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Afrikanische Begegnungen

©  Anna Braun


Fluchend schlug sie auf das Lenkrad ein, dann stieg sie aus und trat gegen das aufgeschlitzte linke Vorderrad. Glassplitter. Niemand hatte es für notwendig gehalten sie wegzuräumen. Verdammt! Glücklicherweise konnte sie mittlerweile Reifen wechseln, Mark hatte es ihr bei einem seiner letzten Besuche gezeigt. Sie überprüfte den Kühlwasserstand. Hm, ein bisschen mehr wäre vielleicht nicht schlecht. Am Pistenrand dieses verkommenen Dorfes am Ende der Welt saßen Männer und beobachteten sie. Jedoch nur kurz, sollte die weiße Frau mit ihren Problemen selber fertig werden. Einem Mann hätten sie bestimmt geholfen. Noch mal verdammt. Was macht sie überhaupt hier inmitten der Häuser? Häuser? Hütten, nicht mal richtige Dächer oder Wände hatten sie. Lehm oder Kuhmist als Baumaterial. Frauen - keine zu sehen. Dreck, Mist, ausgemergelte Kühe, die wohl nicht mehr lange leben würden. Schon Trockenzeit? Sie wusste es nicht. Woher auch, Afrika hatte sie nie interessiert. Dann eben fast schon Trockenzeit in der Dornsavanne. In der afrikanischen Savanne in der fast Trockenzeit, am späten Abend, kurz vor Sonnenuntergang, festzustecken. Das war ein schrecklicher Gedanke.
Wie schaffte Mark es jedes Mal sie dazu zu bewegen? Ins Flugzeug zu steigen, um in einen gottverlassenen Winkel der Welt zu fliegen? Sie holte den Wasserkanister aus dem Ladebereich des Jeeps, nahm auch ihre beste Kamera mit. Stehlen würden sie nichts. Dafür waren die Männer sich zu schade, und Kinder waren nirgends zu sehen. Vor dem Dorf war eine Brachwasserstelle, beim Vorbeifahren hatte sie das gesehen. Dorthin ging sie, das Wasser war ja nicht trinkbar, aber für den Kühler noch gut genug. Als sie dort ankam, schöpfte ein Kind Wasser. Vorsichtig ließ das kleine Mädchen das Wasser in einen rostigen Eimer fließen. Jeder einzelne Tropfen wurde aufgefangen, keiner ging daneben. Kostbares Nass, lebenserhaltendes Nass. Sofort zückte sie den Foto und machte ein paar Aufnahmen. Das Mädchen lächelte sie scheu an, auf einen scharfen Ruf einer der Männer lief sie jedoch rasch mit dem Eimer davon, immer sorgsam darauf bedacht nichts zu verschütten. Mit wiegenden Hüften, wie eine zu klein geratene Erwachsene. In dem Fall doch kein Wasser aus dieser Pfütze. Was war das für ein Land, in dem die Menschen von Brachwasser leben mussten? Kein Wunder, dass Seuchen und Epidemien entstanden. Vorurteile, alles Vorurteile, würde Mark sagen. Sie eilte zum Wagen zurück, montierte den Ersatzreifen, um dieser Trostlosigkeit und dem unlogischen Gefühl der Beengtheit in die Savanne zu entfliehen.
Wie weit war sie von dem Dorf entfernt, als sie die Bewegungen in den letzten Resten der hohen Savannengräser sah? Nicht weit genug für die Bewohner des Dorfes nach ihrem Geschmack. Eine Antilope schoss vor ihr über den Weg. Sie bremste scharf. Was war denn das? Antilopen auf den Straßen? Natürlich, hier konnte das passieren. Noch während sie dem Tier nachsah, sprang elegant ein Gepard hinter der Antilope her. Sofort hatte sie den Finger am Auslöser. Wie sich das Tier kraftvoll vom Boden abstieß, der Körper sich lang - sehr lang - streckte um sich dann zu einem kompakten Fellbündel zusammenzupressen und sofort wieder wie eine Feder nach vorne zu schnellen. Eine perfekte Harmonie aller Muskeln. Sie saß noch ein Weilchen, staunend über die Wunder der Natur. Doch verfolgte sie den Flug des Geparden nicht, wozu auch. Raubtiere schlugen ihre Beute doch eigentlich immer, oder?
