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Ann-Katrin und die Geparde

©  Ego Scalpa


Die Abendsonne ist um einiges freundlicher als ihre Kollegin des restlichen Tages. Immer noch verbreitet sie Wärme, aber nicht mehr dieses gnadenlose Sengen, das die Luft der Savanne zum Sirren treibt. Ann-Katrin wird ins Haus gerufen. Das bedauert sie sehr. Nur ungern trennt sie sich von Laurencio dem Hundewelpen. Mit offener Schnauze, die Zunge ein rosa Kontrast zum verdreckten Fellbündel, hopst er Ann-Katrin hinterher. Sie wendet sich auf ihren kurzen Beinen zu ihm um. "Du musst hier bleiben Laurencio." Der allerdings schleckt ihre Hand. "Nein. Laurencio. Bleib!" Abermals erreicht sie der Ruf der Mutter. Schnell läuft sie auf die niedrigen Stufen der hölzernen Veranda zu. Ihr Vater, mit Pfeife und Bierflasche, im Schaukelstuhl, nickt kurz. "Sag Mama, ich bin gleich bei Euch." Ann-Katrin nickt zurück, erreicht schon die Fliegengittertür. Die Feder am oberen Rand quietscht leise. Die massivere Tür dahinter ist zu dieser Stunde der milden Abendwärme immer offen.
Ann-Katrins Vater, der Herr Ing. Stresemann, Leiter der Wildhüterstation im Queen- Elisabeth-Wildpark in Uganda, von der ZGF geschickt und bezahlt, selbstgewählter Ziehsohn des großen Grzimeck, Anfang Fünfzig und gut in Form, lächelt zufrieden. Der späte Entschluss vor 8 Jahren, Ann-Katrin zu bekommen, war einer ihrer Glücklichsten. Sie ist ein Engel. Ein mit Staubbedeckter."Wasch dir die Hände." hört er seine Frau Verena von drinnen. Abermals schmunzelt er in sich hinein. Seine Augen spiegeln die Abendsonne wider. Gut kann er sich den Blick seiner Frau vorstellen. Ob sie es wohl irgendwann aufgeben wird zu versuchen, Ann-Katrin vom Staub und den Tieren abzuhalten. Oder wenigstens etwas einzuschränken. Doch dafür müsste sie das wirklich wollen. "Auch das Gesicht, Ann-Katrin." Schickt sie ihrer Tochter hinterher. "Und Du! Brauchst nicht glauben, das alles ginge Dich nichts an." Das galt ihm. Sein Grinsen wird breiter. "Das Essen wär dann soweit." Der Familienvater Stresemann klopft seine Pfeife aus, stellt seine halbgetrunkene Bierflasche neben dem Schaukelstuhl ab. Mit einem gespielten Ausdruck, als erwarte er seine Standpauke, zieht auch er die Fliegengittertür auf. Und hinter sich die massivere, zweite Tür zu. Nicht ohne jedoch einen letzten Blick auf den Hof mit seinen 4 Gebäuden und die Savanne dahinter geworfen zu haben. Die Nacht bricht an. Die Stunde der Löwen.
Verena hat Ann-Katrin gleich komplett gewaschen und in einen frischen Pyama gesteckt. Mit nassen Strähnen blonder Locken im sonnengebräunten Gesicht, hält sie mit beiden Händen den Teller hin. Vater Stresemann rückt zum x-ten Mal seinen Stuhl zurecht, mustert ihn skeptisch. "Ich glaub´, den muss ich mir mal angucken." Verena füllt seinen Teller. "Ann-Katrin hat erzählt ihr würdet morgen zu den Geparden raus." Die funkelt ihren Vater aus großen, strahlend- blauen Augen an. Darunter beeilt sich der Mund leer zu werden. Vater Stresemann lässt vom Stuhl ab, widmet sich dem Teller. "Danke. Ja. Yves wollte ihr einen Sender verpassen. Mal sehen ob die beiden Jungen durchgekommen sind." Die erste Gabel unterbricht ihn. "Lecker." Ann-Katrin hat endlich geschluckt und somit jedes Hindernis für den einsetzenden Redeschwall beseitigt. An Essen gar nicht mehr zu denken. Sie liebt die Geparde über alles. Als im März die beiden Söhne geboren wurden, durfte sie ihnen Namen geben. Auch ohne Erlaubnis hätte sie das getan. Für den Kleineren von beiden, mit Fleck auf der Spitze des linken Ohrs, suchte sie Gregor aus. Den Größeren nannte sie Anna- Maria, ungeachtet dessen, dass auch er ein Männchen war. Zwei Jungs gibt nur Ärger.
