Gefressene Nacht
Anatufila
Die Hütte, in der ich ein paar Tage ausspannen wollte, stand inmitten des Waldes. Ein Bächlein hatte eine Lichtung geschaffen. Die feuchte Luft war schwanger vom Duft der Kräuter. Summen und Brummen spielte die Melodie zum Rhythmus des girgelnden Wasserlaufs. Es war eine Idylle. Schon tat es mir Leid, dieses Paradies nicht mit einem lieben Menschen teilen zu können.
Am späten Abend machte ich mir mein Bett unter dem weit geöffneten Fenster.
Grillen hatten die Summer abgelöst und ein geheimnisvoller, runder Mond warf Licht- und Schattengestalten. So begierig ich auch die märchenhafte Stimmung in mich aufnahm, ich musste doch eingeschlafen sein. Jappen und Jagen drangen in mein Unterbewusstsein. Schlagende Hufe, Jaulen und Kläffen alarmierten mich. Erschrocken setzte ich mich auf. Ich war allein und fremd.
Ich war wie gelähmt, kaum fähig die Lichtung zu überblicken. Eine Hundemeute jagte kreuz und quer über den Bach, umsprang ein Wild. Vielleicht war es ein weißer Hirsch oder ein klein geratenes Pferd? Die Hunde verbissen sich in seinen Hals, seine Hinterläufe, zerrten und rissen, jaulten, wenn sie getreten wurden. Mal lag das Wild unten, mal versuchte es sich aufzurichten.
Schrill gurgelnde Laute und erbärmliches Fiepen appellierten an mein Gewissen. Ich aber war zu keinem Gedanken fähig. Durch Erstarrung hoffte ich, die Gefahr zu bannen, das Leben des gehetzten Wildes zu retten. Da stieg es noch einmal auf die Hinterläufe, schüttelte das Rudel ab. Blanke Hufe schlugen nach den anspringenden Fängern. Die silberne Mähne spielte im Licht. Stolz der gereckte Kopf, noch höher stieg sein fein gedrehtes Horn.
Das hellblaue Auge kreuzte für einen Moment meinen Blick. Schon aber sprang ein Räuber an die freie Kehle, ein zweiter und ein dritter folgten. Sie rissen das Wild hinab. Die Meute wälzte sich über das am Boden liegende Wesen. Sterbend sang es in klaren Tönen Ergebung, rang Mut und Leben in die Welt hinaus.
Ich verharrte noch immer planlos gegenüber dem Geschehen, als der Leithund sich von der fressenden Meute löste. Er umkreiste die Lichtung bis er kurz vor mir stehen blieb. Rote Augen funkelten in der hellen Laterne seines Gesichts. Die Ohren gespitzt, die Rute gestreckt, das Gewicht leicht auf die Vorderläufe verlagert, war er ganz aufmerksam. Aus kaum geöffneten Lefzen knurrte er mich bedrohlich an. Er war ein Wolf. Er trabte zurück, umstrich nur ein einziges Mal seine Kameraden. Die ganze Rotte folgte ihm in
den Wald.
Eingereicht am 05. Dezember 2004.
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