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Kurzgeschichte Kurzgeschichten Afrika

Welche Farbe hat die Liebe

©  Ilona R. Mayer


ER
Geschafft! Endlich wieder Boden unter den Füßen. Warum habe ich mich eigentlich für diesen schwarzen Kontinent entschieden? Ich habe nichts gegen diese schwarze Stewardess, ich habe auch nichts gegen Ausländer. Warum macht sie mir plötzlich Angst diese Farbe Schwarz?
Wo ist denn der Reiseführer von Südafrika? Auf allen Vieren suchend, finde ich diesen unter dem Sitz meines Vordermannes. Bei dieser Gelegenheit stelle ich fest, dass es gar kein Mann ist. Die hohen Absatzschuhe passen zu ihrem Puppengesicht. Nach meiner Frage:
"Würden Sie bitte den Fuß von meinem Reiseführer nehmen?", knallt mir eine schrille Stimme ins Gesicht:
"Huch, das habe ich doch gar nicht bemerkt, dass meine Füßchen auf einer so wertvollen Drucksache liegen!"
Mann ist die blöd, denke ich und bedanke mich dennoch höflich, als sie mich zu meinem Buch lässt. Es gibt Frauen, die kann man eben nur anschauen, aber wehe sie machen den Mund auf.
In der Empfangshalle des Flugplatzes Johannesburg sammelt sich unsere Reisegruppe um die Reiseleiterin der TUI-Reisegesellschaft.. Die Gruppe bewegt sich langsam zum Reisebus. Ich mustere jeden Einzelnen, und stelle fest, dass ich außer der Reiseleiterin der einzige Alleinreisende bin, wenn ich mal von dem Rotschopf mit ihrem kleinen Sohn absehe. An ihr bleibt mein Blick doch länger kleben als ich möchte. Ihre jugendliche Frische paart sich so geschickt mit Mutterliebe, dass ich mir nicht sicher bin, ob es sich um die Mutter oder um die Schwester handelt. Der Kleine möchte gern in die erste Reihe, ich nehme dahinter Platz. Die weitere Einsortierung erfolgt ebenfalls unkompliziert. Nach jedem Verlassen des Busses, sei es zum Erfrischen, Einkaufen, oder um die Toilette zu benutzen, nimmt jeder wieder denselben Platz ein, auf dem er vorher saß. Das bayrische Ehepaar neben mir, hätte ich mir lieber einige Reihen weiter hinter gewünscht. Noch nie habe ich eine Frau kennengelernt, die so lange ohne Luft zu holen reden kann. Ihr Farbkastengesicht wirkt künstlich. Über das Schminken jenseits der 70 lässt sich streiten. Der Mann neben ihr trägt den gleichen Ring. Er hat die Begabung seiner Quasselstrippe zuzuhören und gleichzeitig der Reiseleiterin Komplimente zu machen. Bei unserer ersten Rast empfängt uns die heiße Sonne Afrikas. Hochsommer am 2. Januar bringt einiges im Kopf durcheinander. Bis jetzt begann ich das Jahr immer mit niedrigen Temperaturen, nicht immer mit Schnee, aber auf keinen Fall kletterte das Quecksilber über 10 Grad Plus nach oben. Nach den kalten Tagen zu Hause genieße ich nun diese 35 Grad im Schatten. Mein Winterpullover verschwindet im Koffer. Langsam verstärkt sich die Wirkung der Sonne. Nicht nur ich suche Schatten. In einem kleinen Laden, der vollgestopft ist mit geschnitzten Giraffen, Elefanten und Nashörnern, finde ich einen passenden Hut. Mein recht kurz geschnittenes Haar verschwindet darunter. Als ich zurück zum Bus gehe, spüre ich ihren Blick. Vielleicht gilt ihr Int eresse dem Hut, der mir plötzlich auffällig und außergewöhnlich erscheint. Wortlos suche ich in der Klimazelle mein Bier. Genüsslich schlürfe ich das kühle, erfrischende Nass aus der Dose. Zu Hause trinke ich nie Dosenbier. Hinter mir wird es laut: "Man bist du blöd, warum stichst du nicht? Du hast doch noch Trumpf." Als ich mich vorwurfsvoll umdrehe, lachen mich vier Skatgesichter an. Schnell registriere ich, dass es längst nicht so tragisch ist, wie es sich anhört. Ein Bier, ein Schnaps und die Welt ist wieder in Ordnung. Eigentlich haben sie nicht nur Urlaub, sondern auch frei von Frau und Kind. Meine Exfreundin Ingrid wäre nie so tolerant gewesen, mich mit einem Haufen Männer allein verreisen zu lassen. Sie war in jeder Beziehung intolerant. Meine Kegelausflüge, reine Männerabende, endeten oft im Fiasko. Sie schaffte es immer wieder meinen Adrenalinspiegel mit wenigen Worten nach oben zu bringen, aber nicht nur diesen. Ich hatte nie zuvor so eine leidenschaftliche Frau kennen gelernt. Gierig nahmen mich ihre schlanken Hände, sie schloss nie ihre dunkelbraunen Augen, wenn sie mich küsste. Ihrem brünetten Lockenkopf entging nichts. Ich hätte sicher ein Leben lang ihre Nähe ertragen können. Leider fraß sie meine Zuneigung gänzlich mit ihren Vorwürfen.
