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Land der Tränen

© Hannelore


Mit ungutem Gefühl hole ich an diesem Tag die Post aus dem Briefkasten, vielleicht ist schon die Rechnung für die Autoreparatur dabei, "wird nicht billig", , hat der Meister gesagt, - da halte ich den Briefumschlag auch schon in den Händen. Mit einem Griff reiße ich ihn auf, mich trifft fast der Schlag, achthundert Euro, da kann ich den Urlaub für dies Jahr sofort streichen. Total enttäuscht lasse ich mich auf einen Stuhl fallen, nur mühsam kann ich meine Tränen zurückhalten. Nach meiner Scheidung wollte ich mir einen schönen Urlaub gönnen, und jetzt diese teure Rechnung. Aus der Traum vom Urlaub, aber was soll's, das Leben geht auch ohne Urlaub weiter. Gelangweilt sortiere ich den Rest der Post, mal wieder Werbung für Doofe dabei. "Sie haben gewonnen" steht da in großen Buchstaben. Normalerweise fliegt solche Post sofort in den Müll, aber heute lese ich jeden Satz genau durch. Eine Reise, sieben Tage nach Afrika habe ich angeblich gewonnen, anzutreten in drei Wochen. Ich muss grinsen, die Werber werden immer dreister. Alles sieht so echt aus, kein Wunder, dass immer wieder Menschen auf diese Masche hereinfallen, aber doch nicht ich. Unten steht die Nummer einer Hotline, keine 0190-er, da bin ich mal frech und rufe an. Freizeichen am anderen Ende, mir wird ein bisschen komisch, und will gerade wieder auflegen, da meldet sich eine freundliche Dame "Euroreisen, was kann ich für sie tun?" "Drews mein Name", stottere ich, "ich rufe an, wegen der Gewinnreise nach Afrika." "Einen Moment bitte, ich schau mal in meinen Computer, ja, da haben wir sie ja schon, "Frau Drews aus Hamburg?" "Ja, das ist richtig", sage ich. "Möchten sie die Reise bestätigen?" "Was kommen denn da noch für Kosten auf mich zu", frage ich zaghaft. " Gar keine, in dem Gewinnpaket sind alle Kosten, wie Flug, Unterbringung, Verpflegung und Ausflüge enthalten, nur für Taschengeld müssen sie selber sorgen, wenn sie die Reise jetzt bestätigen, bekommen sie alle Unterlagen zugeschickt, und können alles in Ruhe durchlesen." "Ja gut, dann bestätige ich die Reise." Es kommt ein schnelles Danke, und dann hat die Dame auch schon aufgelegt. Mir zittern richtig die Knie, hoffentlich habe ich keine Reise gebucht, die ich bezahlen muss.
Zwei endlos lange, und vor allem unruhige Tage vergehen, dann halte ich endlich meine Reiseunterlagen in der Hand, und ich brauche wirklich keinen Pfennig dazubezahlen. Erst jetzt kann ich mich richtig über diese Reise freuen, tanze wie eine bekloppte durch die Wohnung, und singe, "ich fliege nach Afrika, ich fliege nach Afrika." Nach einiger Zeit werde ich nachdenklich. Was weiß ich eigentlich über dieses Land? Für mich ist es das Land der Tränen, immer wenn im Fernsehen Bilder über Afrika gezeigt werden geht es um Hungerkatastrophen, entsetzliches Leid und Gewalt, besonders gegen Frauen und Kinder. Oft schalte ich einfach weiter, weil ich den Anblick der Grausamkeiten nicht ertragen kann. Ich sehe die aufgedunsenen Bäuche der schon fast verhungerten Kinder, die dünnen Ärmchen und Beine, die Fliegen, die im Gesicht herumkrabbeln, und es ist keine Kraft mehr da um sie einfach mit einem Handschlag zu verjagen. Keine Regung ist in diesen Gesichtern zu erkennen, der Blick geht einfach ins Leere. Da sind die Stammeskämpfe, wo die Menschen sich gegenseitig abschlachten, egal ob Mann, Frau oder Kind. Da gibt es Länder, wo Menschen durch Steinigung zum Tode verurteilt werden, einfach schrecklich. Diese Menschen werden bis zur Hüfte im Sand eingegraben, damit sie nicht weglaufen können, und dann beginnt die Meute Steine auf diese hilflosen Menschen zu werfen, für mich unvorstellbar, wer wirft den ersten Stein? Dann die Beschneidung der Mädchen, die trotz Verbot noch häufig praktiziert wird. Nein, ich will gar nicht weiter über dies Land nachdenken, und frage mich, ob ich überhaupt in dieses Land reisen will.
