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Faux-pas
© Daniel Klopfer
Manche Fragen sollte man nicht stellen, weil sie unangebracht sind. Andere sollten unausgesprochen bleiben, weil sie denjenigen, der sie stellt, nur allzu leicht in Teufelsküche bringen. Dann gibt es da noch die dritte Kategorie an Fragen, den Typ, der sowohl unangebracht ist als auch Ärger
bedeutet.
So zum Beispiel die Frage meiner Tochter. Mitten in einem gutbesuchten Restaurant passierte das, was man gemeinhin als schlechtes Timing bezeichnet. So fielen mit einer geradezu aberwitzigen Absurdität zwei Dinge zeitlich zusammen: Eine spontane Schweigsamkeit einer Gruppe Erwachsener und ein ebenso spontaner Geistesblitz eines sechsjährigen Mädchens. Auf einmal hörten alle Gäste auf zu sprechen, die Geräuschkulisse klang ab, und mitten in diesem "Gesprächsloch" fragte eine Mädchenstimme auf einmal:
"Papi, warum sind Schwarze eigentlich schwarz?"
Nun wäre diese Frage in einer deutschen Stadt wie Berlin, Frankfurt oder München schon ziemlich brisant. In Windhoek war sie explosiv. Ehe ich mich versah, starrte ein ganzes Restaurant voller Namibier Anna an, als hätte sie soeben verkündet, Namibia würde wieder in Deutsch-Südwestafrika umbenannt.
Aber anstatt den Ernst der Situation zu erkennen, gab Anna in ihrer Unbekümmertheit erneut dem infantilen Wunsch nach, die Welt der Erwachsenen zu verstehen.
"Sag schon, Papi. Warum sind hier alle schwarz?", wiederholte sie.
Dem Kloß in meiner Kehle verdankte ich es, dass mir das Stück Steak im Hals stecken blieb. Ich starrte meine Tochter an, sah die unschuldig dreinblickenden blauen Augen und wäre am liebsten im Boden versunken. Doch dann bemerkte ich, dass die Namibier nicht mehr zu Anna sahen, sie sahen zu mir. Aus allen Ecken und Enden des Raums durchbohrten mich ihre Blicke. Anna starrte mich an. Meine Frau starrte mich an. Alle starrten mich an.
Ich begriff, was sie von mir wollten. In einem kinderreichen Land wie Namibia waren infantile Fettnäpfchen und Fehltritte ebenso alltäglich wie verzeihlich. Nicht Annas Frage zählte, sondern meine Antwort.
Im Rampenlicht der Betrachtung begann ich zu schwitzen, Messer und Gabel wurden glitschig in meinen Händen. Trotz Klimaanlage rannen Schweißtropfen über meine Stirn, kitzelten sich die Schläfen hinab. In meinem Kopf entstand ein wirres Gespinst an noch wirreren Antworten. Irgendetwas von Sonneneinstrahlung und Hautpigmentierung schoss mir durch den Kopf, gefolgt von dem Gedanken an darwinsche Evolutionstheorien. Während die Sekunden vergingen und die Blicke blieben, versuchte ich, die Farben Schwarz und Weiß
aus meinem Kopf zu verbannen. Nicht die Cola anstarren oder den weißen Teller. Jetzt bloß nichts Falsches sagen.
Aber warum sollte ich überhaupt etwas sagen? Wahrscheinlich hatte keiner der Namibier wirklich verstanden, worum es ging. Schließlich war Namibia deutsche Kolonie gewesen zu einer Zeit, da in Deutschland Fische noch nach Reichskanzlern benannt wurden. Vermutlich hatte der ein oder andere den Begriff "schwarz" verstanden, doch worin lag das Problem? Anna hatte mich ja schließlich nur gefragt, ob es so schöne schwarzlackierte Tische auch in Deutschland zu kaufen gäbe. Schwarzlackierte Tische. Alles kein
Problem.
Ein Blick in die versteinerten Gesichter sagte mir, dass ich mich nicht so leicht aus der Affäre winden konnte. Mein Magen revoltierte, als ich verstand, dass es längst nicht mehr um die unbedachte Frage eines kleinen Mädchens ging. Es ging um die Frage, was ein Weißer über einen Farbigen sagt, noch dazu im Heimatland des Farbigen. Ich konnte in dieser Situation nichts Dümmeres tun, als die Rassenfrage mit einem Vortrag über Tischlacke zu beantworten.
Mein beharrliches Schweigen sorgte für Missmut. Die Namibier begannen zu tuscheln, steckten die Köpfe zusammen, flüsterten sich zu und warfen argwöhnische Blicke in meine Richtung. Mir fiel nichts Besseres ein, als still auf meinem Platz zu sitzen und zu schweigen. Schließlich verlor sich das allgemeine Interesse an meiner Person. Die frostige Atmosphäre wich nach und nach, die Gespräche wurden wieder lauter, hier und dort war ausgelassenes Lachen war zu hören. Alsbald war das Restaurant wieder von einer klangvollen
Geräuschkulisse erfüllt.
Die Spannung, die von mir wich, war unvergleichlich. Mir fiel nicht nur ein Stein vom Herzen, sondern das ganze Matterhorn. Langsam entspannten sich meine Muskeln wieder, ich nahm einige tiefe Atemzüge und lehnte mich zurück.
Unter dem mitleidigen Blick meiner Frau nahm ich den Weinkrug, schenkte mir ein und leerte das Glas in einem Zug.
