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Schlangen sterben einsam

©  Alfred Havelka


Was als Alptraum in meiner Kindheit begann, wurde an einem Sommertag in Südafrika bedrohliche Wirklichkeit.
Vanderkloof-Staudamm, Orange Free State, Südafrika. November 1976. Mittagspause im Baustellenbüro. Mitten in der ´Kleinen Karoo´.
Die ´Große Karoo´ ist knapp zweihundert Meilen entfernt. Buschmänner nennen sie das ´Land des großen Dursts´.
Die Hochebenen entlang des Oranje-Flusses sind ebenso trostlos - eine schier endlose Steppenlandschaft mit monotonen Weiten, kargen Hügeln und trockenen Tälern. Verdorrte kugelige Büsche, die sich bei starkem Wind selbstständig auf den Weg machen und irgendwohin rollen. Rotbraune zerklüftete Steinhaufen unregelmäßig verstreut über sandige staubige Böden, durch die weiten Flächen schon regelmäßig wirkend. Auf den Kuppen der Hügel verwitterte Felsen, zerbrochen, abgerutscht, zermürbt, pulverisiert im Jahrtausende langen, aber jetzt doch sichtbaren Erosionsprozess. Ein gleichmäßig hellblauer Himmel und eine sengende Sonne, die die Luft fast unerträglich aufheizt und flimmern lässt. Kein Wind, nicht einmal ein Lüftchen. Nur die widerstandsfähigsten Pflanzen überleben hier.
Nahe der Baustelle für den Staudamm am Oranje River ist eine Siedlung errichtet worden: Vanderkloof Township. Alle, die am Projekt arbeiten, leben hier.
Mit meiner Frau wohne ich hier in einem Reihenhaus. Es ist gar kein richtiges Reihenhaus, sondern es wurden einfach einige Fertigdoppelhäuser nebeneinander aufgestellt. Der Spalt zwischen zwei Doppelhäusern wurde mit Brettern verschlossen. In dem schlichten ebenerdigen Appartement haben wir ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, Bad, WC und eine große Küche mit einer Tür hinten hinaus zu einem kleinen Hof. Zu den Nachbarn ist dieser Hof an drei Seiten, nach links, nach rechts und nach hinten, durch einen Bretterzaun abgetrennt, abgeteilt, abgeschottet, gegen unerwünschte Einblicke oder weglaufende Hühner, abschlossen auf jeden Fall. Dafür ist der Vorgarten ohne Zaun, Hecke oder sonstige Abgrenzungsmerkmale, die wohl das Eigentum besonders hervor heben sollen. Ein tiefer aber schmaler Vorgarten. Schmal, weil jedes dieser Reihenhäuser nicht sehr breit ist. Außer auf dem kleinen Fußweg zum Vordereingang ist nur Gras im Vorgarten angepflanzt, das für Südafrika typische robuste Gras aus Wurzelgeflechten.
Ich halte meinen grünen VW-Käfer, dem hier allgemein üblichen Firmenfahrzeug für Jung-Ingenieure der schottischen Consulting-Gesellschaft, am Straßenrand zum Vorgarten. Die eine Stunde Mittagspause will ich mit meiner Frau verbringen, mit ihr essen, die Neuigkeiten austauschen, ihr wenigstens für diese kurze Zeitspanne Gesellschaft leisten, da sie hier keine Arbeit hat, Arbeit im beruflichen Sinne, bezahlte Arbeit.
Während ich aussteige, die Tür des Käfers mit Schwung zuwerfe, um das Auto herumgehe, den Weg durch den langen Vorgarten betrete, öffnet sich die leichte Fliegenschutztür im Hauseingang. Nur die leichte Fliegenschutztür. Bei diesen sommerlichen schwülen Temperaturen, noch dazu ohne Wind, ohne Lüftchen, ist die Haustür tagsüber sowieso immer offen.
Meine Frau kommt heraus. Sie muss wohl das Auto stehen bleiben und die VW-Tür zuschlagen gehört haben. Meine Frau tritt also heraus, lässt die Fliegenschutztür hinter sich wieder zufallen, macht zwei Schritte auf dem Podest zwischen Tür und Vorgarten, jetzt sind wir einander zugewandt.
