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In Windhoek

©  Gertrud Hintze


Ich stehe auf einer Anhöhe. Unter mir sehe ich die grünen Dächer der Bahnhofsgebäude und viele andere Dächer im Stadtzentrum. Den Turm der Christuskirche kann ich sehen und die Hochhäuser an der Hauptstraße. Ich höre, wie sich die Hunde der Nachbarn unterhalten, und höre das Rauschen der Autos auf der sechsspurigen Fernverkehrsstraße.
Ich hab schon viel erlebt in meinen 80 Jahren. Besonders erinnere ich mich an ein junges Ehepaar mit zwei kleinen Kindern. Sie waren meine vorletzten Bewohner. Der kleine Hans liebte seinen Ball. Er trat ihn immer wieder auf meinem langen Flur. Zwischen meiner vorderen Eingangstür und der Tür zur Vorratskammer hatten seine kurzen Beine ganz schön zu tun. Inge ging schon zur Schule. Sie war ständig damit beschäftigt, ihre blonden Locken zu sortieren. Das war es nicht, was mich störte. Doch wegen dieser eitlen Gesten ignorierte sie gewöhnlich die Türklinken und ließ mich in meiner Ruhe erzittern. Der Vater ließ mir von dem dünnen, ergrauten Shigume eine schöne Umgebung schaffen. Das hübscheste war der Steingarten um die Palme herum. Am liebsten war zu mir die Mutter. Sie schmückte meine Fenster mit Vorhängen und die Wände mit Bildern. Mit einem Staubwedel kitzelte sie meine Zimmerecken, wie es sonst nur die Geckos tun, und sie achtete auch sonst auf meinen Glanz.
In meiner geräumigen Küche sang bei ihrer Arbeit an sechs Tagen eine junge Frau, die sie Ndilimeke riefen. Und sie riefen sie oft. Ihr häufigstes Tun war die gründliche Reinigung meiner Fußböden. Wenn sie Kartoffeln schälte und Gemüse putzte, saß sie gern im Hinterausgang der Küche. Von dort konnte sie in die Gärten der Nachbarhäuser sehen. Ihr häufigstes Wort war Memsahib. Sonntagnachmittag sah sie selbst aus wie eine Memsahib. Dann ging sie zum Gottesdienst in dieselbe Kirche, die am Vormittag die Eltern von Hans und Inge besuchten. Irgendwann Anfang 1990 zog die Familie in ein anderes Land.
Sofort kamen neue Eltern, deren Kinder anders klingende Namen haben. Die Mädchen heißen Penehafa und Liina und der Junge Toyvo. Als Einrichtung brachten sie nur einen großen Küchentisch und vier Stühle mit. Mit dieser Familie wurde mein Leben viel abwechslungsreicher. Es kamen viele Menschen, manche blieben nur kurze Zeit, andere wohnen richtig hier.
Meine neuen Besitzer haben an der Vorderfront die Veranda zugemauert. Nun bin ich um ein kleines Zimmer reicher. Sein Bewohner ist ein junger Autoschlosser aus der Verwandtschaft. Er zahlt zwar keine Miete, aber er besitzt neuerdings eine Waschmaschine und diese darf die Mutter auch benutzen. Manchmal bringt er Brot und Margarine mit. Und er hat auch ein Radio mit Kassettenteil. Das begeistert besonders die Mädchen und deren Freundinnen aus der Nachbarschaft. Sie machen die Betonfläche an meinem Eingang zur Bühne . Ihre Tanzschritte werden von Tag zu Tag gewandter. Aus vorbei fahrenden Taxis tönen anerkennende Hupzeichen.
Im zweiten Zimmer links schlafen die drei Kinder und alle jungen Besucherinnen. Für Penehafa und Liina gibt es ein Doppelstockbett. Die anderen betten sich auf Matratzen oder einfach auf dem Boden. Einmal zählte ich neun Köpfe. Das war nicht so einfach, denn es war Juli und somit Winterzeit. Das bedeutet, zum Schlafen versteckt jeder seinen Körper vor der kalten Luft. Die meisten nehmen zuvor aus dem Kühlschrank die Dose mit der Eukalyptussalbe, die einer beginnenden Erkältung vorbeugen soll. Dann setzen sie sich gestrickte Mützen auf den Kopf oder binden sich Tücher um, damit beim Frisieren des schwarzen Kraushaares am nächsten Morgen eine Tortour erspart bleibt.
Zwei Jahre lang lebte auch ein kleines Mädchen hier wie ein Geschwisterkind. Eigentlich war sie auf einer weit entfernten Farm zu Hause. Aber dort gibt es keine Schule. Hier in der Stadt ist sie stolze Schülerin. Einmal im Monat wurde für sie eine Mitfahrgelegenheit gesucht, so dass sie ihre Eltern und die Tiere wiedersehen konnte. Sie freute sich aber ebenso auf die Spiele im trockenen Flussbett mit Vilcho und Ndapewa. Und wenn der Farmer sie zurück in die Stadt brachte, dann zahlte er einige Namibia Dollar und ein paar Hühner für die Unterkunft.
Das Zimmer ganz vorne links ist meist verschlossen. Wenn nämlich Besuch eintrifft, dann bekommt er es als Schlafzimmer. Ihre Bettdecken bringen die erwachsenen Besucher meist mit. Seife und Toilettenpapier nehmen sie von meiner Familie. Und natürlich das Essen. Sie bleiben bis sie die Sehnsucht nach Haus oder Hütte im Norden packt.
