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Der 'Main-Market' in Jos
© Iris Other
In meinem Nigeria-Reiseführer hatte ich vom Main- oder dem New-Market
gelesen und wollte unbedingt auf so einen Markt.
"Also fahren wir zum Main-Market, der ist in einem dreistöckigen Haus und
man kann nicht nass werden und schwitzen brauchen wir da auch nicht", sagt
Petra und holt ihren großen Einkaufskorb hervor. "Dann kaufe ich heute das
Gemüse mal dort ein."
"Nass!? ... werden wir bestimmt nicht!", ruf ich grünschnabelig.
"Es ist Regenzeit in Nigeria! Alle warten schon auf den Regen. Und wenn es
los geht, geht es plötzlich und heftig los", erwidert Petra.
In der Stadt ist reges Treiben und auf dem Parkplatz werden wir gleich von
ein paar Bettlern umringt. Ein Junge will uns kurze Besen verkaufen. Er hält
zwei in der Hand, die anderen trägt er gebündelt auf dem Kopf. Es fällt mir
schwer, meine neugierigen Blicke nicht als Interesse an der Ware aussehen zu
lassen. Im Marktgebäude sind die Stände dicht an dicht gedrängt. Die Produkt
sind so kunterbunt, dicht gebündelt und gehäuft, dass man fast die Übersicht
verliert. Während wir durch die engen Gänge gehen wird mir jetzt sehr
deutlich bewusst, dass wir hier die einzigen Weißen sind. Aber überall
werden wir freundlich gegrüßt und aufgefordert, die Ware zu begucken oder
sogar zu probieren. "Verdienen diese Händler gut?", frage ich Petra. "Oh,
sie sind sehr reich, sie verdienen besser, als manch anderer. Die Frauen
dieser Händler sind unsere Patientinnen. Die, die sich unsere medizinische
Betreuung leisten können."
Wir kommen zum Gemüsemarkt. Hier haben die Kaufleute ihre Salate, Karotten,
und Gurken, appetitlich frisch mit Wasser bespritzt, ausgebreitet. Die
Kartoffeln sind zu kleinen Häufchen aufgestapelt. Es sieht sauber und
einladend aus. Petra kauft Rote Beete und es dauert eine Weile, bis sie mit
dem Mann über den Preis einig wird. Frauen an anderen Ständen bieten Reis,
Bohnen, Obono (nussähnliche Kerne, die gemahlen und gekocht zu einer zähen
Masse werden), Gewürze, Kräuter und Zucker an, die sie in Schüsseln vor sich
stehen haben. Wir kommen an Gerüchen vorbei, die durch die Vielfalt der
Waren ineinander verschmelzen und nicht mehr zu differenzieren sind. An
einem Fischstand zeigt mir Petra getrockneten Stockfisch. "Er wird in Stücke
zersägt verkauft. Zu Hause weicht man ihn 24 Stunden in Wasser ein, damit er
dann wie frischer Fisch zubereitet werden kann", erklärt sie. Nebenan
verkauft man aus einer großen Schüssel gemahlene Krabben und Krebsstücke.
"Das wird in jede nigerianische Mahlzeit mit eingerührt", erklärt Petra
wieder. Gierig interessiert nehme ich alle Eindrücke auf.
Um in die nächste Halle ein Stockwerk höher zu gelangen, müssen wir den
Verandagang entlang laufen. Hier haben die Frisöre ihre Läden. Sie sitzen
links und rechts des Ganges auf Holzstühlen und flechten ihren Kundinnen die
Haare. Eine hübsche Afrikanerin fragt uns, ob wir uns die Haare flechten
lassen möchten und weist auf eine Tafel mit circa 20 verschiedenen Modellen.
Ich möchte aber viel lieber fotografieren, was ich hier sehe. Das aber wird
mir verwehrt. "Naja, das ist ja wohl zu verstehen. Stell' dir vor, du sitzt
in Old Germany beim Frisör mit den Lockenwicklern unter der Haube und so ein
Touri will dich fotografieren", kichert Petra und wir gehen lachend weiter.
In der nächsten Etage sind Stoffe zu kaufen, die gleich vor Ort genäht
werden. Im bunten Durcheinander der verschiedenen Muster bekomme ich Lust,
mir einen Stoff auszusuchen. Aber Petra zieht mich weiter und sagt, dass sie
preiswertere Stoffe auf dem Ahmadu-Bello-Way gesehen hat.
