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Aussichtslose Flucht
© Alexandra W.
Es schien ohnehin früher oder später passieren zu müssen. Die Alten hatten schon lange Zeit Gerüchte gehört, doch sie eigentlich nie wirklich ernst genommen. Sie waren äußerst friedfertig, und in dieser Beziehung auch ein Stück weit ahnungslos. Doch hätte es was geändert wenn sie den wüsten Geschichten Glauben geschenkt hätten? Was hätten sie den machen können gegen "die Fremden"? Am härtesten traf das Schicksal aber wohl Marika und Habit.
Sie kannten sich schon ein Leben lang, und genauso lang zogen sie schon gemeinsam mit ihren Angehörigen durch die afrikanischen Savannen und Flusstäler. "Tradition" nannten es die Alten und es konnte sich wirklich niemand an andere Zeiten erinnern. Es war schon immer so gewesen.
Seit sie denken konnten, hatten sie sich gut verstanden. Früher hatten sie immer miteinander gespielt, und sie konnten über alles reden. Geheimnisse?
Zwischen Marika und Habit hatte es so was nie gegeben. Vielleicht kurz, als Habit erkannte, dass er in Marika verliebt war, doch schnell erkannte er, dass diese Liebe auf Gegenseitigkeit beruhte, und gestand es ihr. Seit diesem Zeitpunkt waren sie dann schließlich ein glückliches Paar. Im Prinzip war es klar, dass es einmal soweit kommen würde. Auch die Alten schienen es schon immer geahnt zu haben, allerdings ahnten sie nicht, welch tragisches Schicksal Marika und Habit ereilen würde.
Marika war 15 als sie feststellte, dass sie von Habit ein Kind erwartete. Er wusste es noch nicht, da sie selbst erst ganz sicher sein wollte, hatte sie es ihm noch nicht gesagt. Nun war sie sicher und hatte beschlossen es ihm am Nachmittag zu "beichten", wenn die anderen sich ausruhten. Dieser Moment sollte nur ihnen beiden gehören.
Es war einer dieser Tage, an denen die Hitze im Busch regelrecht zu stehen schien. Und stehen, bzw. liegen, war auch das Einzige, was man um diese Zeit des Tages machen konnte. Die anderen ruhten bereits. Marika stand an Habit geschmiegt unter einem Affenbaum, und genoss seine Nähe. Nun würde sie es ihm sagen. Der Moment war perfekt.
"Ich muss dir was sagen, Liebling!" fing sie an, nach den richtigen Worten suchend. So oft war sie im Gedanken dieses Gespräch durchgegangen, aber es wollte ihr einfach kein vernünftiges Wort mehr einfallen vor lauter Aufregung.
"Ja, ich höre!" antwortete er leise, um die anderen nicht zu stören.
"Ich erwarte ein Baby! WIR erwarten ein Baby!" sie hatte die Augen geschlossen, und wartete gespannt auf seine Reaktion. Sie spürte wie er tief Luft holte, bevor er um Fassung bemüht antwortete: "Du.. ich meine wir...
ich meine was... ein Baby?"
Habit war außer sich vor Freude, am liebsten hätte er laut los gebrüllt, aber die anderen ruhten. Noch einmal holte er tief Luft.
"Ein Baby? Ich kann es kaum glauben! Ich freu mich ja so! Ach, Liebste!" er vergrub seine Nase hinter ihrem Ohr, wie er es immer tat.
Dieser Moment hätte nicht schöner sein können. Er liebte sie, dessen war sie sich sicher. Sie würden ein Leben lang beisammen bleiben. Sie hätte nie geglaubt, so glücklich sein zu können. Auch die Alten freuten sich über den bevorstehenden Nachwuchs, sie hatten schon lange gehofft, dass es bald soweit sein würde.
Ihre Tradition verlangte es, dass sich Marika und Habit bis zur Geburt ihres Kindes von ihren Angehörigen trennten. Und so machten sie sich alleine auf den Weg. Marika war zwar etwas traurig darüber, doch die Aussicht, auf eine ungestörte Zweisamkeit mit Habit überwog. Hätte Marika auch nur geahnt, dass sie die anderen nie wieder sehen würde, wäre sie wahrscheinlich - Tradition hin oder her - niemals fort gegangen.