Haalloo, rufe ich lang gezogen, beide winken wir einander zu. Sie will gerade die eine Stufe vom Podest herunter steigen auf das Gras, als ich es bemerke. Etwas ist da. Da liegt etwas. Was ist das? Ein Stock? Nein, so einen haben wir hier nicht. Außerdem ist es dafür zu lang. Ein Gartenschlauch? Nein, wir haben keinen Gartenschlauch, auch nicht so ein kurzes Stück. Nein ..., denke ich, doch! ..., schießt es in mir hoch, das gibt es doch nicht, oh ja, pressen die Gedanken und das Blut in den Kopf. Sieht aus wie eine Schlange, analysiert etwas in mir in Bruchteilen einer Sekunde, sie bewegt sich aber nicht, oh, ziemlich lang, gelblich ocker.
Was tue ich jetzt bloß? Was macht meine Frau da? Sie ist gerade dabei, ihren Schritt vom Podest auf das Gras herunter zu machen.
Dies alles passierte vor der Tür und in meinem Kopf nur in einem kurzen Augenblick, viel kürzer als die Zeit, die jetzt für das Nachlesen der Worte nötig sind.
Achtung, Vorsicht, da ist eine Schlange! Erregt und hektisch rufe ich es Doris zu.
Was ist denn los? Sie scheint mich nicht verstanden zu haben. Mir schießt in den Kopf, dass sie natürlich von nichts weiß, nicht das sieht, was ich sehe, nicht ahnt, in welcher Situation sie gerade ist. Nicht zu vergleichen mit meiner, denn ich bin ja am Anfang des lang gestreckten Vorgartens und sie im Begriff, einen Schritt zu tun, einen vielleicht verhängnisvollen.
Was tue ich jetzt, wie sage ich es ihr, dass sie es sofort begreift, und das schnell? rattert es still, aber mit Lichtgeschwindigkeit in meinen Gedanken.
Da ist eine Schlange, bleib stehen, wo du bist, fällt mir dazu nur ein. Aber es ist zu spät. Sie macht den Schritt. Sie macht den Schritt vom Podest auf das Gras über das fremde unbekannte Ding, bisher nur von mir als Schlange erkannt.
Was hast du denn? ruft Doris mir vergnügt und nur etwas stutzig zu. Was soll da sein?
Zum Glück, zu ihrem mehr als zu meinem, bleibt sie dabei nicht stehen, sondern geht noch einige Schritte weiter, mir entgegen.
Und nichts passiert. Die Schlange bewegt sich nicht. Keine Reaktion.
Dass Doris der höchsten Gefahr zunächst entkommen war, ist mir in dieser Situation nicht bewusst. Ich bin nicht etwa erleichtert, das kommt mir nicht in den Sinn, denn das Problem ist noch da, hat gerade erst angefangen. Die Schlange liegt noch da und regt sich nicht. Erst als Doris die Hälfte des Vorgartens hinter sich gebracht hat, mache ich noch einen Versuch.
Da, hinter dir, da ist eine Schlange! Ich deute auf die Stelle unterhalb des Podestes. Jetzt endlich, aber schon längst weg von der unmittelbaren Bedrohung, dreht sie sich um, und ganz schön schnell, fast ruckartig.
Huh, was ist das denn? Ihre Hand fährt erschrocken vor das Gesicht, bedeckt Nase und Mund, als sie auch die Schlange entdeckt. Wie kommt die denn hierher?
Auf solche Fragen fallen mir Antworten schwer.
Ich weiß es nicht, muss ich zugeben, Als ich aus dem Auto ausgestiegen bin, war sie schon da.
Was ist denn das für eine Schlange? fragte sie mich, und gleich weiter, ohne eine Antwort abzuwarten, Meinst du, dass sie giftig ist?
