Der Nana
© Hildegard Sieffert
Isa war der Sohn des Nanas, des Häuptlings eines kleinen Dorfes in Ghana, nahe der Grenze zur Elfenbeinküste. Sein Vater war stolz auf ihn, denn er hatte die modernste Geflügelfarm weit und breit aufgebaut: 350 000 Tiere, Lieferung der Eier von der Elfenbeinküste bis nach Ghana und Burkina Faso. Ich hatte Isa geholfen, 2 gebrauchte LKW, einen Kleinbus und die Futtermühle, die er dringend brauchte, um das Futter für seine Hühner selbst herstellen zu können, in Deutschland zu besorgen und zu verschiffen. Isa hatte
dem Nana von mir erzählt, und nun wollte er mich kennen lernen.
Ich war erst kurze Zeit in Ghana, hatte mich noch nicht ans Klima und an die andere Lebensweise gewöhnt. Zuhause hatte ich mich intensiv mit der Kultur der Akan beschäftigt, sogar einige Worte ihrer Sprache hatte ich gelernt, trotzdem fühlte ich mich fremd! Die Menschen waren freundlich, offen und lachten gern und viel. Aber ich war es nicht gewohnt, dass sich sogar die alten Frauen und Männer bei der Begrüßung vor mir verneigten. Sie umfassten beim Handschlag mit der linken Hand das Handgelenk der rechten, um
mir Respekt zu zollen. Sie wichen meinem Blick aus, schauten mir nicht in die Augen und senkten ihren Blick; nicht, weil sie verschlagen waren oder etwas zu verbergen hatten, sondern weil man einem respektierten Menschen nicht respektlos in die Augen sehen sollte. Hier erlebte ich eine Gemeinschaft, die sich nach strengen Regeln einer alten Konvention verhielt, nach Regeln, die mir nicht vertraut waren. Ich hatte Sorge, mich falsch zu verhalten und damit diese freundlichen Menschen zu verprellen. Ich wusste noch
nicht, dass ich als Weiße einen Bonus hatte, ähnlich den kleinen Kindern, die ja auch nicht immer wussten, wie man sich richtig verhielt.
Der Nana schickte einen Boten. Der machte sich zu Fuß auf den weiten Weg nach Dormaa Ahenkro. Hier war ich im Haus der Mutter meiner Freundin untergekommen. Sollte ich die Einladung des alten Mannes annehmen? Ich war neugierig, ärgerte mich aber, dass diese Einladung fast einem Befehl gleichkam. Für die Familie meiner Freundin gab es keine Frage, ich musste gehen. Schließlich war der alte Mann ein Nana, ein Häuptling, ein Chief! Auch wenn er nur Nana eines kleinen Dorfes war: Er hatte gesagt, dass er mich sehen
wolle, also hatte ich die Pflicht zu gehen.
Am nächsten Morgen wachte ich auf von den Geräuschen, die mich jeden Morgen weckten: das Krähen der Hähne und das schrappende Geräusch des Handbesen, der über den Beton des Compound, des Innenhofes, fegte. Es war erst 6 Uhr, trotzdem hörte ich auch das rhythmische Schlagen der riesigen Holzmörser, in denen Fufu zubereitet wurde, das zusammen mit einer würzigen Soße zu fast jeder Mahlzeit gegessen wurde. Dass ich als Europäerin Brot zum Frühstück aß, war seltsam und sehr exotisch.
In der gemauerten Dusche auf dem Innenhof wartete der Eimer Wasser, den das Mädchen für meine Morgentoilette aus dem Brunnen geholt hatte. Auch das Frühstück war schon bereitet: Ein kleiner Tisch, gedeckt mit weißem, leicht süßem Brot, Margarine und gekochten Eiern, dazu Tee, alles abgedeckt mit einem dünnen, weißen, frisch gewaschenen und gebügelten Tuch, damit nicht etwa eine Fliege sich auf mein Morgenmahl setzte. Es war kein Zeichen von Unfreundlichkeit, dass ich meine Mahlzeiten allein einnehmen sollte,
hier wurde das Essen nicht als Gelegenheit zum Treffen mit der Familie oder Freunden genutzt. Geredet wurde nicht beim Essen, sondern wenn man zusammen arbeitete oder wenn man gemütlich am Abend zusammen saß. Dann hatte man Zeit füreinander, lachte miteinander, rief sich Scherzworte zu und diskutierte Probleme, wobei jeder seine Gedanken in aller Ausführlichkeit darlegen konnte. Es galt als ausgesprochen unhöfliches Benehmen, einem anderen ins Wort zu fallen und ihn zu unterbrechen, und das Wort eines ungehobelten
Klotzes galt nicht viel.
