Die Betriebsfeier
Rena Zednikova
Die Betriebsfeier wäre gar nicht so schlecht, hätte ich nicht das unangenehme Gefühl verlassen zu sein. Mein Mann, der seit einigen Jahren in dieser Firma arbeitet, ergatterte im Laufe der Jahre eine wirklich gute Position. Ich weiß es nicht aus eigener Erfahrung, sondern aus Erzählungen der anderen. Wir kennen uns nämlich erst seit zwei Jahren.
Unsere Beziehung steckt quasi in den Kinderschuhen.
Und ich liebe ihn. Ich liebe ihn mehr denn je. Er weiß es zu gut. Vielleicht sage ich ihm den Satz "Ich liebe Dich" zu häufig … ich kann aber nicht anders.
Jedes Mal überfällt mich das Gefühl der Hingabe und Liebe so sehr, dass meine Lippen laut diesen Satz aussprechen, ohne meinen Verstand vorher gefragt zu haben. Ich sage es ihm viel häufiger als er. So habe ich mich mittlerweile daran gewöhnt und forsche auch nicht weiter, ob meine Liebe auch von ihm erwidert wird.
Es ist mittlerweile ein Uhr nachts. Nach einem reichlichen Buffet bestelle ich mir meine dritte Apfelsaftschorle. Ich trinke keinen Alkohol. Nie. Er schmeckt mir schlichtweg nicht. Wenn ich zwischen einer Limonade und einem guten Rotwein wählen soll, gewinnt immer die Limonade. So ist es leider immer bei mir gewesen. Manchmal bereue ich meine Abstinenz, manchmal würde ich mir wünschen die Kontrolle verlieren zu können, mich gehen zu lassen.
Geht aber nicht. Auch das Rauchen konnte ich mir bisher nicht angewöhnen.
Eine Zigarette in der Hand zu halten und eine vermeintliche Raucherin, die genüsslich laszive Kreise aus den Lippen pustet, spielen, will ich auch nicht mehr. Das tat ich vor 15 Jahren. Als ich 20 war. Jetzt käme ich mir albern vor. Jeder erfahrene Raucher erkennt einen paffenden "möchte gern Raucher". Damals dachte ich, ich könnte es problemlos tarnen und machte mich nur lächerlich.
Ich bekomme meine große Apfelsaftschorle. Ich bin null durstig, trotzdem schmeckt sie mir. Mit dem schweren Glas kehre ich zum Tisch zurück. Meine beste Freundin sitzt neben mir und unterhält sich mit einem Mann, den ich seit vielen Jahren kenne. Er geht mir meistens auf die Nerven. Ich habe fast das Gefühl, als würde er mich mit seiner unangenehmen Gegenwart verfolgen.
Er ist immer und überall da, wo ich bin. Mein Mann ist nie da.
Ich führe ein Gespräch, das mich nicht interessiert. Eigentlich weiß ich gar nicht worum es geht, trotzdem streite ich beinah mit ihm. Meine Freundin versucht uns immer wieder zu versöhnen und den Streit auf ihre witzige Art zu beenden. Ich finde es rührend von ihr. Sie ahnt aber nicht, dass der Streit weder mit dem Thema noch mit dem Typen zu tun hat, sondern einzig und allein damit, dass mein Mann nicht in der Nähe ist. Ich bin unglücklich, dass mein Mann nicht mit mir am Tisch sitzt und für mich da ist. Ich
bin unglücklich, dass mein Mann nicht bereit ist der Welt zu zeigen: "Schaut alle her! Das ist meine Frau. Das ist die Frau, die ich liebe." Mit einem Auge schiele ich in alle Richtungen und versuche ihn zu finden.
Vergeblich. Er ist nirgendwo. Wahrscheinlich unterhält er sich vertraulich mit einem seiner Kollegen. Er gehört nicht zu den Menschen, die flirten, geschweige betrügen. Nein, er ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Also müsste ich mir doch keine Gedanken machen, ihn tun lassen, was er will und den Abend genießen. Nein, nicht möglich. Es ist nicht die Eifersucht, die mich quält, sondern die Verleugnung. Das Gefühl des "Unbedeutend sein". Ich kann nicht über meinen Schatten springen und mich auf den
Abend konzentrieren, der durchaus lustig sein könnte, wenn es nicht meinen Mann gäbe. Aber ich suche dauernd den Menschen, der mir soviel bedeutet.
Es vergeht eine weitere Stunde. Ich bin müde, will nach Hause. Mein Hals schmerzt von dem ganzen Zigarettenrauch und die Gespräche über Gott und die Welt langweilen mich. Es fällt mir auch keine andere Beschäftigung mehr ein als auf die Toilette zu gehen, mir die Nase abzupudern und enttäuscht zurückzukehren. Mein Mann ist nicht da. Ich entschließe mich zu gehen.
