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Baumtanz - Der Todestango
Von Britta Dubber
Bedrohlich wippten die Äste im aufkommenden Wind hin und her, schnitten unsichtbare Striemen in die Luft. Die herabfallenden Blätter, die wie Blutstropfen geräuschlos zu Boden fielen, wirkten wie unheilvolle Vorboten.
Immer heftiger schienen sich die fast kahlen Äste aus der Befreiung des Baumes winden zu wollen, immer aggressiver werdend schien ihm der Wind dabei helfen zu wollen.
Kendra wandte den Blick vom Fenster ab. Mit um ihren Körper umschlungenen Armen ging sie
bis zur Hälfte des Raumes, hielt kurz inne, löste dann ihre Arme vom Körper und ging zielstrebig zu ihrem Wohnzimmerschrank.
Hatte sie noch Kerzen? Sie benutze keine- obwohl sie Kerzenschein romantisch fand-, aus Angst sie umzustoßen und damit einen Wohnungsbrand zu verursachen.
Aber der Himmel draußen wurde immer dunkler und im Wetterbericht hatten sie für den Abend eine Sturmwarnung heraus gegeben. Was war, wenn der Strom ausfiele? Sie hatte panische Angst im Dunkeln.
Sie hatte aber auch panische Angst davor, bei Kerzenschein einzuschlafen und somit einen Wohnungsbrand auszulösen.
Sie fand in der untersten Schublade eine Taschenlampe - allerdings ohne Batterien.
Sie brauchte gar nicht zu suchen, sie wusste dass sie keine Batterien da hatte. Sie wusste nicht mehr genau den Grund, aber irgendwann hatte sie mal einen Artikel über Batterien gelesen und seitdem mochte sie diese Dinger nicht mehr im Haus haben. Was hatte da noch drin gestanden?
Sie konnte sich nicht mehr erinnern. Irgendetwas von Giften musste da wohl drin gestanden haben, denn Gifte ängstigten sie nach der Dunkelheit am Meisten.
In der hintersten Ecke des Schrankes fand sie zwei Teelichter. Sie nahm sie heraus und stellte sie auf den kleinen Couchtisch. Sekunden später nahm sie sie wieder herunter. Der Tisch konnte zu leicht umgestoßen werden. Wenn man stolperte und gegen die Tischkante stieß, fiel er um.
Das war ihr vor drei Jahren beim Staubsaugen passiert. Sie erinnerte sich noch genau. Es war ein Tag nach ihrem einundzwanzigsten Geburtstag gewesen. Sie hatte einen ganzen Tag lang gebraucht, um die Wohnung nach der Geburtstagsparty wieder in einen bewohnbaren Zustand zu bringen.
Sie stellte die Teelichter stattdessen auf die Fensterbank. Doch standen sie da nicht zu dicht an der Gardine? Wenn sie die Balkontür aufmachen würde und ein Windstoß käme, könnte sich die Gardine entzünden.
Kendra warf einen besorgten Blick durch das Fenster. Es hatte angefangen zu regnen und sie meinte in der Ferne ein Donnergrollen vernommen zu haben.
Sie ließ ihren Blick langsam durch den Raum schweifen. Wo war ein guter und vor allem sicherer Platz für die Teelichter? Ihr Blick fiel auf das Bücherregal über dem Fernseher. Sie ging hin, nahm die vier Bücher weg und stellte dort die Teelichter hin.
Wohl war ihr nicht dabei, denn ihr kam der Gedanke, dass sich eine Schraube lösen und das Regal mitsamt brennender Teelichter herunterfallen könnte, doch ein greller Blitz, den sie aus den Augenwinkel wahrnahm, ließ sie innehalten.
Sie musste die Stecker vom Fernseher und Videorekorder herausziehen. Das tat sie immer bei Gewitter.
Der Regen hatte stark zugenommen und die Äste der Bäume auf der gegenüberliegenden Straßenseite tanzten wild und wirkten auf Kendra wie bedrohliche Ungetüme, die ihre Arme nach ihr ausstreckten und nach ihr griffen.
Schnell ließ sie die Jalousien herunter. Der Blick nach draußen machte ihr Angst.
Sie wollte am liebsten eine Freundin anrufen, aber das Gewitter kam näher, die Abstände zwischen Blitz und Donner wurden kürzer und sie wusste, es war gefährlich während eines Gewitters zu telefonieren.
Kendra zog sich eine Strickjacke, sie hatte zu frösteln begonnen, was weniger an der Zimmertemperatur lag, als an ihren Angst machenden Gedanken, die sie immer bekam, so wie sie ihren Blick nach draußen richtete.