Erst als ich meinen Blick durch die Runde schweifen ließ, bemerkte ich sie.
Die junge Frau besaß eine äußerst dunkle Hautfarbe, selbst für Namibier, und ihre teure westliche Kleidung deutete an, dass sie zur namibischen Upper Class gehörte. Sie und ihr Begleiter starrten mich unverhohlen an. Auf einmal erhob sich die Frau und verschränkte die Arme.
"Beantworten Sie doch bitte die Frage.", sagte sie in fließendem Deutsch.
Augenblicklich war es totenstill. Die Stimmung fiel zurück auf den Frostpunkt, Spannung lag in der Luft. Neugierige Blicke zuckten durch das Restaurant, wechselten zwischen der jungen Frau und mir hin und her.
"Beantworten Sie die Frage!", sagte sie erneut. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Neugierde und rhetorischer Angriffslust. "Wo liegt denn das Problem? Es kann doch nicht so schwer sein, die Frage eines Kindes zu beantworten!"
"Yes, answer the question!", bekräftigte ihr Begleiter.
Ein Murren ging durch das Restaurant. Von allen Seiten wurden zustimmende Rufe und Aufforderungen laut, ein paar wenige in gebrochenem Deutsch, die meisten aber in Englisch und Afrikaans. Ich war zu verblüfft, um etwas zu erwidern. Im Mittelpunkt eines vielsprachigen Tohuwabohus war ich sprachlos.
Ich saß einfach nur da, unfähig zu denken, unfähig den Blick von dieser jungen Frau zu nehmen, die mich angrinste, freundlich und frech zugleich. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass es Situationen gibt, die nicht mit kühler Rationalität und Logik zu handhaben sind. Andere Länder, andere Sitten. Deshalb tat ich etwas, dass ich im durch und durch geregelten Deutschland nie getan hätte: Ich handelte instinktiv.
Als ich aufstand, konnte ich die vielen Blicke in meinem Nacken spüren. Ich hatte die volle Aufmerksamkeit. Mit langen Schritten von denen ich hoffte, dass sie meine Unsicherheit verbargen, ging ich auf die Frau zu.
"Und?", sagte sie. "Ich bin gespannt auf Ihre Antwort."
"Sie haben Recht.", erwiderte ich freundlich. "Es ist wirklich keine ganz einfache Frage, die mir meine Tochter da gestellt hat.
Umso besser wäre es also, wenn Sie vielleicht zur Klärung beitragen könnten.
Ich würde mich freuen, wenn Sie und Ihr Begleiter sich zu uns setzen würden."
Die Überraschung auf ihrem Gesicht war grenzenlos. Ich musste unwillkürlich lachen. Das Stirnrunzeln hielt sich noch einen Augenblick lang auf ihrem Gesicht, doch dann stimmte auch sie in mein Lachen ein. So standen wir uns gegenüber, lachten bis uns die Tränen kamen, ohne überhaupt zu wissen warum.
Als ich mit der jungen Frau und ihrem Begleiter zu unserem Tisch ging, begann irgendjemand zu klatschen. Andere stimmten ein und so setzten wir uns unter donnerndem Applaus an den Tisch zu meiner Frau und Anna. Einige der anderen Gäste folgten meiner Aufforderung und gesellten sich ebenfalls zu uns. Tische wurden gerückt, Stühle herbeigetragen und es entstand eine lange Tafel.
Die junge Namibierin reichte mir ihre Hand. "Ich heiße Nauyala, Nauyala Schmidt."
Nauyala erzählte mir von ihren Jahren in Deutschland, ihrem Studium in München. Nachdem ich einige Runden des schweren namibischen Rotweins bestellt hatte und die Stimmung zusehends lockerer wurde, berichtete Nauyala auch von ihren Adoptiveltern - weißen Grundbesitzern mit deutschen Wurzeln. Ihr Freund, Manager einer Hotelkette, erzählte von seiner Arbeit, den Gästen aus aller Welt, aber auch von namibischen Sitten und Gebräuchen.
Fleißig wurde zwischen Deutsch, Englisch und Afrikaans übersetzt und als ich über Deutschland sprach, hörte mir die ganze Tafel zu. Immer wieder musste ich von Würstchen, Mercedes und Karneval erzählen, musste erklären, was es mit deutschem Bier und Oktoberfest auf sich hat. Mein Versuch zu vermitteln, was ein Dirndel ist, endete in Gelächter. Ein gemeinsames Thema, König Fußball, war bald gefunden, spielten doch viele Namibier in deutschen Vereinen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit jedoch stand Anna, die immer
wieder die unmöglichsten Fragen zu den unmöglichsten Themen stellte und damit zur allgemeinen Erheiterung beitrug.
Als ich schließlich mit meiner kleinen Familie zwei Stunden und zwölf Weinkrüge später das Restaurant verließ, war mein Geldbeutel erheblich dünner, aber ich war um eine interessante Erfahrung reicher. So tat es mir ehrlich leid, dass unser Flug zurück nach Deutschland bevorstand. Immerhin hatte uns Namibia eine Menge Freude und Freunde beschert - und ein ganzes Bündel an Einladungen, sollten wir im nächsten Sommer zurückkehren.
"Das war der interessanteste Abend meines Lebens.", sagte meine Frau zurück im Hotel.
Ich nickte und ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen. Liebevoll streichelte ich Anna über den Kopf und gestand mir ein, dass es doch unangenehme Fragen gibt, die es wert sind, gestellt zu werden.
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