Die Sonne hatte noch nicht ihre volle Kraft gewonnen, da saß ich schon im Auto und wurde über Straßen, die ungeteert und ausgewaschen die rote Erde Afrikas zeigten, zu ihm gefahren. Rechts und links streifte das Buschgras die Autotüren, noch saftig grün, aber schon von der Höhe eines 10-jährigen Kindes. Andere Autos gab es kaum, aber viele Menschen waren trotz des frühen Morgens schon zu Fuß unterwegs: Kinder mit Päckchen aus Büchern und Heften unter dem Arm, in der braun-beigen Schooluniform auf dem Weg zur
Schule, Familien auf dem Weg zu ihren Farmen im Busch, beladen mit Werkzeug und blauen Kanistern für Wasser, Frauen mit Tabletts voller Waren auf dem Kopf, die sie auf dem Markt in der Stadt verkaufen wollten.
Der Nana empfing mich in seinem Haus, das keine Ähnlichkeit hatte mit einem Palast. Aber wie ich mir eine Eingeborenenhütte vorstellte, sah es auch nicht aus: Es war ein Haus, gedeckt mir grau-rotem Wellblech, gebaut aus Schichten roten Lehms um einen Innenhof, der befestigt war mit Beton und umgeben von Vordächern, unter denen man geschützt vor der Sonne und dem Regen sitzen und reden konnte.
Dort traf ich ihn. Er trug eine beige Hose, dazu ein T-Shirt und eine Jeansjacke, alles alt und abgetragen, aber sauber. Die krausen, drahtigen Haare waren schneeweiß und kontrastierten mit seiner dunklen Hautfarbe. Er strahlte Würde aus. Sein Gesicht war zerfurcht und faltig und zeigte sein Alter. Seine Augen aber waren voller Leben und die Fragen, die er mir stellte, zeigten großes Interesse. Er hatte nie eine Schule besucht, er hatte nie Schreiben und Lesen gelernt. Auch eine gemeinsame Sprache hatten wir
nicht, so dass einer der jungen Männer, der Englisch in der Schule gelernt hatte, für uns übersetzten musste.
An diesem Tag redete ich lange mit ihm. Ich wurde von dem alten Mann ausgefragt, trotz seines Alters war er neugierig und wissbegierig: begierig zu wissen. Viele Fragen hatte er zum Leben in Europa, Fragen die zeigten, dass er oft schon Gespräche geführt hatte mit den jungen Menschen, die aus seinem Dorf den weiten Weg nach Europa gegangen waren und verändert wiederkehrten.
Nun wollte er von mir wissen: Wie lebt man in deinem Land? Wie können die alten Menschen dort allein überleben, ohne ständige Hilfe der Jungen? Für ihn war es schwer zu verstehen: Alte Menschen, die allein in ihrer Wohnung lebten, ohne ihre Kinder und Enkelkinder. Hier sah ich, dass der Enkel bei der Oma schlief, damit er im Notfall Hilfe holen konnte. Stimmte es, dass in meiner Heimat Menschen für Tage tot in der Wohnung lagen, ohne dass es jemandem auffiel? Unfassbar! Und wie konnten denn alte Menschen den
weiten Weg zum Markt bewältigen, ohne Hilfe? Einen Supermarkt oder ein Kaufhaus, wo man unter einem Dach alles bekam, was man brauchte, diese Vorstellung war für ihn merkwürdig und ungewohnt.
Höchst verwirrend war für ihn auch etwas Anderes: Warum wollen die Deutschen so sehr, dass ihre Töchter Afrikaner heiraten? Anders konnte er sich nicht erklären, dass dies der einzige Weg für einen jungen Mann war, in Deutschland geduldet zu werden, leben und arbeiten zu können.
