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Donga - Das erste Duell

©  Dirk Christofczik


Meles schaute auf seine Füße. Der rote Sand quoll zwischen seinen Zehen hindurch, die genauso nackt wie sein restlicher Körper waren. Sein Herz pochte wild, und er glaubte, dass es lauter schlug als das Gemurmel der Frauen und Männer, die am Rande des Dorfplatzes das Geschehen beobachteten. Er war gerade sechzehn geworden, und heute war der Tag, an dem er zum ersten Mal an einem Donga Kampf der Surma teilnehmen durfte. Schon oft hatte er zugeschaut, wenn die Männer des Dorfes zu den Duellen antraten und sich im Zweikampf maßen. Er war schon immer fasziniert von der Eleganz, mit der die Männer die langen Knüppel beherrschten und sich duellierten, ohne sich schwere Verletzungen zuzufügen. Die Kämpfe waren mehr als Sport, sie balancierten das Gleichgewicht unter den Männern des Dorfes aus. Konflikte wurden in einem kontrollierbaren Rahmen entschieden, aber das begriff Meles erst allmählich. Er wollte nur kämpfen und das schon, seitdem er laufen konnte. Jetzt, wo es so weit war, da klaffte zwischen seinem Wunsch und seinem Mut eine weite Kluft. In ihm stieg ein Gefühl auf, das er bisher nur einmal erlebt hatte. Damals, als er als Kind mit seinem Vater in der Steppe unterwegs war und sie urplötzlich einen ausgewachsenen Löwen vor Augen hatten, da spürte er dasselbe, und das Gefühl passte ihm überhaupt nicht.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Meles seine Gegner, die in einer Reihe neben ihm standen. Hochgewachsene, drahtige Männer, die alle mindestens zwanzig waren und schon etliche Donga Duelle hinter sich hatten. Ihre Körper waren übersät mit kunstvoll angeordneten Narben, die ein Zeichen der Tapferkeit der Surma waren. Alle Kämpfer waren nackt und hatten Baumwolltücher um ihre Genitalien gewickelt. Meles Hände und Ellbogen waren, wie bei allen Duelllisten, mit schmalen Schilden aus Gras geschützt. Auf dem Boden lagen die Donga Stangen, etwa zwei Meter lange Holzknüppel, mit denen die Surma seit etlichen Generationen ihre Kampffertigkeit maßen. Meles hatte Schwierigkeiten seine Gefühle einzuordnen. Er hatte sich schon Monate auf diesen Tag gefreut, stundenlang trainiert und doch stand er jetzt mit einem flauen Gefühl in der Magengegend in der Reihe der erfahrenen Kämpfer. Bei den Donga Kämpfen war es strengstens untersagt, den Gegner zu töten. Jeder der es trotzdem tat, wurde mitsamt seiner Familie aus der Dorfgemeinschaft verbannt. Trotzdem ahnte Meles, wie schmerzhaft die Schläge mit der Holzstange sein konnten. Prellungen und Knochenbrüche waren keine Seltenheit und deshalb verwandelte sich das zwiespältige Gefühl in Meles langsam aber sicher in ausgewachsene Angst. Seine Beine wurden immer weicher, und durch seinen Bauch kroch eine züngelnde Schlange. Sein Mut hatte ihn verlassen. So würde er nie ein Mann mit vielen Narben werden.
