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Kurzgeschichte Afrika Kurzgeschichtenwettbewerb Afrika Kurzgeschichten
Nairobi - Mombasa
© Katja Kühlmeyer
Die Hitze presst uns in die Liegen und mein Atem geht flach. Die Klimaanlage wurde vermutlich mit der Unabhängigkeit abgeschafft. In unserem Abteil ist der Strom ausgefallen. Wir behelfen uns mit Teelichtern. Zugbegleiter haben uns das Bett bereits gerichtet und Netze gespannt, damit wir nicht von den Liegen rollen können. Wir haben auf diese Liegen unsere Schlafsäcke ausgelegt, um der Bekanntschaft von Flöhen vorzubeugen. Das ist die zweite Klasse. Die erste Klasse unterscheidet sich von der zweiten nicht in
ihrer Bequemlichkeit, sondern darin, dass man sie für sich alleine hat - Zugromantik. Wir sind allein. Unsere Nachbarinnen, zwei weiße Kenianerinnen, die vor Urzeiten mal Engländerinnen waren, sind in ein Abteil mit Elektrizität geflohen.
"Schläfst du schon?" Es gibt nur eine richtige Antwort. "Nein, ich schlafe noch nicht. Es ist so heiß." "Meinst du es ist schlimm, dass wir kein Moskitonetz haben?". Ich glaube für Anna ist das ein Abenteuer. "Wenn wir das Fenster geschlossen halten, wird es schon gehen." Anna weicht nicht mehr von meiner Seite. Wir haben uns auf einer Safari durch Massai Mara kennen gelernt. Sie reist auch alleine. Wem sie damit etwas beweisen will, möchte ich von ihr wissen. Ich frage
durch die Blume, sie antwortet durch die Hintertür.
Ich habe ja nichts gegen solche Touristen. Ich kann verstehen, dass man alle Kontinente abhaken will. Wäre nur nichts für mich. Das ist wie Radio hören oder auf Festivals gehen. Eine ganze Generation von wahllosen Konsumenten wartet auf das passende Angebot. Bitte, entscheiden Sie, ich bezahle auch dafür!
Ich habe ein Ziel. Ich bin hier auf der Suche nach meinen Wurzeln. Ke-ni-a. Hier ziehen sie sich unter der Erdoberfläche entlang, treten in den Menschen ans Licht und wachsen wieder in die Erde zurück. Nicht dass ich schwarze Vorfahren hätte. Meine Seele ist schwarz und wild und mein Herz schlägt im Rhythmus der Trommeln. Ich will hier eintauchen in das urobische Bewusstsein und mich auflösen in dem, was andere Leute als primitiv bezeichnen. Ich hätte nicht angenommen, dass das als weiße Frau so schwierig sein
würde. Wie lange würde es noch dauern, den Touristen-Schleier über meiner Haut und meinem Gesicht loszuwerden? Eine Frau ohne Begleiter, ohne Schutz den Blicken der hungrigen Straßenverkäufer ausgeliefert. Nicht nur ihren Blicken vielleicht, wenn es dunkel wird in Nairobi.
Gleichförmig schleicht der Zug durch die Steppe. Da draußen liegt der Tsavo. Seine kleinsten Bewohner zirpen gleichförmig. Wäre es schon hell, könnte man nach seinen rotgestreiften Zebras Ausschau halten, ohne Eintritt zu bezahlen.
Die Hitze hält uns in einem Dämmerzustand zwischen schlafen und wach sein gefangen. Die Szenen der letzten zwei Monate schießen wie brennende Pfeile durch meinen Kopf. Immer wieder taucht das schöne Kikuyu-Mädchen auf. George erzählt mir von den Alten. Die Musik der Massai, ihr Tanz für die Touristen. Ich sehe die aidskranken Kinder im Weisenhaus von Nairobi. Ihre Tränen in meinen Augen. Es nützt einem afrikanischen Kind nicht zu schreien, denn keiner hört darauf. Erzwungene Tapferkeit. Was kann ich tun? Nicht
vergessen, gegen das Vergessen muss ich mit aller wucht anrennen. Wieder pralle ich ab.
