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Leaving New York
Von Gaby Drechsel
Nur noch eine Woche New York City, dann geht es wieder nach Hause und das sechswöchige Job-Training ist beendet. Das ist so schade. Dann werde ich nicht mehr morgens im Starbucks für meinen Morgenkaffee Schlange stehen. Gerade überlege ich mir, ob ich den Coffee of the day oder den Frappuccino nehmen soll. "Hallo Kleines, auch hier?" Habe ich nicht gerade Deutsch gehört. Ich drehe mich um und knapp hinter mir steht ... "Hi Christian, ich bin schon seit 5 Wochen wegen eines Job-Trainings hier. Es
ist eine Ewigkeit her, als wir uns das letzte Mal gesehen haben", meine Stimme ist dabei ganz cool. Nur nichts anmerken lassen, vollkommen gelassen und unbeteiligt sein. Er lächelt mich an und redet über seinen Grund für den Aufenthalt in New York. Ich höre ihm gar nicht richtig zu, weil ich ihn von oben bis unten begutachte. Leider hat er si st immer noch groß, schlank, hat schöne dunkle Haare und dieses smarte Auftreten. In Nürnberg begegnen wir uns nie, obwohl wir beide dort wohnen, aber gerade hier
im Big Apple muss ich ihm über den Weg laufen. Wann bin ich endlich an der Reihe, damit ich schnell weggehen kann. Endlich höre ich: "Madam, what would you like to have?"- "I would like a tall Frappuccino with cream, please" Jetzt kommt sicherlich gleich eine Bemerkung von meinem Hintermann wegen der Schlagsahne. Aber nein, ich höre nichts dergleichen. "Christian, wann reist du wieder ab?" Ich sehe wie sich das lächelnde Gesicht ein bisschen verzieht. "Eine gesamte Woche bleibe
ich hier. New York ist groß, es ist eher unwahrscheinlich, dass wir uns begegnen. Vorausgesetzt du willst es so." Das war wieder typisch. Zum Glück ist der Frappuccino schon fertig und ich zahle bevor ich ihm antworte. "Ach, ich habe nichts dagegen, dir zu begegnen. Ich muss jetzt schnell in die Agentur, bin spät dran, ciao" und schon nehme ich den Frappuccino und gehe Richtung Ausgang. Er sagt tschüs, mehr aber auch nicht.
Zum Glück nur 1 ½ Blocks zu meiner Arbeitsstätte. Noch im Aufzug schwöre ich mir, nicht an ihn zu denken und ihn sofort zu vergessen. Wie soll das gehen. Wie kann "frau" einen vergessen, der das Idealbild eines Mannes verkörpert? Wie konnte Carry ihren Mr. Big vergessen? Im Unterbewusstsein vergleicht doch "frau" jeden Mann mit diesem Ideal. Wobei ideal nicht mit perfekt gleichzusetzen ist. Auch er hat negative Eigenschaften: seine aufbrausende Art, seine kühle, etwas arrogante Ausstrahlung
und etwas eingebildet ist er auch.. ergessen wir alle das Negative und das Positive überwiegt. So ist es leider auch im Bezug auf ihn. Jetzt erreiche ich mein Stockwerk: 32. Etage. Zielstrebig peile ich mein Büro an und plötzlich höre ich, wie der Agentur-Chef meinen Namen ruft. Ich drehe mich um und gehe zu ihm hin. Dann eröffnet er mir, dass wir Besuch bekommen. "Christian from Germany, CEO of one of our subsidiary companies, is visiting us and is supporting us with our campaign. You will work with him,
too."
Das hat mir gerade noch gefehlt. Natürlich lächle ich und kriege ein "That's wonderfull" heraus. Jetzt schnell an meinen Arbeitsplatz und aufräumen. Wenn er reinkommt muss er nicht unbedingt meine Shoppingliste, Clubliste etc. sehen. Ich sehe Phil am Gang stehen und winke ihn rein. "Phil, do you like to go out this evening?"- "Of course, it's a VIP-Night at the Commune tonight. I can get us in." Das war meine Rettung. Gleich das Date vereinbaren. Phil ist ja w reit. Außerdem ist
er Single, sieht gut aus, demnach ein sehr gutes Date. Meine Vorschläge für die Kampagne sind jetzt auch ausgedruckt. Mein Landsmann kann kommen. Ich sitze auf meinem Stuhl und übe den richtigen Gesichtsausdruck vor meinem Schminkspiegel. Wird schon klappen. Jetzt muss ich eine Woche lang so tun, als ob er mir vollkommen egal ist. Das wird anstrengend sein. Die Tür wird aufgerissen und der Agenturchef stellt mir den Besuch vor. Gleichzeitig sagen wir, dass wir uns bereits kennen. "That's fine, Christian,
then you won't mind that you share the office with her", fragt ihn der Agenturchef. Natürlich stört ihn das nicht, aber mich!!! Sagen kann ich selbstverständlich nichts. Das wird eine tolle Woche! Der einzige Platz, an dem ich mich nicht verstellen muss, wird die Damentoilette sein, denn dort kreuzt er keinesfalls auf. Ihm wird noch die gesamte Agentur gezeigt. Nach einer Stunde kommt er in mein bzw. jetzt unser Zimmer rein. Setzt sich hin und grinst mich an. Dann will er meine Vorschläge sehen, liest sie
durch und lobt mich sogar. Die Vorschläge sind auch wirklich gut. Wir reden über die Einzelheiten der Kampagne. Und reden und reden. Dann eine persönliche Frage an mich: "Warum machst du dieses Praktikum hier, du hast doch schon Berufserfahrung?" Mit dieser Frage zeigt er, dass er vergessen hat, dass ich unbedingt in den Staaten arbeiten wollte, auch wenn es nur eine kurze Zeit ist. Für die sechs Wochen habe ich einfach Urlaub bei meinem Arbeitgeber in Deutschland genommen. Genau so sage ich es ihm.