Sie ließ sich auf die Ledercouch fallen, drückte sich ein Kissen wie ein Schutzschild an den Bauch und starrte an die Zimmerdecke. Und plötzlich fiel es ihr siedend heiß ein:
Sie hatte weder ein Feuerzeug noch Streichhölzer bei sich. Sie sprang vom Sofa auf, rannte fast in die Küche und durchsuchte dort alle Schubladen und Schränke. Als Marc noch bei ihr gewohnt hatte, hatten überall in der Wohnung Feuerzeuge rumgelegen. Er war Raucher, eines der wenigen Eigenschaften, die sie an ihm nicht gemocht hatte.
Sie wollte die Suche schon aufgeben, als sie ein rotes Einwegfeuerzeug fand. Sie testete es, doch es war leer.
Dann fiel ihr ein, dass noch ein paar Sachen von ihm in der Abstellkammer waren.
Sie ging den Flur hinunter und öffnete die kleine fensterlose Kammer, in der ein heilloses Durcheinander herrschte.
Auf dem Boden rechts waren noch einige Kartons mit Klamotten die sie aussortiert hatte und schon längst der Kleiderkammer hatte geben wollen, darüber standen zwei Kartons mit Schuhen, die sie nicht mehr trug. Weiter hinten waren Seine Sachen.
Sie bahnte sich einen Weg durch das Chaos und zog einen Karton mit der Aufschrift Marc heraus.
Als sie ihn öffnete stieß auf seine dunkelblaue Trainingsjacke, die er immer Freitagabend getragen hatte, wenn er vom Sport nach Hause gekommen war.
Sie mochte die Jacke besonders an ihm leiden, weil sie seine tiefblauen Augen betonte.
Sie nahm die Jacke heraus und roch daran. Doch die Jacke roch nicht mehr nach ihm, sondern sie hatte den vermoderten Geruch der Kammer angenommen.
Sie fasste in die Jackentasche und fand ein Paket Streichhölzer, dann ließ sie die Jacke langsam wider in den Karton gleiten.
Was Marc wohl jetzt machte?
Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Es war zwanzig Uhr. Freitagabend.
Er war jetzt wahrscheinlich auf dem Weg von der Sporthalle nach Hause. Dort wo seine neue Freundin bereits auf ihn wartete.
Sie kannte sie. Es war ihre ehemals beste Freundin.
Welche Trainingsjacke er wohl jetzt trug?
Er hatte die Sachen schon längst abholen wollen, doch sie hatte immer eine Ausrede gefunden, um dies zu verhindern. Sie wollte das letzte Treffen so lange wie möglich hinauszögern. Sie wusste, dass es dumm war, dass es nichts brachte, aber sie vermisste ihn so sehr, dass sie sich an dieses Treffen klammerte, auch wenn sie es immer wieder aufschob.
Wenn er seine Sachen abgeholt hatte, hatte er keinen Grund mehr sie zu treffen.
Ohne zu überlegen, nahm sie die Trainingsjacke wieder aus dem Karton, dann schloss sie die Kammer und ging ins Wohnzimmer. Sie war fühlte sich plötzlich wie ausgelaugt.
Sie legte sich auf die Couch, Marcs Jacke in Händen, schlief sie kurz darauf ein und versank in wirre Träume.
Das Unwetter, die umstürzenden Bäume in ihrer Straße, den Stromausfall, all das bekam sie nicht mit.
Als sie aufwachte, war es heller Morgen und die Vögle zwitscherten. Kendra fühlte sich so erholt wie lange nicht mehr. Ohne einen Blick nach draußen zu werfen, ging sie in die Küche, um Kaffe aufzusetzen. Plötzlich klingelte das Telefon.
Verwundert, wer zu so früher Stunde anrief, hob sie den Hörer ab. Ihre Verwunderung steigerte sich, als sie erfuhr, dass Janna, ihre ehemals beste Freundin und Marcs neue Flamme am Telefon war, mit der sie seit Wochen kein Wort mehr geredet hatte.
Ihre folgenden Worte, ließen Kendra fast erstarren.
Marc war tot. Er war nach dem Sport auf dem Weg zu Kendra gewesen, um endlich seine Trainingsjacke- seine Glücksjacke- wie er sie nannte, abzuholen, als er in ihrer Straße von einem umfallenden Baum erschlagen worden war.
Wie in Trance trat Kendra ans Fenster und schob die Jalousien beiseite.
Der Baum, der gestern Abend seine Äste so bedrohlich nach ihr ausgestreckt hatte, war weg.
Nur noch der Baumstamm war zu sehen, ragte wie ein übergroßer Pilz aus dem Boden.
Er hatte sie nicht bekommen, aber er hatte ihr das Liebste genommen.