Der 1. Mai
Von Heike Krink
Bald war der 1. Mai. Familie Mausig freute sich schon lange darauf. Wie jedes Jahr wollte die Familie eine Radtour machen. Die 4-köpfige Familie, das sind die Eltern Hannelore und Peter und ihre beiden Töchter Susanne und Kerstin. Susanne ist elf und Kerstin ist neun. Dieses Jahr sollte die Radtour nach Westernwiesen gehen. Dort gab es eine tolle Eisdiele.
Am Freitag erzählten sich die Kinder auf dem Schulhof, was sie am 1. Mai machen würden. Susanne erzählte sofort begeistert, dass sie mit ihrer Schwester nach Westernwiesen fahren wird. Darauf sagte ihre reiche Mitschülerin Margarete: "Wie langweilig und uncool. Ich gebe mit den anderen aus unserer Klasse eine Party an unserem Pool." Die anderen Mädchen drehten sich verlegen weg, weil sie auch eingeladen waren und Susanne nicht. "Da haben wir jetzt eine neue Heizung, um das Wasser zu wärmen, Umkleidekabinen
daneben und Duschen. Aber wer macht schon was mit seinen Eltern und dem Schwesterchen?" Susanne hatte es hart getroffen.
Sie war enttäuscht, dass ihre Freundinnen mit Margarete eine Poolparty machten und sie nicht eingeladen war und auch gar nicht hin wollte. Sie packte ihre Sachen und rannte aus Wut und Enttäuschung nach Hause, obwohl erst die zweite Stunde um war.
Dort wunderte sich die Mutter, warum Susanne schon nach Hause gekommen war.
Sie fragte: " Habt ihr heute nicht 5 Stunden? Wieso kommst du denn schon nach der zweiten? Bist du etwa krank?"
An ihre Mutter hatte Susanne gar nicht gedacht. Heute Morgen hatte sie ja frei. Sie stotterte darauf: "Nein. Ich... die anderen Stunden sind ausgefallen... die Lehrer sind krank."
Sie drehte sich um und lief durch den kleinen Flur in ihr Zimmer, das sie mit Kerstin teilte, schloss ab, warf sich aufs Bett und heulte. Sie schluchzte in ihr Kissen: "Die dumme Margarete. Die hat doch keine Ahnung. Nur weil sie reich ist glaubt sie, sie könnte die anderen sich erkaufen. Und warum sind die anderen so blöd und gehen auch noch zu ihrer Poolparty?"
Die Mutter machte sich Sorgen ging ihr nach und rüttelte an der Tür.
"Susanne. Mach auf. Was hast du denn? Wir können doch über alles reden. Bitte mach auf."
"Nein", antwortete Susanne.
Die Mutter versuchte es noch mal. "Susanne. Soll deine Schwester dein Theater etwa auch noch mitkriegen? Mach bitte auf. Dann klären wir dein Problem bevor sie nach Hause kommt."
Das war ein guter Grund und somit öffnete sie die Tür.
"Komm. Wir gehen ins Wohnzimmer und dort reden wir. Möchtest du ein Brötchen? Ich habe gerade gebacken."
Susanne nahm das Angebot gerne an. Die Mutter holte das Brötchen und setzte sich nehmen sie auf die Couch.
"Dann erzähl mal", forderte die Mutter sie auf.
Susanne atmete tief durch und begann: "Die ganze Klasse ist bei Margarete am 1. Mai zur Poolparty eingeladen. Ich nicht. Ich will auch gar nicht. Das Schlimmste ist: Sie hat heute vor allen behauptet eine Radtour mit der Familie sei uncool und langweilig. Ihre Poolparty sei natürlich viel besser, meinte sie."