Mit, oder ohne ihn. Ich möchte ihn bestrafen, indem ich wegfahre und ihm nicht Bescheid sage. Er soll mich suchen, denke ich, und weiß gleichzeitig, dass es albern ist. Er wird es gar nicht mitkriegen. Wahrscheinlich ruft er sich angetrunken ein Taxi, denkt gemütlich in die weichen Ledersitze zurückgelehnt über den wunderbaren Abend nach und lässt ihn vor sich hin dösend ausklingeln. Dann legt er sich zu mir ins Bett. Ich werde selbstverständlich noch wach sein, aber so tun als ob ich schlafe, er schläft dafür
binnen fünf Minuten friedlich ein.
Nein, so darf es nicht enden, schwöre ich mir, so nicht! Nicht mit mir. Ich schwitze vor Wut. Das Gefühl der Verleugnung ist widerlich, denke ich, während ich mir meinen schwarzen Mantel anziehe. Meine Freundin fragt mich enttäuscht, ob ich schon gehe. Ich sage ihr im verstellt nettem Ton, ja, ich sei müde und möchte heim. Sie trifft darauf mitten ins Schwarze indem sie meint, und dein Mann, wo ist er denn überhaupt? Geht er nicht mit dir mit?
Sie hätte ihn den ganzen Abend nicht gesehen, was sehr schade wäre, weil sie ihn gerne endlich einmal kennen gelernt hätte. Ich lüge ihr entgegen, dass er Wichtiges mit Kollegen zu besprechen hätte, das sei auch üblich, dass man Geschäftliches auf einer Feier erledigt und dass ich genau wüsste, wo er sei. Dort drüben im Treppenhaus steht er, sage ich. Ich hoffe, dass sie mir das glaubt und nicht mehr nachfragt. Der Mann, den ich nicht ausstehen kann, fragt ebenfalls ganz neugierig nach meinem Mann. So weit kommt
es noch, denke ich, dass sich Idioten, wie "er" in die Beziehung zwischen mir und meinem Mann einmischen. Ich fahre ihn an, dass es doch egal wäre, was interessiert ihn das auch und dass ich Heim gehe.
Innerlich koche ich geradezu. Es ist zwei Uhr und ich muss tatsächlich alleine nach Hause fahren. Ich verabschiede mich von der restlichen Tischgesellschaft und verlasse den großen Raum. Im Treppenhaus verlangsame ich explizit, denn es könnte ja sein, dass er tatsächlich dort steht. Ein paar Betrunkene kommen mir entgegen. Den Einen kenne ich, er ist sein Kollege. Ich freue mich, vielleicht kann er mir sagen, wo sich mein Mann befindet. Ich frage ihn, ob er ihn gesehen hat. Er lacht kurz und verächtlich auf
und antwortet, dass er ihn nicht gesehen hätte, dafür hätte er ihn aber gesprochen und was wolle ich von ihm. Der Betrunkene kennt mich, er weiß ganz genau, dass ich seine Frau bin. Ich beiße die Zähne zusammen und gehe weiter. Ich muss weiter gehen, denn sonst wurde ich vor Kränkung in Tränen ausbrechen. Der Trottel war besoffen, wusste nicht, was er sagt, trifft mich allerdings tief ins Herz. Sofort male ich mir aus, wie mein Mann mit seinen Kollegen über mich spricht. "Hey, deine Alte hockt dir dauernd
auf der Pelle." Oder: "Die musst du mal in die Wüste schicken." Sagen die.
Er darauf: "Ja, mit meiner Alten habe ich mir was eingebrockt." Usw. Ganz schön verächtlich. Offensichtlich bin ich ihm scheißegal und er kann mich nicht mehr ausstehen.
Draußen ist es ziemlich kalt. Der eisige Wind bläst unverschämt durch den dünnen Mantel und mein Überbein schmerzt in den hohen Hacken. Ich kann es kaum abwarten die verdammten Stiefel auszuziehen.
Ich hasse es, wenn die Autotür zuschlägt und mein linkes Bein noch nicht "drin" steckt. Jedes mal bestraft mich dieses beschissene Auto auf seine klein karierte Art.
Ein entgegenkommender Kleinlaster blendet mich mit einer Lichthupe. Ich rege mich auf, zeige ihm einen Stinkerfinger. Nach ein paar Sekunden stelle ich fest, dass ich das Licht nicht angemacht habe. Er ist schon weg, ich kann es nicht mehr gutmachen.