"Wo warst du?"
"Warum kommst du so spät?"
"Wie alt ist sie?"
Ihr Lieblingsspruch, den ich nach drei Jahren einfach nicht mehr hören konnte und wollte:
"Du liebst mich nicht mehr!"
Mein Privatleben verwandelte sich von einem Tag auf den anderen vom Solotanz zum Dauerfoxtrott. Wir hatten viel Spaß, leider noch mehr Stress. Meist wenn dritte Personen auf der Tanzfläche erschienen. Der gefühlvolle Tango wurde immer seltener. Bald schleuderte ich sie im Takt des Jives durch den Raum. Ihr Lieblingstanz wurde der Paso doble. Leider verlor ich sie beim Stierkampf immer öfter aus den Augen, ich sah rot, schloss die Augen, um anschließend in den warmen Armen einer Walzerkönigin zu liegen. Dann vergaß ich, dass der Mann führt, warum auch, wenn man die Richtung nicht kennt.
Die deutschsprachige Reiseleiterin holt mich in die Gegenwart. Sie erläutert das Programm der vor uns liegenden Urlaubswochen. Die Stadt Johannesburg, die wir eigentlich nicht wirklich kennen lernen, verlassen wir relativ schnell. Nur vom Bus aus sehen wir Hochhäuser, Autos auch Afrikaner, die nicht immer welche sind. Unsere vierstündige Busfahrt, die von zwei Kaffeepausen unterbrochen wird, zeigt uns afrikanische Landschaft. Sie ist ziemlich kahl, aber trotzdem grün, wenig Bäume, in der Mehrzahl Sträucher. Im Hintergrund sehe ich Berge, unser Ziel für den nächsten Tag. Babette heißt die Reiseleiterin. Sie erinnert mich an eine Schulfreundin. Warum verknüpfe ich Frauennamen immer wieder mit Bildern, und dann bin ich enttäuscht, wenn eine wie diese Reiseleiterin daher kommt und mein Bild zerstört. Jahrelang war Babette blond und dick, eigentlich fett. Sie hatte bereits in der sechsten Klasse große Brüste und ließ in der Siebenten uns Jungs probieren, ob sie echt sind. Ich fand diese schwabbelige Masse damals nicht aufregend, nur Peter, der die Klasse schon das zweite Mal besuchte, fand sie geil, die Titten von Babette. Das war sicher auch ein Grund, dass er immer wieder mit ihr hinterm Schulhaus verschwand. In der Achten tat ich es auch, hinterm Schulhaus mit Babette. Mit feuchter Hose und einer Vision rannte ich davon. Nie wieder fette Weiber. Meine Mädchen, die ich mir dann aussuchte, manchmal suchten sie auch mich aus, waren gertenschlank. Auch Ingrid glich einem Reh. Galant bewegte sie ihre langen, fast etwas dünnen Beine. Ihre Brüste, die sie immer zu klein fand, liebte ich sehr. Warum sie mir das nicht glaubte, verstand ich nie. Ich lernte von Ingrid, dass ich sie, die Frau nicht verstehen musste, sondern lernen im richtigen Moment zu widersprechen. Wenn sie nein sagte, meinte sie ja. Manchmal funktionierte das auch anders herum. Zu einem Problem wurde es dann, als ich ihre Ja-Nein-Argumente immer häufiger verwechselte.
