Postskriptum - oder das Ende einer Beziehung
Von Gaby Petersen
Gisela stand am Fenster. Lange Züge Luft sog sie ein, klarer, reiner Luft!
Wie oft hatte sie früher an diesem, ihrem Fenster gestanden, am Fenster ihres Kinderzimmers.
Ihres Zimmers in ihrem Elternhaus.
Ach ja - ihr Elternhaus....!
Mittlerweile wohnte nur noch ihre Mutter hier. Giselas Vater war vor vielen Jahren verstorben.
Ein recht stiller Vater, dennoch zeitweise nicht erträglich für sie und ihre Mutter.
Immer wieder mussten die Bedürfnisse von Frau und Kind hinten anstehen, der Vater setzte SEINE Belange durch, egal, was es kostete.
Als ihr Vater starb, war Gisela jung, hatte ihre Ausbildung als Bürokauffrau absolviert und versprach ihrer Mutter, sich noch einige Zeit um sie zu kümmern.....sie also nicht "allein" zu lassen.
Diese Zeit genossen Mutter und Tochter.
Umso schwerer kam die Mutter damit zurecht, als Gisela auszog, um mit ihrem Freund, dem ebenfalls lange allein lebenden Georg, zusammenzuziehen.
Gisela ließ den Kontakt zu ihrer Mutter jedoch nie länger als einige Wochen unterbrechen.
Anfangs schien die Beziehung zwischen Georg und Gisela viel versprechend:
beide hielten viel von Treue, einer gewissen Bequemlichkeit und - von der LIEBE!
Nichts und niemand -so dachten viele - würde jemals dieses Gefühl, diese Liebesbeziehung beenden können!
Es war, als wäre man live dabei: Romeo und Julia im 21. Jahrhundert!
Doch heute, heute würde unser "Romeo", Gisela's Georg, einen Abschiedsbrief von IHR, seiner ehemals großen Liebe, in seinen Händen halten....zitternd vor Schmach und Pein...ja, so stellte sie sich das Szenario vor.
Sollte er büßen für seine Lieblosigkeiten, die sie in der letzten Zeit ertragen musste!
Was war nur geschehen?
Wo war sie hin, die große Liebe?
In Gedanken las sie selbst noch einmal ihren letzten Gruß an Georg, den sie voller Wut und teils selbstzerstörerischem Kleingeist geschrieben hatte:
"Lieber Georg!
Wie Du Deiner näheren Umgebung eventuell entnommen hast, habe ich dich verlassen. Ich wohne jetzt wieder bei Mutti. Sicher sinnierst du über meine früheren Gedanken bezüglich des Ödipus-Komplexes, den DU ja nun wirklich mit einem Elternhaus-Auszugsalter von 45 Jahren wahrhaft mehr als ausgelebt hattest!! Aber keine Angst! ICH werde -trotz Mutti- mein Leben eigenständig gestalten und selbständig Entscheidungen treffen können! Vor allem: ich werde dies OHNE DICH tun!!! Womit ich nun beim Hauptanliegen meines Briefes
an dich wäre: bei DIR!
DU bist KEIN Tierfreund. Falls du die Goldfische aus deinem Aquarium vermissen solltest: ICH habe sie im Gartenteich von Familie Oberhauser frei gelassen. Zum ersten Mal in ihrem Fischleben können die Armen ihre Augen, Kiemen und Flossen benutzen! Die Augen, weil sie endlich freie Sicht über eine Distanz von mehr als 5 Millimetern haben, die Kiemen, weil sie nun weder mit Nitrat, Nitrit, Cadmium oder anderen Schwermetallen auf du - und - du leben müssen! Und schlussendlich können sie ihre Flossen benutzen,
ohne als Sushi, eingewickelt im "Wassertrost", ihr klägliches Leben zu fristen!
DU bist ein einziger Komplett-Ignorant. DU registrierst nicht eine einzige Gefühlsregung deiner Mitmenschen.
Dabei trägst du bereits eine Brille mit 9,5 Dioptrien.... Übrigens: deine Ersatzbrille und deine Sonnenbrille liegen in Familie Oberhauser's Teich nebenan.
Ich bin der festen Überzeugung, dass selbst die Dioptrien dich definitiv NICHT an anderer Menschen Auffassung teilhaben lassen können!
DU würdest ohne einen Mitbewohner deines Appartements weder die Farbe deines Fußbodens noch die Form deiner Badewanne kennen! DU bist ein Messie!! All' deine Socken, welche sämtliche Fußböden dekorativ bedeckten, habe ich aneinander geknotet, von Türgriff zu Türgriff festgebunden und deine - vorher in der Badewanne befindlichen - Unterhosen daran befestigt. Natürlich nicht, ohne vorher den Schritt mittels deiner verrosteten Haushaltsschere chirurgisch zu vergrößern! Solltest du deine lächerlich aussehenden 25
Stück Schweißbänder aus deiner ebenso lächerlichen Tennisphase vermissen: sie befinden sich in Oberhauser's Gartenteich! Ich hoffe, dort entwickeln sie ihre Feuchtigkeitsaufnehmende Wirkung wirklich einmal effektiver als am menschlichen Körper!
