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Kurzgeschichte Afrika Kurzgeschichtenwettbewerb Afrika Kurzgeschichten


Plateau

©  Karla Schmidt


Vor mir ging Angélique, ihr Haar schlug Flammen unter der sinkenden Sonne, ihr Tritt war sicher und stetig, Schritt für Schritt im Rhythmus unseres Atems auf glühende Tafelberge und tief darin eingegrabene Schattenschluchten zu. Ich hatte mein Wasser bereits verbraucht, doch das leise Glucksen der Flasche, die bei jedem Schritt gegen Angéliques Schenkel schlug, beruhigte mich. Seit dem Sandsturm, der uns von den Anderen getrennt hatte, konnte ich selten an etwas anderes als an frisches Wasser und an meine Männer denken, die vielleicht nicht mehr am Leben waren, weil ich Angélique begegnet war. Damals waren wir fünf, Said, der schöne Abdul, Ahmed, Ibrahim der Koch und ich, den sie Le Chef nannten. Unsere Zelte standen einen Tagesmarsch weit draußen vor M'Hamid, und im Frühling, wenn es noch nicht zu heiß war, nahmen wir Touristen auf unsere Routen mit und zeigten ihnen die Schönheit der Wüste. Wir haben niemals einen von ihnen verloren.
Die meiste Zeit liefen Angélique und ich schweigend, die Sonne sank endgültig hinter den Horizont, und die Berge, die sich in schartigen Terrassen Schicht für Schicht aufeinander türmten, ragten hoch vor uns auf. Als wir ihre ersten Ausläufer erreichten, wurde es für kurze Zeit so dunkel, dass ich nicht mehr wusste, wie meine Füße ihren Weg über die kantigen Steine fanden. Dann erschien das Nachtlicht am Himmel, um uns mit seinem kalten, fremden Schein den Weg durch die Schluchten zu weisen. Unter einem Steilhang machten wir Rast. Angélique ließ ihren Rucksack fallen und rollte ihren Schlafsack aus, ich wickelte mich in meine alte Decke und, zu müde um darüber nachzudenken, dass wir uns dem Ziel unserer Reise näherten, schlief ich ein, bevor ich die Augen schließen konnte.
Ich erwachte vom Duft des Kaffees, den Angélique in der Glut eines kleinen Feuers brodeln ließ. Die Sonne stand schon über dem Horizont. "Kaffee entzieht dem Körper Wasser." Angélique drehte eine Zigarette und lächelte mich mit ihren gelben Raucherzähnen an. "Wir sind fast da. Wir können uns den Luxus erlauben." Sie leckte das Papier mit einer bleichen Zungenspitze an, bevor sie die Zigarette sorgfältig zuklebte. Dann drehte sie noch eine Zigarette und reichte sie mir. Früher habe ich rauchende Frauen verabscheut, aber am Fuß dieser Berge war ich dankbar, dass Angélique ihren letzten Tabak mit mir teilte, und wir bliesen gemeinsam den Rauch in den kalten Morgenhimmel. Als die Sonne an Kraft gewann, reckte Angélique ihr das Gesicht entgegen, als hätte sie noch nicht genug von ihr bekommen. Ihre Haut war faltig und trocken, doch ihr Gesicht erstrahlte in Vorfreude und Hoffnung, und ich beneidete sie um diese Gefühle, die ich nicht teilen konnte.