Die beiden morgen wieder sehen zu können, darauf freute sie sich ungemein. "Du musst mich ja aufwecken Papa. Nicht vergessen! Ja?" Papa Stresemann lugte über die flache, randlose Brille zu seiner Tochter hinüber. "Auch wenn Du sagst Du willst gar nicht aufstehen?" Ann-Katrin verstand den Wink, kommentierte ihn mit einem kurzen Anflug von Unmut. "Auch wenn ich sage, dass ich nicht aufstehen mag." Und, um weiteren Kommentaren zuvor zu kommen beeilte sie sich rasch hinzu zu fügen: "Auch wenn ich sage, ich bin gar nicht da und der Herr Müller hätte mich gefressen."
Bei Herrn Müller handelt es sich nicht um den bösen, schwarzen Mann, mit dem man Kinder erschreckt, um sie Abends ins Haus zu holen. Herr Müller ist ein alter, ziemlich mitgenommener Löwe. Wegen Blutproben haben sie ihn einmal betäubt und Ann-Katrin war bei ihm gesessen. Zu seinem merkwürdigen Namen gelangte er aufgrund einer, durch Ann-Katrin festgestellten, Ähnlichkeit mit dem Nachbarn ihrer Tante in Frankfurt. Es ist eher der Löwe, der sich hier kompromittiert, ob dieses Vergleiches, beschweren könnte, und nicht Herr Müller. Denn obwohl der Löwe von furchtbaren Verletzungen gezeichnet, einem Monster aus Hollywoodfilmen ähnelt, ist er wahrscheinlich derart geschwächt, und gar nicht fähig ein kleines Mädchen aus dem Haus zu stehlen. Während sich Ann-Katrin bei Herrn Müller da nicht so sicher ist.
Zwei- bis dreimal pro Jahr besuchen sie Freunde und Familie in Frankfurt. Jedes mal ist Ann-Katrin nach wenigen Tagen der Spannung und Aufregung ob der Abwechslung wieder heilfroh, wenn sich die Rückkehr ankündigt. Allerdings stellt sie eine, ihrem Alter eher ungewöhnliche Fähigkeit zur Diplomatie unter Beweis, wenn sie auf die Fragen von Tanten und Onkeln Antwort geben muss. "Gefällt es Dir in Frankfurt Ann-Katrin?" "Es ist schon schön hier. Also, für eine Stadt die keine Tiere hat, ist es schon schön hier." Auch in Frankfurt gäbe es Tiere. Das ließ Ann-Katrin so nicht gelten. Sie meine Topis, Buschböcke, Zebras, Warzenschweine, Sattelstörche, Scherenschnäbel, Gazellen, Löwen, Elefanten, Antilopen, Affen, Geparde. - Ohne Geparde gehe es ja nun wirklich nicht. - Auch in Frankfurt gäbe es Elefanten und all das andere. Als Ann-Katrin nach diesem Gespräch ihren Vater gebeten hatte ihr zu zeigen, wo denn dieser Zoo sei, ahnte der schon, dass sie alles andere als begeistert sein würde. Von dem Tag an sprach sie mit ihrer Tante nicht mehr über Tiere, nicht mehr über Affen, Geparde und Elefanten. Es gab seitdem nur noch sehr wenig, über das sie mit ihrer Tante sprechen konnte. Ein wenig tat Ann-Katrin ihre Tante auch Leid deswegen. Denn so würde sie nie etwas lernen. Nie etwas verstehen.
