Kurzgeschichte Afrika Kurzgeschichtenwettbewerb Afrika Kurzgeschichten
Sinnverkehr(t)
© Christiane Stüber
Eine Wolkendecke - halb Nebel, halb Luftverschmutzung - verhüllt den Berg. Wüsste man es nicht besser, könnte man fast vergessen, dass er sich dort inmitten der Stadt erhebt. Manchmal vergisst man es tatsächlich für ein paar Tage, weil es hier unten im urbanen Tal so viel Zerstreuung gibt. Die Kapstädter sagen, dass der Berg ihr Ruhepol ist, dass sie nur ihm ihre entspannte Art zu verdanken hätten. Man spricht hier gern von Energien und geheimnisvollen Kräften. Das gehört genauso zum Alltag wie zertrümmerte Fensterscheiben
und durchstochene Reifen.
Kapstadt ist meine neue alte Heimat. Nach einem Jahr in Deutschland bin ich hierher
zurückgekehrt. Dabei hatte ich mit diesem Land und seinen Menschen bereits gründlich
abgeschlossen. Ich hatte mich in Berlin sehr wohl gefühlt und die Stadt mit dem
massiven Berg, dem Ozean drum herum und meiner zerbrechlichen Liebe nicht einmal
besonders vermissen wollen. Doch als ich eines abends allein am menschenleeren
S-Bahnhof Bellevue stand, hat sich etwas in mir herumgedreht. Das war nach einem
Konzert gewesen. Ich war wunderbar melancholisch gestimmt. Die Künstlerin hatte
von unglücklichen Lieben und sehnsuchtvoller Einsamkeit gesungen und ich hatte heftig applaudiert. Ich hatte dazu geraucht und ein Glas Rotwein getrunken. Es war schön, sich so genüsslich mit dem Leiden zu identifizieren. Ich kam mir dabei außerordentlich erhaben vor. Ein ganz spezielles Gefühl. Wie ich mich allerdings hinterher über der Großstadterde weiterhin so herrlich erhaben und speziell fühlen wollte, kam mir plötzlich ungebeten zu Bewusstsein, dass es furchtbar kalt war - was mich Ende Februar freilich
nicht weiter verwundern sollte - und dass ich gleich in eine leere Wohnung zurückkehren müsste. Die nächste Bahn würde in fünf Minuten kommen. In diesen fünf Minuten war es mir nicht möglich, die Romantik des Alleinseins herauf zu beschwören. Ich fror im modischen aber viel zu dünnen Mantel, meine Nase lief, ohne dass ich ein Taschentuch dabei gehabt hätte. Kurz bevor die Bahn endlich einfuhr, blies der frostige Februarwind durch die Halle. Dieser eisige Wind, der mir damals in Herz und Knochen fuhr, flüsterte
eindringlich, dass es hier kein Zuhause für mich gäbe. Ein Haus braucht einen Ofen, jedenfalls im Winter, auch wenn der manchmal rußt. Mein Haus war an einem anderen Ort. Und so blies mich der kalte Berliner Wind eines Tages sanft zurück, hinab in die dampfende Stadt im Süden.
Da bin ich nun, in einer Stadt, in der es gerade Frühling wird. Auf meinem Fensterbrett blüht eine Osterglocke. Es ist September. Am Morgen laufe ich die zehn Minuten bis zur Hauptstraße, der Main Road. Ich bin die einzige weiße Frau, die sich um diese Zeit zu Fuß vorwärts bewegt, hauptsächlich in Gesellschaft von dicken schwarzen Nannies, die im langsamen Wiegeschritt auf dem Weg zu ihren weißen Arbeitgebern sind. Der Tankwart an der BP Tankstelle winkt mir freundlich mit seiner stählernen Handprothese zu. Ich
weiß nicht, wo er die Hand verloren hat. Wir haben noch nie miteinander gesprochen. Wenn man kein Auto hat, kommt man selten mit einem Tankwart ins Gespräch. Man winkt nur. Landmine? Angola? Ich werde ihn fragen, auch ohne Auto. Morgen vielleicht.
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