Weit über uns in den Felsen schrie ein Esel und sagte uns, dass Menschen in der Nähe waren. Der Klang seiner Stimme riss meine Gedanken in eine unendlich fern erscheinende Vergangenheit, und ich fand mich an einem heißen Nachmittag in M'Hamid wieder. Ich ritt mit vier Kamelen ins Dorf, um Vorräte für die nächste Touristentour einzukaufen. An der Kreuzung gab es einen kleinen Menschenauflauf. Ich band die Kamele fest und drängte mich nach vorne durch. Mitten auf der Straße stand Jamal der Dattelbauer mit einem Stock in der Hand und prügelte auf einen alten Esel ein, der sich weigerte, seine Last noch einen Schritt weiter zu tragen. Vor Jamal stand eine Frau mit nackten Armen und unbedecktem Haar, das wie ein Kranz roter, flaumiger Federn von ihrem Kopf abstand. Sie schrie in einer fremden Sprache auf Jamal ein. "Was ist das für eine Sprache?" Ich boxte den Jungen, der neben mir stand, in die Seite, um eine Antwort zu erhalten. "Nachtlicht. Lernen wir in der Schule." Ich hatte noch nie jemanden getroffen, der von der Raumstation kam. Der Junge rieb sich die schmerzende Seite. "Und was sagt sie?" "Dass er ein brutaler Kerl ist und sie hofft, dass seine Frau ihm wegläuft, weil er die bestimmt auch verprügelt." Jamal, dessen roter Hals vor Zorn zitterte, ließ von dem Esel ab und ging mit dem Stock auf die Fremde los. Sie wich nicht zurück, bot ihm die schweißglänzende Stirn, breitbeinig, die Hände in die Seiten gestemmt wie ein Mann. Ihre Brüste und ihre Beine zeichneten sich unter der engen Kleidung ab und jedermann starrte sie in Erwartung der Schmerzen, die Jamal ihr zufügen würde, erwartungsvoll an. Der Junge, der für mich übersetzt hatte, unterdrückte ein Stöhnen, und als Jamal den Stock hoch über den Kopf der Fremden hob, lief ich, ohne zu wissen was ich vorhatte, mit langen Schritten auf die Kreuzung und schlug Jamal die Nase ein. Er setzte sich auf die Straße und betrachtete das Blut, das in seine zur Opferschale geöffneten Händen fiel. Niemand kam ihm zu Hilfe, und als Angélique den alten Esel am Zaumzeug nahm und von der Kreuzung führte, gab es vereinzelt Applaus. Ich folgte ihr.
"Ich sag dir, Chef, heute ist es so weit." Ich erwachte aus meinen Erinnerungen, als Angélique mich an der Schulter berührte. Sie hatte bereits unsere wenigen Habseligkeiten zusammengepackt. Wir waren abmarschbereit. Es ging steil aufwärts, die Konturen der Felsen verschwammen im gleißenden Sonnenlicht, doch Angélique fand in den Rinnen und Furchen so sicheren Tritt wie die Ziegen, die weiter oben auf den Felsabsätzen nach Kräutern suchten. Nicht mehr lange, und wir würden Menschen treffen, wenn ich nichts dagegen unternahm. Ich folgte Angélique, während ein weiterer Tag verstrich, und als wir uns dem Plateau näherten, stand das Nachtlicht schon am Himmel und zwang die Steinformationen über und unter uns, in bizarrer Dreidimensionalität aus dem Dunkel hervor zu treten. Im exakten grünen Licht des künstlichen Himmelskörpers, den Angélique ihre Heimat nannte, bekam alles eine unwirkliche Plastizität, so dass die entferntesten Felsen aussahen, als hätte ich sie umstoßen können wie ein Kind seine Bauklötze, wenn ich nur die Hand danach ausgestreckt hätte.
Angélique reichte mir eine Hand und half mir den letzten Schritt auf das Plateau hinauf. Wir ließen uns atemlos auf den kahlen Boden fallen und blickten uns um. Auf der Ebene, die sich zwischen uns und dem nächsten Steilhang ausbreitete, lagerte ein Dutzend Hirten und Salzwäscher an weit verstreuten Feuern, und es roch nach Rauch und gebratenem Fleisch. Am Fuß des Steilhangs schimmerte ein Salzsee mit verkrusteten Ufern im grünlichen Licht. Gekrönt wurde er von einer wuchtigen Felsenburg, aus der Hunderte zu schmalen Schlitzen zusammengekniffene Fensteraugen die Wüste nach Leben absuchten. Angélique deutete nach oben. "Siehst du die Festung?" Ich nickte, unfähig, die knappe Luft in meinen Lungen zu Worten zu formen. "Auf Nachtlicht gibt es auch so viele kleine Fenster, gerade groß genug, dass man sich bäuchlings auf sie legen und unter sich die Tiefe des Alls fühlen kann." Ich hörte das Heimweh in ihren Worten, und obwohl sie mir oft und inbrünstig von Nachtlicht erzählt hatte, konnte ich es nicht nachempfinden.