Das Quietschen der Bremsen reißt mich aus meinen Gedanken und mit einem Ruck, der uns in die Netze schleudert, kommt der Zug zum Stehen. Ich habe keinen Aufprall gehört oder gespürt. Anna wird panisch. Sie kramt in ihrer Tasche. "Wo ist mein Repellent?", fragt sie schrill, doch ich bin schon auf dem Weg nach draußen. Dort haben sich einige Fahrgäste in Pyjamas versammelt. Andere starren aus den Fenstern. Auch einige Fahrgäste der dritten Klasse sind herausgekommen und unterhalten sich lautstark, schütteln
immer wieder die Köpfe und wiederholen ihren so treffenden Kommentar: "z z z". Ich sehe, eine Herde Rinder hat sich diesen Ort als Schlafplatz auserkoren. Sie stehen zu Dutzenden auf den Gleisen. Das Personal versucht sie wegzuscheuchen, aber es ist ein müßiges Unterfangen. Wie soll eine Kuh auch begreifen, dass es ihr Mitten in der Wildnis verwehrt ist, ihren Rastplatz selbst zu wählen.
Eine Gruppe älterer Männer fällt mir auf, die das Geschehen unbeteiligt betrachten. Sie tragen Schürzen und Verzierungen und ich vermute sie gehören zum großen Stamm der Mijikenda, der 10 Küstenstämme Kenias. Ich trete ein Stück abseits von der Touristenmasse und betrachte das Spektakel mit einem Schmunzeln.
Da tritt einer der traditionell gekleideten Männer auf mich zu. Er ist schon grau, was bei Schwarzen, immer ein wenig irritierend aussieht. Der kleine Greis blickt mir direkt in die Augen, grinst und sagt etwas in einem mir unbekannten Dialekt. Ich bin der Landessprache nicht mächtig, verstehe lediglich ein paar Brocken Suaheli. Ich tue das, was ich bisher immer in so einem Fall getan habe, ich nicke, lächle und sage: "eeh, eeh.". Er nimmt meine Hand und legt sie an seine Stirn.
Ehe ich's mich versehe, wird mir schwindlig. Mein Blick wird eng. Die Kehle wird eng. Die Rinder kommen auf mich zu. Ihr Trampeln höre ich mit hundertfacher Verstärkung. Der Gestank schmerzt in der Nase. Die anderen Weißen bilden einen Kreis. Sie kreischen schrill. Ich wachse, wachse über den kleinen Grauen hinaus, bis in den Himmel wachse ich. Dann schrumpfe ich wieder. Ich werde zum Graßhalm und meine Augen, meine Poren, alle Körperöffnungen weiten sich ins Unermessliche. Mein Herz überschlägt sich. Das hast
du jetzt davon! Jetzt musst du sterben! Ich kotze. Dann weine ich vor Angst. Ich zittere. Ich weine vor Verzweiflung. Ich weine um all die Momente, die ich verloren habe. Die Tage, an denen ich mich einpressen ließ, das unnütze Studium, Milliarden von Wörtern in meinem Kopf, noch enger, Platzverschwendung. Der Vater der mich vorangetrieben hat, damit ich so werde, wie er, damit ich den Gefühlen keinen Raum lasse, mich unterwerfe und andere versklave, ein Schwein. Die Mutter, die mich mit ihrer Liebe erdrückt
hat, all die Jahre. Ich weine die Tränen, die ich seit zwanzig Jahren in mir verschlossen halte und ich bedauere mein ungelebtes Leben. Die anderen sehen sich immer noch das Kuhspektakel an. Niemand scheint zu bemerken, dass ich hier mein Leben aushauche, ausschwitze und heule, bis ich vertrocknet in mich zusammen sinke.
Plötzlich wird es still in mir. Ich höre den Rhythmus meines Herzens. "Eeh," spricht der alte Mann und nickt mir freundlich zu. Er grinst verschmitzt. Die Rinder sind von den Gleisen gewichen. Die Zugbegleiter setzen ihre Mützen auf. Die Fahrt kann weitergehen.
Erzähl mir was von Afrika
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