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Vierundzwanzig Stunden

©  Barbara Mansion


Es war Donnerstagmorgen, kurz vor neun Uhr. Katrin erwachte mit einem elenden Katzenjammer. Die ganze Nacht hatte sie sich in ihrem Bett herumgewälzt, war immer wieder aufgewacht und hatte in den kurzen Phasen des Schlafes nur unsinniges Zeug geträumt. Sie hätte nicht sagen können, worum es in diesen Träumen überhaupt gegangen war. Sie wusste nur, dass immer wieder Jens darin eine Rolle gespielt hatte.
Jens! Katrin griff nach dem Bild auf ihrem Nachttisch.
"Ich habe es nicht gewollt", sagte sie laut. " Nicht so!"
Und mit einem Schlag war alles wieder da. Der kindische Streit, ihre unnachgiebige Haltung, Jens, der sich gekränkt zurückgezogen hatte. Katrin hätte nicht einmal mehr genau sagen können, wie dieser Streit überhaupt angefangen hatte. Irgendeine Lappalie, die in der Hitze des Gefechtes immer mehr aufgebauscht worden war. Immer bösere Worte waren gewechselt worden. Jens war gegangen und Katrin hatte geglaubt, dass am nächsten Tag wieder alles in Ordnung sein würde. Jens würde sich natürlich entschuldigen müssen.
Jens hatte am anderen Tag auch angerufen. Allerdings nicht, um sich mit Katrin auszusprechen. Er hatte ihr lediglich erklärt, er habe sich zu einer Einheit gemeldet, die nach Somalia ging. Wieder war Katrin wütend geworden. Das war nämlich genau das, was er ihr versprochen hatte niemals zu tun, solange er Soldat war. Tief empört über sein Verhalten hatte Katrin ins Telefon geschrieen, er solle tun, was er für richtig halte. Schließlich sei sie nicht seine Frau und sie gedenke es auch nicht mehr zu werden. Und überhaupt, es interessiere sie nicht, was er tue. Dann hatte sie den Hörer auf die Gabel geknallt
Katrin war zu diesem Zeitpunkt so tief beleidigt, dass sie nicht einmal zu der Abschiedsfeier ging, die in der Kaserne für die Freiwilligen und ihre Familien gegeben wurde. Jens war jetzt seit fast zwei Monaten fort und er hatte sich nicht bei ihr gemeldet. Aber Katrins alberner Stolz verbot ihr, den ersten Schritt zu tun, so gerne sie sich mit ihm versöhnt hätte.
"Verdammt noch mal, warum meldest du dich auch nicht", schrie sie sein Bild an und brach dann in heiße Tränen des Selbstmitleids aus. Katrin weinte sich in den Schlaf, der allerdings mehr Ermattung als Erholung brachte.
Es war gerade mal 8.30 Uhr, ein elender Donnerstagmorgen, als Katrin sich blass und müde in ihrem Bett aufsetzte. Und über die Willkür des Schicksals haderte. In diesem Moment läutete es an der Tür.
"Klingele, bis du schwarz wirst", dachte sie, aber genau das schien der Störenfried am Eingang zu beabsichtigen. Als er nicht aufgab, quälte sich Katrin doch aus dem Bett und öffnete die Tür. Böse Worte würde sie dem Eindringling an den Kopf werfen, sagte sie sich. Die blieben ihr dann jedoch im Halse stecken.
"Du?" Verzweifelt versuchte Katrin ihr langes schwarzes Haar ein wenig zu richten, aber das brachte auch keinen Erfolg.
"Darf ich hereinkommen", fragte Jens. Gerade wollte Katrin ihm eine böse Antwort geben, weil er sie jetzt in solch blamablem Zustand sah. Aber sie erinnerte sich noch im letzten Moment an die Qualen der vergangenen Wochen und schwieg.
"Natürlich!" Aber sie konnte nicht umhin hinzuzufügen: "Und was willst du?"
"Mit dir reden, mich entschuldigen, wegen unseres blöden Streites. Weißt du, das Leben kann so verdammt schnell zu Ende sein. Und man sollte sich nie im Streit trennen. Niemals!"
Sag es, dachte Katrin. Sag es schon, bitte, bitte sag es! Und dann sagte er es tatsächlich. "Ich liebe dich, Katrin! Ich liebe dich mehr, als ich dir je sagen kann. Und deshalb bin ich zurückgekommen. Nur weil ich dich so sehr liebe konnte ich das überhaupt schaffen."
Na ja, dachte Katrin. Ein bisschen übertreibt er jetzt aber schon. Aber im Grunde war es das, was sie hatte hören wollen. Dann ging sie auf Jens zu, streifte im mit den Fingerspitzen die Wange und lehnte sich zärtlich an ihn. Schon während sie die Arme um ihn schlang, liefen die Tränen. Aber diesmal waren es Tränen der Erleichterung. Ja, hier gehörte sie hin. An die Seite dieses Mannes. Katrin spürte, wie ihr Herz aus dem Takt geriet und alles weitere unterging in einer heißen Woge des Glückes.
Als beide zwei Stunden später bei einem verspäteten Frühstück saßen, begann Katrin Pläne zu machen. Pläne für die Hochzeit, Pläne für eine größere Wohnung, Pläne für die Kindererziehung.