Marika und Habit genossen eine unbeschwerte Zeit, und waren glücklich wie nie zuvor. Sie verbrachten ihre Zeit mit Träumereien über die Zukunft.
Stundenlang sprachen sie davon, wie schön es doch sein würde, wenn das Kleine endlich da wäre, und diskutierten über eventuelle Namen.
Offensichtlich die einzige Sache, in der sie sich nicht einig werden konnten. Schon alleine deshalb, weil Marika der Überzeugung war, sie würden ein Mädchen bekommen, während Habit fix der Meinung war, es würde ein Junge werden. Ihre Diskussionen über dieses Thema wurden teilweise recht heftig, doch am Ende fingen sie beide herzhaft zu lachen an, und schmiegten sich glücklich und zufrieden wieder aneinander. Oft fragten sie sich auch, wie es den Alten wohl ginge. Sie vermissten sie etwas, und freuten sich schon
irrsinnig auf ein baldiges Wiedersehen. So vergingen die Monate, und Marika würde wohl bald das Kind bekommen. Habit wich nicht von ihrer Seite, und half ihr wo immer er konnte.
Es geschah dann zirka ein Monat bevor das Kleine das Licht der Welt erblicken sollte. Es war wieder einmal unbeschreiblich heiß, und Marika war auch schon etwas schwerfälliger geworden, außerdem machte ihr die Hitze im Endstadium ihrer Schwangerschaft nun doch etwas zu schaffen. Sie hatte sich gerade etwas Abkühlung am Wasser verschafft, und suchte nun Zuflucht im Schatten der Bäume. Alles war ruhig, und sogar der Wind hatte aufgehört zu säuseln. Schließlich kam auch Habit von der kleinen Wasserstelle zurück.
Langsam kam er auf sie zu. Er wollte schon einen Moment inne halten, um sie zu bewundern, doch er sehnte sich nach ihrer Nähe. Sie hatte nichts von ihrer Schönheit verloren, selbst jetzt nicht, wo sie schwanger war; ganz im Gegenteil, er bewunderte und liebte sie mehr denn je. Er sagte nichts, sondern stellte sich einfach neben sie, wohlwissend dass dies wohl einer der letzten Momente sein würde, die sie in trauter Zweisamkeit verbringen konnten, aber nichts ahnend von der Tragödie die ihnen kurz bevorstand.
Dann passiert es, die Vögel flogen kreischend auf. Erschrocken hoben Marika und Habit die Köpfe, um den Grund dieser plötzlichen Unruhe ausmachen zu können. Doch das Einzige das sie erblicken konnten, war weit entfernt ein aus unerfindlichen Gründen aufgewirbelter Haufen Sand. Aufgewirbelter Sand, der sich mit rasend schneller Geschwindigkeit durch die Steppe bewegte. Was war das? Ratlos sahen sie sich mit angsterfüllten Augen an.
"Sind das "die Fremden"?", fragte Marika mit bebender Stimme.
Als der Sand näher gekommen war, konnten sie einen grünen Punkt darin erkennen, und ein seltsames Geräusch drang zu ihren scharfen Ohren durch.
Sie hatten so einen Lärm noch nie gehört. Doch es war auf jeden Fall nichts Gutes. Vögel flogen doch nur auf, wenn Gefahr in Verzug war. Darauf war Verlass.
"Sind das "die Fremden", Habit?", wiederholte Marika ihre Frage nochmals mit Nachdruck. Ein kurzer Anflug von Panik schimmerte in seinen Augen wieder.
"Ich glaube JA!" antwortete er schließlich leise, als hoffte er das Unaussprechliche würde dadurch an Schrecken verlieren. Sie konnten sich nicht mehr genau an die Gerüchte, die sie über "die Fremden" gehört hatten erinnern, aber sie wussten, dass sie fürchterlich waren. Trotz allem, irgendetwas mussten sie tun, und Flucht schien das einzig Richtige zu sein, vor allem, nachdem dieser aufgewirbelte Sand, mit dem grünen Punkt in der Mitte sie gesehen zu haben, und nun direkt auf sie zuzuhalten
schien.