Wir hatten schon genug Schauergeschichten von Schlangen gehört vor unserer Abreise nach Südafrika. Märchen und Übertreibungen vielleicht, Mythen und Vorstellungen über Afrika. Freunde und Bekannte wussten allerhand zu erzählen, obwohl sie nie dort gewesen waren. Vor Gefahren und widrigen Umständen wollten sie uns warnen, bevor wir in dieses fremde Land zogen, in das große, dunkle Afrika, sie selbst aber in der sicheren Stadt blieben.
Das weiß ich auch nicht, Doris. Schaut ziemlich lang aus. Muster kann ich keines sehen von hier. Sie ist nicht sehr dick, aber auch nicht ganz dünn. Eine Würgeschlange ist es nicht, meine ich, als ob das für mich einen positiven Unterschied ausgemacht hätte.
Seit jeher hatte ich panische Angst vor Schlangen. Genauer gesagt, seit meiner Kindheit schon. Unbewusst und unbegründet schlummerte diese Abneigung, diese Phobie in mir.
Auf dem Schulweg, erinnere ich mich, hatte ich einmal ein böses Erlebnis. Ich war vielleicht sieben Jahre alt, noch ein kleiner Knirps, und ging allein die Strecke von der Wohnung zur Dorfschule. Als ich es hinter mir rascheln hörte, muss ich damals vor Schreck sofort gewusst haben, dass das nur eine Schlange sein konnte. Ich drehte mich hastig um, konnte aber in der Eile nichts erkennen, was ich heute noch beschwören könnte. Ich verlor einen meiner Sandalen und rannte davon.
Seither konnte ich kein illustriertes Buch mehr unbefangen umblättern, könnte ja eine Schlange auf der nächsten Seite sein. Allein der Gedanke daran ließ mein Herz schneller schlagen und kalte Schweißperlen waren plötzlich auf meiner Nase.
Und ich hatte Bücher mit Abbildungen von Schlangen im Regal stehen. Die kannte ich ganz genau. Hin und wieder musste ich sie zur Hand nehmen, die Seiten fasste ich nur mit spitzen Fingern an, vor allem jene, von den ich wusste, dass auf der Rückseite Schlangen auftauchten. "Die Schlange im Schlafsack" war eine solche Geschichte in einem meiner Jugendbücher, die mich jedes Mal erschauern ließ und doch oft magisch anzog.
So stehen Doris und ich also in diesem gefährlichen Land, schauen gemeinsam auf diesen Alptraum, diese bestimmt eineinhalb Meter lange unbekannte Schlange und überlegen laut. Was tun wir bloß, was tun wir bloß? brabbele ich vor mich hin, Ich hole Hilfe.
Doris erschrickt.
Du kannst mich doch hier nicht alleine lassen und weg gehen! Geh´ bloß nicht weg, hörst du?
O.K., O.K., murmle ich gedankenversunken, auf der Suche nach einer Blitzlösung.
Ich schaue zur Schlange, blicke mich um, nach rechts, nach links, zu den Nachbarhäusern. Nichts, niemand zu sehen.
Hilfe, Hilfe, rufe ich so laut ich kann, dass ich über den Ruf selbst erschrecke.
Schlange!
Nur diese Stichworte rufe ich in alle Richtungen. Auf Deutsch macht das überhaupt keinen Sinn, denke ich sofort, und rufe weiter.
Help, Help, Snake, Snake, Ssssnake!!
In der Hoffnung, dass gleich jemand kommt, uns beisteht und hilft, das Richtige zu tun, schaue ich mal zum linken Nachbarhaus, mal zum rechten, mal zurück über die Straße, drehe mich aber gleich wieder zurück, um die Schlange nicht aus dem Blick zu verlieren.
Ich sehe keine Hilfe kommen, jedenfalls nicht in meinem Blickfeld, das eingeengt vor Schreck bestimmt nur so schmal wie der Tunnelblick ist. Ich sehe, dass sie sich bewegt. Nach rechts. Er gleitet langsam nach rechts, dieser gelbe ockerfarbige Strich unterhalb des Podestes.
Sie kriecht fort, sage ich angespannt.
Wo wird sie jetzt hin wollen?, fragt Doris ganz ängstlich, Zu den Nachbarn, hinunter ins Dorf und dann?