"Wann wollt ihr morgen los?" Verena stapelte das Geschirr immer sofort nach dem der letzte Krümel aufgegessen war. Nicht, dass sie eine hektische Frau wäre. ganz im Gegenteil. Kaum etwas könnte sie in ihren Grundfesten erschüttern und trotzdem legte sie diese Unart nie ab. Als Kompromiss ließ sie das gestapelte Geschirr an der Tischkante stehen, anstatt es ab zu räumen und zu spülen. Meist übernimmt das sowieso Herr Stresemann. Und neben eben diesem Stapel Teller lehnte sie sich jetzt gemütlich zurück, rauchte eine Zigarette und betrachtete interessiert die Flecken auf der Tischdecke. Die umrahmten den Platz, wo der Teller von Ehemann Stresemann gestanden hatte, als hätte er selbst sein Territorium damit markiert. Herr Stresemann bemerkte den Blick seiner Frau sehr wohl und bevor er ihre Frage beantwortete, wackelte er übertrieben deutlich auf seinem Stuhl. "Ich muss mir diesen Stuhl wirklich mal ansehen. Wackelt wie ein Gnuschwanz." Ann-Katrin gluckste erheitert. Herr Stresemann zwinkerte ihr heimlich zu und fuhr dann, an seine Frau gewandt fort, "Gegen 6 schätze ich. Yves bringt Sarah mit."
"Sarah. Schön. Ich bereite dann morgen alles vor. Wisst Ihr wie lange Ihr weg bleiben werdet?" Verena mochte Sarah. Um ihre Zigarette im Aschenbecher ausdrücken zu können, musste sie ihre äußerst bequeme Haltung leider aufgeben. Herr Stresemann zog die Brauen zusammen, zupfte mit Daumen und Zeigefinger am Oberlippenbart herum. "Keine Ahnung. Vor Einbruch der Nacht hoffe ich. So weit müssen wir nicht fahren."
Aus 6 wurde dann doch 8. Yves, der Tierarzt aus Belgien, mit französischem Elternteil und exzellentem Abschluss der Uni Leuven, hatte Probleme seinen Jeep in Gang zu setzen. Herr Ing. Stresemann musste kurz mal einen Blick darauf werfen, soviel Zeit muss sein, bevor sie mitten im Nichts der Savanne liegen bleiben, noch dazu mit der Kleinen an Bord. Die war ziemlich ungeduldig geworden. Argwöhnisch verfolgte sie den Moment da Papa Stresemann zum Ing. Stresemann wurde. Wenn der zur Werkzeugkiste greift, kann es dauern. Mr Mpenza, der seine Leute, darunter viele Karamoja, bei der Fahne formierte, war auch nicht davon abzubringen, sich unter den Jeep zu klemmen. Allerdings, anders als ihr Papa nicht ohne vorher die Uniformjacke eines ihm untergebenen Wildhüters unter zu legen, um seine eigene nicht mit Staub zu dekorieren.
Ann-Katrin lief zu ihrer Mutter ins Büro. Es war Zahltag. Verena saß auf dem harten Holzstuhl hinter dem alten Schreibtisch. Während Mr. Umgabe ernst die Wildhüter organisierte und die Lohntüten in Form eines unverschlossenen Umschlags übergab, notierte Verena alles im "großen Buch" in einer Exel- Datei. Sorgfältig übertrug sie Namen, Rang und Summe. Ann-Katrin eilte an ihre Seite hinter dem Schreibtisch. Mr. Umgabe trat sofort einen Schritt zurück und hielt einen der wartenden Wildhüter mit einer seltsamen Geste zurück. Obwohl der eigentlich an der Reihe gewesen wäre. "Papa hat die Werkzeugkiste geholt." Verena lächelte amüsiert. Verständnisvoll strich sie Ann-Katrin übers Haar, schlug die Augen kurz nieder. "Geh doch so lange zu Sarah." Ann-Katrin blies die Backen auf, Mr Umgabe lies den wartenden Wilhüter an den Schreibtisch treten. Verena begrüßte den Mann, während sie ihrer Tochter einen sanften, aber unmissverständlichen Klaps auf den Allerwertesten gab. Sarah war über ihre Ausrüstung gebeugt. Ann-Katrin zog es vor mit Laurencio zu spielen.
