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Und Afrika ist weit

©  Eva Markert


Müde und bedrückt schloss Elysa die Haustür auf. Nein, das war wirklich nicht zu vergleichen mit der Arbeit, die sie früher getan hatte! Aber was blieb ihr anderes übrig? Solange ihre Zeugnisse nicht geprüft und anerkannt waren, konnte sie froh sein, überhaupt die Stelle in der Reinigungsfirma gefunden zu haben. Sie sprach auch noch nicht viel Deutsch, und so war es nur natürlich, dass alle Frauen in der Putzkolonne auf sie herabsahen und ihr immer die unangenehmsten Arbeiten zuschoben.
Elysa stellte sich ans Fenster und sah auf die Hauptverkehrsstraße hinunter. Ihr war ein wenig übel. Sie bemühte sich, ganz fest an Horst zu denken, besonders an seine schönen blauen Augen, die sie von Anfang an fasziniert hatten. Meistens half ihr das, aber heute nicht. Es war warm draußen, und doch mochte sie das Fenster nicht öffnen. Der Lärm, der von unten in die Wohnung drang, der Geruch nach Abgasen - das war schlimmer als die stickige Luft im Zimmer.
Die Sonne dieses fremden Landes schien ins Fenster. Sie spürte, wie Wärme durch die Glasscheibe drang und sich wie tröstend auf ihr Gesicht legte. Sie schloss die Augen und sehnte sich plötzlich heftig nach der Sonne, in deren Licht sie aufgewachsen war. Es war eine starke, eine strahlende Sonne, die großzügig die schönsten Farben an den östlichen Horizont warf, deren mittägliche Glut zerstörerisch sein konnte und die lodernd am rotglühenden Abendhimmel unterging. Majestätisch zog sie ihre Bahn, stolz herrschte sie über weites Land. Nicht immer hatte Elysa sie geliebt. Oft sehnte sie sich nach kühler Frische, nach dem gleichmäßigen Rauschen des kräftigen Regens, der durch dichtes Blätterwerk fiel. Aber hier, wo eine kränkliche Sonne sich gern vor den Menschen verbarg oder nur kraftlos vom blassen Himmel schien, da vermisste sie ihre Heimatsonne, die Sonne Afrikas.
Elysa sah auf die Uhr. Es war schon nach fünf. Bald würde Horst nach Hause kommen. Sie war sehr erschöpft, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Sie musste sich auf den Weg machen.
Elysa ging nur ungern aus dem Haus. Es machte ihr Angst. Oft fühlte sie sich wie unsichtbar in der Menge. Oder sie wurde angestarrt und man tuschelte über sie. "Das bildest du dir ein", sagte Horst. Hatte er Recht damit?
Als Elysa in ihrem leichten großgeblümten Kleid aus dem Haus trat, fuhr ihr der kühle Wind entgegen. Sie fröstelte. Mit gesenktem Kopf eilte sie die Straße entlang. Die Fahrzeuge kamen im dichten Verkehr nur langsam vorwärts. Autos und Busse hielten neben ihr, fuhren wieder an, bremsten erneut. "Fast wie in Nairobi", dachte sie. Nairobi hatte ihr nie gefallen.
Kurz bevor sie das Kaufhaus an der Ecke erreichte, erfasste sie heftiger Schwindel. Vielleicht war sie zu schnell gelaufen und hatte zu hastig geatmet. Sie lehnte sich an eine Hauswand und schloss die Augen. Niemand beachtete sie. Es dauerte eine Weile, bis sie weitergehen konnte.
Sie machte alle ihre Besorgungen im Kaufhaus. Das war für sie am einfachsten. Sie konnte sich aus den Regalen nehmen, was sie brauchte, und an der Kasse ablesen, wie viel sie bezahlen musste. Gerne würde sie hin und wieder ein kenianisches Gericht zubereiten, z. B. den Eintopf aus roten Bohnen und Ziegenfleisch, den ihre Großmutter immer kochte, mit Reismehlbällchen und dazu Chapati, ungesäuertes Fladenbrot. Sicher würde es irgendwo in dieser großen Stadt auch die typischen Gewürze geben, die man dafür benötigte, aber wo? Elysa hatte noch nicht genug Deutsch gelernt, um zu erklären, was sie suchte. Das, was sie heute kaufen wollte, konnte sie auch nicht benennen. Deutsch war schwer, viel schwieriger als Englisch. Aber die Leute hier sprachen nicht sehr gut Englisch. Horst auch nicht, und sie fragte sich, ob es auch daran lag, dass sie sich manchmal stritten und er sie nicht verstand.
Eines seiner Lieblingsgerichte war Schnitzel mit Erbsen und Kartoffelpüree. Seine Mutter kochte dieses Essen immer für ihn, wenn sie bei ihr zu Besuch waren. Dies geschah aber nur selten, denn Horsts Familie war gar nicht damit einverstanden, dass er eine Schwarze heiratete. Auch hatte Elysa sich noch nie mit seinen Eltern unterhalten können, denn sie sprachen kein Englisch. Seine Brüder und deren Ehefrauen verstanden zwar, was sie sagte, aber sie konnten oder wollten nicht mit ihr reden. Horsts kleine Nichten und Neffen schienen sogar Angst vor ihr zu haben. Sie starrten sie immer wieder an, versteckten sich aber hinter ihren Eltern oder rannten fort, wenn Elysa ihnen zulächelte. Bei ihrer eigenen Familie war es ähnlich gewesen. Bis zum letzten Augenblick hatten alle versucht sie davon abzuhalten, ihre Stelle an der Rezeption der Lodge aufzugeben und nach Deutschland zu gehen. Und nun fragte sie sich immer häufiger, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sie auf sie gehört hätte.
