hier in Los Angeles. In der Stadt der Engel. Warum es so genannt wurde, das wusste Brian schon einige Tage nachdem er hierher gezogen war. Eigentlich kam er vom Land, aus Kentucky um genau zu sein. Früher hätte er sich ein Leben in einer Millionen Stadt wie L.A. es war, sich nicht vorstellen können. Doch die Liebe brachte ihn hier her. Seine große Liebe, Michelle. Sie war so wunderschön und er liebte sie so sehr. Heute hatten sie ihren 1. Hochzeitstag und den wollten sie mit einem schönen Abendessen feiern. Er fühlte sich so frei, so glücklich. Er könnte die ganze Welt umarmen. Als er die Tür zu seinem Büro öffnete, überkam ihn plötzlich ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl der Angst. Er wusste nicht, was es zu bedeuten hatte. Noch nicht. Brian machte sich keine weiteren Gedanken darum und begann an seinem Projekt zu arbeiten. Er liebte seinen Beruf als Graphik-Designer, denn hier konnte er all sein Talent unter Beweis stellen.
Brian hatte schon eine Weile gezeichnet als sein Kollege Jerry ins Büro kam. "Hey Brian, was hältst du von einem Mittagessen drüben bei Murry's?" Er blickte auf. Eigentlich wollte er nicht auf hören zu zeichnen, aber andererseits schien sein Magen sich für Jerry's Vorschlag und gegen Brian's Arbeits Enthusiasmus zu entscheiden. "Okay, ich bin in fünf Minuten unten." Jerry nickte und verließ das Büro. Schnell räumte Brian seine Sachen zusammen. Er hasste es, wenn die ganzen Unterlagen nicht an ihrem Platz lagen wenn er nicht am arbeiten war. Nachdem alles wieder da lag wo es hingehörte, nahm sich Brian seine Jacke und lief runter in die Lobby wo Jerry bereits auf ihn wartete. Dass er sein Handy versehentlich liegen ließ bemerkte er nicht. Oder er hatte er es im Unterbewusstsein liegen gelassen, weil er keine schlechten Nachrichten hören wollte. Solche Nachrichten, die ihm wahrscheinlich das Blut in den Adern gefrieren ließen. Als er einigen Minuten später gemeinsam mit Jerry und zwei weiteren Kollegen bei Murry's saß, lachten sie ausgelassen, machten Witze und unterhielten sich über das Baseballspiel, das heute Abend live übertragen wurde.
Eine Stunde später betrat Brian wieder sein Büro und erst jetzt bemerkte er, dass er sein Handy liegen gelassen hatte. Kurz warf er einen Blick auf das Display. Keine Anrufe, keine Nachrichten. Dass doch jemand angerufen hatte und dass das Telefon diesen einen Anruf nicht gespeichert hatte, konnte Brian nicht wissen. Erneut setzte er sich an seinen Schreibtisch und zeichnete an der Stelle weiter, an der er vorhin aufgehört hatte. Als Brian 4 Stunden später sein Büro verließ, hatte er alle Aufträge für heute erledigt. Zufrieden und glücklich begab er sich auf den Weg nach Hause. Er freute sich so sehr Michelle zu sehen. Dass Brian schneller mit dem Auto fuhr wie sonst, bemerkte er selbst nicht. Die ganze Zeit über hatte er dieses Gefühl, es sei etwas passiert. Doch was das wusste er selbst nicht. Doch als er in die Straße fuhr, in der er wohnte, sah er schon von weitem Blaulichter von Krankenwagen und Polizei. Und sie standen vor seinem Haus. Brian raste die letzten Meter und hielt mit quietschenden Bremsen. Mit einem Satz sprang er aus dem Auto und lief Richtung Haustür, als ein Officer ihn aufhielt. "Halt Sir, hier können Sie nicht durch." "Aber das ist mein Haus", rief Brian panisch. "Sind Sie Brian McLaw?", fragte der Officer ihn. Brian nickte und versuchte noch immer ins Haus zu kommen, doch der Beamte hielt ihn davon ab. "Was ist passiert?", fragte er. "Ihre Frau hatte einen Unfall. Es gab eine Gasexplosion." "Wo ist Sie, ich will sie sehen," sagte Brian. "Sie können da nicht rein. Es besteht noch immer Explosionsgefahr."
