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Afrikanische Musik
© Karl-Heinz Westhoff
Was immer diesem windigen Halunken auch durch den Kopf gegangen sein mochte, als er mich unter der Vorspiegelung, er verfüge über von mir gesuchte Informationen, nach Winterthur gelockt hatte, nur um mich dann dort vergebens auf sich warten zu lassen; es wurde trotz allem ein nicht nur angenehmer, sondern auch lehrreicher Nachmittag daraus.
Etwa zwei Wochen zuvor hatte ich in ein paar nur Eingeweihten zugänglichen Fachzeitschriften eine Anzeigenserie schalten lassen, in denen mein Interesse an jedwedem Hinweis bekundet war, der mir bei meinen zu jener Zeit vollends ins Stocken geratenen Nachforschungen über den Verbleib des Karl Ludwig Wassermann jr. weiterhelfen könnte. Wider Erwarten hatten sich nicht nur die üblichen Wirrköpfe mit mir in Verbindung zu setzten versucht, sondern auch drei, vier andere, deren Ausdrucksweise erkennen ließ, dass ihnen
aus dem nicht eben alltäglichen Gewerbe, dem ich nachgehe, mehr als nur das in jeder einigermaßen ausgestatteten Bibliothek Nachlesbare geläufig war.
Ausgerechnet derjenige, mit dem mich zu treffen mir am erfolgversprechendsten erschienen war, hatte mich dann aber an der Nase herumgeführt, als wäre ich ein blutiger Anfänger. Zu welchem Zweck, das frage ich mich noch heute. Immerhin hatten einige seiner wie beiläufig in das professionell knapp gehaltene Telefongespräch eingestreute Andeutungen belegt, dass er, oder der, für den er tätig war, Zugang zu dem wohl unzugänglichsten aller Archive des ganzen Kontinents gehabt haben musste. Daher kann ich mit einiger
Gewissheit davon ausgehen, dass er in irgendeiner Hinsicht vom Fach gewesen war, wiewohl dessen Akteure gemeinhin kaum in dem Ruf stehen, zu kindischen Scherzen aufgelegt zu sein.
Während der nicht übermäßig lang dauernden Bahnfahrt hatte ich mich innerlich auf das Treffen vorbereitet; denn kaum etwas ist in meinem Beruf bitterer, als sich den Wert der Informationen, die zu erhalten man bemüht ist, vom Gesicht ablesen zu lassen. Da es nicht minder töricht wäre, einem Verhandlungspartner gegenüber auch nur die leiseste Spur der Vorfreude zu zeigen, die einen erfüllt, erwartet man, seinem Ziel endlich wieder einen Schritt näher zu kommen, hatte ich einige Energie darauf verwandt, auch diese
Empfindung aus meinem Gefühlsleben zu verbannen. Als der Zug gegen Mittag im Bahnhof einlief, fühlte ich mich ausreichend gegen die meisten mir bekannten Überraschungen und Risiken gewappnet.
Kaum war ich aus der Bahnhofshalle herausgetreten, stand ich inmitten einer quirligen, auf und ab wogenden Menschenmenge, deren Lebensfreude nicht einmal von den unzähligen Omnibussen, die in nicht nachvollziehbarer Ordnung und mit mir recht gewagt erscheinender Geschwindigkeit durch sie hindurchkurvten, getrübt werden konnte.
Man feierte etwas, nur was das war, ließ sich nicht ohne weiteres erkennen. Allerdings kümmerte mich mein Unwissen auch nicht allzu sehr; meine Neugier pflege ich auf anderen Gebieten zu befriedigen. Zudem war ich natürlich in Eile, um rechtzeitig zu dem vereinbarten Treffpunkt zu gelangen. Es war dann in der Tat auch gar kein so einfaches Unterfangen, das in einer abgelegenen, lichtlosen Sackgasse verborgene Lokal, in dem die Verabredung stattfinden sollte, ausfindig zu machen, denn die raue, kehlige Sprache
der von mir um Hilfe angesprochenen Passanten erschloss sich mir nur bruchstückhaft.
Nachdem ich mit einer, allerdings unwesentlichen, zeitlichen Verzögerung dort eingetroffen war, musste ich feststellen, dass außer einem gelangweilt sein Besteck polierenden Kellner niemand in dem Lokal, in das ich aus eigenem Antrieb heraus niemals einen Fuß gesetzt hätte, weilte. Da ich befürchtete, womöglich doch zu spät gekommen zu sein, erkundigte ich mich danach, ob bis vor kurzem jemand da gewesen wäre, dem man angesehen hätte, dass er auf einen anderen wartete. Nachdem der Kellner verneint hatte, bestellte
ich eine Tasse Kaffee, nahm eine der örtlichen Tageszeitungen aus einem Ständer heraus und ließ mich an einem der Tische nieder, an dem neu Eintretende unbedingt vorüber laufen mussten.
Doch es kam keiner. Je länger ich wartete, desto mehr stieg meine Spannung. Ich legte das nicht übermäßig interessante Lokalblatt zur Seite und begann, mich in allerhand teils recht gewagten Mutmaßungen darüber zu verlieren, welcherart Unterlagen mir wohl alsbald vorgelegt werden würden.
