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Die drei Prüfungen

©  Sabrina Eberl


Lange Schatten fielen über die weite Steppe Afrikas. Es hatte seit Monaten nicht mehr geregnet und bedrückende Stille breitete sich über das Land.
Jabari saß auf einem Stein und spielte gedankenverloren mit einem seiner Armreifen. Die Wasserreserven in seinem Dorf gingen zur Neige, sogar die Herden hatten vor zwei Tagen ihren Platz verlassen und waren weiter gezogen.
Jabari war Jäger, genau wie sein Vater. Er hatte gelernt, viele Tage ohne Proviant in der Wildnis auszukommen. So beschloss er, sein Dorf zu verlassen und sich auf die Suche nach dem Regengott zu begeben. Er musste herausfinden was geschehen war, denn der Gott des Regens war ihnen bisher immer gnädig gewesen. Entschlossen stand er auf und lief in das Dorf zurück.
Die Hitze war nicht mehr so unerträglich wie unter Tags, dennoch machte sie Mensch und Tier zu schaffen. Als Jabari das Dorf erreichte steuerte er das Haus des Dorfältesten an. Er wollte ihn um Rat bitten und wenn alles gut ging am nächsten Tag noch bei der Morgendämmerung aufbrechen.
"Xola, bist du da?", rief Jabari schon während er auf das Haus aus Stroh und Lehm zulief.
Xola, der Dorfälteste kam heraus und sagte: "Du bist ja völlig außer Atem. Bei dieser Hitze sollten wir uns nicht so überanstrengen. Du weißt das, Jabari." Er bedeutete dem jungen Jäger vor dem Haus Platz zu nehmen und setzte sich dazu.
"Ich muss dich etwas fragen, Xola."
"Wenn ich dir darauf Antwort geben kann, werde ich es gerne tun."
"Ich hatte draußen in der Steppe eine Idee." Jabari versuchte sich zu beruhigen und ruhiger zu atmen, ehe er fortfuhr: "Es geht um den Regengott. Irgendetwas stimmt nicht. Sonst würde er es regnen lassen."
Der Dorfälteste lauschte seinen Worten und nickte. "So etwas habe ich mir auch schon gedacht."
"Und deshalb werde ich morgen aufbrechen um ihn zu suchen und fragen, wieso er es nicht mehr regnen lässt", verkündete Jabari. Er versuchte eine Reaktion in Xolas Augen zu erkennen, doch der ließ sich nichts anmerken.
"Der Weg ist weit und ohne Wasser wäre es ein zu großes Risiko."
"Du musst mich gehen lassen!", rief Jabari, "Ich kann es schaffen."
Xola seufzte und sagte: "Nun gut. Aber gehe heute früh schlafen, damit du ausgeruht bist. Ich glaube an dich. Wenn es jemand schafft, dann du. Du bist gesund und bei wachem Geist."
"Ich werde herausfinden, weshalb der Regengott gekränkt ist", sagte Jabari fröhlich.
Gerade als er gehen wollte, rief ihn der Dorfälteste noch einmal zurück.
"Du wirst den Regenstein benötigen, um ihn zu finden. Warte hier kurz." Xola stand auf und verschwand in seinem Haus. Nach einigen Minuten kehrte er mit einem gelblichen Stein wieder zurück. "Hier. Der Stein wird dir bei deiner Suche den Weg weisen."
Jabari nahm ihn dankend an und lief in sein Haus um dort sofort ins Bett zu gehen. Er hatte den Regenstein noch nie zuvor gesehen, aber er kannte seine Geschichte. Es soll angeblich viele davon geben, aber nur wenige besitzen einen. Die jüngere Generation der afrikanischen Stämme hielt die Steine für einen Mythos, aber die Alten glaubten alle fest daran. Es existierten viele Geschichten darüber. Nur durch ihren Besitz war es einem möglich, den Regengott überhaupt erst zu finden.
Jabari legte ihn neben sich und schlief mit einem guten Gefühl ein. Sein Schlaf war traumlos und noch bevor es hell wurde, brach er auf.
Er ging zügig und bemühte sich eine große Strecke des Weges zurückzulegen, solange es noch nicht so heiß war. Doch schon bald machte sich die sengende Hitze breit und erschwerte das Gehen. Jabari machte immer öfter Pausen und spürte wie sein Hals immer trockener wurde. Eine unsichtbare Kraft ließ ihn nicht aufgeben und er kämpfte sich Schritt für Schritt weiter. Er wusste nicht wohin er gehen sollte, er tat es einfach. Aus irgendeinem unbestimmten Grund, ahnte er, dass er richtig war.