So lange hatte es dann doch nicht gedauert. Eine halbe Stunde. Als Mr. Mpenza einen der Wildhüter zusammenstauchte, weil seine Uniformjacke nicht sauber war und er so doch niemals seinen Lohn abholen könnte, war das Team schon auf staubigen Pisten unterwegs. Der Fahrtwind zerzauste die langen Locken der hintenstehenden Ann-Katrin. Sie hielt sich am Überrollbügel fest. Den weichen Hut mit dem Lederband, den ihr Antoine, ein Wildhüter mit sehr glücklichen Augen und einer Machetennarbe am Oberarm, geschenkt hatte, hielt sie am Band fest. Eigentlich sollte sie damit ihren Kopf schützen. Aber der Fahrtwind im Haar war viel aufregender. Sarah lächelte ihr zu. Wahrscheinlich verstand sie es.
Nach einigen Stunden Fahrt in Richtung Lake Edward kamen sie dem Gebiet der drei Geparden näher. Es gibt nicht mehr sehr viele Exemplare. Warum es denn nun eigentlich so wenige gibt, ist unter Experten noch nicht gänzlich geklärt. Sarah untersucht die Raubkatzen Ostafrikas seit Langem. Bevor sie hier her kam, um die Mutter mit ihren zwei Jungen zu sehen, hatte sie im Ishasa-Gebiet einige Versuche durchgeführt. Nur eines von zehn Gepardenjungen schafft es über das erste Lebensjahr hinaus. Löwen, Leoparden und Schakale sind wahrscheinlich die ärgsten Feinde der Geparden. Ishasa ist Löwengebiet. Geparde sind dort nur vereinzelt zu finden. Wahrscheinlich deshalb. Der Jeep hält an. Die Wildhüter, Yves und Herr Stresemann suchen die Gegend mit Ferngläsern ab. Noch an die 3 Mal geht das so. Ausschau halten, Absetzen, Weiterfahren. Schließlich entdecken sei die Drei in einiger Entfernung. Yves meint sie sollten erstmal nicht näher ran, denn es war Essenszeit. Eine Antilope war den schnellen Jägern zu unachtsam gewesen. Im Schatten eines Baumes fressen die Geparde.
Ann-Katrin bekommt das Fernglas, um einen Blick auf Gregor und Anna-Maria werfen zu können. Sarah ist mit Notizen beschäftigt. "Sarah guck mal. Schnell!" Die Notizen in der Hand, erhebt sie sich. Ann-Katrin deutet am Fernglas vorbei in die Richtung der Tiere. "Da ist ein Löwe." Jetzt ist Sarah interessiert. Sie greift sich einen Feldstecher. Alle Anwesenden beobachten gespannt die Szene. Die Geparde hatten aufgehört zu fressen. Nervös schleichen sie um die Beute herum. Je näher der einzelne Löwe kommt, desto unruhiger werden die Geparde. Anna-Maria hat sich ein gutes Stück vom Baum entfernt. "Die laufen weg Sarah. Guck doch." Sarah nickt instinktiv. Sie weiß was jetzt kommt. Ein einzelner Löwe reicht aus, um drei Geparden ihre hart erarbeitete Beute streitig zu machen. "Guck doch. Papa. Die laufen weg und der Löwe frisst ihr Essen weg." Herr Stresemann blinzelt durchs Fernglas. Dann nimmt er es ab. Yves und die Wildhüter verstauen die Gläser ebenfalls. "Jetzt wird's schwer sie noch zu erwischen." Yves runzelt die Stirn, klemmt sich neben Herrn Stresemann auf den Sitz. Als Vater Stresemann den Wagen startet, steht Ann- Katrin immer noch hinten und fixiert ungläubig den Löwen. "Der frisst denen alles weg." Sarah lächelt wissend, legt Ann-Katrin eine Hand auf die Schulter. "Halt dich fest. Wir fahren weiter." Ann-Katrin nimmt das Fernglas ab. Protestierend wendet sie sich an Sarah, während sich der Wagen wieder in Bewegung setzt. "Das ist doch nicht gerecht. Die haben doch ihr Essen selber gejagt. Der Löwe frisst es ihnen doch weg." Sarah lächelt immer noch. "So ist das nun mal Ann." Ann- Katrin genügt das nicht. Sie ist aufgebracht. "Wir müssen den Löwen doch verscheuchen. Die Geparde haben doch jetzt sicher noch Hunger. Und das ist doch ihr Essen." Mit jedem Wort wird sie erregter und wütender, "der Löwe ist doch einfach so gekommen und frisst sich den Bauch voll. Dabei kann er doch selber was jagen." Ann-Katrin sieht Vater Stresemann mit leidvollem Blick an. Der steuert den Wagen weiter weg. "Papa!" fleht sie fast schon. "Das ist doch ungerecht."
