Roter Sand
© Bettina Cassing
Ich wachte auf, weil mir der rote Sand in den Augen brannte. In jeder Pore meiner Haut, in jedem Kleidungsstück, an den unmöglichsten Orten, überall feiner roter Sand. Ich war ihn leid. Meiner Meinung nach war er die größte Plage Afrikas. Ich stolperte durch den Raum in Richtung Bad. Tastete in der Badewanne nach der Wasserschale und dem gefüllten Eimer, um meine verklebten Augen zu reinigen. Doch ich griff ins Leere.
Erst da fiel mir wieder ein, dass ich gar nicht mehr in Nigeria war. Längst war ich "Heimgekehrt" und konnte einfach den Wasserhahn bedienen. Das Wasser floss durch meine Hände, ungewohnt und fremd.
Wann würde ich nur das Gefühl des Sandes wieder los. Wann würde der Rest von mir begreifen, dass ich zurück gekommen war?
Darüber grübelnd, legte ich mich zurück ins Bett und ließ den Gedanken freien Lauf.
Ich befand mich vor dem rosa getünchten Haus, rings herum die hohen Stauden von Mais und Yam. Mein Blick schweifte über das Buschland und der Sand brannte in meinen Augen. Mein Tee, den ich auf der Veranda sitzend trank, knirschte zwischen den Zähnen Sand - feiner roter Sand, ich verzog das Gesicht und Ouwi fing an zu lachen. "Ko Sister, du wirst nie eine Afrikanerin, wenn dich das bisschen Sand so stört", sie lachte noch einen Moment und machte sich dann wieder an meinen Haaren zuschaffen, denn diese
mussten neu geflochten werden. Stundenlang saßen wir auf der Veranda, bis auch der letzte kleine Zopf geflochten war. Mir tat inzwischen der ganze Kopf weh, doch Ouwi nahm keine Rücksicht auf meine sensible europäische Kopfhaut. "Soll doch halten, oder? Also, muss es fest sein!" war alles was sie dazu sagte. "Gut, aber flechte ja kein Sand rein" war meine Antwort.
"Ko, du und dein Sand!" wieder lachte sie. Inzwischen war ich von Moskitostichen übersäht, oder war es wieder nur der Sand der mich juckte?
Ich wusste es nicht. Es wurde Abend und wir gingen hinter das Haus, um Yam für das Abendbrot zu stampfen. Mit den langen Holzstangen "panderten" wir die Yamwurzeln zu Brei, tok tok tok.
Ich wachte auf und stellte fest, dass das tok tok von der Tür kam. Ich band mir eine Rappa um und öffnete. Vor mir stand Tom und lächelte: "Na immer noch die alten afrikanischen Sitten" er zog an meiner Rappa, so dass das lose gewickelte Tuch fast zu Boden fiel.
"Wieso bist du nicht fertig, wir wollten uns vor einer Stunde vor dem Lokal treffen. In einer Stunde fängt das Konzert an, also beeil dich!" Tom war sauer.
Ich eilte ins Bad, wusch mein Gesicht und streifte das bereit gelegte Kleid über, dann griff ich hastig nach meiner Trommel und es konnte los gehen.
In weniger als einer Stunde würden wir auf der Bühne stehen und westafrikanische Trommelrhythmen vorführen und ich hätte das fast verschlafen.
Bereits nach dem ersten Stück tobte das Publikum, wir hatten die Hitze Afrikas in ihr Blut gezaubert. Und sie forderten mehr. Wir trommelten gleich den nächsten Tanz, als meine Gedanken abdrifteten ...
Ich sah sie vor mir, die Bewohner Benins, wie sie zu diesem Rhythmus tanzten.
Der Initiationsrhythmus für einen Bräutigam, für meinen Bräutigam. Ihre Körper feierten ausgelassen, wild und voller Ekstase. Immer wieder hielten sie inne und streuten erneut roten Sand auf die Wunden. In all die Ornamente für die Fruchtbarkeit, die sie in Vitos Haut geritzt hatten, denn der Sand sollte Narben bilden, damit seine Fruchtbarkeit für immer sichtbar blieb.
Dann wurde wieder wild und laut gelacht, getanzt und gefeiert.
Der Applaus holte mich zurück, der volle Saal feierte uns mit standing ovations, während wir mit dem nächsten Stück begannen, wie in Trance trommelte ich meine Djembe, die Jungs begannen zu tanzen und das Publikum tobte.
Nach dem Auftritt wollten wir den Erfolg noch ordentlich feiern. Ich bestellte ein Star und man verstand mich nicht. Kein Wunder, Nigeria lag neun Flugstunden entfernt und hier kannte niemand das verwässerte Starkbier.
Also, musste ich mit einem Pils vorlieb nehmen und wieder driftete ich ab ...
Ich hörte das Summen des Deckenventilators und wie Ma Grace klein Jenny langsam in den Schlaf sang. Dann regte sie sich plötzlich auf, weil das Militär mal wieder den Strom abstellte und es plötzlich unerträglich heiß im Haus wurde. Mit der Hitze spürte ich auch wieder, wie der Sand auf meiner Haut klebte. Ich hörte einen Schrei, kurz darauf einen Knall und wie etwas Dumpfes auf dem Boden aufschlug.
Ich war wieder im hier und jetzt, die Kellnerin hatte mein Pils unsanft auf den Tisch gestellt, ich nippte und bekam noch mehr "Heimweh" denn das Pils war viel zu bitter.
Tom beschwerte sich: " Du bist mit sechs reizenden Männern hier, die sich alle um dich bemühen und du träumst bloß vor dich hin."
"T´schuldige Tom, aber ich hab´ Heimweh!" antwortete ich.
"Du bist daheim Schwesterchen, vergiss das nicht immer!" er war sauer.
Ja, was vermisste ich, wo ich doch wieder in der Zivilisation war? Den verfluchten Sand etwa, der mich bis hier verfolgte? Oder die Moskitos, die ständigen Überfälle, korrupte Polizisten?
Wieder zu Hause legte ich mich auf mein Bett und schlief sofort ein.
Wieder hörte ich den Schrei, den Knall und den dumpfen Aufprall, ich wollte rausrennen, doch Ouwi hielt mich fest. Doch Ma Grace aber rannte raus und schrie, wieder ein lauter Knall und ein dumpfer Aufprall. Ouwi hielt mich weiter fest: "Sei tapfer, wir müssen warten und tapfer sein". Das taten wir auch etwa zwei Stunden lang, dann gingen wir raus, zwischen dem Yam lagen zwei leblose Körper, blutüberströmt.
Wie versteinert kniete ich mich neben die Leichen von Ma Grace und Vito und spürte den roten Sand, warm und vom Blut verklebt. Ouwi sank neben mir in die Knie und hielt mich fest, ihr Gesicht starr und tränenleer.
Ich wachte schweißgebadet auf. So viele Wochen waren seither vergangen, ich war wieder hier und mit mir die Erinnerung. Doch ich spürte immer noch den roten Sand und dachte immer wieder "Ich hatte eine Familie in Afrika ..."
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