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Kurzgeschichte Afrika Kurzgeschichten
Erzähl mir was von Afrika. Band 1. Dr. Ronald Henss Verlag   ISBN 3-9809336-2-8  ca. 150 Seiten   8,90 Euro.

Safari

©  Jutta Miller-Waldner


Nein, diesen Satz hätte ich nicht in ihrem Tagebuch lesen sollen. Ausgerechnet diesen. Ich klopfte die einzelnen Wörter ab, stellte sie anders zusammen. Spielte mit ihnen. Nahm sie mit in den Traum, las sie, wenn ich morgens im Bus in die Zeitung blickte, sie erschienen vor mir auf dem Computer, während ich das Manuskript redigierte. Ich tippte die Worte ein, veränderte ihre Größe, ihren Abstand - schmal, gesperrt, 1 Pt, 3 Pt -, änderte die Schriftart - Verdana, Times, Avant Garde -, änderte den Stil, Kursiv, Fett. Ich nahm den Satz in den Mund, kaute auf ihm herum und spuckte ihn aus.
Ausgespuckt, das war ich.
Ich lese ansonsten nie in anderer Leute Tagebücher.
Ich wollte mich auch nie verändern. Verwandeln. Mein Leben war gut so, wie es war: meine Arbeit in einem Kinderbuchverlag, meine Kolleginnen und Kollegen, die jedenfalls meistens. Meine hübsche Wohnung in einer kleinen Eigentumsanlage im zweiten Stock direkt am Wannsee. Ich war froh, dass ich mich nicht mehr ändern musste, nicht meinen Pagenschnitt, nicht die Kleidung. Die Stöckelschuhe hatte ich schon längst gegen Pumps eingetauscht. Die Möbel würden halten bis zum Schluss. Darauf hatte ich schon bei ihrem Kauf geachtet.
Und wer verändert sich schon wirklich ganz im Inneren, frage ich Sie. Der Charakter ist schon früh festgelegt. Und das ist auch gut so. Und bitte, wie soll man sich verwandeln?
Dann hatte ich sie getroffen.
Nein, nicht was Sie denken. So war es nicht. Nichts mit Liebe oder so.
Und ich weiß noch nicht einmal, warum ich Ihnen das alles erzähle.
Egal.
Muss es immer eine Antwort geben?
Doch, eine: Warum hatte sie diesen einen Satz geschrieben?
Ich hatte sie kennen gelernt auf einer Safari durch die Massai Mara in Kenia. Nicht, dass ich jedes Jahr im Urlaub runterzufliegen pflegte, nein, mir reichte der Aufenthalt in Laboe in der Kieler Förde, manchmal fuhr ich auch nach Bad Bevensen in der Lüneburger Heide. Neuerdings war ich auch schon auf Rügen. Ist ja nicht weit von Berlin aus.
Ich hatte die Reise nach Kenia bei einem Preisausschreiben gewonnen. Den Gutschein wollte ich verkaufen, hatte ihn auch schon in der Zweiten Hand angeboten, aber als sich sogar ein Interessent meldete, zog ich plötzlich das Angebot zurück, beantragte Urlaub, betrat eines Abends kurz nach sechs Uhr eine Boeing 767, verließ völlig erschöpft in Mombasa die Maschine, wich vor der Schwüle zurück, den vielen fremden Gestalten. Die Äquatorsonne blendete mich. Ich roch die Herdfeuer, betrachtete die Kokospalmen, die mit Palmwedel bedeckten Hütten der Einheimischen. Mein Blick glitt über die Savanne, ich fuhr die zweispurige Straße entlang, die von Mozambique über Kenia, Somalia immer weiter führte, immer weiter, und schreckte zusammen, als der Busfahrer scharf vor einer Schafherde bremste.
Erblickte den Indischen Ozean. Und das Weiß des Korallensandes blendete mich. "Am anderen Ufer liegt Indien", dachte ich.
Ich trat die Safari an, die zu dem Gewinn gehörte, ging am frühen Morgen zu den Geländewagen, die uns hinbringen sollten, und da stand sie. Elizabeth. In abgeschnittenen Jeans, einem T-Shirt mit I love Bonn vorne drauf, Sandalen, die Haare in tausend Zöpfchen geflochten.