Ich habe bemerkt, dass die Eltern ein Schlafzimmer für sich allein haben. Manchmal werden Besucher herein gebeten, wenn sie etwas Wichtiges zu besprechen haben. Oder wenn Telefongespräche geführt werden, die nicht für die Ohren der anderen Bewohner oder der Besucher im Sittingroom vorne rechts gedacht sind. Ihre Kleidung bewahren die Eltern nicht in Taschen auf wie die Kinder. Ihr Schlafzimmer ist nämlich komplett eingerichtet und die Kopfkissenbezüge haben Rüschen. Hier werden das wenige Geld und auch wichtige Papiere aufbewahrt. Deshalb verschließt die Mutter das Zimmer, bevor sie das Haus verlässt.
Durch das kleine vergitterte Fenster im Bad scheint morgens um sieben die Sonne und wärmt kräftig. Utensilien, die jeder zur Morgentoilette braucht, bringt er mit. Und wenn er sie versehentlich im Bad stehen lässt, dann ist es ein Angebot an alle. An die Wasserhähne über der Badewanne schließen die Benutzer einen zweiarmigen Schlauch an, damit sie duschen können. Für mich ist das ziemlich ärgerlich, weil die Handhabung nicht so einfach scheint und ständig die Wand nass wird.
Morgens bereitet sich die Mutter etwas getoastetes Brot mit Tomatencatchup für die Pause im Büro vor. Die Kinder frühstücken ausgiebig, denn das nächste Brot gibt es erst mittags nach der Schule. Und für die Große ist der Rückweg von der Schule vier Kilometer lang. Zur Schule nimmt sie ein Onkel mit seinem Auto mit. Er bringt seine Kinder auch in diese Schule. Der Vater kommt nur einmal im Monat für zwei Tage von seiner Arbeit nach Hause. Er isst dann gerne Wurst. Jeder im Haus nimmt sich schwarzen Tee oder Rooibos-Tee mit viel Zucker. Gut, wenn Weißbrot da ist. Besser ist es noch dazu, wenn die Mutter vergisst, die Marmelade wieder in den zweiten, besser gefüllten und mit Vorhängeschloss gesicherten Kühlschrank zurückzustellen. Dieser Kühlschrank wird nur abends von der Mutter geöffnet. Sie bewahrt darin Tomaten und etwas Fleisch für die warme Abendmahlzeit auf. Manche der Besucher bringen auch getrocknetes Fleisch oder getrockneten Fisch mit. Und natürlich Omahango, Hirsemehl. Dann sind mehrere warme Abendmahlzeiten gesichert.
Abends kocht die Mutter oder eine von den jugendlichen Besucherinnen. Die Mutter und die kleine Penehafa essen zuerst. Meist sendet das Fernsehen gerade die Nachrichten, deshalb sitzen sie im immer aufgeräumten Sittingroom auf dem Sofa, den Teller auf den Knien. Alle anderen sitzen um den großen Küchentisch herum und teilen auf, was im Topf ist, schwatzend und lachend.
An Schultagen und kurz bevor die Mutter zur Arbeit geht, kommt aus dem kleinen Gartenhaus ein Junge, den sie Festus rufen und der artig "E, meme" antwortet während er seine Arbeiten verrichtet. Er wäscht das Geschirr und putzt meine Räume. Den Sittingroom reinigt er besonders gründlich. Er wickelt die Fenstervorhänge zusammen und befestigt sie an den Gitterstäben, bevor er die Fenster in ihren eisernen Rahmen nach außen öffnet. Wenn er die Fenster schließt, zieht er auch die Vorhänge wieder zu. Niemand soll von außen in mich hinein sehen können. Gegen den Sand im Teppichboden geht er mit kräftigen Bürstenstrichen vor. In diesem Raum hält er sich gern etwas länger auf. Hier bügelt er auch die Hemden, Hosen und T-Shirts, denn hier kann er nebenbei fernsehen. Wenn die Mutter abends nach Hause kommt, hat er Feierabend. Sie meint, dass er die englische Sprache lesen und schreiben lernen muss. Deshalb hat sie ihm ein Heft und einen Bleistift gekauft und unterrichtet ihn manchmal abends. Er weiß noch nicht, ob er das braucht. Schließlich ist er vier Jahre zur Schule gegangen und immerhin ist er schon fünfzehn. Allerdings später einmal Autoschlosser zu sein, das wäre ja auch nicht schlecht...
Festus denkt oft an seine Mutter. Sie konnte das größte Bündel Brennholz auf dem Kopf transportieren und dabei noch Lieder singen. Sie war so schön. Seit sie zu den Ahnen ging, leben seine jüngeren Geschwister bei den Großeltern im Kraal. Er erinnert sich gern an den Weg zur Wasserstelle und an die lustige Gesellschaft, die wie er dort Wäsche zu waschen hatte. Und an die unterhaltsame Zeit bis die Wäsche getrocknet war. Und er denkt an die Streifzüge durch den Busch. Er hofft, dass ihn seine jetzige Familie zu Weihnachten dorthin mitnimmt. Ach ja, er träumt oft von den runden Hütten ohne Türen, ohne Teppichboden. Will er mich beleidigen?



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