Kurzgeschichte Afrika Kurzgeschichtenwettbewerb Afrika Kurzgeschichten
Shantu
© Ina Eggers
Es ist dunkel! Ich liege in einer Hütte. Vielleicht habe ich Angst. Aber das weiß ich nicht so genau. Ruhiges Atmen neben mir kriecht sanft durch meinen Verstand. Nein, die Angst wird fort geschoben. Weit!
Sehen kann ich nichts. Es ist ja dunkel! Nicht schlimm, denn die Angst ist weit fort. Und nichts scheint das ruhige Atmen neben mir zu stören.
Doch das stimmt nicht! Eine Gestalt bewegt sich zögernd auf das ruhige Atmen neben mir zu. Lässt sich Zeit. Gänsehaut, aber keine Angst. Eine leise, vielleicht schon zischende Stimme stört das sanfte, gleichmäßige Geräusch. Und da! Schon ist es fort. Weit! Wie die Angst. Ein verwundertes, Schlaf ummanteltes ‚Was' steht nun im Raum. Atemlos lausche ich. Mein klopfendes Herz wird man wohl auch im Nachbardorf noch hören können. Doch das ist Einbildung. Ich weiß! Trotzdem! Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich bin
kurz abgelenkt, merke aber dann, dass sich an meiner Seite etwas bewegt. In Eile zieht sich das gestörte Atmen neben mir an. Die Gestalt hilft ihr dabei. Ich kann es hören.
Aber etwas anderes beschäftigt mich. Unsicher denke ich darüber nach, ob ich …, ob ich ein Kind bin. Schon allein die Frage verwirrt mich. Sie ist komisch. Bin ich ein Kind? Ich weiß es nicht!
Nun schießt mir blitzartig noch etwas durch den Kopf. Mir wird klar …, es ist meine Schwester Shantu, die so nah bei mir liegt. Nein. Lag. Ich sehe gerade noch, wie sie zusammen mit der Gestalt die kleine Hütte verlässt. Wieso sehe ich das? Es ist doch dunkel! Ich sehe auch, dass noch mehr Menschen in der Hütte schlafen. Kinder, und ein Mann.
Schon längst sitze ich. Denke nach. Noch etwas ist komisch. Etwas stimmt nicht. Sie sind alle schwarz. Ich meine, ihre Haut, sie ist schwarz! Warum ist das komisch? Vielleicht, weil ich weiß bin. Egal! Noch immer weiß ich nicht, ob ich ein Kind bin. Egal!
Ich krieche aus der Hütte hinaus. Leise. Draußen ist es dunkel. Die anderen Hütten nur schemenhaft zu erkennen. Aber meine Schwester kann ich sehen. Und die Gestalt. Nein, nicht Gestalt. Meine Mutter, sie ist meine Mutter! Ich bin ganz aufgeregt bei dieser Entdeckung. Doch jetzt laufe ich schnell hinter ihnen her. Ich bin barfuß, aber es tut nicht weh. Ich rufe. Meine Schwester. Meine Mutter. Warum können sie mich nicht hören? Ich weiß es nicht! So wie ich vieles in dieser Nacht nicht weiß. Und nicht verstehe!
Also bin ich schweigsam. So, wie meine Mutter, meine Schwester …
Sie ist fünf. Da bin ich mir sicher! Und irgendwie bin auch ich vielleicht fünf Jahre alt. Doch da bin ich mir nicht so sicher. Shantu ist schwarz. Sie wird von der Dunkelheit verschluckt. Ich bin weiß. Leuchte wie ein kleiner Stern in dieser merkwürdigen Nacht. Wir sind Schwestern. Das ist es, was ich weiß! Nicht viel, aber es hilft. Denn ich fühle mich nicht wohl, so als kleiner, leuchtender Stern.
Wir sind angekommen. Ich weiß nicht wo. Die Hütten sind weit entfernt. Man kann sie nicht mehr sehen. Es ist so still! So wie Mutter und Schwester. So wie ich. Unheimlich!