Erneut verfalle ich in meine Gedanken und erinnere mich, an den Brief. Eine langjährige Bekannte meines Mannes, schrieb ihm einen Brief. Sie lebt irgendwo im Norden und ab und zu schickt sie ihm Post. Mein Mann antwortet sporadisch, wie er sagt. Sie würde ihm nichts bedeuten, er hätte mit ihr nur einmal was gehabt und weiter nichts. Es wäre schon Jahre her. Sie sind einfach nur Freunde geblieben, auch wenn sie es vielleicht optimistischer sieht als er. Kurz bevor ich zu der Betriebsfeier ging, fand ich einen
ihrer aktuellen Briefe auf dem Tisch. Er steckte im geöffneten Briefumschlag. Es ist eigentlich nicht meine Art fremde Post zu lesen, diesmal aber musste ich dringend eine Ausnahme machen. Ich denke, wenn etwas, was ich nicht lesen sollte, drin steht, würde mein Mann ihn wohl kaum auf dem Tisch liegen lassen. Der Inhalt des Briefes ist sachlich, langweilig. Völlig uninteressant. Zwei Dinger machten mich allerdings stutzig. Erstens schrieb er ihr einen Brief zum Geburtstag und zweitens weiß sie nach wie vor nichts
von meiner Existenz. Vor einem Monat hatte sein Bruder Geburtstag. Davor seine Mutter. Beide Termine vergaß er. Zu ihrem Geburtstag schreibt er ihr sogar einen Brief? Wie geht das? Was schreibt er ihr, dass sie immer noch der Meinung ist, einen Single vor sich zu haben. Rivalin ist sie für mich keine, nein, aber ein Störenfried. Sie stiehlt mir seine Aufmerksamkeit.
Ich spreche laut im Auto. Formuliere meinen Abschiedsbrief, den ich ihm auf dem Küchentisch liegen lassen möchte. Ich möchte ihm Angst machen, ihn spüren lassen, dass er mich nach dem heutigen Desaster endgültig verloren hat. Es ist mir mehr als klar, dass vielmehr ich leiden werde, als er.
Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass ich es diesmal eisern durchziehe. Ich könnte schreien vor Wut und Verzweiflung, beschleunige stattdessen auf der glatten Straße. Ich stelle mir vor, wie er reagieren würde, wenn ich einen tödlichen Autounfall hätte. Vielleicht würde er zum ersten Mal bereuen, mich alleine nach Hause fahren zu lassen.
Im Flur streife ich endlich die Stiefel von den geschundenen Füssen.
Schnell schminke ich mir die Spuren des Abends vom Gesicht, gehe auf die Toilette, creme mich ein und springe ins Bett. Die weiße Bettwäsche ist eiskalt, meine Zähne klappern. Ich erinnere mich an den Abschiedsbrief, den ich schreiben wollte. Leider bin ich aber so müde, dass ich nicht mehr aufstehen kann. Ich tröste mich mit dem Gedanken, meinen Mann morgen früh zur Rede zu stellen und ihm klar zu machen, dass er mich nicht mehr verleugnen muss, denn ich werde einfach gehen. Ich werde ihn verlassen und erst
mal zu meiner Mutter gehen. Mein Herz schmerzt und ich will weinen.
Kann aber nicht, bin zu müde. Meine Augen haben im Laufe des scheußlichen Abends ihre Tränenflüssigkeit verloren.
Der Schlaf will nicht kommen.
Stunden vergehen. Der Himmel wird langsam bläulich. Mein Mann kommt plötzlich. Ich liege starr im Bett und mein Herz rast vor Aufregung und Angst. Es läuft nach dem gleichen Strickmuster. Entweder fällt er sofort ins Bett und schnarrt, wie ich bereits erwähnte, oder aber auch zieht er sich langsam aus, schenkt sich noch ein Glas Rotwein ein, setzt sich auf das Sofa und schaltet trotz der späten Stunde den Fernseher ein. Dann geht er ins Bad und putzt sich die Zähne mit einer elektrischen Zahnbürste. Nichts desgleichen
macht er. Er geht zielstrebig ins Schlafzimmer, zu mir, setzt sich auf die Bettkante, genau da, wo ich liege und umarmt mich ganz fest.
Das hat er noch nie getan. Er weiß ganz genau, dass er zu weit gegangen ist, denke ich, währenddessen wir still, halb sitzend, halb liegend inne halten.
Er riecht stark nach Alkohol und Zigaretten. Niemand sagt etwas. Meine Augen finden plötzlich eine Menge an Tränenflüssigkeit und somit machen sie sich fleißig an die Arbeit. Er drückt mich noch fester an sich und ich lasse es geschehen.
Es würde ihm Leid tun, dass er den ganzen Abend weg gewesen wäre, er musste soviel Geschäftliches besprechen und überhaupt, er hasst solche Veranstaltungen und zieht sich am liebsten zurück. Das müsste doch schon von ihm kennen. Er erzählt viel mehr, ich höre nicht mehr zu, ich atme diesen stinkigen Dunst seiner Kleidung ein, spüre seinen Körper und bin glücklich.
Ich genieße diesen einmaligen, eigenartigen Moment. So bleiben, möchte ich das ganze Leben. Gott sei Dank liegt kein Abschiedsbrief auf dem Tisch. Den hebe ich mir auf, bis zu nächsten Betriebsfeier.
Eingereicht am 07. Januar 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.