Ich betrachte die Reiseleiterin, die für mich Resi heißt, weil Babette nun mal nicht zu ihr passt. Mit ihren schwarzen sehr langen Haaren und ihrem schon dürr wirkenden Körper, könnte sie eher den Namen Ingrid tragen. Je länger sie spricht, je weiter fliegt Ingrid aus meinem Kopf. Nach 200 Kilometern sieht sie ihr nicht im Geringsten mehr ähnlich. Obstplantagen säumen den Straßenrand. Der Sommer ist im vollen Gange, bringt Früchte und Wärme zum Vorschein. Die blühende Landschaft des afrikanischen Frühlings hatte sich schon vor Wochen verabschiedet. Nur noch wenige Blüten leuchten Rot, Lila oder Gelb zwischen dem saftigen Grün. Im Gegensatz zu den anderen südlichen Ländern, empfinde ich diese Gegend, trotz des Hochsommers, nicht trocken. Wahrscheinlich liegt es an dem Regen, den es auch im Sommer ab und zu hier gibt. Der Rasen behält seine grüne Farbe über eine längere Trockenperiode. Als ich mit nackten Füßen über die Wiese laufe, habe ich das Gefühl über einen federnden Teppich zu gehen, der aus ziemlich festen Halmen besteht.
Rastplätze sind auf der Straße von Johannesburg zum Krügerpark selten. Grund für uns, an der nächsten Raststätte einen größeren Vorrat an Getränken zu besorgen. Ich wechsele von tropischen Temperaturen zur klimatisierten Gaststätte, und werde platziert. Schwarze Hände bedienen mich. Ich versuche es mit Cappuccino und Salatteller. Der Kaffee ist schön stark und das Gemüse schmackhaft zubereitet, kaum anders als in Deutschland. Auch der restliche Teil der Speisekarte lässt keine afrikanischen Gerichte erkennen. Sogar das Bier, "Amstel", kommt aus Europa. Das Gesicht des bedienenden Mädchens, umrahmt von braun gefärbten Krauslocken, zeigt mir eine breite lachende Nase und weiße schiefe Zähne. Ich habe mir afrikanische Mädchen anders vorgestellt, schlanker, weniger Farbe im Haar oder auf Fingernägeln. Den 50-Rand-Schein mit der Löwenmähne tausche ich gegen silberne Münzen mit Stierkopf und vergoldeten Orchideen. Beim Verlassen drücke ich der jungen Frau mit den dunklen Augen eine silberne Antilopenmünze in die Hand und höre nach einem leisen "Thank you", ein recht lautes "Have a nice day!". Während ich nach vorhandenen Englischvokabeln suche, rollt der Bus weiter durch die Provinz Mpumalanga. Vor uns, die weitreichenden Dragensberge, ein 1000 km langer Gebirgszug, der vom Krügerpark im Norden bis zum Königreich Lesotho im Süden reicht. Wir gewinnen an Höhe. Während der Fahrt sehen wir Hartlaubgewächse und Proteen. Der Blondschopf vor mir nervt seine Mutti:
"Wo sind denn die Elefanten?"
Ein korpulente Hamburger fotografiert. Ich schätze ihn 40, obwohl sein Deckhaar nur noch einen Mönchskreis zeigt. Ein redseliger Schwabe zeigt uns Erika und Strohblumen auf der rechten Seite. Während seiner ausführlichen Erläuterungen kommt die Reiseleiterin vorerst nicht mehr zu Wort.
Resi verteilt Adapter für Rasierer und Ladegeräte. Kurz danach landet mein Koffer auf einem Bett im Sabi River Sun Hotel. Nach dem Duschen spaziere ich durch die Hotelanlage. Die Skatbrüder sitzen mit einem kühlen Bier am Pool. Ich gehe weiter, und erreiche nach 200 Metern den Fluss. Die Sonne bereitet sich auf die Nacht vor. Sie lässt ihr rotes Gesicht auf der Wasseroberfläche erstrahlen. Plötzlich nähern sich zwei Kolosse. Noch sind sie im Wasser, noch fühle ich mich sicher mit nackten Füßen im Gras. Als sie jedoch in Zeitlupe das Ufer betreten, und Tonne um Tonne vor meinen Augen sichtbar werden, flüchte ich hinter den Sicherheitszaun.
"Mutti, Mutti, Mutti die sind aber groß, darf ich die streicheln?"