Angélique stand auf und ging auf eines der Feuer zu, das am Rand des Plateaus dicht neben einem kleinen Rinnsal, das dort in die Tiefe stürzte, flackerte. Ich sah ihr nach und trank den letzten Schluck aus ihrer Wasserflasche. Am Feuer saß ein einzelner Mann, eine massige, dunkle Silhouette mit krausem Haarschopf. Plötzlich griff Angst in meine Eingeweide und ließ mich trotz meiner Erschöpfung aufspringen und Angélique nachrennen. Ich riss sie zu mir herum, mein Atem ging schwer. "Ist er das?" Angélique bog meine Finger auseinander, die ihren Oberarm umklammert hielten. Ich tat ihr weh, aber sie wirkte weder wütend noch verletzt. "Nein." Die Antwort sickert in meine Verstand ein, ich gab Angéliques Arm frei und ließ Kopf und Schultern hängen. Jetzt endlich fühlte ich, wie verzweifelt nah das Ende unserer Reise war, und die Erkenntnis drückte auf mich herab wie ein lähmendes Gewicht. Angélique rieb sich den Arm. "Lass uns zu ihm gehen und fragen, ob er was weiß." Ich trottete hinter ihr her und versuchte, die ohnmächtige Wut, die mich eben noch getrieben hatte meine Finger in ihr Fleisch zu graben, am Leben zu halten. Doch ich spürte nur die Angst, sie an den Mann zu verlieren, den zu finden von Anbeginn unser Ziel gewesen war. Ich hatte gewusst, worauf ich mich einlasse, und ich stellte fest, dass ich die Gefahr unterschätzt hatte.
Wir näherten uns dem Feuer, und sein Hüter stand auf, um unsere Ankunft zu erwarten. Wir betraten den warmen Lichtkreis und der Fremde deutete eine Verbeugung an. Dann betrachtete er Angélique genauer, trat näher und nahm vorsichtig eine von ihren roten Haarsträhnen zwischen Zeige- und Mittelfinger. Ich machte mich bereit, ihre Ehre zu verteidigen, sollte er noch weiter gehen, doch es kam nicht dazu. "Bist du Angélique?" Angélique gab einen verblüfften Laut von sich und nickte, und der Fremde lud uns mit einer Geste ein, uns zu ihm zu setzen. "Wieso weißt du, wer ich bin?" Der Fremde stellte drei Teegläser auf ein kleines Tablett und begann, Zucker zu stampfen. "Von Gregorian. Er hat oft von dir gesprochen." Ich sah, wie Angélique, deren ganzer Körper mir bis zu diesem Augenblick immer wie eine kraftvolle, unermüdlich arbeitende Maschine erschienen war, sich zum ersten vollständig zu entspannen und in den Boden zu schmelzen schien, auf dem sie saß. "Also lebt er."
Der Fremde, dessen Haut schwarz, und dessen Rücken breit und rund war, als trüge er einen Panzer unter seinem abgenutzten Hemd, ließ aus seiner Kanne schäumenden Tee in die Gläser fallen. "Es ist mir eine Ehre, seine Frau und ihren Begleiter zu bewirten." Angélique reichte mir eines der Gläser weiter und nahm ihres entgegen. "Wo ist er? Wie geht es ihm?" Der Fremde zeigte zur Felsenburg hinauf. "In der Festung. Er war verletzt, doch jetzt geht es ihm gut. Er spricht oft davon, dich zu suchen. Ich werde dich morgen zu ihm führen. Doch heute Nacht schuldet ihr mir eine Geschichte. Mein Name ist übrigens Pierre." Angélique stellte mich als ihren Führer vor, nahm eine bequeme Haltung an, indem sie sich mit dem Rücken gegen meine aufgestellten Beine lehnte, und begann zu erzählen, während das Nachtlicht langsam seinem Zenit entgegen stieg.
"Gregorian und ich waren zu Manöverübungen in der Atmosphäre eingeteilt, aber wir sind in ein Unwetter geraten, es gab einen Unfall. Wir gehören zur ersten Generation, die auf der Station geboren wurde. Für uns ist die Erde ein fremder Himmelskörper, das Nachtlicht unser Zuhause." Angélique wendete den Kopf und bedachte mich mit einem kurzen Blick aus dem Augenwinkel. "Das verstehen wenige, die von der Erde kommen. Sie denken immer, man müsste froh sein, der komplexen Enge unserer gewachsenen Konstruktion zu entkommen, man müsste die Weite des Horizonts genießen, die einen hier unten umgibt. Aber so ist es nicht. Die Enge, in der wir leben, bedeutet Schutz vor einem viel weiteren Horizont, als Erdbewohner ihn je gesehen haben: Wir blicken ständig hinab in die Tiefe des Alls. In die Weite, in die uns das Nachtlicht eines Tages führen wird." Angélique prostete mit ihrem Teeglas dem Nachtlicht zu, das seinen höchsten Stand erreicht hatte. "Gregorian und ich kamen nicht am gleichen Ort runter. Bei mir wars Marokko, und von ihm hörte ich zuletzt, dass er versuchen wollte, im Zentralmassiv der Sahara zu landen, bevor die Verbindung abriss. Ich hatte seitdem auch keinen Kontakt mehr zu Nachtlicht. Mein größter Wunsch ist, mit meinen Mann nach Hause zurückzukehren."