Wieder so eine Frage, auf die ich passende oder die richtige Antworten nicht geben kann.
Keine Ahnung, ich weiß nicht, was jetzt ist. Stell´ dir vor, die Schlange kriecht ins Haus von Brian und Mary, ich weiß gar nicht, ob die jetzt da sind. Wir dürfen Sie nicht aus den Augen lassen. Wir müssen schauen, wo sie hingeht.
Bestimmt klinge ich nicht sehr entschlossen. Wie denn auch, wenn aus jahrelangen Ängsten und Abneigungen plötzlich eine wirkliche Situation entsteht und ich keine Erfahrung und kein Wissen im Umgang damit habe.
Was willst du denn machen? Was kannst du denn alleine tun? Willst du sie vielleicht fangen? Mehr ängstlich als keck und spitz klangen die Fragen von Doris.
Während wir beide, gefangen in unserem Schreck und unfähig zu heldenmütigen Aktionen, so miteinander schnelle Worte und Fragen wechseln, die Blicke jedoch auch auf die ganz langsam dahinfließende Schlange gerichtet, um jederzeit die neue Situation abschätzen zu können, handelt das Reptil statt uns. Und wieder anders, als wir denken, vermuten und spekulieren. Nicht schnell weg, nicht hinunter ins Dorf, und nicht zu unseren rechten Nachbarn Brian und Mary im nächsten Fertighaus.
Schlimmer noch.
Die Schlange kriecht um die Hausecke und verschwindet in dem etwa einen halben Meter breiten Abstand zwischen dem Haus der Nachbarn und unserem.
Oh, verdammt, wo kriecht sie hin?
Besorgt schaue ich meine Frau an, und diesmal stelle ich eine solche Frage, deren Antwort sie wohl auch nicht kennen kann.
Da kommt sie in unseren Hinterhof hinein, Ich erschrecke mit meinen Worten, denn plötzlich ahne ich das Furchtbare.
Da kann die Schlange nicht weg, nur durch unser Haus, stelle ich schwer atmend fest.
Wir schauen einander kurz an und wie von einem stillen, unhörbaren Impuls angetrieben, rennen wir beide zur vorderen Tür. Ich erreiche sie als erster, reiße den Fliegenschutzflügel auf und will in den Raum. Noch im Türrahmen halte ich inne, wage keinen Schritt in den Raum zu setzen. Nun ist Doris neben mir, offensichtlich genauso kleinlaut und verzagt wie ich.
Was ist, wenn die Schlange schon hier drin ist? fragt sie ängstlich und drückt sich noch etwas näher an mich heran.
Ach was, so schnell kommt sie doch hier nicht herein!
Ich gebe mich stark und versuche zu beschwichtigen. Mehr noch mich selbst als meine Frau. Mit vorsichtigen zögerlichen Schritten durchquere ich das Wohnzimmer, gehe hinein in die Küche. Meine Augen wandern überall hin, tasten eilig den Boden um mich herum und vor mir ab, prüfen Nischen und Ecken. Ich atme kurz auf.
Da ist nichts, Doris, keine Angst.
Meine Worte passen nicht zu meinem Gefühl. Ich bin angespannt bis zum Bersten, mein Herz hämmert, die Blicke rasen überall hin, wo sich etwas bewegen könnte. Meine Frau ist nachgekommen, beide stehen wir nun in der Küche. Was für ein Glück, die hintere Tür ist zu. Theoretisch kann hier keine Schlange hereingekommen sein. Ich aber fühle mich, als ob hier überall Gefahr lauere und hinter dem Schrank oder im Wäschekorb die Schlangen liegen. An den dunklen Platz unter dem Bett im Schlafzimmer mag ich gar nicht denken.
Draußen scheint alles ruhig zu sein, im kleinen Hof und auch vorne Richtung Straße.
Wo bleibt denn Hilfe? Hat keiner mein Rufen gehört?, denke ich verzweifelt.