Schnell ist der Kleine durch den Zaun gekrochen. Ich springe auf und schnapp mir den zappelnden Freddy, natürlich gegen seinen Willen. Die Rothaarige nimmt mir das schreiende Etwas aus dem Arm und bedankt sich verlegen. Wir beobachten die Flusspferdfamilie bei ihrer Abendmahlzeit. Dann kümmern wir uns um unser eigenes Hungergefühl. Abendessen unter freiem Himmel. Inzwischen hat die Sonne den Hauptschalter heraus genommen. Tausend kleine Lampen geben dem Hotelgelände ein völlig neues Aussehen. Eine Bar unter dem Sternenhimmel, kurze Hosen und ein kühles Bier. Zu Hause brennen jetzt die Kerzen am Weihnachtsbaum. In der letzten Woche hat sich mein Leben um 180 Grad gedreht. Oder habe ich es gedreht? Hat sie es gedreht? Da stehen Fragezeichen ohne Auflösung. Nun gibt es zwei Singles mehr auf der Welt. Die Sommertemperaturen verwirren mich. Nebenan feiert man Geburtstag. Es könnte auch mein Geburtstag sein, ich bestelle Whisky.
"Ist noch ein Platz frei?"
"Wie bitte? Ja, natürlich."
"Er schläft, wurde auch Zeit. Zu Hause schläft er schneller ein."
Wir unterhalten uns über die Kindererziehung, obwohl ich nie welche hatte. Der dritte Cocktail war dann doch zu viel, vielleicht lag es auch an der Hitze. Ursula bringt mich ins Bett. Ist mir lange nicht passiert, denke ich noch, während ich bei dem gleichmäßigen Geräusch der Klimaanlage einschlafe. Der Rausch ist verflogen, als die ersten Vögel die aufgehende Sonne begrüßen. Mit Badehose und Handtuch lauf ich zum Fluss. Ich denke an den dritten Januar, der heute auf dem Kalenderblatt steht. Kopf und Körper sind sich nicht einig, wer Recht hat, die Hitze oder das Datum. Ich würde den Flusspferden gern Guten Morgen sagen. Leider haben diese keine Lust mich zu begrüßen. Ich begnüge mich mit himmelblauen, grasgrünen und knallroten Vögeln, die lustig durch die Sträucher hüpfen. Ihre Lieder sind neu für mich, und ich habe Mühe, dem jeweiligen Vogel seinen Klang zuzuordnen. Nach meiner sportlichen Betätigung im warmen Swimmingpool stellt sich der Hunger ein. Im Sonnenlicht empfinde ich dieses Gartenrestaurant viel grüner als am Abend zuvor. Vor mir auf dem Tisch liegen Weißbrotscheiben. Mein Teller ist mit gebratenen Eiern und Schinken gefüllt. Das Hamburger Ehepaar zieht meinen Tisch, dem Tisch der Bayern vor. Ich muss mir einen Vortrag über gesunde Ernährung anhören, was mich jedoch nicht davon abhält, trotzdem meinen Teller, auf dem viel zu viel Fette herum liegen, wie sie mir berichten, zu leeren. Später entdecke ich noch Käse und Früchte auf der langen weißen Tafel, an der man sich selbst bedienen kann. Der Fruchtsaft schmeckt nicht nur wie frisch gepresst, er ist es auch. Ingrid stellte ebenfalls Fruchtsaft selbst her, ich zog das Bier dem Vitamingetränk vor. Als Freddy plötzlich vor meinem Tisch steht, verschwindet das Gesicht von Ingrid und ihre schlanken Hände, die ich noch immer viel zu oft auf meinem Bauch spüre.
"Onkel ich will auch solche Limonade!"