Als die dritte Tasse Kaffee allmählich zur Neige ging, wurde ich vom Tresen her gerufen, ich möge kommen, da man einen Anruf für mich in der Leitung habe. Der Stimme nach war es unzweifelhaft der selbe Mann, mit dem ich vor vier Tagen telefoniert hatte. Es tue ihm Leid, sagte er, doch er habe es sich mittlerweile anders überlegt. Sich den Aufwand einer Begründung für sein eigenartiges Verhalten ersparend, fügte noch ein "Nichts für ungut" hinzu und legte kurzerhand auf.
Während ich zu dem Tisch, an dem ich gesessen hatte, zurück ging, wusste ich nicht, ob ich des sinnlos verschwendeten Tages wegen in Wut geraten, oder aber es mit der meinem Alter angemessenen Gelassenheit hinnehmen sollte, jemandem auf den Leim gegangen zu sein, der offenkundig selber nicht wusste, was er wollte. Von dem erstaunlich wohlschmeckenden Kaffee jedoch in eher milde Stimmung versetzt, rang ich mich zu dem Entschluss durch, das erlittene Missgeschick von der heiteren Seite aus zu betrachten, und für
ein, zwei Stunden durch den in den Straßen herrschenden Trubel zu schlendern. Es mochte doch sein, dass Winterthur etwas aufzubieten hätte, was man nicht alle Tage sah.
Ich ließ mich durch die bemerkenswert sauberen und wohl aufgeräumten Gassen treiben, immer da entlang, wo mir ein Durchkommen noch am ehesten möglich schien. Sehr bald hatte ich auch begriffen, dass es sich um ein multikulturelles Musikfest handelte. Allerorten waren exotische Klänge zu vernehmen, und Menschen aus aller Herrn Länder wandelten in Scharen umeinander.
In Reichweite einer in leuchtend bunte Gewänder gekleideten Gruppe, die mit allerlei Trommeln sowie einigen mir völlig unbekannt klingenden Blasinstrumenten eine Art Musik erzeugte, deren Rhythmus sich meinen Ohren nicht so ohne Weiteres erschließen wollte, fand ich einen Platz in einem Straßecafe und ließ mich nieder.
Ich muss zugeben, dass mich der Anblick der vielleicht zehn oder auch ein wenig mehr Mitglieder der Musikgruppe nicht wenig amüsierte, insbesondere, als sie allesamt von ziemlich kurzem, gedrungenem Wuchs waren und sehr helle Haut und, verrutschten ihre Mützen, sah man es, glatte, akkurat geschnittene Haare hatten. Mir schien, dass sie sich große Mühe gaben, die geschmeidigen Bewegungen nachzuahmen, wie sie nur den Angehörigen der Naturvölker noch zu Eigen sind; doch dadurch fiel ihre Schwerfälligkeit nur umso
mehr auf. Ihre Musik hingegen, die zwar immer wieder das selbe Thema aufnahm, allerdings in mit jedem Mal stark veränderten Muster, begann mir alsbald zuzusagen. Ich schloss die Augen und ließ mich auf das Spiel der Klänge ein.
Als ich sie nach geraumer Zeit wieder öffnete, mochte ich ihnen nicht mehr trauen, so verblüffend war der Anblick, der sich mir bot. Frontal vor den Musikern stand eine ganze Anzahl hochgewachsener, schlanker Schwarzafrikaner, die allesamt in vorzüglich geschneiderte Geschäftsanzüge von gedeckten Farben gekleidet waren. Jeder von ihnen trug nicht nur einen offensichtlich schwergewichtigen Aktenkoffer in der Hand, sondern auch einen Trenchcoat über dem angewinkelten Arm und eine verspiegelte Sonnenbrille im Gesicht.
Sie raunten sich fortwährend gegenseitig etwas zu und lachten; der Sonnenbrillen wegen war ihren Gesichtern allerdings nicht zu entnehmen, was in ihnen wohl vorgehen mochte.
Beinahe gleichzeitig stellten sie ihre Aktenkoffer zu Boden, öffneten sie und entnahmen ihnen Videokameras und Fotoapparate, soweit ich das erkennen und beurteilen konnte, nur hochwertigste und neueste japanische Geräte, und begannen, die Musiker aufzunehmen.
Wohl gute zwanzig Minuten lang starrte ich dem ungewöhnlichen Schauspiel fasziniert zu. Als die Musik zu Ende war, packten die Afrikaner ihre Apparate wieder ein und verschwanden in der Menge.
Dieses befremdliche Bild noch vor Augen, begab ich mich kurz darauf wieder zum Bahnhof, denn es war Zeit, die Heimreise anzutreten.
Gewiss, die Informationen, die mir versprochen worden waren, hatte ich nicht erhalten; dafür war mir wieder einmal, und das in wahrhaftig unnachahmlicher Weise, vor Augen geführt worden, dass die Bilder, hat man sich auch noch so sehr an sie gewöhnt, nicht unbedingt stimmen müssen, und die Rollen, die uns so oft wie auf den Leib geschneidert scheinen, beinahe mühelos untereinander vertauscht werden können.
Den tröstlichen, mit zunehmender Zahl der Lebensjahre jedoch recht blass und fadenscheinig gewordenen Glauben daran, dass nichts wirklich von Bestand ist, wieder einmal ein kleines bisschen aufgefrischt zu sehen, das kann man doch, so meine ich, keinen allzu schlechten Ertrag eines kaum länger als einen halben Tag dauernden Ausflugs nennen.
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