Kein Anzeichen von anderen Menschen, die uns unterstützen könnten. Wobei ich im Moment auch nicht wüsste, was sie tun sollten, wäre jetzt noch jemand hier, um uns beizustehen. Klare Anweisungen kämen gewiss nicht von mir, eher die Bitte, doch zu helfen und etwas zu unternehmen in der Hoffnung, dass der oder die Helfer wohl sicher und souverän wüssten, was genau jetzt zu tun sei.
Aber es ist und bleibt ruhig.
Wir müssen raus in den Hof, sage ich und öffne die Tür.
Mein Herz rast.
Was machst du denn überhaupt da?, denke ich.
Ich blicke kurz herum in diesem kleinen Hof mit dem festen Erdboden.
Und da sehe ich sie. Sie liegt eingerollt auf der rechten Seite, nahe dem Bretterzaun zum Nachbar.
Bloß keine Panik, denke ich weiter. Aber was machst du jetzt, was machst du jetzt bloß?
Ohne weiter zu überlegen, trete ich hinaus aus der Küchentür. Das hätte ich besser nicht gemacht.
Das Reptil bewegt sich, gleitet zur Seite, noch weiter nach hinten und noch weiter hin zum Zaun.
Und ..., nein! ..., das darf nicht wahr sein, die Schlange richtet sich auf und wiegt den kleinen Kopf leicht seitlich. Sie richtet sich auf. Es ist eine Kobra.
Oh, mein Gott, schießt es mir durch den Kopf, Gefahr, Gefahr! Was mache ich, wenn sie herkommt? Was mache ich, wenn sie beißt? Soll ich weg laufen oder soll ich hin?
Ich entschließe mich zum Angriff. Ich muss mich wehren, sie erschlagen, muss sie töten.
Aber womit denn, wo bekomme ich einen Stock her, einen langen dicken Stock? Einen sehr langen Stock.
Ich habe Angst, riesige Angst. Ich schaue schnell herum im Hof. Da ist kein Stock. Links ist nur unser kleiner Felsgarten, ein erbärmlicher Versuch unserer Pflanzkunst. Noch dazu in dieser kargen, trockenen Gegend.
Aber da liegen Steine. Einige größere und kleinere Steine, aufgeschichtet als Einfassung für den Felsgarten. Ich mache zwei Schritte zum nächsten Stein, das Reptil lasse ich dabei nicht aus den Augen. Es ist immer noch aufgerichtet und wiegt den Kopf seitwärts und vorwärts. Ich bücke mich schnell, packe einen Stein vom oberen Rand des Steingartens und schleudere ihn mit beiden Händen in Richtung Schlange. Vor lauter Erregung verfehle ich das Ziel. Den großen Stein habe ich einfach daneben geworfen, zu weit nach links.
Die Schlange bleibt, wo sie ist, der Brustteil des Reptils hat sich geweitet und aufgebläht.
Oh Shit!, denke ich, das schaut nicht gut aus. Weiter!
Ich greife zum zweiten Stein, wuchte ihn in Richtung Schlange am Zaun, diesmal etwas weiter nach rechts. Der Stein erwischt sie am Schwanz. Aber es ist nicht genug, keine Wirkung.
Mehr, mehr, mehr!, dränge ich mich selbst, mache mir Mut und ich greife nach den Steinen, größeren, kleineren und mittleren, wie sie mir in die Hände geraten. Ich bin in Panik. Daher treffe ich kaum.
Was macht das Biest da?
Es will weg. Die Schlange lässt Kopf und Oberkörper zu Boden sinken und sucht einen Weg durch den Zaun. Zum seitlichen Nachbar. Da ist eine Ritze im Zaun. Vielleicht zwei bis drei Zentimeter breit. Da will die Kobra jetzt durch. Und ich werfe Stein um Stein nach ihr. Wirkung kann ich keine feststellen. Näher hin gehen wage ich auf keinen Fall.
Da höre ich Stimmen vom Nachbarhof. Oder zumindest registriere ich die menschlichen Rufe erst jetzt. Gewiss haben die Nachbarn die Steine gehört, die mehr gegen den Zaun polterten als die Schlange trafen. Ich schreie hinüber.
Snake, snake, it comes into your backyard!
