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Nuala
© Christiane Weber
Aus dem grauen Himmel fallen dicke Regentropfen. Wie kleine Schlangen kriechen sie über das Fensterglas und hinterlassen feine Spuren. Fasziniert betrachtet Nuala dieses Schauspiel hinter Glas.
"Die Hager hat dich etwas gefragt", stoße ich meine Banknachbarin an.
"Nuala, träume nicht. Wir sind hier nicht in Afrika", sagt Frau Hager. Erschrocken sieht Nuala zur Tafel.
"Und, wie lautet deine Antwort?"
"Ich weiß nicht", flüstert Nuala kaum hörbar.
"So geht das nicht, Kind. du musst hier lernen."
Nuala schluckt." Aber, wir haben auch in Afrika gelernt." Ihr kleinklauter Satz geht im Gelächter der anderen unter.
"Du solltest dich anstrengen", redet Frau Hager weiter," vom Nichtstun ist keiner schlau geworden. Bei Euch scheint zwar häufiger die Sonne, aber trotzdem leidet Ihr unter großer Armut."
Als wir auf dem Pausenhof unsere Brote essen, fällt mir auf, wie still die sonst so lebhafte Nuala ist.
"Was hast du?", frage ich.
Ihre pechschwarzen Haare sind zu kleinen Rastazöpfen geflochten und mit unzähligen bunten Perlen geschmückt.
"Nichts", antwortet sie und sieht mich dabei nicht an.
"Die Hager ist blöd", versuche ich meine Freundin zu trösten. Nualas dunkle Augen sehen aus wie nasse Kieselsteine.
"Negerkind", ruft plötzlich jemand und lacht. Ich sehe auf den Schulhof und entdecke Alex, der sich grinsend vor die anderen Schüler stellt.
"Wenn ich so aussehen würde wie du, Fettklops, würde ich meine Klappe halten," rufe ich wütend und spüre, wie sich die Röte in meinem Gesicht ausbreitet.
"Und wer sich mit dem Negerkind anfreundet, ist bekloppt."
Nuala stürzt an mir vorbei und verschwindet hinter der knallroten Toilettentür.
Während des weiteren Unterrichtes ist Nuala sehr schweigsam. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass sie sich manchmal verstohlen über die Augen reibt und ganz angestrengt in das Mathematikbuch sieht. Nach dem Ende des Unterrichtes machen wir uns gemeinsam auf den Nachhauseweg. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen. Mühsam versucht sich die Sonne zwischen die Wolken zu schieben.
"Der Alex ist feige. Der kriegt nur den Mund auf, wenn andere dabei sind."
Nuala geht schweigend weiter. Ein Auto fährt vorbei und hupt. Lisas Mutter sitzt hinter dem Steuer und winkt uns fröhlich zu. Ich beachte sie nicht.
"Ich vermisse meine Freunde", sagt Nuala plötzlich und bleibt stehen. Ich sehe, dass Tränen an ihren Wangen herunterlaufen.
"Aber, du hast doch mich!"
Für einen Moment lächelt meine Freundin.
"Das ist schön. Ich bin gerne mit dir zusammen. Aber, das ist nicht alles. Es ist so anders hier. Bei uns sind die Menschen freundlicher."
"Vielleicht sind sie fröhlicher, weil bei euch mehr die Sonne scheint."
Nuala lacht ein bisschen, zumindest so viel, dass ihre schönen weißen Zähne zu sehen sind.
"Wir haben auch Stress wie ihr, aber machen auch viel mehr zusammen."
Ich erinnere mich an die Fotos, die Nuala gezeigt hatte. Buntgekleidete Menschen saßen an riesengroßen Tischen, lachten oder tanzten in farbigen Kostümen.
"Vielleicht gehe ich bald wieder nach Afrika zurück."
"Das darfst du nicht", bin ich erschrocken, "wir sind doch Freundinnen."
"Dann kommst du einfach mit", lacht Nuala und bleibt vor ihrer Haustür stehen. "Bis morgen", ruft sie fröhlicher und winkt mir zum Abschied zu.
Ich habe einen dicken Kloß im Hals.
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