Plötzlich höre ich eine Stimme. Ein Name wird gerufen. Meine Mutter antwortet. War es ihr Name? Vielleicht! Eine Gestalt taucht auf. Eine Frau. Es wird nicht gesprochen. Ich wusste nicht, dass Stille so wehtun kann! Die Frau nimmt irgendetwas aus einem kleinen Beutel. Ich weiß nicht, was es ist. Doch in dieser Nacht weiß ich vieles nicht!
Meine Mutter nimmt meine Schwester an die Hand. Führt sie zu einem großen Stein. Sie setzen sich. Warum? Ich gehe ein paar Schritte. Etwas näher. Bin neugierig! Nun hält meine Mutter meine Shantu fest. Sehr fest!
Sie ist fünf, aber das weiß ich ja!
Und dann trifft mich die Angst! Wie ein Schlag! Aus den Augen meiner Schwester. Und ich spüre sie. Im ganzen Körper. Ein paar Schritte mehr, und ich bin bei ihr. Nehme ihre schwarze in meine weiße Hand. Mich kleinen, leuchtenden Stern kann keiner sehen. Auch nicht hören! Denn ich schreie! Hinaus mit der Angst. Hinaus und weit fort.
Und dann trifft mich der Schmerz! Fegt hallend durch mich hindurch! Findet immer wieder einen neuen Anfang. Und mein Schrei verstummt. Denn der Schmerz ist mächtiger, als die Angst. Das wusste ich nicht! Doch jetzt weiß ich es! Lerne etwas in dieser so grauenvollen Nacht. Und die Augen vor mir glauben nicht mehr an ein Ende. Sie wünschen sich zu sterben. Fallen irgendwann in ein erbarmendes Dunkel.
Ich schaue zu meiner Mutter. Will verstehen! Doch ich kann ihr Gesicht nicht mehr sehen. Nicht, weil es dunkel ist. Sie ist da, sie ist vor mir. Aber ich kann ihr Gesicht nicht sehen! Und ich schaue zu dieser Frau. Sie beugt sich über meine Schwester. Macht irgendetwas. Aber ich kann nicht sehen, was. Nur, dass sie nicht aufhört, das kann ich sehen!
Und meine Schwester? Sie liegt leblos da. Der Geist ist fort. Der Körper willenlos.
Da war die Angst! Da war der Schmerz! Und jetzt …, ist alles leer! Und ich kleiner, leuchtender Stern verliere die Hand meiner Schwester. Ich kann nicht schreien, ich kann nicht fühlen. Vielleicht bin ich nicht mehr. Aber auch das weiß ich nicht! Ich drehe mich um. Gehe fort. Der kleine, leuchtende Stern verliert sich in der Dunkelheit einer Nacht.
Mir ist kalt, doch der Schweiß rinnt grenzenlos. Irgendwann drehe ich mich erneut um. Und ich kann nicht mehr aufhören, mich zu drehen. Ich schreie! Nicht wegen der Angst. Nicht wegen dem Schmerz. Ich weiß nicht, warum! Aber ich schreie!
Und dann öffne ich meine Augen. Plötzlich, einfach so!
Es ist dunkel! Ich liege in meinem Bett. Vielleicht habe ich Angst. Aber das weiß ich nicht genau. Ruhiges Atmen neben mir kriecht sanft durch meinen Verstand. Nein, die Angst wird fort geschoben. Weit! Und nichts scheint das ruhige Atmen neben mir zu stören.
Ich denke nach. Was war das? Ich weiß es nicht! Ich habe geträumt. Grauenhaft! Es war grauenhaft! Aber ich weiß, ich bin kein Kind. Noch etwas weiß ich. Ich habe keine Schwester! Und Shantu? Ist in mir. Aber warum? Ich weiß es nicht! So, wie ich vieles in dieser Nacht nicht weiß. Auch nicht verstehe!
Es ist Zeit für die Nacht, sich zu verabschieden. Wird Shantu mit ihr gehen? Meine Hand sucht das ruhige Atmen neben mir. Ich werde sie nicht gehen lassen. Ich meine Shantu! Sie wird nicht gehen! Warum? Ich weiß es nicht! Aber das ist nicht wichtig. Sie wird nicht gehen. Nur das ist wichtig!
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