Auf dem Rückweg zum Parkplatz gehen wir noch einmal durch die engen Gänge
der Obst-und Gemüsestände. Der Boden ist ganz glitschig durch die Abfälle,
die sich im Laufe des Tages festgetreten haben. Zuletzt geht's durch die
Fleischabteilung. Auf den abgenutzten, großen, blutdurchtränkten Holztischen
liegen große Fleischstücke und auch Pansen, denn hier in Nigeria wird Pansen
als Delikatesse gegessen. Der Anblick, die Fliegen und erst recht der Geruch
lässt uns schneller werden und wir sind froh, endlich wieder an die heiße,
aber frische Luft zu kommen. Am Auto stehen wieder die Bettler. Ein alter
blinder Mann, der von einem Kind geführt wird, singt eine arabisch klingende
Melodie, vielleicht ist es auch ein Betgesang.
Im heißen Wagen fahren wir zum Ahmadu-Bello-Way, um nach den günstigen
Stoffen zu sehen. Sie sind alle wunderschön und tatsächlich billiger, als
auf dem Main-Market. Es fällt mir schwer, nur ein Modell auszusuchen.
Schließlich entscheide ich mich für einen gelb-schwarz-grundigen Stoff mit
lila-und pinkfarbenen Federmustern. Vielleicht nähe ich mir mal einen
Hausanzug daraus. Wir bezahlen 85,-Naira, (etwa 14 €) für sechs Meter Stoff
und begeben uns auf den Heimweg.
Am Abend sind wir bei äthiopischen Freunden von Petra und Amobi zum Essen
eingeladen. Wir stehen vor Petras Kleiderschrank und überlegen, was wir
anziehen. Hätt ich mir doch heut gleich ein afrikanisches Gewand schneidern
lassen. "Ich ziehe dieses äthiopische Kleid an, das mir Nuraini mal
geschenkt hat und du deine normale europäischer Kleidung, das ist
angemessen", sagt sie. Amobi wird sicher so einen bequemen, nigerianischen
Anzug tragen.
Am Nachmittag, nachdem wir unseren Schönheitsschlaf beendet und uns mit
einer Tasse Tee wieder aufgerappelt haben, ruft mich Petra in die Küche. Sie
zeigt mir einen kleinen, etwa 3 cm langen Skorpion. "Mein Gott, da hab ich
vorhin gestanden und habe ihn nicht gesehen! Was passiert, wenn man von so
einem Tier gestochen wird?", frage ich etwas mulmig. "Das muss höllisch weh
tun", erklärt mir Petra. "Mir ist das noch nie passiert. Aber so mancher
erwachsener Mann hat da schon Stunden vor Schmerzen geschrien. Und wenn man
einen schwachen Kreislauf hat, kann einen das leicht umhauen. Tötlich ist es
nur für Babies. glaube ich."
Um 20.00 Uhr treffen wir bei Nuraini und Ali ein. Sie bieten uns einen Platz
auf den weichen Sessel an und bringen uns einen Softdrink. Nach dem ersten
leichten smalltalk trägt Nuraini mit ihrem schwarzen Hausmädchen Schüssel um
Schüssel und Fleischplatten um Fleischplatten auf den Esstisch. Als wir dann
zu Tisch gebeten werden und diese Mengen sehen, sind wir schon im Voraus
satt. Wir müssen von allem probieren und während wir noch kauen, wird uns
wieder und wieder aufgetan. Fragend gucke ich Petra an. Sie wirkt genauso
ratlos. Amobi wirft die Serviette neben seinen Teller. So einfach ist die
nigerianische Tischmanier also?! Nachdem mir noch vom Homus(Erbsbrei)
angeboten wird, darf ich das Essen auch beenden. Satt und träge sitzen wir
Frauen nun wieder in den weichen Sesseln und reden über Kinder, Mode und
unsere Erlebnisse im Safari-Park, während Amobi und Ali über einem Bauplan
sitzen und fachsimpeln. Um 23 Uhr wird die Mangotorte serviert. Aber der
Kaffee ist eine arabische Sitte, das Ende der Party anzuzeigen.
Auf dem Weg durch den Garten bemerken wir einen herrlichen, intensiven
Blumenduft. "Das ist die Königin der Nacht, deren Blüten nur einmal in der
Nacht aufgeht und ihren Duft verströhmen lässt", erklärt Nuraini und bricht
jedem von uns zum Abschied noch eine Blüte des Strauches ab.
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