Meles schaute auf die Zuschauer. Alle Bewohner ihres Dorfes waren gekommen, um sich das Spektakel anzuschauen. Sein Vater stand im Pulk bei den Ältesten. Die Frauen saßen in einer Gruppe. Sie trugen die traditionellen Lippenteller, einer größer, der andere kleiner, je nach Alter und Stand der Frau. Meles sah seine Mutter, daneben seine Schwester Waris, eine begehrte Frau bei den Männern des Dorfes. Erst vor kurzem hatte sie ihren ersten Teller bekommen, nachdem im vorigen Jahr ihre Lippen durchbohrt und nahezu ein Jahr gedehnt wurden. Dieser Akt bedeutete, dass sie bald heiraten würde, so wie die Tradition der Surma es verlangte. Ihre Blicke trafen sich. Sie lächelte Meles an und machte ihm so Mut. Nicht nur für ihn bedeutete der Donga Kampf einen Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt, auch für seine Schwester würde sich das Leben nach den Duellen ändern. Gleich eine ganze Reihe der Männer buhlten um ihre Gunst und würden heute um ihre Hand kämpfen. Meles Schwester selbst allerdings würde am Ende entscheiden, ob sie den Gewinner des Kampfes zum Ehemann nimmt. So ist es seit Generationen, so wird es immer sein, dachte Meles, bevor ihn die Stimme des Schiedsrichters aus den Gedanken holte. Auch er würde sich dem Kampf nicht entziehen können, genau wie sein Bruder, sein Vater und alle Großväter vor ihm. Er musste die möglichen Schmerzen aus seinem Kopf verbannen, die Angst zügeln wie ein wildes Tier in Gefangenschaft, mit festem Schritt in die Arena treten und seine traditionelle Pflicht erfüllen. Eine Wolke legte sich vor die Sonne, als der Schiedsrichter seinen Namen aufrief. Zumindest kam es Meles so vor, als ob sich der Himmel verdunkeln würde, als er hörte, wie sein Name zum Kampf aufgerufen wurde. Seine Beine waren schwer wie Blei. Als Meles einen Schritt nach vorne tat, da schien seine Angst wie ein mächtiger Gesteinsbrocken an seinen Knöcheln zu hängen. Er fühlte sich wie ein Sträfling, der eine dicke Eisenkugel hinter sich herschleppte. Mit der festen Überzeugung, dass ihn jeder der Zuschauer mit Argusaugen beobachtete, schaffte Meles es bis zu dem alten Mann, der schon so lange er denken konnte, die Einhaltung der Donga Regeln überwachte. Der Sand unter seinen Füßen war heiß, und schien sich in seine Sohlen zu brennen. Doch er bewegte sich nicht und wartete schweigend auf die Nennung seines Gegners. Als er hörte, dass er gegen Sahles kämpfen musste, da wurde im schwindelig, und er dachte seine Beine würden im Staub versinken. Sahles, ausgerechnet Sahles in meinem ersten Duell, dachte Meles entsetzt. Vor seinem geistigen Auge wiederholten sich die Kämpfe von Sahles, die er zig Mal begeistert verfolgt hatte. Blitzschnelle Kombinationen und harte Schläge, die auf den Knochen der Gegner wie Trommelschläge hallten, waren in seinem Gedächtnis fest verankert. Sonst erinnerte er sich mit Freude an die mitreißenden Kämpfe von Sahles. Jetzt, wo er derjenige war, der Sahles Donga Kunst zu spüren bekommen würde, da kroch ihm bei dem Gedanken daran, eine Gänsehaut über den Rücken. Der Schiedsrichter rief Sahles und ihn zum Kampf auf. Meles versuchte die Angst zu beherrschen und trat scheinbar entschlossen einen Schritt nach vorne. Sahles kam aus der Reihe der Männer und stellte sich ihm gegenüber. Der Schiedsrichter hob zwei der Dongastäbe vom Boden auf und reichte sie den Duelllisten. Meles griff seinen Stock; obwohl er Hunderte Male damit trainiert hatte, kam er ihm plötzlich fremd vor. Er schaute seinem Gegner in die Augen, doch sein Blick prallte wie von einer Betonwand ab, dann eröffnete der Alte den Kampf.