Noch bevor Brian etwas sagen konnte, fiel sein Blick zur Tür und er sah wie ein Sanitäter auf ihn zukam. Der Officer, der eben noch bei ihm stand, ging dem Sanitäter entgegen und Brian sah wie die beiden sich unterhielten, doch er konnte sie nicht verstehen. Einige Minuten später, kehrte der Officer zurück und sah Brian direkt in die Augen. "Mr. McLaw, es tut mir Leid. Aber Ihre Frau ist tot." Nein, das konnte nicht sein. Brian hatte gehört, was der Officer ihm sagte, doch er wollte es nicht wahrhaben. Er merkte, wie sich alles um ihn herum begann zu drehen, ihm wurde schwindelig und er hatte das Gefühl, jemand würde ihm den Boden unter den Füßen wegreißen. Er musste sich irgendwo halten, doch er konnte nicht. Er spürte, wie ihn jemand festhielt und leise auf ihn einredete, doch wer es war, wusste Brian nicht. Er nahm nichts mehr wahr und alles schien meilenweit entfernt zu sein. Erst als die Sanitäter mit der Trage raus kamen, begann er seine Umwelt wieder wahrzunehmen. Erneut versuchte Brian hinzulaufen, doch wieder wurde er von einem Officer zurückgehalten. "Bitte ich muss sie sehen, nur noch einmal." "Mr. McLaw, glauben Sie mir, es ist besser wenn Sie sich das nicht antun. Behalten Sie sie in Erinnerung wie sie war." "Aber Sie ist doch meine Frau." "Mr. McLaw wir werden Sie jetzt ins Krankenhaus fahren. Sie haben einen Schock erlitten und müssen sich behandeln lassen." Ohne ein Widerwort ließ sich Brian zum Wagen der Polizei bringen. Er hatte auch keine andere Wahl und im Moment war ihm irgendwie alles egal.
Im Krankenhaus wurde ihm bewusst, was in den letzten Stunden geschehen war. Er versuchte alles noch einmal Revue passieren zu lassen. Heute Morgen noch, war alles wie gewohnt. Er verabschiedete sich von Michelle, ging zur Arbeit und wollte den Abend mit seiner großen Liebe verbringen. Sie wollten doch heute ihren Hochzeitstag feiern. Sie wollten glücklich sein. Sie wollten noch so viel erleben. Und jetzt? Jetzt war sie nicht mehr da. Jetzt war er allein. Was sollte er nur tun? Wieso hatten das Schicksal ihnen all das Glück verwährt? Wieso gab es überhaupt all diese Fragen auf die er keine Antwort wusste?
"Mr. McLaw", riss ihn schließlich die Stimme des Arztes aus seinen Gedanken. "Mein Name ist Dr. Wilson. Es tut mir sehr Leid was mit ihrer Frau geschehen ist." Brian nickte stumm, denn er konnte und wollte nichts sagen. Der Arzt zog eine kleine Schachtel Tabletten aus seiner Kitteltasche. "Ich möchte, dass Sie diese Tabletten hier drei Mal täglich nehmen. Sie werden Ihnen helfen mit Ihrer jetzigen Situation besser umzugehen." Dr. Wilson reicht ihm die Schachtel und Brian nahm sie schweigend an. "Ich würde jetzt gerne nach Hause gehen." Der Arzt nickte. Brian nahm sich seine Jacke, verließ schweigend den Raum, setzte sich in ein Taxi, das vor der Klink stand und ließ sich zu seinem Haus fahren. Als er schließlich vor seinem Haus stand, wurde ihm bewusst, dass er keinesfalls hier länger leben könnte. Er wusste, selbst wenn die Spuren der Explosion beseitig worden sind und sein Haus wieder bewohnbar ist, selbst dann könnte er hier nicht mehr leben, denn alles würde ihn an Michelle erinnern. Brian entschied sich, die Nacht in einem Hotel zu verbringen und Morgen würde er dann alles für die Beerdingung veranlassen. Er ging ins Haus, packte einige Sache zusammen und stieg erneut ins Taxi um ins nächstgelegene Hotel zu fahren. Spät in der Nacht wachte Brian schweißgebadet auf. Er hatte von Michelle geträumt. Davon geträumt wie schön sie war und wie sehr er sie liebte. Und dann gerade als er sie im Traum küssen wollte, verschwand sie wie eine Illusion. In dieser Nacht wachte er noch einige Male auf und jedes Mal hatte er von Michelle geträumt.
Drei Tage später ... Heute war Michelles Beerdigung. Brian stand an ihrem Grab und hielt eine Rede wie er es noch nie zuvor in seinem Leben getan hatte. Alle waren sie da. Die Familie, Freunde, Arbeitskollegen. Und allen war die Trauer ins Gesicht geschrieben. Brian weiß nicht, wie lange er an Michelles Grab gestanden hatte, doch irgendwann wurde es dunkel. Dann hörte er dieses Geräusch hinter sich. Er drehte sich um und traute seinen Augen nicht. Dort stand sie. Michelle. Aber konnte das sein? "Michelle, warum hast du mich allein gelassen", fragte Brian leise. Er wusste, es war nur eine Illusion die er dort sah, aber sie war so real. "Bitte leb' dein Leben weiter, Brian. Bitte gib' nicht auf. Ich möchte, dass du glücklich bist in deinem Leben." "Ich schaffe es nicht, Michelle." "Doch du schaffst es. Du hast bisher immer alles geschafft. Ich muss jetzt gehen. Ich werde dich immer lieben, Brian." "Ich werde dich auch immer lieben, Michelle", hauchte er leise und mit gesenktem Kopf. Als er hoch blickte war sie verschwunden. Aber ihr letzter Satz klang noch immer ihn seinen Ohren. "Ich werde dich immer lieben, Brian."



Eingereicht am 07. Februar 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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