Den Sender konnten sie dann doch noch anbringen. Yves traf die Mutter mit einem guten Schuss. Die verschreckten Jungen waren auf Distanz gegangen. Die gesamte Aktion über war Ann-Katrin schweigend neben dem Auto gesessen. Offensichtlich lies sie die Szene nicht los. Sie grübelte und brodelte. Einerseits war sie wütend auf den Löwen, wütend auf Gregor und Anna-Maria und wütend auf das Team. Vater Stresemann hatte ihr nur kurz zu verstehen gegeben, dass sie sich da nicht einmischen dürfen. So wäre das eben, hatte er gemeint. Ann-Katrin findet das traurig. Sarah hatte ihr erklärt, dass es auch deshalb so wenige Geparde geben würde. Anstatt sich zu wehren und um ihr Fressen zu kämpfen sind sie einfach abgehauen. Auf der Rückfahrt war Ann-Katrins Stimmung dementsprechend. Sie konnte das so nicht hinnehmen. Es war nicht gerecht und es war nicht in Ordnung. Das die Erwachsenen nichts unternommen haben, um den Löwen zu verscheuchen, Yves hätte ihn ja betäuben können, oder Vater Stresemann mit dem Jeep ran fahren und hupen können, damit sich der Löwe erschrickt und wegläuft, wollte sie nicht begreifen. Fanden die es denn nicht ungerecht?
Am Essenstisch dann. "Aber Papa. Findest du es denn nicht auch ungerecht, dass der Löwe alles weggegessen hat?" Sarah und Verena warfen sich verständige Blicke zu. Yves und Herr Stresemann unterbrachen ihr Gespräch. Die Pause, bis Herr Stresemann oder irgendwer sich dazu äußern konnte, war Ann- Katrin zu lang. "Das haben die doch nicht verdient." Mit brennenden Augen fuhr sie fort, "Wir haben nichts gemacht!"
Verena war die Erste die antwortete. "Sieh mal Ann-Katrin. Wir haben nicht das Recht uns in Dinge einzumischen, die uns nichts angehen." Auf Ann-Katrins aufmerksamem Gesicht zeichnete sich Skepsis ab. "Verstehst du? Wir sind keine Löwen und keine Geparde. Alles was passiert hat seinen Sinn..." Sarah schaltete sich hier ein. "...einen Sinn, den wir oft, weil wir Menschen sind, nicht verstehen." Sarah und Verena warteten auf Ann-Katrins Reaktion. Versuchten in ihrem Gesicht zu lesen, ob sie verstand. Ann-Katrins Wangen waren heiß und errötet. Yves betrachtete gedankenverloren seine Fingernägel. Vater Stresemann grübelte. "Was soll das für ein Sinn sein..." setzte Ann-Katrin an, "...wenn die Geparde verhungern, obwohl sie sich was zu Essen gejagt haben, nur weil so ein doofer, fauler Löwe kommt und ihnen alles wegisst?" Vater Stresemann wusste Antwort darauf. "Ich verstehe das auch nicht Ann-Katrin. Aber wir wissen oft nicht warum die Dinge geschehen. Und später sehen wir dann, dass es gut so war." Die Kleine schenkte den Bemühungen des Vaters eine gesunde, nicht zu übersehende Portion Zweifel. "Weißt du noch, wie Du gesehen hast, dass man Laurencios Mama erschossen hat?" Ann-Katrin erinnerte sich. "Du hast furchtbar geweint und nicht verstanden warum. Dann hast du erfahren, dass sie sehr krank war und schreckliche Schmerzen hatte. Der Schuss hatte sie von diesen Qualen erlöst." Ann-Katrin erinnerte sich. Erinnerte sich gut. Sie war gerade um die Ecke gebogen. Hinter der Garage hatte Mr. Mpenza Laurencios Mutter erschossen. Sie hatte geschrien und war weg gelaufen. "Weißt du noch?" Ann-Katrin erinnerte sich sehr gut!