Er lässt sich von mir zur Safttheke führen, dort fülle ich sein Glas. Ich entdecke Sommersprossen auf dieser kleinen Stupsnase in einem lachenden Gesicht. Inzwischen ist auch Ursula am Buffet erschienen. Sie nimmt Freddys Glas aus meiner Hand und verschwindet dankend mit einem "Guten Morgen" in den Nebenraum. Eigentlich müsste ich sie fragen, wie sie geschlafen hat, und eigentlich noch so viel mehr. Mich auch bedanken, warum bleibe ich stumm? Statt dessen hole ich mein Gepäck und bewege mich in Richtung Bus. Mit dreißig Minuten Verspätung verlassen wir das Hotelgelände. Die Kinder der Chemnitzer Familie sind an der Verschiebung des Zeitplanes maßgeblich beteiligt, was sie jedoch anders sehen:
"Der Weckdienst hat nicht funktioniert!" verteidigen sich die 17-Jährige und ihr volljähriger Bruder. Ihr Äußeres hat mich Zwillinge vermuten lassen, was mir die Bayern, dann jedoch mit genauesten Angaben von Raum und Zeit widerlegen. Unsere Fahrt verläuft ruhig. Die Skatbrüder sind müde, was wohl an der durchzechten Nacht liegt. Entlang der Panoramaroute des Blyde River Canyons, lernen wir die drittgrößte Canyonlandschaft der Welt kennen. Einige, auch ich erfahren von Resi, dass der Grand Canyon in den USA der größte und der Fish River Canyon in Namibia der zweitgrößte dieser Art sind. Außer dem Blondschopf schauen alle interessiert in die Landschaft. Der Chemnitzer, der den Fotoapparat nicht aus der Hand legt, versucht wohl jeden Baum digital festzuhalten. Nun lässt sich auch der Berliner anstecken:
"Welche Blendeneinstellung wählen Sie?"
"Obwohl die Sonne scheint elf?"
"Wie geht es ihnen heute morgen?" Jetzt werde ich doch tatsächlich rot, als ihr Wuschelkopf zwischen den Vordersitzen zu mir nach hinten schaut. Zu viel Whisky, ja vielleicht, was könnte ich ihr sagen. Ich hätte es gern, dass ihre Augen noch ein bisschen auf den Rücksitzen verweilen. Doch Resi sorgt dafür, dass alle 18 Augenpaare in ihre Richtung schauen. Vielleicht sind es auch nur17, denn Freddy macht nicht den Eindruck, als folgt er den Erläuterungen der Reiseleiterin. Sie redet und redet, berichtet viel Neues, auch Interessantes. Der Blyde River hat im Laufe von Jahrmillionen eine 32 km lange und 700 m tiefe Schlucht in die Felsen der Drakensberge gewaschen. Ein atemberaubender Ausblick, in 1800 m Höhe, am Rande dieser faszinierenden Landschaft. Sie nennen es "God´s Window", das "Fenster Gottes". Von diesem Aussichtspunkt reicht der Blick nach Norden über den Blyde River Canyon, nach Osten über das 1000 m tiefer gelegene Lowveld, auch Bushveld (Savanne) genannt bis zur Grenze nach Mosambik. Als Resi vom Krügerpark erzählt, will Freddy sofort wissen, wo die Elefanten wohnen. Das hatte sich das kleine Köpfchen gemerkt. In Richtung Westen sieht man waldreiche Berge. Während der Bus rollt, wälze ich aufgeregt meinen Reiseführer. Welche Tiere werden wir sehen? Wie verhalten sie sich in der Freiheit? Schon oft sah ich afrikanische Tiere in deutschen Zoos. Endlich steht vor uns das Eingangsschild "Krügernationalpark". Afrika, die Sehnsucht nach Freiheit wurde hier geboren. Der Chemnitzer stürzt nach vorn, das Schild muss auf die Linse. Auch der Bayer versucht den Eingang mit seiner Canon auf den Film zu bannen. Erwartungsvoll passieren zwanzig Personen den Eingang, nicht zu Fuß, das ist außerhalb der Camps nicht erlaubt. Es ist zu gefährlich, wie uns die Reiseleiterin fürsorglich mitteilt. In der Tierwelt gibt es weder Armut noch Reichtum. Sind es die Klamotten oder die Autos, die den Neid zwischen vielen Menschen säen? Hast du nichts, schaut man dich blöd an, hast du zuviel ist, mag ma n dich auch nicht. Obwohl ich mich nie um andere kümmerte, dafür hatte ich ja Ingrid, ging diese gehasste und geliebte Welt auch an mir nicht spurlos vorbei. Ich kann sie verstehen, die Aussteiger, die alles hinter sich lassen, um in irgendeinem Wald, einer Hütte am Rande der Zivilisation, Überlebenstraining üben.