Sahles begann zu tänzeln, dabei fixierte er Meles wie ein Beutetier. Mit einem schnellen Schritt nach vorne griff er an und versuchte ihn mit dem Donga Stock, am Arm zu treffen. Meles konnte im letzten Moment ausweichen und spürte den Knüppel nah an seinem Oberarm vorbeisausen. Diese erste Aktion brachte ihm seinen Mut zurück, und seine Instinkte waren wieder da. Seine staksigen Bewegungen verwandelten sich in flinke Schritte, dabei beobachtete er seinen Gegner. Wie zwei Boxer bewegten sie sich jetzt auf dem staubigen Platz, dabei tänzelten sie im Kreis und ließen sich nicht aus den Augen. Als Meles wie aus dem Nichts mit seinem Stock zuschlug und seinen Gegner an der Schulter traf, ging ein Raunen durch die Zuschauer. Sie waren erstaunt, denn niemand hätte ihm zugetraut, dass er Sahles Paroli bieten könnte. Sahles unterdrückte sich den Aufschrei. Er verzog nur leicht das Gesicht und setzte postwendend zum Gegenstreich an. Er erwischte ihn mit einem Volltreffer an der Seite. Meles stöhnte vor Schmerzen und hielt sich mit einer Hand die Niere. Sahles nutze diese Schwäche und schlug wieder zu. Diesmal konnte Meles mit einem Schritt zur Seite ausweichen. Der Stock streifte seine Schulter, hinterließ aber nur einen leichten Druck. Diesmal reagierte er am schnellsten und konterte seinen Gegner aus. Er traf Sahles an der Wade. Der Treffer war so hart, dass er den Aufschrei diesmal nicht unterdrücken konnte. Er hüpfte auf einem Bein rückwärts, um aus der Reichweite des Stockes zu kommen. Dann hielt er sich das Bein und rieb sich die Wade. Meles schaute stolz in die Menge, die aus dem Staunen nicht mehr rauskam. Sein Blick glitt über die Gesichter der anderen Kämpfer, dann auf die großen Augen der Frauen, bis zu dem Gesicht seiner Schwester. Sie wollte ihm etwas zurufen, doch als er verstand, was sie meinte, da war es zu spät. Das Holz traf ihn am Hals. Meles taumelte rückwärts und stöhnte vor Schmerzen. Der nächste Hieb erwischte ihn auf der Brust und er bekam keine Luft mehr. Sahles stand jetzt wie ein Riese vor ihm und ließ die Schläge wie Peitschenhiebe auf ihn niederprasseln. Meles ließ seinen Stab fallen und als er hart an der Hüfte getroffen wurde, da stürzte er zu Boden. Wie durch einen Schleier sah er die Füße seines Widersachers vor ihm, dann hörte er die Stimme des Schiedsrichters und die Schläge hörten auf. Sein Körper schmerzte und nur mühsam konnte er atmen. Sein Mund war trocken vom Sand; nur dumpf hörte er das Palaver der Zuschauer. Meles spürte Hände an seinem Körper, Finger griffen seine Arme und dann hob man ihn hoch. Langsam wurde sein Blick klarer, und das Atmen wurde leichter. Meles erblickte Sahles, der ihn zusammen mit einem anderen Mann vom Boden gehoben hatte. Er nickte im zu; ein Zeichen des Respekts. Meles erwiderte die Ehrerweisung und gratulierte ihm zum Sieg, dann humpelt er in die Hütte seiner Eltern. Seine Mutter würde ihm dort die Verletzungen versorgen.
Als Meles auf seinem Lager lag und die Schmerzen etwas schwächer wurden, da schwand auch langsam seine Wut über den verlorenen Kampf. Er hatte dem besten Kämpfer des Dorfes Paroli bieten können, das gelang den wenigsten bei ihrem ersten Kampf. Mit dem heutigen Tage würden ihn die Männer des Dorfes mit anderen Augen sehen. In Zukunft gehörte er zu den Männern; seine Zeit als Kind war endgültig zu Ende.
Sahles gewann an diesem Tag alle Donga Kämpfe. Waris erwählte ihn zu ihrem Ehemann. Er musste zehn Rinder für die Eheschließung bezahlen.



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