Gegen Abend fand er eine Wasserstelle, die noch nicht ganz in der Hitze versiegt war. Er trank davon und mit jedem Schluck Wasser fühlte er, wie die Lebensgeister in ihn zurückkehrten.
Stunden vergingen und die Nacht hielt Einkehr. Plötzlich hörte Jabari aus einer nicht auszumachenden Richtung Trommeln. Er lauschte in die Finsternis, legte sich auf die Lauer und hielt seinen Speer so fest, dass das Weiße seiner Knöchel hervortrat. Es vergingen Minuten und das Trommeln hörte sich immer noch weit entfernt an.
Er begab sich wieder in eine bequemere Position und lehnte sich an einen Stein. Jabari schrieb es der Hitze zu, dass er Geräusche hörte, die eigentlich nicht da waren. Er schloss die Augen und seufzte tief.
"Jabari."
Jabari schlug seine Augen auf und war mit einem Mal wieder hell wach. "Wer ist da?", rief er erschrocken.
"Kannst du dir das nicht denken?", donnerte es.
"Bist du", sagte er zögerlich, "der Regengott?"
"Ja, der bin ich", sagte die tiefe Stimme.
Jabari stand nun auf und drehte sich im Kreis. "Aber ich kann dich nicht sehen."
"Ich bin überall", sprach er. " In jedem Lebewesen. Sprich! Was führt dich zu mir?"
Jabari schluckte und sagte: "Ich bin gekommen um dich zu bitten es wieder regnen zu lassen." Als der Regengott nichts darauf erwiderte, fuhr er fort: "Was haben wir getan, dass du so erzürnt bist?"
"Es ist wieder einmal an der Zeit, den Menschen eine Lektion zu erteilen."
"Eine Lektion? Weswegen?", fragte Jabari.
"Sie hören auf, die Kleinigkeiten zu schätzen und nehmen sie zu selbstverständlich."
"Aber doch nicht unser Stamm, wir..."
"Auch dein Stamm", unterbrach ihn der Gott, "auch ihr fangt an zu vergessen."
"Und warum werden auch die Tiere bestraft?"
"Die Tiere ziehen weiter und finden Wasser. Dafür habe ich gesorgt."
"Wie kann ich dir beweisen, dass wir immer noch die Elemente unsere Ahnen in uns tragen?", fragte Jabari.
"Ich gebe dir ein Rätsel auf. Wenn du es schaffst, die Lösung zu finden, dann weiß ich, dass noch nichts verloren ist."
Jabari nickte, stieß seinen Speer in den Boden und sagte: "Gut. Nenne mir das Rätsel. Was muss ich tun?"
Eine ungewöhnliche Stille breitete sich aus und umfing Jabari mit einer sonderbaren Aura.
"Nenne mir die drei besten Freunde, die es auf der Welt gibt", sprach der Regengott. "Wenn du die Lösung gefunden hast, kehre hierher zurück. Ich werde da sein."
Noch bevor Jabari etwas erwidern konnte, verschwand diese Stille und die natürlichen Geräusche kehrten zurück. Der Regengott war fort.
Jabari dachte über das Rätsel nach und wusste, dass er die Lösung nicht durch Grübeln und herumstehen herausfinden würde. Er beschloss, diese Nacht nicht zu schlafen und ging weiter.
Schon bald traf er eine Hyäne.
"Guten Abend, Hyäne. Warte, ich muss dich was fragen!", rief er.
"Was willst du?", fragte sie und lief ein paar Schritte weg um Abstand zu halten, ließ dabei aber nie Jabaris Speer aus den Augen.
"Hab keine Angst. Ich möchte dich nur etwas fragen", antwortete er. "Wer sind die drei besten Freunde, die es auf der Welt gibt?"
"Ich weiß, wer einer davon ist", sprach sie stolz.
"Ach ja?"
"Die Hyänen. Glaube mir, du findest nirgendwo sonst einen so guten Freund."
Jabari sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. "So, so", argwöhnte er.
"Du glaubst mir nicht? Dann komm mit zu meinem Rudel und ich werde es dir beweisen."
Jabari streckte der Hyäne die Speerspitze entgegen und rief: "Ich glaube dir nicht. Ihr Hyänen seid listig. Zuerst hat man den Anschein, dass ihr scheu und feige seid. Doch sobald man euch vertraut und den Rücken zudreht ist man verloren. Verschwinde besser, bevor mir noch mein Speer auskommt."
Die Hyäne funkelte ihn noch kurz böse an und verschwand dann in der Dunkelheit. Jabari zog weiter. Er hatte nicht die Zeit, um sich lange über dieses Tier zu ärgern.
Inzwischen war es Morgen geworden und die Sonne brannte unbarmherzig auf Jabaris nackte Haut.