Jambo, lächelte sie, dass die Zähne blitzten, Guten Tag. Kwaheri - wie geht es Ihnen? Die rechte Augenbraue hob sich, als sie mich von oben bis unten musterte: meine Khakihose und das Khakihemd, den Tropenhelm, die ich mir am Vortrag im Uhuru-Einkauszentrum beim Inder gekauft hatte. Hakuna Matata - macht nichts, sagte sie, und die weißen Zähne blitzten noch mehr.
Wir saßen abends auf der Kilimandscharo-Terrasse der Lodge, tranken unseren Sundowner. Ich sah die Sterne, ganz nah, dass ich sie fast greifen konnte, und doch so fern.
Kitschig, hätte ich das früher einmal genannt.
Früher. Hundert Jahre her, zweihundert. In einem anderen Leben.
"Hast du eben auch das Brüllen in der Ferne gehört?", fragte sie. Und ich lauschte dem seltsamen und beunruhigenden Laut, und ich beobachtete, wie die Antilopen an der Tränke unterhalb der Lodge witternd die Köpfe hoben, hörte das Geschrei der Vögel.
"Komm, lass uns ein Löwe sein", sagte ich plötzlich. -
War ich es überhaupt, die da sprach? -
Sie lächelte.
Wir spielten das Spiel jeden Abend, die sieben Tage lang, die die Safari dauerte.
Ich freue mich morgens beim Aufwachen schon auf den Abend, beobachtete bei der Pirsch die Gazellen, die Giraffen, die an den Schirmakazien knabberten, den einsamen Elefantenbullen mit den riesigen Stoßzähnen, der alleine nur zwanzig Meter von uns entfernt vor der Silhouette des Kilimandscharos stand, ganz allein, die riesigen Ohren aufgestellt, sah die Strauße, die vor dem Knattern unseres Geländewagens mit gewaltigen Schritten davoneilten, dass die Schwanzfedern wippten.
"Komm, lass uns ein Gepard sein, lass uns jagen, lass uns über die Savanne fliegen, nur wir beide", sagte ich abends, als die Sterne zum Greifen nah vor mir lagen. Ich muss sie nur aufheben, dachte ich. -
Nein, es war wirklich nicht das, was Sie denken. -
Am letzten Abend, als ich in ihrem Zimmer auf sie wartete, blätterte ich gedankenverloren in dem Buch, das aufgeschlagen auf ihrem Nachttisch lag. Nicht, dass ich in Tagebüchern lesen würde, ich glaube, das sagte ich schon, aber mein Blick fiel auf den Satz, den sie da in ihrer kindlichen Schrift niedergeschrieben hatte. Ich wollte meinen Blick abwenden. Ich schämte mich, aber die Worte brannten sich ein in mein Gehirn, in mein Herz:
"Aber jedes Mal, wenn sie mir gerade das Geheimnis der Verwandlungen enthüllen wollte, hielt mich etwas zurück, und ich weiß nicht, war es Grauen", las ich und wollte nicht weiterlesen und las doch: "und hinderten mich daran, meine Frauengestalt gegen die eines Tieres oder eines fliegenden Gespenstes einzutauschen", las ich und wollte nicht weiterlesen und las doch: "und wir machten nicht weiter".
Am nächsten Abend buchte ich vom Hotel aus den Rückflug, schmiss meine Sachen in den Koffer, flog mit der nächsten Linienmaschine über Nairobi nach Berlin. Warf die Khakihose, das Khakihemd, den Tropenhelm in die Mülltonne, zerriss das Foto, das ein Tourist eines Nachmittags aufgenommen hatte.
Fuhr zur Arbeit, las den Satz in jeder Zeitung, die ich aufschlug, und er sprang mir entgegen, wenn ich den Computer einschaltete.
Und doch - glichen unsere Züge auf dem Foto nicht denen einer Löwin, denen einer Gazelle?



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