Später, schon gewaschen und im Pyjama, Verena brachte sie zu Bett, küsste ihr sanft die Stirn, war Ann-Katrin immer noch verwirrt. Schwankte zwischen Trauer und Wut. "Wie geht's Dir mein Schatz? Denkst du immer noch an den Löwen?" Verena strich ihr eine Locke aus der Stirn. "Er soll platzen." Verena schüttelte den Kopf, drückte ihrer Tochter noch einen Kuss auf die Stirn, zog die leichte Decke bis zum Kinn und stand auf. "Versuch zu schlafen." An der Tür blieb sie kurz stehen. Sanft und mit ein wenig Schmerz sah sie ihre Tochter an. "Kann ich rüber kommen? Wenn ich nicht schlafen kann!" Ann-Katrin lächelte. Verena schlug die Augen nieder, lächelte wie nur eine Mutter lächeln kann. Nickend verließ sie das Zimmer.
Zurück am Tisch.
Verena, Yves, Sarah, Herr Stresemann
Hat sie es geschluckt? Natürlich nicht. Sie hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ja, ja das hat sie. Und sie liebt die Geparde über alles. Das Selbe hätte sie auch gesagt, wäre es den Löwen so ergangen. Die Geparde sind wirklich dadurch in Gefahr. Niemand weiß warum sie sich die Beute so leicht streitig machen lassen. Nicht nur von Löwen übrigens. Auch Schakale rauben Beute. Oder Gepardenjunge. So ist die Natur. So ist es da draußen. Sie wird es noch lernen müssen. Aber es ist rührend wie sie sich dagegen gewehrt hat. Sie ist ja noch ein Kind. Sie wird noch so viel Ungerechtigkeit erleben. Seltsam wie die Geparde geflohen sind. Deshalb gibt es auch nicht mehr allzu viele.
Im Bett:
Ann-Katrin.
Lieber Gott, ich weiß ich bin noch klein und Du bist groß. Aber ich weiß auch, dass Du das mit dem Löwen und Gregor und Anna- Maria gesehen hast. Warum die beiden weggelaufen sind, kann ich gut verstehen. Der Löwe war viel größer und stärker. Aber ich finde es nicht gerecht, dass er, nur weil er größer und stärker ist, hingeht und den dreien ihr Essen, das sie selber mit viel Mühe gejagt haben, einfach wegnehmen kann. Du bist gerecht. Bitte bestrafe den Löwen dafür, dass er das gemacht hat. Beschütze meine Eltern, Antoine, Laurencio, meine Tante und alle die ich lieb hab. Dankeschön und Gute Nacht. Amen.
Drei Monate war die Geschichte dann auch schon fast vergessen. So viel Anderes war zu tun, zu entdecken gewesen. Ann-Katrin war v.a. mit dem Unterricht beschäftigt. Eines Abends bekam die Familie Stresemann einen Anruf von Yves. Vater Stresemann stand, das Telefon am Ohr in der Küche. Verena lehnte am Kühlschrank. Und verfolgte die Worte ihres Mannes mit wachsender Aufmerksamkeit. Ann-Katrin kam mit Farbe an den Fingern in die Küche. Als sie die beiden so stehen sah, wurde sie neugierig. Sie blieb auf der Stelle stehen und lauschte den Worten ihres Vaters. "Wo habt Ihr ihn denn gefunden?" Stirnrunzelnd notierte er unleserliches Gekritzel, "Und es sind wahrscheinlich mehr? Hm! Das ist nicht gut. Was meint der Professor dazu?" Herr Stresemann wendet sich Verena zu, deckt den Hörer mit der Hand ab und flüstert seiner Frau mit bedeutungsvollem Blick "Hundestaupe!" zu. Verena reagiert so verwirrt, das Ann-Katrin erschrickt. Hundestaupe klingt es in ihrem Kopf. Verena verschränkt die Arme vor der Brust. "Was ist das? Hundestaupe?" Ann- Katrin kommt mit ihren Farbfingern näher. "Geh Dir mal die Hände waschen Schatz, ich erkläre es Dir gleich."
