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Das Wispern des Steppengrases
© Antje Burrichter
Die Mittagsglut lag über der afrikanischen Steppe. Wie ausgestorben war die
endlose Weite, nur bedeckt von staubiger roter Erde und verdorrtem Gras.
Hier und da warfen Akazien spärlichen Schatten auf den Boden. Unter einigen
Bäumen konnte man die Silhouetten dösender Tiere erkennen. Jedes Lebewesen
vermied es, sich der Hitze auszusetzen. Seit einer Ewigkeit hatte es in
diesem Teil der Erde nicht mehr geregnet.
"Kannst du dich erinnern wie alles anfing?" wisperte ein helles, dünnes
Stimmchen, das trotz der Stille kaum vernehmbar war.
"Oh ja, sehr gut sogar", antwortete eine etwas dunklere aber ebenso leise
Stimme neben dran. "Es begann mit dem großen Regen. Es regnete und regnete."
"Die Erde wurde nass und nässer, Flüsse bildeten sich, schlängelten sich wie
riesige Schlangen durch die Steppe und brachten das Leben", erinnerte sich
die helle Stimme wehmütig. "Und mit den ersten Regentropfen kamen wir. Wir
wuchsen und wuchsen und die Akazie, die uns unser Leben lang Schatten
gespendet hat trieb aus.."
"Und Blumen wuchsen und fingen an zu blühen", unterbrach die dunklere der
Stimmen überwältig von der Erinnerung. "Riesige bunte Blütenteppiche
überzogen die Steppe. Anfangs waren wir ganz klein. Aber wie die unzähligen
anderen Grashalme wurden wir rasch größer und kräftiger."
"Aber jetzt schau dich um. Es ist fast niemand mehr von uns da. Viele sind
vertrocknet und die meisten sind dem verheerenden Buschfeuer zum Opfer
gefallen", seufzte die helle Stimme.
Für einen Moment schwiegen die beiden Halme unter der Akazie und dachten
voller Wehmut an die gute Zeit zurück.
"Weißt du noch als das Wasser im Fluss anstieg? Wir hatten Angst in den
Fluten unterzugehen wie ein Teil unserer Verwandten", erinnerte sich der
Halm mit dem hellen Stimmchen.
"Aber wir hatten Glück", kicherte die andere Stimme. "Direkt vor uns kam das
Wasser zum Stillstand. Aber kurz darauf kamen die großen Elefanten, die
Antilopen und Zebras und andere Tiere in Scharen. Wir hatten Angst, dass sie
uns niedertrampeln. Aber wir beide sind immer wieder aufgestanden. Wir waren
sehr kräftig."
Erneut folgte eine Pause. Und wieder herrschte Stille unter der
erbarmungslos sengenden Sonne.
"Ja, wir waren sehr kräftig", fuhr das helle Stimmchen fort. "Nichts konnte
uns etwas anhaben. Wenn Tiere kamen und von uns fraßen sind wir auf dem
feuchten Boden eben einfach wieder gewachsen. Zugegeben, nicht so hoch wie
wir anfangs waren, aber wir konnten uns wehren."
"Ja, das konnten wir."
Wieder setzte Stille ein. Ein leichter Wind kam auf und die beiden Halme
ächzten leise als er sie ergriff und etwas zur Seite bog. Beide ignorierten
den Angriff und setzten kurz darauf ihr Gespräch fort.
"Der große Sturm konnte uns auch nichts anhaben", wisperte die dunklere
Stimme schwach. Sie war noch leiser geworden. "Auf der ganzen Steppe
wirbelte die wieder getrocknete Erde umher. Die Bäume bogen sich unter der
Wucht der heftigen Böen."
"Ja, aber wir blieben standhaft. Im Schutz der Akazie konnten wir viele
schöne Sonnenauf- und -untergänge erleben und den Vögeln lauschen."
Die beiden schwiegen erneut. Aber diesmal kehrte keine Stille ein. Der Wind
wurde zum Sturm und blies heulend die trockene Erde und verdorrtes Gras über
die Steppe. Am Horizont waren die ersten dunklen Wolken auszumachen. Die
Steppengrashalme ächzten laut unter der Wucht des Sturms.
"Ich glaube ich kann mehr", stöhnte die helle Stimme. "Der Wind drückt mich
zu Boden. Er knickt meinen Stängel. Es tut weh."
"Das geht vorbei. Dort hinten sehe ich dunkle Wolken. Es wird Regen geben.
Bald werden unsere Kinder leben. Hier an dieser Stelle unter dem Blätterdach
des Akazienbaumes." Das Wispern der dunkleren Stimme war kaum noch zu
vernehmen. Das helle Stimmchen war verstummt. Der Wind wurde stärker,
knickte die beiden trockenen Halme und drückte sie fest an den Boden. In
der Ferne grollte der erste Donner. Die dunklen Wolken kamen rasch näher und
tauchten die Steppe in ein gespenstisches dunkles Licht.
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