Ich berichtete ihm vom Leben in meiner Heimat, rückte falsche Vorstellungen so gut es ging zurecht und erfuhr von ihm sehr viel vom Leben hier in Ghana.
Wir sprachen über die Kinder, die überall zu sehen waren, lebhaft, oft laut und sehr lebendig, mit Rückgrat, aber immer voll liebevollem Respekt gegen die Älteren. Sie waren so ganz anders als die Kinder in Deutschland. Woher kam dieser Respekt, der nichts mit Demut oder Unterwürfigkeit zu tun hatte? "Wenn du möchtest, dass dich ein Mensch respektiert, dann musst du zuerst diesen Menschen respektieren", war seine Antwort.
Lange saßen wir im Innenhof, hörten den Wind in den Palmen und die Menschen in dem Dorf. Leise dudelte ein einzelnes Radio Highlife-music, diese aus den alten Rhythmen geborene Popmusik des Landes. Wir saßen und redeten, aßen zusammen und ich fühlte mich hier wohl, in dem kleinen Dorf im tiefen Busch nahe der Grenze zur Elfenbeinküste.
Am frühen Nachmittag brach ich auf, um rechtzeitig wieder in Dormaa Ahenkro zu sein. Die Dämmerung geht hier plötzlich in tiefe Nacht über, Straßenbeleuchtung gibt es nicht und nicht jedes Fahrzeug hat Scheinwerfer. Eine Fahrt durch die Nacht ist gefährlich.
Der nächste Tag war voller neuer Eindrücke. Ich aß von den kleinen süßen Bananen und trank das Wasser der frischen Kokosnuss, die für mich vom Baum geschlagen wurde. Ich kostete von dem weichen, saftigen und ein wenig schleimigen Fruchtfleisch der Kakaofrucht, das durch sein säuerlich-feines Aroma überraschte. Die Kakaobohnen lagen eingebettet darin, getrocknet und fermentiert wurden sie nach Europa geschickt, um Kakao oder Schokolade zu werden.
Auf dem Markt der Stadt genoss ich das Treiben und konnte mich an den Farben nicht satt sehen. Auf wackeligen Tischen waren Pyramiden aus Früchten aufgebaut: Orangen, Grapefruit, Ananas und Papayas, Tomaten und vieles mehr. Getrocknete rote Pfefferschoten und das daraus gemahlene Pulver konnte ebenso erstanden werden wie Maggiwürfel, die, anders als bei uns, mit Krabben aromatisiert waren und einzeln verpackt und zu zehnt in Plastiktütchen gezählt, verkauft wurden. Eine ganze Gasse war reserviert für den Verkauf
von Fisch: Aufgehäuft lagen unzählige kleine, getrocknete Fische dort, daneben geräucherte und gesalzene, nur frischen Fisch konnte man nicht kaufen; er wäre so weit vom Meer ohne Kühlung schnell verdorben. In der Mitte des Marktes war das Haus der Fleischverkäufer. Die Eingangstüre war so angebracht, dass sie nach dem Öffnen wieder ins Schloss fiel. Alle Fenster waren sorgfältig mit Fliegengitter versehen, so konnte sich keine Fliege auf das Fleisch setzen.
Bei einem Markthändler entdeckte ich einen Tauchsieder, den ich gerne für die Zubereitung meines morgendlichen Tees haben wollte. Wir feilschten um den Preis und er gewann, weil sein Argument nicht zu schlagen war: "Dieser Tauchsieder ist teuer, aber schließlich kommt er nicht aus Hongkong, sondern er ist solide Qualität - aus Nigeria!"
Ein wenig müde machte ich mich auf den Rückweg. Vor dem Haus der Mutter meiner Freundin stand ein Mercedes. In diesem noblen Fahrzeug saß er, der Nana, gekleidet mit dem lang wallenden Gewand, das den Männern in Westafrika so gut steht. Hoheitsvoll sah er aus. Er wurde begleitet von seinem Fahrer und von einem älteren Mann, der stolz einen geschnitzten Stab als Zeichen seines Amtes in seinen Händen trug: es war der Interpreter, der Sprecher des Nana.
Ich dachte, dass der Nana gekommen sei, um die Mutter meiner Freundin zu besuchen. Sie war eine wichtige Person, stammte sie doch aus der Familie der Queen, der Königin von Dormaa Ahenkro. Aber ich irrte, er kam zu mir!