(Hundestaupe: Eine Krankheit die das Nervensystem angreift. Normalerweise werden nur Canide davon befallen. Ein infiziertes Tier ist zu keiner koordinierten Bewegung mehr fähig. Es zwinkert unablässig, ist nicht in der Lage den Kopf ruhig zu halten, schüttelt daher meist den Kopf. Die anderen Tiere des Rudels dulden die Infizierten zwar, ignorieren sie allerdings. V. a. weil ihnen auch das Fressen vorenthalten wird, sterben sie meist innerhalb kürzester Zeit. In der Serengeti waren es um die 1000 Löwen. Da Löwen zur Familie der Felidae zählen, war es den beteiligten Wissenschaftlern ein Rätsel wie diese von der Staupe befallen werden konnten. Ein Erklärungsversuch war, dass sie außerhalb des Parks gejagt hatten und dadurch mit Beute in Berührung gekommen waren, an der auch Hunde der umliegenden Dörfer gefressen hatten. Warum andere Raubkatzen, wie Geparde beispielsweise, sich nicht infizierten, obwohl auch sie außerhalb gejagt hatten, ist bisher unklar.)
"Was ist denn mit den Löwen passiert?" Ann- Katrin war total durcheinander. Verschreckt und verängstigt hielt sie sich hinter einem Stuhl versteckt, dessen Lehne deswegen mit Farbe beschmiert war. Verena erklärte Ann- Katrin, dass die Löwen krank geworden waren. Viele von ihnen. Mit einer Krankheit, die Löwen eigentlich nicht bekommen könnten. Dieselbe Krankheit, an der Laurencios Mutter gelitten hatte. Eine Krankheit also, für Hunde. Trotzdem sind die Löwen krank und einige sind daran schon gestorben. Mit Schrecken sah Verena ihre Tochter zitternd, mit angstgeweiteten Augen sich am Stuhl festkrallen. Verwirrt nahm sie die Kleine in den Arm. Vater Stresemann säuberte die Stuhllehne mit einem feuchten Lappen. "Oh nein. Oh nein." Ann-Katrin war vollkommen aufgelöst. Verena wusste wie sehr Ann-Katrin die Tiere liebt, diese Reaktion war aber weit übertrieben. "Beruhige dich doch. Viele Tiere werden krank. Es sind auch nur ein paar Löwen." Ann-Katrin rannen die Tränen über die Wange, sie zitterte. "Was ist denn mein Kleines?" Verena vergewisserte sich, dass ihre Tochter kein Fieber hatte. Aber ihren Zustand konnte sie sich nicht erklären. Sie bekam ein ungutes Gefühl. "Ann-Katrin. Es ist doch alles in Ordnung. Warum weinst du denn so?" Vater Stresemann fühlte, wie seine Frau, Angst aufkommen. "Viele Tiere, auch Menschen werden krank. Das ist doch ganz normal. Das ist nicht schlimm Ann-Katrin." Ann-Katrin riss sich aus der Umarmung der Mutter los. Aus dem leisen, klagenden Weinen, wurde ein verzweifeltes Brüllen. "Doch schlimm!" Ratlos starrten die Eltern ihre Tochter an. "Ich bin doch schuld!"

Nachtrag des Autors:
Eingehende Untersuchungen haben eine Antwort auf die Frage gefunden, warum speziell Löwen von der Staupe befallen wurden. Geparde jagen ihre Beute ausschließlich selbst, während Löwen Aas fressen. Löwen nehmen anderen Tieren die erlegte Beute ab, um nicht selbst die Strapazen in der Sonne ertragen zu müssen. Auch Schakale tun das. Eine Gruppe Schakale ist, hartnäckig genug, sogar in der Lage Geparden ihre erlegte Beute abspenstig zu machen, indem sie die Geparde vertreiben. Treten Löwen auf, flüchten ihrerseits die Schakale und überlassen den Kadaver den Löwen. Das hat dazu geführt, dass Löwen mit dem Speichel von Schakalen in Berührung kamen. Schakale zählen zu den Caniden, sie können von der Hundestaupe von jeher befallen werden. Aufgrund dieses Verhaltens konnten weitere Fälle von Hundestaupe bei Löwen nicht vermieden werden. Auch nicht durch eine großangelegte Impfaktion der Hunde in den Dörfern der Serengeti. Die Untersuchungsergebnisse stammen u.a. von Markus Borner. Der Rest ist frei erfunden.



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