Elysa nahm zwei Schnitzel aus der Kühltheke. Sie hatte plötzlich das Gefühl, Horst etwas schuldig zu sein. Er wusste nichts von ihren Zweifeln, ahnte nicht, dass sie sogar regelmäßig Geld von ihrem Lohn beiseite legte. Vielleicht würde sie es brauchen. Ein Flug nach Kenia war teuer. Als sie am Gemüsestand vorbeikam, nahm sie zwei rote Paprikaschoten mit. Paprika - darauf hatte sie plötzlich großen Appetit. Nun musste sie nur noch schnell in die Drogerieabteilung, und dann hatte sie alles beisammen. Auf dem Heimweg trat sie in ein Blumengeschäft, zeigte auf leuchtendrote Blumen, deren Namen sie nicht kannte, und kaufte einen großen Strauß.
Zu Hause lief sie als Erstes schnell ins Badezimmer. Danach musste sie sich einen Augenblick ausruhen. Gierig aß sie die beiden rohen Paprikaschoten. Ihr Magen begann zu glühen, dennoch fühlte sie sich nun etwas besser. Sie stellte Kerzen und die Blumen auf den Tisch und holte eine Flasche Rotwein aus dem Keller.
Während sie das Essen zubereitete, dachte sie daran, wie sie Horst zum ersten Mal begegnet war. Vor allem sein goldblondes Haar hatte es ihr sofort angetan. Sie verbrachte eine wunderbare Zeit mit ihm. Durch ihn lernte sie Kenia mit ganz anderen Augen zu sehen. Sie machten einen herrlichen Rundflug über das Naturschutzgebiet und eine Safari Tagestour in den Nationalpark. Im Schatten riesiger Bäume genossen sie köstliches Eis mit frischen Früchten, sie saßen beim Dinner im Kerzenlicht, sie bewunderten Arm in Arm die farbenprächtigen Sonnenuntergänge. Heimlich, ganz heimlich musste das alles geschehen, denn in der Lodge sah man sah es nicht gern, wenn sich Angestellte mit Touristen einließen.
Die schönen Erinnerungen ließen ein Lächeln in Elysas dunklen Augen aufleuchten. Sie sah auf die Uhr. Wo er nur wieder blieb? Den Essensgeruch empfand sie heute als unangenehm und öffnete das Fenster. Die Abenddämmerung war inzwischen hereingebrochen und der Verkehr hatte etwas nachgelassen. Sie erinnerte sich, wie sie eines Abends vom Fenster seines Zimmers aus Tiere beobachtet hatten, die zum Trinken an ein Wasserloch kamen. Es war ein stilles, friedliches Bild. In diesem Augenblick ergriff sie ein nie gekanntes Glücksgefühl und sie hatte gewusst, dass sie nicht mehr ohne ihn glücklich sein konnte.
Zweimal musste sie bitteren Abschied nehmen: zunächst von Horst, als er in seine Heimat zurückflog, und dann, einige Monate später, von ihrer Familie. Damals war sie noch voll Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft. Sie hatte geglaubt, Deutsche zu kennen. Aber das war ein Irrtum: Sie kannte nur deutsche Touristen.
Und nun lebte sie hier, weit weg von Afrika, und hatte nur noch Horst. Aber konnte sie sich wirklich auf ihn verlassen? Würde er jetzt zu ihr stehen? Wo war er zum Beispiel heute Abend, wo sie ihn doch so dringend brauchte? Ihr Blick fiel auf das Telefon. Das rote Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte. Wahrscheinlich hatte er angerufen, als sie einkaufen war. Sie hörte sich die Nachricht mehrmals an. Er sprach so oft wie möglich Deutsch mit ihr, damit sie es schneller lernte. Elysa verstand nicht alles, was er auf dem Band sagte, aber die Wörter "viel Arbeit" und "später kommen" kannte sie schon.
Sie stellte das Abendessen in den Kühlschrank und setzte sich an den Tisch. Ihren Kopf stütze sie in beide Hände und versuchte, die Tränen zurückzudrängen. Wie sehr sehnte sie sich in diesem Augenblick nach Kenia! Sie musste sich entscheiden, ehe es zu spät war. Sollte sie fortgehen? Zurückkehren nach Afrika, zu ihrer Familie? Sich eine Arbeit suchen in Nairobi oder wieder in einer Lodge? Vielleicht würde Horst ihr das Geld für die Reise geben, das ihr noch fehlte. Vielleicht wäre er sogar froh, sie wieder loszuwerden nach all den Schwierigkeiten. Aber konnte sie das wirklich verantworten? Konnte sie das jetzt noch tun?
Das Licht flammte auf. War sie eingenickt? Horst trat ins Zimmer und streckte seine Arme nach ihr aus. Schlaftrunken erhob sie sich. "Liebling, es tut mir so Leid!", sagte er und streichelte ihr Gesicht. Wie schön er war, wie gut, sie liebte ihn doch so! Stumm hielt sie ihm einen schmalen Streifen hin. In der Mitte erkannte man deutlich ein rotes Pluszeichen.



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