Pierre schenkte Tee nach. "Er arbeitet ständig an seinem Gleiter. Seit er seine Hände wieder gebrauchen kann. Er hat es eilig, er sagt, wenn er dieses Jahr den Abflug nicht schafft, schafft er ihn nie." Angélique befeuchtete ihre trockenen Lippen. "Ja, wir sind fast so weit. Zur Jahreswende bricht das Nachtlicht in den tiefen Raum auf. Für immer. Mein Gleiter war nicht mehr zu retten. Wenn ich meinen Chef hier nicht gefunden hätte" - Angélique zwickte mich spielerisch in die Wade - "und wenn er nicht so verknallt in mich gewesen wäre, dass er seine Touristentouren abblies und seine Männer überredete, den Weg quer durch die Wüste für mich zu wagen, säße ich jetzt wohl immer noch in M'Hamid und würde Esel züchten, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen."
Ich ging auf Angéliques Spiel ein, und gab mich charmant, denn so konnte ich ihr vielleicht ein letztes Mal zu sagen, was ich für sie empfand, ohne sie oder mich in Verlegenheit zu bringen. "Ich habe ihr nach allen Regeln der Kunst den Hof gemacht, aber Angélique bot mir ihre Freundschaft an. Meine Männer haben mich die ganze Zeit damit aufgezogen. Sie erklärten mich für verrückt, einer Frau Wünsche zu erfüllen, bei der nicht die geringste Aussicht besteht, dass sie meine Wünsche erfüllen würde. Aber was wäre die Kunst der Verführung, wenn man sie so schnell aufgeben wollte?"
Angélique lachte, nahm meine Hand und drückte sie kurz. Nicht mehr lange, und das Nachtlicht würde untergehen. "Und wo sind deine Männer jetzt?" "Wir haben sie und alle Kamele in einem Sandsturm verloren. Wir wissen nicht, was aus ihnen geworden ist. Aber morgen werden wir wissen, ob die Reise diesen Preis Wert war." Angélique hörte die Bitterkeit in meiner Stimme, die ich nicht verbergen konnte, und sah mich mit einem fremden Glanz in den Augen an. Wieder drückte sie meine Hand, diesmal länger. Ich entzog sie ihr, verließ den Kreis des Feuerscheins und ging zum Rand des Plateaus. Das Nachtlicht sank hinter den Horizont und Schwärze senkte sich über die Wüste, die vor mir lag wie ein fremder, ferner Ozean. Ich setzte mich an den Rand der Welt und blickte hinaus ins Nichts.
Kurz darauf hörte ich Schritte. Angélique setzte sich neben mich an den Abgrund und ließ die Beine baumeln. "Erinnerst du dich an die letzte Oase? Wir sind vom inneren Hof heimlich zum Wasserspeicher gelaufen, einmal um die halbe Siedlung. Dort haben wir uns nebeneinander ins klamme Gras gesetzt und über Nachtlicht geredet. Wir waren allein und du sagtest mir, wie schon oft, du würdest niemals die Frau eines anderen Mannes berühren. Ich wusste, dass ich dir glauben konnte, aber ich habe mir in diesem Moment gewünscht, ich könnte es nicht. Und jetzt sitzen wir wieder zusammen, vielleicht das letzte Mal in unser beider Leben." Ich wartete ab. Angélique zog die Beine an den Körper und umschlang sie mit den Armen. "Weißt du, dass ich mich kaum noch erinnern kann, wie er aussieht? Gregorian meine ich. Es ist so lange her." "Um mir das zu sagen, bist du zu mir gekommen?" "Nein." Angélique drehte ihren Kopf so, dass ich ihr Profil gegen den Schein des Feuers erkennen konnte, während sie sprach. "Ich wollte sagen, dass es mir Leid tut, und dass ich in einem anderen Leben, unter anderen Umständen, dich als Mann gewählt hätte. Ich weiß nicht, wie ich dir für das, was du für mich getan und geopfert hast, danken soll."
