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Armut und Nächstenliebe in Südafrika

©  Jens-Uwe Martens


Bei einer meiner letzten Besuche in Kapstadt lernte ich ein dunkelhäutiges Mädchen kennen, das in den ausgedehnten Slums rund um die Stadt wohnte. Ihr Name war Stella. Ich sah sie jeden Morgen beim Frühstücken. Sie war mir als besonders scheu aufgefallen und es war für sie offensichtlich unbegreiflich, dass sich ein Fremder, ein Weißer, ein europäischer Geschäftmann für sie interessierte. Freilich wir kamen aus völlig verschiedenen Welten aber gerade das machte sie für mich interessant. In einem fremden Land interessieren mich immer die Menschen viel mehr als die so genannten Sehenswürdigkeiten. Es war als lauerte sie darauf, jeden Moment den "Haken" zu finden, jeden Moment herauszufinden, was ich von ihr wollte und wie ich sie ausnützen könnte. Als Stella aber langsam erkannte, dass mein Interesse an ihr als Person ehrlich war und dass ich nichts anderes wollte, als ein wenig über ihr Leben zu erfahren, da fasste sie langsam Vertrauen, öffnete sich etwas und begann zu erzählen.
Aus den vielen Andeutungen, die sie in unseren Gesprächen fallen ließ, bildete sich für mich folgendes Bild: Stella war eines der vielen Waisenkinder in Südafrika, ihren Vater hat sie nie kennen gelernt und ihre Mutter, eine Prostituierte hat sie sehr früh weggegeben. Sie wurde von Familie zu Familie gereicht. In den meisten Familien wurde sie missbraucht, bis sie erneut weggelaufen ist, um dann wieder aufgegriffen zu werden und in eine neue Familie zu kommen, in der das Spiel von vorne anfing. Als ich sie bei meiner Reise Mitte Februar kennen lernte, war sie 19 Jahre alt und hatte einen Hilfsjob in dem Hotel, in dem ich wohnte. Sie war sehr stolz darauf, Arbeit gefunden zu haben, obwohl ich mir vorstellen kann, wie wenig sie verdiente, zumal sie nicht fest angestellt war, sondern nur Gelegenheitsdienste übernahm.
Außer den wenigen Kontakten mit den Mitarbeitern des Hotels hatte Stella keine Freunde - und aus Nebenbemerkungen wurde deutlich, dass ihre Kollegen bei der Arbeit auf sie herabblickten, da sie nichts gelernt hatte und auch nicht fest angestellt war, also in jeder Beziehung ein Mensch der unter allen anderen stand.
Stella erzählte mir eine Geschichte, die sie vor ein paar Wochen erlebt hatte und die ihr offensichtlich sehr nahe gegangen war. Während sie sie erzählte, kämpfte sie immer wieder bei der Erinnerung an diese Erlebnisse mit ihren Tränen.
"Auf dem Weg zu meiner Arbeit gehe ich meist an einem jungen Bettler vorbei, der immer an der gleichen Stelle sitzt", so erzählte Stella spontan, ohne die Vorsicht zu Beginn unseres Gesprächs und ich hörte ihr erwartungsvoll zu. "Es ist ein kleiner Junge, ich schätze ihn auf zwölf oder vierzehn Jahre. Lange Zeit haben wir uns nicht beachtet, aber nachdem er mich immer wieder gesehen hat und ich ihm auch ab und zu mal eine Münze gegeben habe, kannten wir uns und haben uns mit Kopfnicken gegrüßt. Wahrscheinlich - so denke ich mir - ist er genauso einsam wie ich. Sicher hat auch er keine eigene Familie und niemand der sich um ihn kümmert."
Auch ich habe oft die bettelnden Kinder gesehen, und ihnen nur selten etwas gegeben, da sie immer sehr aufdringlich wurden, wenn sie entdeckten, dass bei einem etwas zu holen war. Doch jetzt sah ich diese bettelnden Kinder durch die Augen von Stella und ich fragte mich, ob ich nicht doch großzügiger hätte sein sollen.
Stella fuhr nach einer Pause fort, in der sie sich zu sammeln schien und sich Kraft für die Fortsetzung der Geschichte holte: "Weihnachten ist für mich immer eine besonders schwierige Zeit. Es ist ein Fest für Menschen mit Familie, mit Freunden, nicht für Menschen wie mich. Ich kenne niemanden, von dem ich Geschenke erwarten kann, oder den ich beschenken könnte. Auf dem Weg zu Arbeit komme ich an vielen Schaufenstern vorbei und die schönen Auslagen vor Weihnachten sind für Menschen wie mich besonders schmerzlich. Bei dem letzten Weihnachten vor ein paar Wochen wurde richtig traurig - aber auch irgendwie wütend: Ich wollte auch ‚Weihnachten erleben', ‚Weihnachten fühlen'. Aber wie macht man das? Wie kann ich das machen? Wie kann ich Weihnachten erleben?"
Sie machte eine Pause, als ob sie mir Zeit geben wollte die Antwort zu finden, und ich war nicht sicher, ob sie nicht wirklich eine Antwort von mir erwartete, oder ob es sich um rhetorische Fragen handelte. Ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte und war gerade dabei, irgendetwas zu antworte, nur um etwas zu sagen, da übernahm sie wieder das Wort und fuhr fort:
"Ich fand keine Antwort auf diese Fragen, da kam ich bei meinem Freund dem Bettler vorbei. Auf einmal wusste ich, was Weihnachten sein könnte, und ich sprach ihn an und sagt ihm, dass ich ihm gerne etwas zu Weihnachten schenken möchte und dass er sich etwas wünschen soll. ‚Ich hätte so gerne einmal Schuhe. Ich habe noch nie Schuhe besessen', war seine Antwort. Ich versprach, ihm diesen Wunsch zu erfüllen und am nächsten Tag nahm ich all mein Erspartes mit, um mit ihm Schuhe kaufen zu gehen. Ich hatte nicht viel Geld und ich hatte große Angst, dass er sich Schuhe aussuchen könne, die ich nicht bezahlen kann. Aber er suchte sich sehr billige Schuhe aus. Sie können sich nicht vorstellen, was für ein schönes Gefühl über mich kam, als ich seine glücklichen Augen sah. Ich hatte das noch nie erlebt. Ich dachte immer, Weihnachten heißt Geschenke zu bekommen. Ich wollte so gerne Weihnachten erleben. Auf einmal hatte ich mein Weihnachtsgefühl gefunden."
Stella hatte große Schwierigkeiten mit ihren einfachen Worten ihre großen Gefühle zu beschreiben.
"Vorgestern war Valentinstag. Auch das ist ein Tag, der nicht für Menschen wie mich gemacht ist. Er macht mich nur traurig, denn mir wird wieder bewusst, wie alleine ich bin und dass niemand an mich denkt. Als ich an diesem Tag auf meinem Weg zur Arbeit bei meinem Bettler vorbei kam, überreichte er mir eine einzelne Blume. Ich glaube, ich habe mich über diese Blume mehr gefreut, als er sich über die Schuhe."
Wie reich muss man sein, um geben zu können?
Vor meiner Abreise, habe ich einen verschlossenen Umschlag mit ihrem Namen an der Rezeption hinterlassen. Ich wollte sie nicht in Verlegenheit bringen. Aber sie hat mich noch telefonisch erreicht, buchstäblich bevor ich das Zimmer mit meinen Koffern verließ. Unter Tränen fragte Stella mich nur: "Warum hast Du (haben Sie?) das getan?"



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