Wir setzten uns in den Hof, er bekam das Wasser gereicht, das jedem willkommenen Gast zustand, ehe man ihn nach Familie und Gesundheit fragte. Ich war verwirrt, geschmeichelt, ratlos. Warum kam er? Warum besuchte er mich? "Nun", sagte er, "du hast mir die Ehre deines Besuches erwiesen, also erweise ich dir heute die Ehre meines Besuches. So ist es Tradition, und so ist es gut!" Ich war fassungslos. Er kam also den ganzen Weg von seinem Dorf, mit Fahrer und Interpreter, sorgfältig gekleidet
und zurechtgemacht, um meinen Besuch bei ihm zu erwidern! Fast schämte ich mich, dass ich über seine Einladung verärgert gewesen war.
Das Leben floss hier in einem eigenen Rhythmus; langsam, fast träge, wie ein kraftvoller Strom verging die Zeit. Ich sah, roch, fühlte mit allen Sinnen: Afrika. Alles war anders als daheim.
Ich wollte Isa besuchen, seine Geflügelfarm sehen und seine Familie kennen lernen. Da ich kein Visum für die Elfenbeinküste hatte, konnte ich nicht den großen Grenzübergang nahe Dormaa Ahenkro benutzen, sondern wurde zu einem kleineren gebracht, der nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar war. Kinder hatten sich gezankt, wer die Ehre haben durfte, meine Handtasche oder die Aktentasche meiner Begleitung stolz auf dem Kopf vor uns her zu tragen. Es war ein schöner Marsch, die Sonne schien nicht zu heiß und der
Weg war, durch den Regen in der vergangenen Nacht angefeuchtet, nicht zu staubig. Ab und zu wurden wir überholt von Fahrrädern mit Lasten auf dem Gepäckträger. Vor uns verschwanden sie plötzlich vom Weg in den Busch, um hinter der Grenze wieder aufzutauchen. Meine Begleiter und ich brauchten den Weg trotz des fehlenden Visums nicht zu verlassen. Wir sagten den Beamten an der Grenze nur, dass wir Verwandte auf der anderen Seite besuchen wollten, das genügte. Im ersten Dorf hinter der Grenze holte uns Isa ab und
brachte uns nach Agnibilékro.
Er hatte dort ein Haus und seine Farm, eine Geflügelfarm im europäischen Stil mit vielen tausend Hennen. Sein Haus bestand aus vier einzelnen, gut ausgestatteten Häusern, gebaut um einen großzügigen Innenhof. Es gab sogar den Luxus von Duschen, die heißes Wasser spendeten. Eines der Häuser bewohnte Isa selbst, in den anderen wohnten seine drei Frauen und 23 Kinder. Hier lernte ich den Geschäftsmann Isa als liebevollen Vater und etwas genervten Ehemann kennen.
Isa erzählte von seinem Vater: "Ich hatte ihm angeboten, zu Hause zu bleiben und mir zu erlauben, für ihn zu sorgen. Warum sollte er weiter so schwer auf dem Feld arbeiten? Ich habe mehr als genug, um ihn bis zum Ende seines Lebens zu ernähren und alle seine Kosten zu übernehmen! Aber er sagte nur, er hätte sein Leben lang gearbeitet, warum sollte er jetzt damit aufhören? Wenn ich wirklich etwas Gutes für ihn tun wolle, dann solle ich ihm ein Mofa schenken, damit er bequemer zu seinem Feld kommen kann. Auf
dem Rückweg trafen wir den Nana. Er war mit seinem Mofa auf dem Heimweg. Er trug Arbeitskleidung. Müde war er, verschwitzt und dreckig. Trotzdem wirkte er nicht niedergedrückt. Seine Augen waren immer noch dunkel-strahlend und blitzten in seinem staubig-grauen Gesicht.
Es war schon fast Zeit, an die Rückreise nach Deutschland zu denken, als ich auf ein Fest eingeladen wurde. Der Platz in der Mitte des Dorfes war sauber gefegt, rings herum waren aus Bambus und frischen grünen Palmblättern Schatten spendende Dächer aufgeschlagen worden. Darunter saßen auf herbeigeholten Bänken und Sesseln die Honoratioren; auf der einen Seite die Männer, auf der anderen die Frauen. Daneben waren Teppiche ausgelegt, auf denen sich die jungen Leute im Schatten niederlassen konnten.