Freddy schreit auf:
"Mutti, Mutti, dort ist er!" Der Kleine hüpft und klatscht in die Hände. Unser Busfahrer bringt das Fahrzeug zum Stehen, den Chemnitzer Tourist in Bewegung. Auch der Berliner greift hastig nach seiner Praktika. Zunächst zeigt uns der Elefant sein riesiges Hinterteil, versperrte die Sicht nach vorn. Vier Auslöser werden fast synchron bewegt. Was ist nur so interessant an diesem Elefantenhintern? Ich hätte ihn mir lieber von vorn betrachtet. Wir rollen in Schrittgeschwindigkeit an Sträuchern und niedrigen Bäumen vorüber. Der Dickhäuter bewegt sich im Zeitlupentempo vor unserem Bus. Als er nach links abbiegt, verschwindet er zwischen einer Baumgruppe, und mit ihm die Fotoapparate. Freddy will sich nicht beruhigen.
"Mutti warum darf ich nicht zu dem Elefanten?"
Meine Süßigkeiten helfen irgendwann gegen seinen Schmerz. Dann sitzt der kleine Mann neben mir am Fenster:
"Onkel, was ist das?"
Hilfe suchend schaue ich zur Reiseleiterin, und sie hilft, denn von Impalas hatte ich bis zu diesem Moment noch nichts gehört oder gelesen. Freddy beginnt die Herde zu zählen. Zweimal bis fünf, weiter klappte es noch nicht. Mich erstaunt, dass sie bei ihrer Nahrungsaufnahme keinen Blick in die Richtung unseres Busses riskieren. Sind wir nicht ihr Feind? Immer wieder in die Hände klatschend und lachend ruft Freddy die Antilopen, die ihn natürlich nicht hören können.
"Siehst du Onkel, jetzt hat es mich angeguckt."
"Wie heißt das Kleine dort?"
"Wo schläft es?"
"Wo ist seine Mama?"
Ich komme kaum nach, ihm auf jede Frage zu antworten. Nie hätte ich gedacht, dass es so anstrengend sein kann, einen fünfjährigen Jungen auf dem Schoß zu haben. Die Skatbrüder grölen los, der fünfte Grand mit Vieren. Da muss er einen ausgeben, der Rudi, der das lächelnd hinnimmt.
Der Tag verabschiedet sich, was im Krügerpark bedeutet, sie werden aktiv, einige der Tiere. Noch ist von den Wildkatzen nichts zu sehen. Auch die Impalas machen noch keinen müden Eindruck. Freddy dagegen, ist auf meinen Beinen eingeschlafen. Ursula sitzt neben mir, wegen dem Kleinen. Schade, dass ich nicht der Grund bin. Ihre roten Haare leuchten jetzt noch stärker, sie haben etwas Wildes, Unbezähmbares. Ihre großen dunklen Augen lachen, wenn sie spricht. Als sie ihren Fotoapparat aus dem Gepäcknetz über uns holt, sehe ich ihren nackten Bauch. Da ist kein Gramm zu viel. Während sie auf der anderen Seite des Busses mit der Kamera versucht, die letzten Sonnenstrahlen einzufangen, wandert mein Blick über ihren makellosen Körper. Schmale Schultern, Brüste, die in zwei große Hände passen, tolle Taille, kleiner fester Po und Beine gerade und schlank. In diese Frau, die mir fast vorkommt wie ein Mädchen, könnte ich mich verlieben. Aber die hat sicher einen Lover, wer weiß, wo der jetzt steckt. So tolle Frauen hast du nicht allein, sage ich mir zur eigenen Beruhigung. Als Resi laut von den vor uns hin und her springenden Antilopen erzählt, zwinge ich mich, nicht mehr ins Ursula´s Richtung zu starren. Ich beobachte das "Löwenfutter", wie uns Resi die Antilopen darstellt. Ein Jungtier, etwa zwei Wochen alt, springt in einen Busch, Sekunden später kommt es mit einem Spielgefährten wieder herausgehüpft. Das zweite, sicher schon im Jugendalter, geht sofort auf das Spiel des kleineren ein. Übermütig tollen die beiden hinter dem Rücken der grasenden Mutter, die ihren Nachwuchs von Zeit zu Zeit mit einem kurzen Blick nach hinten beobachtet. Bis zu unserem Camp sind noch etwa zehn Kilometer, die bis zum Anbruch der Dunkelheit absolviert werden müssen. Ein Grund, doch etwas schneller an der faszinierenden Tier- und Pflanzenwelt vorüber zu fahren. Doch weit kommen wir nicht, vor uns auf der Straße ein riesiger Elefantenbulle mit Stoßzähnen, die bis zum Erdboden reichen. Die Fotohaie stürzen in Richt ung Windschutzscheibe. Als