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Mein Afrika

©  Claus Lehnen


Als es vor ein paar Jahren hieß, Sand der Sahara würde aufgrund einer außergewöhnlichen Wetterlage zu uns hergeweht, war tatsächlich am nächsten Morgen unser Balkon mit einer dünnen Sandschicht bedeckt. Sie hatte genau die Farbe von Wüstensand, wie ich ihn aufgehäuft, einem Meer gleich, in TV-Berichten über Afrika schon gesehen hatte.
Ich malte mit den Fingern die Umrisse von Wüstenbergen auf die hellen Toskanafliesen, konnte mich aber der Überlegung leider nicht verschließen, dass dies Zeug auch aus dem Schlund der nahen Müllverbrennungsanlage stammen könnte.
Eine Angst durchfuhr mich. Wenn dieser Staub nun irgendwelche krankmachenden Erreger beinhaltet, ob afrikanische oder aus dem verbrannten Abfall meines Nachbarn, was konnte ich gegen eine Ansteckung tun? Schnell zog ich meine Finger zurück, klopfte den Staub ab, ging ins Bad und wusch meine Hände besonders gründlich.
Kann man Ebola abwaschen? Ich glaube nicht. Aber meine Panik bekämpfend, machte ich mir bewusst, dass Ebola im Saarland bisher noch keine Verbreitung fand.
Ich wusste nicht viel über Afrika, nur die üblichen Klischees. An die Farm am Fuße der N'Gong Berge, die Kolonialisierung, das Abschlachten der Tootsis, an stolze Massaiikrieger, den Kilimanscharo, den ich gerne besteigen würde. Unsagbar weit weg, und jetzt ein Stück davon auf meinem Balkon? Vielleicht. Afrika machte mir Angst. Aber ich war schon mal dort. Damals, mit neunzehn, als ich das erste Mal verliebt war.
Die Zeit auf dem Gymnasium war bestimmt von blaumachen und einer scheinbar ewig dauernden Suche. Bis heute weiß ich nicht, nach was ich genau suchte oder weshalb, vielleicht nur um eine Lücke zu füllen, aber nicht irgendeine Lücke. Es galt für mich zu überleben. Ich hasste die Schule, besonders die Lehrer. Ich hasste Goethes Faust, den ein Lehrer mit schnalzender und blauer Zunge uns näherzubringen versuchte . Ich hasste den Mathelehrer, dessen Sensibilität sich umgekehrt proportional zu seiner Länge verhielt. Er maß 1,95 m. Ich hasste meine Mitschüler, bei denen es zum guten Ton gehörte zerrissene Jeans zu tragen und sich berucksackt gegen die Ausbeutung der Arbeiterklasse zu artikulieren. Alles wunderbar korrekt. Ich fand alles langweilig und zum Kotzen.
Eines Morgens, kurz vor Schulbeginn, traf mich ein Blick. Sie war schlank und groß. Ihre braunen langen Haare bedeckten fast vollständig die linke Hälfte ihres Gesichtes. Sie hatte den Kopf leicht geneigt und lächelte mich unter ihren Haaren hindurch, an. Es war als drücke jemand mit Macht meinen Bauch zusammen. Ob ich es noch schaffte zurückzulächeln weiß ich nicht mehr, denn Mädchen lagen damals völlig außer meiner Reichweite. Ich konnte mit keinem Mädchen reden, ohne rot anzulaufen und konnte es nicht begreifen wie Jungs Mädchen beiläufig in Gespräche verwickelten, sie durch kleine Witzchen zum Lachen brachten, sich mit ihnen verabredeten. Ich konnte das nicht! Ach ja, die Jungs hasste ich deswegen auch und die Mädchen, die auf diese Masche hereinfielen.
Ich wollte nur klarkommen, mit mir, mit den anderen, oder wollte ich genau das nicht? Die Art der Dinge um mich herum verwirrten mich:
Einen Tag rannte ich verrückt vor Durst durch die Wüste, verzweifelt eine Oase suchend. Anderntags kämpfte ich mich macheteschwingend durch fast undurchdringlichen Urwald, immer auf der Hut vor giftigen Riesenspinnen und kleine grünen Schlangen. Und nun diese Augen, dieser zarte Blick, der mich im Innersten berührte, der wie ein leichter Wind durch den Kirschbaum unseres Gartens und mir durch die Brust fuhr. Er erzählte mir etwas von Seelenverschlungenheit und von einem mit Seerosen überwachsenen Teich. Ich war verleibt und dieser Kontinent zu groß für mich. Wie sollte ich mich dort zurechtfinden? Ich malträtierte mir das Hirn und fand keine Antwort. Ich ging voraus, ohne Kompass, mich immer in gerader Linie an einer in Sichtweite liegenden Auffälligkeit der Landschaft orientierend und hoffte so Richtung zu halten. Aber was war mein Ziel? Ich kam zu keiner Antwort. Wagte es nicht zu hoffen diesem Mädchen noch einmal zu begegnen, geschweige denn es zu berühren. Unmöglich. Undenkbar. Ich verbannte das einzig logische Ziel aus meinem Kopf und gab mich dem Weg hin. Setzte einen Schritt nach dem anderen auf unbekanntes Land und wusste anfangs schon vom Ende. Heißer Wüstenwind ließ mich die Richtung verlieren und hinderte mich ihr Hallo zu sagen. Es war so heiß. So heiß, dass ich glaubte es würde mir die Lungen verbrennen. Jeder Atemzug schmerzte. Ich war allein. Es tat weh .Sie spiegelte sich in der flimmernden Hitze zwischen Palmen am Horizont. Sie war so schön.
Zu mehr ist es nie gekommen, denn als ich glaubte mich dem Palmenhain zu nähern und den Geruch von rettendem Wasser wahrnahm, verschwand sie. Ich sah sie nie wieder. Aber seit dem ist Afrika eine Erinnerung.



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