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Afrika - Kontinent oder Lebensgefühl?
© Sigrid Konopatzki
Meinen ersten Kontakt zum schwarzen Kontinent bzw. dessen Menschen bekam ich im Alter von 8 Jahren. Mit meiner Großmutter fuhr ich in den Ferien mit dem Zug von Köln nach Würzburg. Das war 1952 schon Abenteuer genug. Von meinen Eltern wurde ich mit einem kleinen roten Koffer ausgestattet, der voll mit Obst, Broten und wenigen Süßigkeiten war. Sobald ich in Köln mit meiner Großmutter meinen Sitzplatz eingenommen hatte, wurde sofort das rote Köfferchen geöffnet und damit begonnen, alles erst einmal zu sichten und
nach und nach zu vertilgen.
Es dauert nicht lange und ein menschliches Bedürfnis forderte seinen Tribut. Großmutter brachte mich zur Toilette und ging dann wieder auf ihren Platz, schließlich war ich schon groß genug, die wenigen Schritte allein zum Abteil zurückzulegen und außerdem wollte sie unser Gepäck nicht unbeaufsichtigt lassen.
Als ich die Toilette verlassen und wieder zu meinem Platz zurückgehen wollte, erschrak ich fürchterlich. Vor der Toilettentür stand - wie ich damals empfand - ein riesiger schwarzer Mensch, der mich mit blitzenden Augen und großen weißen Zähnen in seinem Mund, anlachte. Ich erschrak bis ins Mark und rannte, wie von der Tarantel gestochen, zu meiner Großmutter um ihr von dem fürchterlichen Mann zu berichten.
Großmutter war eine weise Person und klärte mich auf, dass dieser Mensch sicher in Afrika, das sei ein anderer Erdteil, zu Hause sei. Ich brauche mich nicht zu fürchten, das wären Menschen wie wir auch, nur mit einer anderen Hautfarbe. Großmutter erklärte mir, dass der arme Mensch sich über meine Reaktion sicher genau so erschrocken habe, wie ich bei seinem Anblick. Sie nahm mich bei der Hand, ging mit mir auf den Gang und richtig, dort stand dieser Baum von einem schwarzen Mann und schaute traurig drein. "Wir
gehen jetzt einfach zu ihm, du gibst ihm die Hand, machst einen Knicks und sagst "hallo" und du wirst sehen, dass er sich darüber freuen wird". Mit klopfendem Herzen ging ich auf ihn zu und tat, wie Großmutter mir geheißen.
Ein Lächeln überzog sein Gesicht, er nahm mich auf den Arm, holte eine Dose Schokolade aus seinem Anzug und schenkte sie mir. Artig bedankte ich mich und zu meiner Verwunderung sprach dieser fremdländische Mensch meine Sprache. Er erklärte uns, dass er in Bonn lebe mit seiner deutschen Frau und deswegen unserer Sprache mächtig sei. Großmutter lud ihn in unser Abteil ein und so habe ich zum ersten Mal von Afrika und seinen Menschen, Lebensgewohnheiten und auch deren Ängste und Freuden erfahren.
Für mich ist das bis heute die erlebnisreichste Bahnfahrt gewesen.
Mit den Jahren war es nichts Besonderes mehr, schokoladenfarbige Menschen in unserem Land zu treffen.
Vor einigen Jahren produzierte mein Sohn, der Musiker ist, eine CD mit einem Afrikaner aus Benin als Sänger, einer Deutschen als Sängerin und Afrikanern als Musikgruppe. Die Herzlichkeit, die mir - ich arbeitete damals im Büro meines Sohnes - von dem Sänger und den Musikern entgegenkam, erinnerte mich sofort an meine damalige Zugbegegnung. Alle nannten mich liebevoll "Mama" und trotz einiger Sprachschwierigkeiten, verstanden wir uns auf Anhieb. Die Fröhlichkeit und Begeisterung der jungen Leute war
ansteckend und ich freute mich jedes Mal, wenn die Musiker wieder ins Studio kamen. Nun sollte, nach einem Auftritt bei einem Privatsender in einer Abendschau, ein Video-Clip erstellt werden. Da die Aufnahmen einen Tag in Anspruch nahmen, musste auch für das leibliche Wohl gesorgt werden.
Da für die junge Firma meines Sohnes jede Sparmöglichkeit in Anspruch genommen wurde, durfte ich für das Essen sorgen. Das habe ich auch gerne gemacht. Das gemietete Studio des Privatsenders besaß zwar Garderoben- und Aufenthaltsräume für die Künstler, aber es war kein einziges Geschirrstück vorhanden. Logisch, es wurde ja immer eine Firma bestellt, die das Essen samt Geschirr brachte und alles schmutzig wieder mitnahm.
Aber kein Problem, Geschirr, Besteck und alles was dazu gehört in Körbe gepackt und das Büffet aufgebaut - immerhin Tische waren vorhanden.
Bei der Auswahl der Gerichte für ca. 30 Personen, davon 10 Afrikaner, habe ich mir große Mühe gegeben, dem afrikanischen Geschmack gerecht zu werden. Reis, Fisch und Gemüse dachte ich mir, werden sicher gern gegessen. Eine Fischsuppe kommt bestimmt auch gut an. Für die Europäer kochte ich ganz normal, Gulaschsuppe, Kartoffelsalat, Frikadellen, Schnitzel etc.
Mehr als überrascht war ich jedoch, dass alle Afrikaner sich auf die "deutschen" Speisen stürzten, nicht genug bekamen, überschwänglich das Essen lobten und mich herzten und küssten. Sie nahmen mich in die Mitte, tanzten mit mir und waren voll des Lobes für ihre "Mama". Von dem selbstgebackenen Kuchen als Nachtisch blieb kein Krümel übrig.
Diese Fröhlichkeit und Lebenslust, welche die jungen Afrikaner verbreiteten, habe ich nie wieder erlebt.
Seit dieser Zeit ist Afrika für mich nicht nur ein Kontinent, sondern verbunden mit einem ganz besonderen Lebensgefühl. Schade, dass wir in Deutschland nicht so unbekümmert sind, uns als Erwachsene wie Kinder über Kleinigkeiten freuen und herzlich und offen andere Lebensgewohnheiten annehmen können.
Afrika ist ein Lebensgefühl und nicht nur ein Kontinent!
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