"Ach, du meine Güte. Ich kann dich gut verstehen. Es ist ja auch nicht einfach, Margarete leiden zu können. Es ist ja klar, dass sie dich nicht mag und du magst sie auch nicht. Wir Eltern können uns auch nicht leiden, das weißt du ja. Herr Runemann und Papa sind echte Feinde. Er hat Papa nicht den Job in der Firma gegeben, obwohl Papa viel besser war als der andere Bewerber. Somit kam es, dass er woanders einen einfacheren Job annehmen musste, wo er längst nicht, so viel Geld verdient. Daher wohnen wir auch
in dieser kleinen Wohnung. Aber das Wichtigste ist, dass wir uns gut verstehen. Zu deiner Radtour: komm mit uns mit. Du hast dich so darauf gefreut. Lass es dir egal sein, was die anderen Kinder denken. Wir werden bestimmt eine Menge Spaß haben. Will denn deine beste Freundin Andrea auch zu der Party?"
"Ja."
"Bitte sei jetzt nicht traurig Susanne. Vielleicht ändert sich ihre Meinung ja noch." Die Mutter stand auf und wollte in den Flur gehen.
"Mama? Ich will nicht zur Schule zurück. Dann lachen mich alle aus, weil ich wegen Margarete weggelaufen bin."
Die Mutter hatte eine Idee. "Eigentlich geht das ja nicht. Aber unter diesen Umständen schreibe ich dir eine Entschuldigung. Aber nur das eine Mal."
"Danke Mama. Du bist die Beste", antwortete Susanne erleichtert.
Nun hatten die Mutter und Susanne ein kleines Geheimnis.
Am Nachmittag klingelte es. Da die Eltern arbeiten waren und Kerstin bei einer Freundin war, öffnete Susanne die Tür. Es war Andrea. Sie sah sehr verlegen aus. Susanne staunte. Schnell sagte sie: "Komm rein."
Andrea fasste sich zusammen und sagte: " Ich wollte dir die Hausaufgaben bringen." Der Funken Hoffnung, dass Andrea sich entschuldigen wollte, verflog bei Susanne. Sie wirkt enttäuscht und antwortete: "Ja, danke. Ich schreibe sie mir schnell auf."
Sie holte Zettel und Stift und setzte sich mit Andrea an den Küchentisch.
Nachdem Andrea ihr die Hausaufgaben gesagt hatte, sagte sie: "Du, Susanne, es tut mir leid, dass ich auch zu der Party wollte. Sie lud uns beim Ballett ein." Sie stockte.
Susanne dachte: "Hatte sie da ‚wollte' gesagt?" Aber mit dem Ballett, das war ja klar. Susanne konnte keine Ballettstunden nehmen, weil sie zu teuer waren. Genau da hatte Margarete alle eingeladen.
Andrea fuhr fort: "Nach dem Vorfall auf dem Schulhof habe ich ihr abgesagt, dass ich es total gemein von ihr fand. Ähm... verzeihst du mir?"
Susanne antwortete großzügig: " Schon okay."
"Ähm... ich wollte dich außerdem noch fragen, ob ich bei euch vielleicht mitfahren könnte am 1. Mai? Aber nur wenn du willst."
Der Vorschlag gefiel Susanne natürlich und sie antwortete freudig: "Ja, gerne. Wir fahren nach Westernwiesen in die Eisdiele. Da ist das Eis total lecker. Das wäre echt toll, wenn du mitkommst. Will deine Familie nicht auch mitkommen? Dann machen wir eine große Radtour. Vielleicht mit Picknick?"
"Klasse. Ich frage mal zu Hause nach. Ich muss jetzt los. Wir fahren gleich zu meiner Oma."
Andrea's Eltern und Geschwister waren einverstanden. Am Morgen des 1. Mai trafen sich die beiden Familien und machten die schönste und längste Radtour mit Picknick und allem drum und dran. Sie hatten viel Spaß und es wurde viel gelacht. Als sie am Abend erschöpft und zufrieden zu Hause ankamen waren sich Susanne und Andrea einig, dass eine Radtour mit der Familie tausend mal besser ist als eine langweilige Poolparty.