Aufgeregte Stimmen jenseits des Bretterzauns. Ich kann nichts sehen. Der Schwanz der Kobra ist hier in diesem Hof, der Kopf und Vorderkörper sind drüben. Die Schlange bewegt sich nicht mehr vorwärts, zum Glück auch nicht mehr zurück, sie ist stecken geblieben.
Vom drüberen Hof höre ich schlagende Geräusche, Holz auf Holz.
Sie schlagen auf die Schlange ein, denke ich.
Und ich sehe Blut über den Körper der Schlange laufen. Das Blut rinnt über den Hinterkörper zurück, färbt die gelb-beige Reptilienhaut schnell rot. Der Schwanz hängt nun lose und schlaff aus der Ritze des Holzzaunes.
Das Geschrei im Nachbarhof verstummt, die Stimmen werden auf der Straße hörbar, ich höre Menschen durch unser Haus kommen. Sie sprechen mit meiner Frau. Dann sind Brian, unser Nachbar, und zwei Schwarze im Hof.
Die beiden Bantu - die meisten hier sind vom Stamm der Xhosa - sprechen schnell und lebhaft miteinander in `Nguni`. Bei vielen Worten schnalzt die Zunge am Gaumen, es klingt wie ein Klappern. Eine fröhliche Sprache, die mich fasziniert, nur nicht in dieser Situation mit der blutenden, leblosen Schlange im Hof.
Sie grinsen über das ganze Gesicht.
Ich schaue bestimmt verdattert und ziemlich fertig aus. Und sie grinsen nur.
Cape Cobra, sagt einer der Bantu, no good snake, dabei verzieht er seinen Mund zu einer ekligen Grimasse und zieht theatralisch die Augenbrauen hoch, dass das Weiße seiner Augen noch mehr als Kontrast zum schwarzen Gesicht hervortritt, We kill it.
Mein Nachbar Brian klopft mir kumpelhaft auf die Schulter, die beiden Einheimischen, entweder seine Gärtner, House Boys oder Freunde seiner schwarzen House Maid, gehen an mir vorbei zum Zaun. Einer der beiden Bantu packt die Schlange am Schwanz, der andere weiter vorne den Körper, gemeinsam ziehen sie das Reptil aus der Zaunritze zurück.
Der ganze Körper der Kobra ist blutüberströmt. Von Kopf und Schwanz tropft Blut auf den Hofboden, als sie das leblose Reptil mit bloßen Händen an mir vorbei tragen.
Mich ekelt. Auch jetzt kann ich die Schlange nicht genauer anschauen, kann sie nicht begutachten, jetzt, wo sie doch offensichtlich tot ist. Berühren? Nein, berühren kann und will ich sie nicht.
Siegesgefühl kommt keines in mir auf, keine Euphorie, keine Jubelstimmung. Das Entsetzen und der Schrecken stecken noch in all meinen Gliedern. Nur langsam klingt das Gefühl aus, ebbt die Panik ab.
Einige Stunden später, nachdem ich mich nach dem weiteren Verbleib der toten Kobra erkundigt hatte, höre ich, dass die Schwarzen sie verzehrt haben. Abgehäutet, im offenen Feuer gegrillt, gegessen. Völlig normal für diesen Stamm der Xhosa.
Seltsame Gedanken kommen mir in den Sinn. Jetzt, viele Jahre später, als ich dieses Erlebnis, meine erste Begegnung mit einer Schlange in Südafrika, niederschreibe.
Die Schlange hatte etwas getan, was ich nicht vermochte. Sie hat selbstständig gehandelt. Und ich habe nur reagiert. Dreimal hat sie selbst entschieden.
Das erste Mal vor der Podeststufe im Gras. Da hatte sie offensichtlich beschlossen, nicht zu beißen, sondern sich weg zu schlängeln.
Das zweite Mal änderte sie die Richtung, nicht hinunter ins Dorf, sondern nach links zwischen den Häusern hindurch in den Hof. Und das dritte Mal entschied sie, mich nicht anzugreifen, sondern wieder zu fliehen.
Einsame Schlange. Hatte der Instinkt ihr gesagt, dass sie in jedem Fall sterben müsste?



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