der Elefant sich zu uns dreht, versagen die Akkus des Chemnitzers, was diesen sächsisch fluchen lässt. Freddy wird bei dem Durcheinander im Bus wach und wieder lebhaft. Wir tauschen die zweite gegen die erste Sitzreihe und freuen uns über den, mit dem Rüssel schwenkenden, Riesen. Ob er uns begrüßt oder verabschiedet, können wir nicht unterscheiden. Er bleibt noch einige Augenblicke für uns stehen, nicht lang genug, um die Akkus zu wechseln. Der Chemnitzer schimpft wieder, als der Elefant nach rechts im dichten Sträucherwerk verschwindet. Freddy scheint es dieses Mal nicht zu stören. Er beobachtet einen relativ großen Vogel in einem roten Gewand mit gelben Flügeln. Die leuchtenden Farben sind nicht im Grün der Bäume zu übersehen. Während der weiteren Busfahrt begleiten uns diese wunderschön gefärbten Vögel. Lustige Farbkleckse fliegen hin und her. Einige sitzen auf Baumgipfeln und beobachten die Gegend, ein bisschen verträumt, zum Schlafen bereit. Die Sonne hatte fast den Horizont erreicht, als wir den Eingang des Satara-Camps passieren. Ich spüre meinen hungrigen Magen, der sich langsam auf das Abendessen vorbereitet. Kreisförmige Bungalows sind im gesamten Gelände verstreut. Ein drei Meter hoher elektrifizierter Zaun sorgt für die Sicherheit, der hier untergebrachten Urlauber und Angestellten. Nachdem ich Freddy in dem recht kleinen Schlafzimmer meines Nachbarbungalows seinem Nachtlager überlasse, bittet mich Ursula, ihr das Abendessen mitzubringen. Sie möchte ihn jetzt nicht allein lassen. Erfreut, über diese Mission, eile ich in meine Unterkunft. Die Häuser ähneln sich in der Zimmeraufteilung, auch hinter meinem kleinen Schlafzimmer befindet sich ein WC und eine Duschkabine, deren Funktion ich schneller als gewöhnlich teste. Ich springe, noch nass am ganzen Körper, in braune Shorts und lasse das blaue T-Shirt über meine schon etwas gebräunte Haut gleiten. Dann laufe ich in Richtung Hauptgebäude, sicher viel zu schnell, gute Chancen für Schweißperle n, sich erneut auf meiner Stirn zu entfalten. Mein Tablett füllt sich mit Salaten, Vorsuppe, Rinderbraten, Pudding und einer Flasche Wein. Wir sitzen im Freien, hinter uns der Küchenschrank, in dem es an nichts zu fehlen scheint. Im Kühlschrank verstaue ich meine beiden restlichen Bierdosen. Unser Tisch ähnelt einem in Deutschland servierten Abendessen, außer dem Wein, der stammt aus Südafrika, ein trockener Rotwein vom Weingut Stellenbosch. Die Temperatur verändert sich genauso wenig, wie unsere gute Stimmung. Nachdem ich die zweite Flasche besorgt habe, verändert sich unser Gesprächsinhalt. Ich erzähle von meiner Tätigkeit, in der ich mich ziemlich festgelegt fühle, Sportreporter bei der Tageszeitung. Ich will mich nicht über meinen Job beschweren, der ist nicht uninteressant, aber eben sehr einseitig. Sie findet es aufregend, will mehr darüber wissen. Beim Erzählen fällt mir eine Begebenheit nach der anderen ein. Heute kann ich darüber lachen, als ich die Reinigungskraft, statt der Diskuswerferin befragte, oder wie ich dieses Fußballspiel falsch kommentierte. Wegen der Werbung auf den Trikots verwechselte ich die Vereine. Ich hatte drei Tage Stress in der Redaktion, weil die Anrufe nicht abrissen. Der Rausschmiss stand an der Tür. Dass ich noch mal Glück hatte, lag wohl an unserem Chef. Nicht daran, dass er schwul war, sondern, dass er jungen Absolventen gern mal eine Chance mehr gab. Ingrid, meine Exfreundin, hat sich nie für meine Arbeit interessiert, sie verstand vom Sport genauso viel, wie ich vom Stricken. Auch das Schreiben lag nicht. Sie bastelt und malt, doch am liebsten arbeitete sie mit Kindern. Ich erzähle von dem Leben mit Ingrid und von unserer Beziehung als läge diese schon Jahre zurück. Nachdem der Tag ein neuen Namen trägt, beende ich meine Ausführungen, und bitte Ursula zu erzählen.