Ich stand etwas abseits, als ein junger Mann auf mich zukam. Er trug einen eleganten Anzug und hatte sein dichtes, krauses Haar, wie es gerade modern war, in eine eckige Form scheren lassen. Die Art, wie er mich ansprach, war auf unangenehme Weise distanzlos: "Woher kommst du? Wie heißt du? Du bist alleine hier? Weißt du, dass du wunderschön bist?" Er lebte in Stuttgart und war nur für ein paar Wochen zu Besuch nach Hause gekommen. Nun begegnete er mir, einer Obruni, einer Weißen, die allein unterwegs
war. Er verhielt sich so anders als die anderen jungen Männer; er verhielt sich so, wie er es in Deutschland gelernt hatte. Mir war seine Art unangenehm, und um ihn loszuwerden, sagte ich: "Wir können uns gleich weiter unterhalten, aber erst muss ich einen Bekannten begrüßen!"
Auf der anderen Seite des Platzes hatte ich den Nana inmitten der alten Männer entdeckt. Er war bekleidet mit einem Gewand aus kostbarem, blau-schimmerndem Stoff, bedeckt mit Stickereien. Auf seinem Kopf trug er eine Kappe aus dem gleichen Stoff. Eine Kette aus getriebenem Gold hing um seinen Hals und seine Sandalen, die nach Landesart mit einem Riemen zwischen den Zehen getragen wurden, waren mit Gold verziert. Er sah königlich aus! Genau wie bei den Begegnungen zuvor begrüßte er mich freundlich, wir wechselten
einige Worte und Scherze und lachten zusammen. Dann verließ ich ihn, um die jungen Frauen zu grüßen, die etwas abseits in großen Aluminium-Kesseln über offenem Feuer die Suppen und Soßen für das Fest kochten. Dort sprach mich der junge Mann erneut an: "Du kennst ihn?" Sein Verhalten mir gegenüber hatte sich geändert, war vorsichtiger, respektvoller geworden - nur, weil ich den Nana kannte.
Mein Aufenthalt in Ghana ging zu Ende. Zu Hause wartete meine Familie, mein Heim, mein Leben. Ich war traurig, dass ich gehen musste, aber ich nahm so viel mit. Die reichen Eindrücke, die Sonne und die manchmal drückende Schwüle, die Geräusche einer Tropennacht haben sich mir eingeprägt. Die Farben leuchten in mir nach: das Grün der Pflanzen und Bäume, das Rotbraun der Erde und des Staubes, das Ocker der Lehmhäuser, das Grau des Betons im Compound und das tiefdunkel glänzende, schimmernde Braun der Haut der Menschen;
der Menschen, die mich teilnehmen ließen an ihrem Leben, nicht nur als geduldete Besucherin, sondern als willkommener Gast, als Freund. Ich habe gelernt von ihnen und von ihrer Lebensweise, anders als die meine und trotzdem so passend; sie lebten ja hier in Afrika und nicht, wie ich, in Europa. Hier hatte ich erfahren, dass jeder Mensch anders ist, einzigartig, jeder seine Wurzeln und Erfahrungen hat, sich damit von jedem anderen unterscheidet, trotzdem aber auf seine ihm eigene Art wertvoll ist. Ich habe mit
ihrer Hilfe viel gelernt.
Ich kam, um dem Nana Lebewohl zu sagen. Wir saßen ein letztes Mal im Innenhof zum Gespräch zusammen. Sein Abschiedswort klingt noch immer in mir nach: "Du und ich, wir haben nicht die gleiche Religion, aber wir haben den gleichen Gott. Zu ihm bete ich, dass du gesund nach Hause kommst und dass du eines Tages zu uns zurück findest!"
Irgendwann, eines Tages, werde ich noch einmal nach Ghana reisen und all die Menschen besuchen, die mir Freunde geworden sind.
Er wird dann nicht mehr da sein, denn kurze Zeit nach meiner Heimkehr erfuhr ich, dass er gestorben war.
Eingereicht am 22. August 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.
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