Angéliques Worte standen wie zitternde Trugbilder zwischen uns in der Nacht. Sie bot mir eine letzte Chance, sie für mich zu gewinnen, und es lag an mir, sie zu ergreifen oder zurückzuweisen. Ich setzte mich auf meine Hände und starrte mit vor Spannung zitternden Armen in die Nacht. "Ist dir kalt?" Ich schüttelte den Kopf. Dann war Angélique plötzlich hinter mir, schlang ihre Arme um meine Schultern und legte ihren Kopf auf meinen Rücken. Ich ergriff ihre Arme und hielt mich daran fest als würde ich sonst in die Tiefe vor mir stürzen und atmete ein paarmal langsam ein und aus. Am Himmel flammten die ersten Sterne auf. Ich wollte mich in Angéliques Umarmung fallen lassen und ihr Angebot annehmen, nur ein einziges Mal, aber ich zwang mich, an den Grund unserer Reise zu denken. Und dann zwang ich mich, nicht mehr daran zu denken. "Kennst du Marrakesch? Das lag früher im Landesinneren. Dort ist einmal im Jahr Markt, dort habe ich immer meine Kamele verkauft. Marrakesch muss einmal sehr schön gewesen sein. Jetzt ist ein Teil davon im Meer versunken und viele Gebäude sind verfallen. Jedes Jahr im Herbst kommen Karawanen aus allen Richtungen. Jetzt ist Sommer. Bis zum Herbst im nächsten Jahr könnte ich es schaffen, wieder dort zu sein, vielleicht einen neuen Anfang machen." Sie verstärke den Druck ihrer Arme und presste mir die nächsten Worte aus dem Leib: "Komm mit mir!" Angélique löste ihre Umarmung und stand auf.
"Verdammt kalt heute Nacht. Lass uns ein wenig spazieren gehen." Sie ging in Richtung See voraus, ich schloss auf und ging neben ihr, jedoch ohne sie zu berühren, an seinem verkrusteten Ufer entlang. Nach und nach erloschen alle Feuer um uns herum, und als wir eine kleine Felsenbucht erreichten, holte Angélique eine Feldflasche unter ihrem Hemd hervor. "Auf ewige Freundschaft!" Sie nahm einen Schluck und bot mir die Flasche an. Ich sog das scharfe alkoholische Aroma ein und zögerte, denn ich hatte noch nie in meinem Leben Alkohol getrunken. Doch dieses Mal nahm ich die Herausforderung an, übertrat das Gebot, blickte ihr tief in die Augen und nahm einen langen, brennenden Schluck. Angélique nahm die Flasche, indem sie mit ihren Händen meine Hand umschloss, trank, küsste mich schnell und hart auf den Mund und bot mir erneut das flüssige Feuer an. Ich schluckte mehr und Angélique kicherte ungewohnt mädchenhaft, als sie ihre Hände in meine Djellaba schob. Wir ließen uns auf den harten Boden nieder und unsere fliegenden Hände suchten auf dem fremden Körper nach der lang ersehnten Erlösung. Es dauerte lange und wir bemühten uns sehr, doch keiner von uns fand was er suchte.
Angélique rang sich ein Lachen ab und ich hörte die Verzweiflung darin. Sachte nahm ich meine Hände zu mir, ordnete meine Kleidung und nahm einen letzten Schluck aus ihrer Flasche. "Auf ewige Freundschaft." Angélique nickte und lächelte.
Danach gingen wir Hand in Hand zurück zu unserem Gastgeber. Er schlief bereits, doch er hatte die Glut und die Asche seines Feuers über dem Brot für den Morgen zusammengeschoben. Der warme Duft strömte in mich ein und ließ mich ruhig werden. Angélique und ich traten noch einmal an den Rand des Plateaus. Wir standen so hoch, dass der sternenfunkelnde Himmel nicht nur über uns, sondern vor uns und beinahe sogar unter uns zu schimmern schien. Die Wüste lag wie ein finsteres Loch zu unseren Füßen, als hätte die Erdkugel hier eine Kante, von der aus man direkt in den Weltraum blickt. "Hörst du?" fragte Angélique. Ich lauschte. "Nein, nichts." Angélique nickte zufrieden. "Wie zuhause im All. Dort gibt es auch keine Geräusche, weil es keine Luft gibt, die sie übertragen könnte." Ich wusste, dass auf der Erde da unten Menschen lebten, aber angesichts dieser Schwärze zu unseren Füßen konnte ich mir das plötzlich nicht mehr vorstellen. Mir war, als stünde ich in der Weite einer fremden Landschaft auf einem fernen Planeten. Da unten leben Menschen, dachte ich wieder. Aber am Rande des Plateaus fühlte sich dieser Gedanke an, als sei dieses Unten bereits tief unter der Erdoberfläche. Ich verstand, warum Angélique nach Hause wollte. Ich atmete scharf die kalte Nachtluft ein, umarmte sie kurz, kehrte dem Abgrund den Rücken und legte mich neben der Glut des Feuers schlafen.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, waren Pierre und Angélique bereits fort. Auf einem flachen Stein zu meinen Füßen fand ich, eingewickelt in Angéliques ausgeblichenen Tschasch, ein Stück noch warmen Brotes.



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