In der Ferne sah er einen Löwen, der sich faul in der Sonne aalte. Obwohl er lieber umgekehrt wäre und das Weite gesucht hätte, beschleunigte Jabari seinen Schritt. Aber er wusste, wie wichtig es war und deshalb ging er schneller um nicht stehen zu bleiben.
"Guten Tag, Löwe", sprach Jabari. "Heute gar nicht auf Jagd?"
Der Löwe sah ihn aus einem Auge an, dass andere hatte er zu. Plötzlich riss er sein Maul auf und gähnte erst mal lange und ausgiebig, ehe er auf Jabaris Frage antwortete. "Du bist ein ziemlich neugieriger Mensch. Aber um deine Frage zu beantworten, ich war heute schon auf Jagd und eigentlich wollte ich jetzt mein verdientes Schläfchen nachholen. Ich bin nämlich spät dran."
"Ich möchte dich auch nicht lange stören, aber es ist wirklich dringend", erklärte er schnell.
Als Antwort gähnte der Löwe doppelt so lange wie zuvor.
"Weißt du, wer die drei besten Freunde auf der Welt sind?"
"Nein, das weiß ich nicht. Tut mir leid. Wenn es sonst nichts mehr gibt, dann entschuldige mich bitte. Ich möchte jetzt schlafen", brummte der Löwe.
Jabari bedankte sich und ging weiter. Er gab die Hoffnung nicht auf und sagte sich immer wieder, dass es jemanden geben musste, der die Lösung des Rätsels kannte.
Kurz vor dem Abend entdeckte er große Felsen und kletterte auf einen davon um Rast zu machen. Hier war er in Sicherheit und konnte vielleicht sogar ein paar Stunden schlafen. Plötzlich tauchte ein Pavian auf und setzte sich neben ihn.
"Es kommen zwar bald meine Brüder und Schwestern, dann wird der Fels ziemlich voll sein, aber du kannst trotzdem gerne über Nacht bleiben", sagte der Pavian freundlich.
"Das ist sehr nett, danke", antwortete Jabari. "Darf ich dich etwas fragen?"
"Nur zu. Ich habe Zeit."
"Ich muss ein Rätsel lösen und herausfinden, wer die drei besten Freunde auf der Welt sind."
Der Pavian blickt an Jabari vorbei und fixierte irgendeinen Punkt in der Ferne. "Das weiß ich leider auch nicht", antwortete der Pavian sanft. "Aber ich würde sagen, dass du tief in dich hineinhorchen solltest und dann vielleicht Antwort erhältst."
Jabari war mit dieser Antwort mehr als zufrieden. Er bedankte sich bei dem Pavian, verabschiedete sich und kletterte den Felsen wieder hinunter.
Der Regengott hatte Recht gehabt, dass die Menschen zu oft die Kräfte ihrer Ahnen vergaßen. Jabari schloss die Augen und begann zu tanzen. Es war ein langsamer und geschmeidiger Tanz. Es dauerte nicht lange, da vergaß er alles um sich herum und fühlte nur noch sich und die Kraft in ihm. Als er aus der Meditation erwachte, waren bestimmt Stunden vergangen, denn es war inzwischen Nacht geworden. Dunkelheit umgab ihn und er spürte nun auch die kühle Luft auf seiner Haut. Doch er strahlte vor Zufriedenheit und anstatt sich für die Nacht hinzulegen, lief er zu dem Platz zurück, wo der Regengott auf ihn wartete.
"Wo bist du, Gott des Regens? Ich kenne die Lösung!", rief Jabari.
Gleich darauf erschien der Regengott, um genau zu sein, nur seine Stimme. "Dann nenne mir des Rätsels Lösung, Menschenkind."
"Die drei besten Freunde auf der Welt sind", begann er, "Verstand, Mut und Weisheit."
"Ich bin beeindruckt", sagte der Regengott anerkennend. "Und du hast bewiesen, dass diese drei auch deine Freunde sind. Mit deinem Verstand hast du erkannt, dass die Hyäne listig ist, mutig hast du dich in die Nähe des Löwen gewagt und weise, wie die Paviane, hast du Schutz auf dem Felsen gesucht."
Der Regengott hielt sein Versprechen und ließ es regnen. Jabari kehrte glücklich in sein Dorf zurück und wurde dort als Held gefeiert. Bald kamen auch die Herden wieder und alles wurde wie früher.
Bis auf eines: Jabari erzählte jedem, wie wichtig es war, auf seine innere Stimme und die Kräfte, die von allen Ahnen in ihm und jedem einzelnen Menschen waren, zu hören und sie auch einzusetzen.



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