Dann fuhr sie weiter. Und fuhr bis sich der Himmel rot verfärbte über der Savanne. Da auf einmal sah sie sie, die Frauen des Dorfes,. In einer langen Reihe, schwere Wasserbehälter auf dem Kopf, Babys auf den Hüften sitzend, Kleinkinder dabei. Eine Hand am Wassertopf, die andere auf dem Kopf des Kindes sangen sie - oder es hörte sich nur wie Gesang an, dieses klangvolle Auf und Ab ihrer Stimmen. Sie wurden schnell zu schwarzen Schemen vor dem blutroten Hintergrund des Sonnenuntergangs, der Singsang vermittelte ihr den Eindruck als sähe sie einen Film. Wahrscheinlich würde gleich Robert Redford Meryl Streep um den Hals fallen - oder war es umgekehrt gewesen? Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte sie die Romantik des Augenblicks weg. Sie war nicht romantisch veranlagt, sie nicht, die harte Geschäftsfrau, die immer im Kreis der männlichen Kollegen mithalten musste, besser sein musste, ja ums Überleben ihres kleinen Unternehmens rang. Ihr wurde nichts geschenkt, niemals. Trotzdem hatte sie auch jetzt Fotos gemacht, schon automatisch. Aus rein praktische Gedanken. Vielleicht konnte man sie verkaufen, an eine dieser romantischeren Personen.
Erneut fragte sie sich, was sie hier tat, während die Nacht über sie und die Savanne hereinbrach. Mark hatte sie kurz nach ihrer erfolgreichen Scheidung angerufen und ihr dazu gratuliert. Nur Mark konnte so etwas tun, zu einer Scheidung gratulieren. Natürlich war sie froh gewesen, ihren verlogenen und betrügenden Mann loszuwerden, aber dazu gratulieren? Mark eben. Da sie ja jetzt wohl der stupiden, langweiligen Arbeit ein Weilchen entfliehen wollte..., so oder so ähnlich hatte er angefangen zu reden. "Sag schon, was soll ich fotografieren?" hatte sie ihn brüsk unterbrochen, für Feinfühligkeiten nicht empfänglich so kurz nach ihrem eigenen kleinen Weltuntergang. Dann hatte er sie gebeten nach Afrika zu kommen. Nicht seinetwegen. Der Kinder wegen. "Sie brauchen Hilfe." Und: "Du musst kommen, Anna. Niemand sonst kann das für mich tun." Und sie hatte nachgegeben, wie die vorigen Male.
Jetzt fuhr sie langsamer. Die Schemen des Dorfes hoben sich gerade noch von dem finsteren Himmel dahinter ab, wahrscheinlich wegen des Sturmlichts, das dort an einer Hütte befestigt brannte. Die alte Stalllaterne seines Vaters wurde also immer noch verwendet. Der Jeep wurde noch langsamer. Noch hatte man sie nicht gesehen, noch konnte sie umdrehen. Vor dem Elend, das sie erleben würde, flüchten. Wie war sie nur auf die Idee gekommen, dass sie das durchstehen könnte? Weil sie so etwas schon öfter gemacht hatte? Aber dieses Mal waren es Kinder. HIV-infizierte unschuldige Kinder, bereits vor der Geburt gebrandmarkt. Und sie sollte ihre letzten Stunden sozusagen auf Fotopapier bannen, als Mahnmal für die Reichen in Norden, Süden, Osten, Westen. Für alle, denn alle waren reicher als die Menschen hier. Sie schlug das Lenkrad zum Wenden ein, als jemand auf den Wagen zugerannt kam. "Anna!" Mark. Mark, ich gehe wieder, ich will nicht bleiben, ich kann nicht. Versteh mich, du musst mich verstehen. Keines dieser Worte kam über ihre Lippen. Er freute sich ehrlich sie zu sehen. Stumm ließ sie sich den Weg von ihm weisen. Sie war angekommen. Wo? Warum?
Aussteigen, das Gepäck vom Wagen nehmen, ins Haus gehen, schlafen, das war alles was sie jetzt noch wollte. Plötzlich lief ihr aus dem Haus ein kleiner Junge entgegen, rief etwas für sie Unverständliches, drückte ihr vertrocknete Gräser in die Hand und fiel ihr dann um den Hals. "Er ist aufgeblieben um dich zu sehen. Ja, und, und da wirst du wohnen. Morgen werden wir nach Blumen für dich suchen." Mark schämte sich offensichtlich ihr keinen Begrüßungsstrauß oder überhaupt einen anderen Willkomm bieten zu können. Doch die Gräser in ihrer Hand fühlten sich seltsam lebendig an, wie der Junge, der an ihrem Hals hing. Sie sah Mark flehend an, doch er schüttelte traurig den Kopf und zeigte ihr zwei Finger. Zwei Tage, zwei Wochen, zwei Monate, vielleicht zwei Jahre? Der Junge lächelte sie an, sprang wieder auf den Boden und zog sie mit sich. In die Hütte, die er für sie sauber gemacht hatte, die er für sie vorbereitet hatte. Jetzt strahlte er sie an, voll Vorfreude darüber was sie wohl sagen würde.
Deswegen war sie hier. Sie war am Ziel angekommen, nach Jahren endlosen Suchens.



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