SIE
Was sagt er da, ich soll von mir erzählen?
"Eine große Geschichte, die damals wie ein Feuerwerk begann. Wir lernten uns an der Hochschule kennen. Er war kein gewöhnlicher Dozent. Seine blonde lange Mähne schien etwas unpassend für den eigentlich so korrekten Mathematiklehrer. Zwölf Jahre empfand ich Mathe als Pflicht, mit ihm wurde es anders, alles. Ich wollte Innenarchitektin werden, hatte große Pläne und Ziele. Manchmal sah ich mich mit einer Zeichnungsrolle durch einen Neubau eilen, um den Handwerkern und Ingenieuren meine Vorstellungen und Ideen zu unterbreiten.
Das Semester hatte begonnen, und ich hatte meine erste Niederlage zu verzeichnen, eine nicht bestandene Matheprüfung. Tausend Dinge flogen durch meinen Kopf, soll jetzt alles vorbei sein? Dr. Ebert half. Nach meiner dritten Nachhilfestunde, in meiner kleinen Studentenbude, hieß er Wolfgang. Mir wurde schwindlig, bei seinem ersten Kuss, was ich zunächst auf den Wein schob. Wolfgang gestand mir, dass er vor 25 Jahren ebenfalls seine erste Matheprüfung vermasselt hatte. Das hatte ich nicht erwartet, diesen Altersvorsprung, und ich wusste nicht, dass er verheiratet war. Ich bekam sein Kind und ich beendete mein Studium."
Was ich ihm nicht sage, dass ich ihn noch immer liebe, diesen Wolfgang.

ER
Sie spricht von diesem kleinen Freddy, und von Männern, die es nun nicht mehr in ihrem Leben gibt. Doch dann erzählt sie von ihrem Traum.
"Irgendwann schaffe ich es, dann bin Architektin!"
Ich möchte ihr gern Mut zusprechen, ihr sagen, dass das kein Problem ist. Ein Studium kann man nachholen. Doch ich bin wenig geübt in diesen Dingen.
Ihre leicht geröteten Wangen sehe ich nicht mehr, so weit reicht das Licht der Kerze nicht, aber ihre Hände, die das Weinglas umfassen, fast so, als hätte sie Angst, es könnte ihr jemand weg nehmen. Ab und zu sehe ich ihre flimmernden Augen, die meine Stimmung reflektieren.
Spontan nehme ich ihre Hand. Sie lässt es geschehen. Ich lege meinen Arm um ihre Schulter. Ihre roten, gelockten Haare nähern sich meinem brünetten Kurzhaarschnitt. Unsere Lippen bewegen sich fast gleichzeitig aufeinander zu. Als sie wenig später nackt auf ihrem Bett liegt, glaube ich nicht, dass ich das bin, der ihr den Bauch streichelt.
Es ist fast 9.00 Uhr, als ich die Augen öffne. Meine Hand greift ins Leere.
"Ursula!"
Hastig springe ich aus dem Bett, und renne aus dem Bungalow. Resi, die im Moment nichts anderes zu tun hat, als an meinem Bungalow vorbei zu gehen, schaut entsetzt zwischen meine Beine.
"Oh Scheiße", denke ich und haste zurück. Es ist in Afrika nicht üblich, nackt durch die Gegend zu laufen. Beim Betreten des Bungalows finde ich Ursulas Brief:
"Lieber Frank,
wir hätten das nicht tun dürfen.
Sag mir welche Farbe hat die Liebe?
Wie kann ich sie erkennen?
Ich schaffe das nicht noch einmal, mich in den Falschen verlieben.
Wenn du das liest, bin ich auf dem Weg nach Hause, wo immer das ist!
Ursula!"
Ein Mann und Tränen, egal, ich frage Resi nach Ursula, die weiß von nichts.
Der Campleiter hilft mir weiter:
"Sie hat sich einen Leihwagen genommen, wollte nach Johannesburg."
Der zweite Leihwagen steht bereit, ich rase los.
"Ursula" schreie ich gegen die Windschutzscheibe, immer wieder "Ursula". Dann diese Kurve, der Elefant, ich weiche aus. Es wird schwarz.
"Afrika" höre ich mich noch sagen
"Das ist also Afrika".



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