Am Abend sehe ich dann zufällig eine Reportage über Kenia im Fernsehen, meine schrecklichen Gedanken sind beim Anblick der großen wilden Tiere und der unendliches Weite dieses Landes verschwunden. Mein Entschluss steht fest, ich fliege. Zwei Wochen später lande ich dann mit meiner Reisegruppe in Kapstadt, alles sehr nette Leute, und ein Reiseleiter ist auch dabei. Ohne Reiseleiter würde ich wahrscheinlich nicht ein einziges Mal das Hotel verlassen. Die Angst, ich könnte verloren gehen schwebt ständig in meinem Kopf herum. Das Hotel wird meine kleine Welt, hier fühle ich mich sicher, aber schon morgen steht ein Tagesausflug zu einer Eingeborenensiedlung auf dem Programm. Da der Flug sehr anstrengend war, gehe ich sehr früh schlafen. Die Nacht ist viel zu kurz, unruhig werfe ich mich hin und her, der Ausflug am nächsten Tag sorgt für ein heftiges Unbehagen in meiner Magengegend. Wie soll ich mich nur im Urwald bewegen, wo ich schon bei einer Spinne in der Wohnung hysterisch reagiere. Tausend Gründe fallen mir ein, an diesem Ausflug nicht teilzunehmen. Am Ende siegt mein Stolz, will vor den anderen Teilnehmern ja nicht als Feigling, oder Angsthase dastehen. So packe ich am Morgen meinen Rucksack, decke mich im Hotelshop noch mit Schokolade und ein paar Keksen ein und gehe hinaus zum Bus, wobei die Bezeichnung Bus leicht geschmeichelt ist. Vor mir steht ein Schrotthaufen, der ziemlich laut vor sich hertuckert. Aber der einheimische Fahrer und mein Reiseleiter lächeln mich so freundlich an, dass ich alle Bedenken über Bord werfe, und mein Abenteuer Afrika kann beginnen
Es geht hinaus aus der Stadt, vorbei an den Slums, und nach ein paar Stunden bin ich fasziniert vom Urwald. Ich kann schon lange keinen Weg mehr erkennen, aber der Fahrer findet seinen Weg mit einer traumhaften Sicherheit. Aus dem Nichts taucht ein kleines Eingeborenendorf auf. Unser Bus wird von den Einwohnern sofort umringt, und trotz ihrer freundlichen Gesten wirken diese Menschen bedrohlich auf mich, besonders die Männer, mit ihren bunt bemalten Körpern, und den Speerspitzen in ihren Händen. Wie versteinert bleibe ich an meinem Sitz kleben, bin unfähig aufzustehen beim Anblick der blitzenden Klingen in der Sonne. Erst als ein Mitreisender mich am Arm packt, und hochzieht, kann ich wieder klar denken. Meine Angst ist total überflüssig, die Eingeborenen sind sehr freundlich, besonders die Kinder strahlen mich mit ihren großen Augen an. Ein kleines Mädchen nimmt mich bei der Hand, und zeigt auf die Erwachsenen, die beginnen, sich zum rhythmischen Gesang im Kreis zu bewegen. Nachdem ich eine Weile zugehört habe, gehe ich auf Entdeckungsreise, die Dorfhütten interessieren mich mehr, als die monotonen Trommeln. Begleitet werde ich von dem kleinen Mädchen, sie redet ununterbrochen, aber leider verstehe ich kein Wort. Ich werde sie Mari nennen. Sie führt mich überall herum zeigt mir den angrenzenden Urwald, und ich bin überwältigt vom Anblick dieser unberührten Natur, lasse mich verzaubern von den Geräuschen, und der Stimme meiner kleinen Begleiterin. Urplötzlich durchzuckt es mich wie ein Blitz, ich höre keine Trommeln