Habit und Marika liefen so schnell sie konnten von Panik getrieben, in der Hoffnung den Verfolger abhängen zu können, doch er war schnell. Sie merkten an dem Brummen, dass hinter ihnen immer lauter wurde, dass er ihnen dicht auf den Fersen war.
Und dann ging alles ganz schnell. Ein lauter Knall ertönte, und Marika stolperte. Habit drängte sie weiterzulaufen, für ihn, für ihr Kind... sie erhob sich unter Schmerzen und schon wieder erschreckte ein Knall, der Marika erneut zusammenbrechen ließ, die beiden.
"Es tut so weh!", schrie sie verzweifelt, und hechelte schmerzerfüllt.
Ein weiterer Knall und Habit wurde von einem Schmerz, der wie ein Blitz seine linke Schulter durchzuckte ebenfalls zu Boden gezwungen. Jetzt fiel ihm wieder ein was er in den Geschichten über die Fremden gehört hatte "Sie hinterlassen eine Spur des Todes. Wann immer sie auftauchen stirbt jemand. Man kann ihnen nicht entkommen!"
Ein weiteres Mal noch durchbrach ein Knall die angsterfüllte Atmosphäre, und plötzlich war Marika vollkommen ruhig. Kein Hecheln, kein Atemzug, kein Herzschlag. Das Leben war aus ihren Gliedern gewichen, was geblieben war, war der schmerzverzerrte Ausdruck auf ihrem Gesicht und in ihren Augen spiegelte sich die ganze Sorge einer jungen Mutter um ihr Kind wieder.
"Marika?" Habit stieß sie an, doch er konnte keinerlei Reaktion ausmachen.
Nocheinmal, als würde es irgendetwas ändern, stieß er sie an. Marika bewegte sich nicht. Habit fühlte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten und er konnte sie, wollte sie auch gar nicht zurückhalten. Marika, das Baby... Er richtete seinen Kopf himmelwärts, und schrie mit der ganzen Kraft eines Mannes, der soeben alles verloren hatte noch einmal ihren Namen. Man hörte seine Stimme weit durch die Savanne hallen.
Er spürte keinen Schmerz mehr. Der Schmerz, der ihn gerade noch in die Knie gezwungen hatte, war vergessen, weg. Seine Trauer beflügelte ihn neu und holte die allerletzten Kraftreserven in ihm hervor. Hasserfüllt und von Wahnsinn getrieben richtete er seinen Blick dann schließlich auf "die Fremden". Er fixierte sie entschlossen und stürmte geradewegs auf sie los.
Marika, sie hatten ihm Marika genommen. Marika. Verzweiflung überfiel ihn und er schrie erneut so laut er konnte ihren Namen. Drei weitere Knälle durchbrachen seine Schicksal verklagende Stimme, und dann war auch sein Herz für immer ruhig. Als letztes starb das Ungeborene. Es hatte ebenfalls verzweifelt um sein Leben gekämpft, in dem erstarrenden Körper Marikas.
Die Sandwolke legte sich langsam, und der Jeep hielt direkt neben Habit. Die Wilderer husteten kurz den Staub aus ihren Lungen, und brachen in wildes Jubelgeschrei aus. Sie klatschten in die Hände und veranstalteten einen schnellen Freudentanz, bevor sie sich gierig über das Elfenbein ihrer soeben erlegten Beute hermachten. Was war das bloß für ein Prachtexemplar? Als sie dann auch noch Marika begutachtet hatten, konnte ihre Laune nicht mehr besser werden. Im Kopf malten sie sich schon aus, wieviel Geld sie wohl
für das Elfenbein der beiden bekommen würden. Sicher eine Menge...
Es schien ohnehin früher oder später passieren zu müssen. Die Alten hatten schon lange Zeit Gerüchte gehört, doch sie eigentlich nie wirklich ernst genommen. Sie waren äußerst friedfertig, und in dieser Beziehung auch ein Stück weit ahnungslos. Doch hätte es was geändert wenn sie den wüsten Geschichten Glauben geschenkt hätten? Was hätten sie denn machen können gegen "die Fremden"? Am härtesten traf das Schicksal aber wohl Marika und Habit.
Der Wind klagte, als er sanft über die leblosen Körper von Marika und Habit strich, und trug ihre Geschichte mit sich fort, um sie weiterzuerzählen.
Aber niemand verstand sie.
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