DU bist die größte sexuelle Desillusion, die mir jemals begegnet ist. DU desillusionierst im Vor-, im Haupt- und im Nachspiel. Wie oft habe ich mir gedanklich einen Oswald Kolle, eine Beate Uhse oder meinetwegen auch eine Erika Berger rein informativ an deine Seite gewünscht. Die Kamasutra - Videokassette, die ich dir zu deinem letzten Geburtstag geschenkt habe, liegt NICHT in Oberhauser's Teich, - ich habe sie deiner Schwester geschenkt, die ein ebenso unkreatives Exemplar von Mann bei sich zu Hause hat.
Sollte auch sie keinen Erfolg haben, kann sie die Kassette ja immer noch dem hiesigen "Verein für Sphärisch-spirituell-physischen Körpersäfteaustausch" spenden.
DU kannst keine Konversation betreiben. Definitiv NICHT.
Weder die dokumentarische Darstellung der Besteigung des Mount Everest von Onkel Helmut, noch die Offenbarung einiger Kriminalfälle deines Freundes "Ex - Hauptkommissar" Hans-Dieter, ja, selbst Karl's thailändischen Massage - Erfahrungen (!) können dir mehr Worte als "So - so ...", "Ach was!" oder "Erstaunlich!" entlocken! Ich würde es mir anmaßen, dich als pseudo-autistisch zu bezeichnen, wenn nicht sogar komatös..., praktisch nicht ansprechbar! Wozu benötigt ein Mensch
wie du einen Duden oder gar ein Fremdwörterlexikon? Geschweige denn den guten, alten Herrn Knigge?
Alle drei Bücher liegen in Oberhauser's Teich.
DU verschwendest Lebensmittel! Hast du dir in letzter Zeit einmal aufmerksam den Kühlschrank betrachtet?
Nicht von außen, ich weiß, es ist ein Meule - Kühlschrank mit 4 Sternen!!
Nein. Ich meine seine "innersten Werte"! Die Jagdwurst, die du stets gefaltet auf dein Brötchen legst, existierte nicht mehr als einzelne "Jagdwurst"...es lebten mittlerweile KULTUREN anderer Lebewesen AUF ihr!!
Ebenso unappetitlich die Butter: getrocknet und zusammengeklumpt zu einem penetrant ranzig stinkenden Haufen! Und all' das nur, nachdem ich 2 Wochen auf einem Lehrgang war und dich nicht kontrollieren konnte!
Der gesamte, metamorphosierende Inhalt des Kühlschranks befindet sich in Oberhauser's Gartenteich.
Oberhausers sind übrigens für 3 Wochen auf Mallorca, solltest du sie kontaktieren wollen: zwecklos. Herrn Oberhauser's Mutter wird jede Woche einmal das Haus und den Garten inspizieren. Oberhausers haben weder eine Anschrift noch eine Telefonnummer hinterlassen. Lediglich die Oberhauser - Mutter hat die Handynummer. Ihr wurde jedoch strikt verboten, sie an fremde Menschen weiterzugeben - das nur am Rande.
Ich hoffe, dir ist exzeptionell ein Licht aufgegangen und du verstehst, weshalb ich dich verlassen musste. Nie wieder möchte ich dich um einen Gefallen bitten müssen, dessen Sinn oder vorherige Gefühlsbewältigung meinerseits du so überhaupt nicht verstehen würdest!
Unabhängig möchte ich sein, frei und lebensgestalterisch meine "eigene Herrin" - und das in einem Heim, welche nicht im Müll versinkt, welches Mensch und Tier gleichermaßen ein gesundes, durchweg positiv eingerichtetes Dasein ermöglicht!!!
In diesem Sinne: gehab' dich wohl, Georg, auf Nimmerwiedersehen!
Deine Gisela.
P.S.: Vielleicht wäre es doch - eventuell - sinnvoll, die Mutter von Herrn Oberhauser zu kontaktieren.
Sie liebt belgische Sahnetrüffel. Besorge belgische Sahnetrüffel, Georg!
Im Tausch bekommst du dann möglicherweise Zutritt zu Oberhauser's Garten...und zum Teich.
Hole dann bitte die Goldfische da heraus, eventuell zersetzen sich deine Brillen in gefährliche Giftstoffe und du willst doch sicher nicht Schuld am Tod deiner Fische sein!
P.P.S.: Hier die Telefonnummer der Entrümpelungsfirma "Müll - Meier":
08999 - 1221, die Adresse steht ganz vorne auf dem Telefonbuch! ''