mehr. Mari spürt auf einmal meine Angst, und führt mich schnell zurück ins Dorf. Aber mein Bus ist fort, ich fange an zu schreien, weine, und werfe mich auf den Boden, man kann mich doch nicht hier zurück lassen!! Meine Finger graben sich in den Boden, ich bin einfach nur verzweifelt. Eine Hand legt sich auf meine Schulter, und eine Stimme redet auf mich ein. Es ist Maris Stimme, bei dem Gedanken, mich schon von einem kleinen Kind trösten lassen zu müssen, reiße ich mich zusammen. Die ganzen Dorfeinwohner stehen um mich herum, und schauen mich ratlos an. Aber nicht lange, anscheinend wollen sie meine Anwesenheit nutzen, um ein Fest zu feiern, tragen Krüge mit einem milchigen Getränk und einen Baumstamm mit Borke herbei, und setzen sich alle im Kreis um den Baumstamm herum. Ich bekomme eine Schale mit einer milchig glänzenden Flüssigkeit gereicht, und man nötigt mich zu trinken. Da ich nicht unhöflich sein will, trinke ich nach kurzem Zögern von der Flüssigkeit. Schmeckt einfach scheußlich, aber die Dorfeinwohner freuen sich. Jetzt steht der Dorfälteste auf, und löst mit seinem Messer ein Stück Borke vom Baum. Mir stockt fast der Atem, ein Gewirr von Maden wird sichtbar. Einige Maden werden auf das abgebrochne Stück Borke gelegt. Ich ahne fürchterliches, der Dorfälteste kommt freudestrahlend auf mich zu, um mir die Borke mit den Maden zu reichen. Kopfschüttelnd und mit den Händen abwehrend, mache ich ihm klar, dass ich keine Maden möchte. Enttäuscht gibt er sie meinem Nebenmann. Ich weiß, für diese Menschen ist es eine Delikatesse, aber mir läuft ein Schauer nach dem anderen über den Rücken, wenn ich schon sehe, wie genüsslich die Eingeborenen diese Krabbeltiere im Mund verschwinden lassen . Mir wird ein übel, und setze mich ein wenig abseits, nur Mari begleitet mich. Etwas später beginnt wieder der monotone Trommelgesang. Diesmal lasse ich mich auf diese Rhythmen ein, und spüre, wie ich immer ruhiger werde. Später nimmt Mari mich einfach bei der Hand, zieht mich mit in eine der Hütten, wo sie sich schlafen legt, und mir mit der Hand andeutet, mich ebenfalls hinzulegen. Ich komme ihrer Aufforderung nach, morgen wird man mich bestimmt abholen, und zu meiner Verwunderung kann ich sofort einschlafen. Als ich am Morgen aufwache, fühle ich mich erstaunlich gut, keine Angstgefühle oder innere Unruhe. Die Sonne geht gerade auf, ein riesengroßer Feuerball schiebt sich langsam am Horizont in den Himmel hinein. Einfach wunderschön, und dazu diese Stille, kein klingelndes Handy, kein Auto oder Radio, nur das Zwitschern der Vögel, nie wieder werde ich wohl so eine Stille erleben, die dann auch durch ein mir bekanntes Geräusch gestört wird. Ein Jeep fährt gerade auf den Dorfplatz, mein Reiseleiter steigt aus, entschuldigt sich immer wieder, einerseits bin ich froh, dass ich wieder nach Hause komme, aber diese Stunden hier im Urwald werde ich nie vergessen. Die Menschen, sie haben fast nichts, sind aber glücklich und zufrieden, das habe ich deutlich gespürt. Aber wie lange noch? Irgendwann wird auch sie die Zivilisation einholen.



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