"Du sagst ja gar nichts", beklagte sie sich. Jens hatte tatsächlich zu alledem kein Wort gesagt. Er lächelte sie nur über den Tisch hinweg an. Noch immer stand sein Frühstück unberührt vor ihm.
"Erinnerst du dich an unseren Platz draußen bei der alten Birke", fragte Jens statt einer Antwort. "Lass uns noch einmal dorthin gehen. Ich glaube, es ist der Platz an dem ich in meinem Leben am glücklichsten war."
Warte ab, dachte Katrin. Wenn wir erst für immer zusammen sind, wird es für dich nur noch glückliche Orte geben. Jens war heute tatsächlich ein wenig eigentümlich. Nun ja, vielleicht hatte es ihn einige Überwindung gekostet zu kommen. Irgendwie sah er auch elend aus. Vielleicht war er auch gesundheitlich nicht auf der Höhe. Zwei Monate Krieg spielen in Somalia konnte auch robuste Naturen wie Jens etwas mitnehmen. Nein, ernsthaft krank sah er aber eigentlich nicht aus. Stahlblaue Augen leuchteten aus einem braungebrannten Gesicht. Die afrikanische Sonne hatte seine Haare ganz hell werden lassen. Kein Zeichen von Erschöpfung. Irgendwas irritierte Katrin. Aber wozu sich Gedanken machen. Jens war hier und sie war glücklich. Sonst zählte nichts.
Arm in Arm schlenderten beide durch das kleine Wäldchen am Fluss. Ja, hier waren sie oft und gerne spazieren gegangen. Die weißen Birkenstämme und ihre dünnen, biegsamen Äste mit den dreieckigen Blättern hoben sich wundervoll von dem tiefblauen Himmel ab. Nicht ein Wölkchen in Sicht. Die Welt war wunderbar und sie hatte sich genau an Katrins Stimmung angepasst.
"Du hast mir noch gar nicht erzählt, wann Deine Einheit zurückgekommen ist", brach Katrin das Schweigen. Doch zu ihrer großen Überraschung antwortete Jens: "Sie ist nicht zurückgekommen." Erst als er ihren fragenden Blick sah, fügte er hinzu: "Ich bin alleine hier. Bitte frage nicht weiter!"
Als sie wenig später ihren Lieblingsplatz erreicht hatten, zog Jens ein kleines Päckchen aus der Hosentasche.
"Bitte Mach es auf. Es soll dich immer an unsere schöne Zeit erinnern. Und daran, dass ich nie jemand anderen geliebt habe, außer dir."
"Das möchte ich aber auch schwer hoffen", kokettierte Katrin. Dann öffnete sie die kleine Schachtel, die in zartrosa Seidenpapier eingeschlagen war. Zum Vorschein kam ein Medaillon, auf dessen Rückseite die Worte "In Ewigkeit, Jens" eingraviert waren.
"Oh, es ist wunderschön", hauchte Katrin. "Ich werde es immer tragen."
Jens nahm sie in die Arme und als sie es nicht sehen konnte, nahm sein Gesicht einen gequälten Ausdruck an.
Es wurde ein wunderschöner Tag für Katrin. Sie redeten über alte Zeiten, gemeinsame Freunde und frühere Unternehmungen. Katrin genoss es, in Jens Armen zu liegen, den Himmel durch das hellgrüne Blätterdach der Birke zu betrachten und der melodischen Stimme dieses schönen, starken Mannes zu lauschen, den sie liebte und der sie liebte. Nur, wenn Katrin auf die gemeinsame Zukunft zu sprechen kam, wurde Jens schweigsam. Katrin wäre der Sache gerne auf den Grund gegangen, doch irgendwie fürchtete sie sich vor einer Antwort. Hauptsache, Jens war hier. Alles andere würde sich schon ergeben.
Als es dunkel wurde, machten sie sich auf den Heimweg. Der Tag ging zu Ende, wie er angefangen hatte, zärtlich küsste Jens Katrin, streichelte ihr Haar und dann spürte sie seine fordernden Hände über ihre Haut gleiten. Liebe, Zärtlichkeit und ein unendliches Gefühl der Geborgenheit umspülten sie und während Katrin sanft seine Liebkosungen erwiderte gerieten sie immer tiefer in den Sog der Leidenschaft.
Um wie vieles anders war doch diese Nacht gegenüber der gestrigen, dachte Katrin glücklich als sie am anderen Morgen erwachte. Sie tastete im Bett neben sich, aber Jens war nicht mehr da. Stattdessen klingelte das Telefon.
Katrin raffte sich auf und ging ins Wohnzimmer, zufrieden vor sich hin summend. Vielleicht war es ja Jens. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er gegangen war. Verliebt griff sie nach dem Medaillon, das er ihr gestern geschenkt hatte und küsste es sanft. Mit der anderen Hand griff sie nach dem Hörer. Bestimmt war es Jens.
Aber es war nicht Jens, der anrief. Es war eine fremde, unpersönliche Stimme, die sie darüber informierte, dass ihr Freund Jens tot sei. Gefallen, bei einem Einsatz seiner Einheit, am Donnerstagmorgen gegen 8.30 Uhr unserer Zeit in der Nähe von Belet Huen in Somalia. Ihre Hand krallte sich fest um das Medaillon. Die monotonen Beileidsbezeugungen am Telefon hörte Katrin nicht mehr.



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