Ängste und Ahnungen
© Thomas Schafferer
Ich sitze am Balkon meiner Wohnung in Innsbruck. Die Sonne scheint. Doch ein gleich bleibender Trommelregen zieht herüber über die Straße. Im Garten des Integrationshauses wird getrommelt, hinter dem Gebüsch werden Gorong, Djembé und Sabar geschlagen wie im Busch. Rhythmisch und kraftvoll. Afrika bildet sich ab vor meinen Augen und die Gedanken kommen wieder, dass ich niemals dorthin fahren werde, niemals. Woran liegt es, dass ich so große Angst vor jenem Kontinent habe, vor dem urtümlichen Leben dort? Waren
es die dokumentarischen, die spielfilmischen Bilder, die mich seit jeher verängstigten? Mich wilde Tiere, Eingeborene und Krankheiten, Angst und Schrecken fürchten ließen? Waren es die Johnny-Weissmüller-Schreie, sein Kampf mit dem Krokodil, seine tarzanesken Sprünge von Baum zu Baum auf der Flucht vor den Kannibalen in schwarzweiß? Waren es die kopfabschlagenden Bürgerkrieger Ruandas, die die tausenden Leichen in die Flüsse und Seen warfen? Waren es die Überfälle und Vergewaltigungen in Johannisburg, das Fahren
mit verschlossenen Autotüren und Gedanken an die Familie meines Großonkels Heinz, der dort lebt? Waren es die Kolonialherren, die Afrika ausbeuteten, versklavten, sich empor hievten durch die Energien der Unterdrückten und sie wegwarfen, missbraucht bis die fünfte Welt erschaffen war? Oder war es, weil vor gar nicht allzu langer Zeit einer starb, den ich kannte, einer der Missionar war, einer der heutzutage Missionar war in Afrika. War dies die Bestätigung meiner Ängste, lehrte mich das das Fürchten, brachte
mich das zum unumstößlichen Endschluss Afrika zu meiden, für immer und ewig?
Ich kannte ihn eigentlich nicht gut, nur vom Sehen, wie man sagt. Im Umfeld der katholischen Jungschar und des Jugendheimes arbeitete er mit. Ich kannte seine Schwester, gemeinsam wurden wir gefirmt. Er besuchte die Klasse über der meiner Schwester, die vier Jahre jünger ist als ich. Ich kannte ihn kaum, vielleicht spielte ich einmal gegen ihn oder mit ihm Fußball, als ich damals manchmal an einem Montagabend am Schotterplatz im Dorf mit den Jungs des Jugendheimes kickte. Ich kannte ihn beiläufig, wie man Menschen
eben kennt, die im selben Dorf wohnen und denen man immer wieder im Laufe der Zeit begegnet. Ich kannte ihn und seine Familie, doch nur ein wenig. Man kennt sich und die Menschen, die in einem Dorf leben, wenn jene Menschen nicht nur in ihren Häusern sitzen, sich hin und wieder einmal hinausbewegen, hinaustrauen. Dann kennt man sich und man weiß ganz genau, wer aus dem Dorf kommt und wer hier wohnt. Zumindest war dies damals so, als ich noch dort gewohnt habe. Wenn ich ganz selten heutzutage wieder einmal dorthin
komme, dann kenne ich mich nicht mehr aus. Die Menschen auf der Straße, denen ich begegne, sind mir unvertraut, ich kenne sie nicht mehr, sie grüßen nicht zurück, wenn ich sie grüße, wie man das halt so macht auf dem Land, wenn man aneinander vorbeigeht, einander begegnet. Die damals vertraute Welt hat sich verwandelt, ich erkenne sie nicht mehr wieder. Sie ist mir fremd, doch auch noch irgendwie vertraut. Die Welt der Kindheit, der Jugend hat sich verändert. Ein Relikt der Erinnerung war er, den ich nicht kannte,
nur ein wenig. Und vor längerer Zeit bekam ich dann eine Zeitung in die Hand, wo geschrieben stand, dass er nun nach Afrika gegangen sei, als Missionar. In jenes Afrika, das mir so schwierig, dubios und mich verängstigend ist. Dorthin ist er gegangen. Doch er war nicht lange dort. Denn er starb, innerhalb von wenigen Tagen an den Folgen einer Virusinfektion, wie die Zeitungen später berichteten. Und ich war unendlich traurig, als ich davon hörte. Ich war erschüttert, wie immer, wenn Menschen sterben, die ich
zumindest ein wenig kenne. Vielleicht bestärkte mich sein Tod noch mehr in meinem Beschluss niemals dorthin zu fahren. Vielleicht verstärkte dies meine Ängste vor jenem dunklen Kontinent. Jenem unbekannten Stück Erde dort unten. Jener Welt, die nicht mehr nur aus Buschtrommeln besteht.
Gedanken an Afrika, bis sich Getrommel und Kirchturmglockengeläute vermischen und ich wieder auftauche aus den Ängsten und Ahnungen. Es ist Mittag. Der Briefträger hat gerade die Post in unsere Fächer im Stiegenhaus gestopft. Ich gehe sie holen. Ein Kuvert, das an mich adressiert ist und Reklamematerial stecken in meinem Fach. Ich öffne den Umschlag und staune nicht schlecht, denn ich habe scheinbar etwas gewonnen. Eine Reise. Ich erinnere mich schemenhaft, dass ich an einem Gewinnspiel des Einkaufszentrums in
meiner Nähe teilgenommen hatte. Ich warf, wohl wie hunderte andere auch, eine Karte mit richtigem Kennwort in die Sammelbox. Nun lese ich was ich gewonnen habe. Mir stockt der Atem. Ich muss schlucken. In dieser Gewinnverständigung, die ich nun in Händen halte, steht, dass ich eine Reise nach Kenia gewonnen habe.
Eingereicht am 14. August 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.
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