Er bohrt weiter nach: "Du erhältst für das doch keinen Lohn." Nein nicht, aber Unterkunft, Flug und Taschengeld. "Na ja Christian, ich mache es, weil es mir sehr viel Spaß macht, und habe nicht einmal irgendwelche Kosten. Man kann nicht immer nur auf's Geld schauen. Es gibt wichtigere Dinge als Geld." Er grinst wieder und will gerade seinen Mund aufmachen, als die Türe aufgemacht wird. Phil steht im Zimmer und stellt sich vor. Er bringt paar Aufzeichnungen mit. Derweil verziehe ich mich in
die Küche und nehme ein eiskaltes Wasser. Abgekühlt betrete ich wieder das Zimmer, Phil ist weg. "Kleines, es gibt eine Überraschung für dich, ich weiß nur nicht, ob du dich darüber freust. Jedenfalls werde ich heute Abend auch im Commune sein." Na super! Ich lasse mir nichts anmerken und sage ihm, dass er nur nicht zu viel trinken soll. "Ich bin doch kein Alkoholiker. Oder hast du Angst, ich kann etwas über dich ausplaudern." Das ist wieder eine typische Aussage von ihm. Ich winke nur ab
und setze meine Arbeit fort.
Endlich Mittagspause. Ich seile mich von meinen Kollegen ab, weil ich noch etwas erledigen muss. Was genau, sage ich natürlich nicht. Glücklicherweise habe ich meine Kreditkarte dabei und gehe zu Saks Fith Avenue. Da werde ich sicherlich etwas für heute Abend finden. Ich setze mir ein Limit: Budget für Schuhe und Kleid darf 300 Dollar nicht überschreiten. Ich schaue mir die verschiedenen Etagen an und werde fündig: das bekannte kleine Schwarze und sehr schöne Schuhe dazu. Glücklich nehme und zahle ich die Sachen.
In der Kosmetikabteilung frage ich, ein professionelles Make-up vorbeikommen kann. Dies ist möglich. Zufrieden eile ich ins Büro. Verstecke die Sachen in meinem Schrank. Jetzt sitze ich wieder auf meinem Stuhl. Nach einiger Zeit trudelt auch er mit folgenden Worten ein: "Hast du alles erledigen können. Siehst etwas gestresst aus." Das war wieder charmant. Gestresst sehe ich überhaupt nicht aus. "Es ist alles super verlaufen; danke für dein e Fürsorge." Dies ist vielleicht etwas schnippisch,
aber anders hat er es nicht verdient. Dann setze ich noch eins drauf: "Phil ist doch so anziehend, ich freue mich immer, wenn ich in seiner Begleitung ausgehe." Das hat ihm nicht gefallen, das sehe ich. Er murmelt etwas vor sich hin und verschwindet für einige Zeit. Dann kommt er wieder, telefoniert, geht wieder raus, bringt Unterlagen, Entwürfe und so geht es die nächsten 3 Stunden. Plötzlich trifft mich was am Kopf. "Das tut mir aber Leid, dass dich mein Papierflieger getroffen hat. Früher konnte
ich die besser falten." Er kann mich nicht ärgern, das war eindeutig eine Revanche für mein Gerede über Phil. Dieser kommt gerade rein und bietet uns Muffins an. Ich nehme mir auch einen und will gerade reinbeißen. "Wow, you don't count your calories anymore. In the morning lots of cream and now the muffins." Das konnte nur von einem kommen: Christian, der sich in keinster Weise geändert hat. Ich lasse mich dadurch nicht beirren, lächle Phil an und arbeite weiter.
Kurz vor fünf. Wie bringe ich jetzt die Einkaufstaschen unbemerkt aus dem Büro. Er sitzt immer noch da. "Willst du nicht langsam in dein Hotel gehen, umziehen und so? Um 20 Uhr treffen wir uns im Commune." Er schüttelt nur den Kopf, mehr sagt er zu meiner Frage nicht. Dann eben nicht, ich schalte meinen Computer aus. Hole die Tüten aus dem Schrank und will mich gerade verabschieden. Christian steht schnell auf, geht auf mich zu und zeigt auf meine Tüten: "Kleines, da wird sich Phil aber freuen,
dass du heute Abend ein neues Outfit hast. Scheint was Ernstes zu sein bzw. werden. Ich sehe es heute Abend mit eigenen Augen. Gerne gebe ich dir auch Hilfestellung." Die brauche ich nicht und gebe ihm einen Kuss auf die Wange: "Christian, du bist so lieb zu mir. Wenn ich nicht weiter weiß, dann wende ich mich vertrauensvoll an dich." Schon bin ich mit meinen Tüten weg.
Zügig gehe ich zu Saks Fifth Avenue in die Kosmetikabteilung. Ich bekomme ein schönes Augen-Make-Up, die Finger werden lackiert und der Rest wird noch in Form gebracht. Aus dem Lautsprecher höre ich Musik. Es ist R ". In einer Woche werde ich auch New York verlassen. Bis dahin wird sich herausstellen, ob ich New York mit weinenden oder mit lachenden Augen verlassen werde. Die lachenden Augen können nur dann in Frage kommen, wenn sich zwischen Christian und mir etwas entwickelt, was von Dauer sein wird. Ich
werde es sehen. Auf jeden Fall werde ich alles versuchen, ihm näher zu kommen. Denn es gibt nichts Schöneres als Mr. Right zum Freund zu haben.