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Affe am Morgen, Affe am Abend
(Mit Afrique Profonde durch die Republik Kongo)
© Christian Hussel
Mich wecken die über Megaphon verstärkten Gebetsrufe aus der Moschee. Leichter Regen tropft aufs Dach. Das Moskitonetz abhängen, Rucksack und Technik packen. Dann zum Schuster. Zuhause hatte ich mir Wanderschuhe gekauft, Leder, doppelt genäht, Vibram-Sohle. Zwei Tage im Wald und ich musste die Sohlen mit Strick festbinden. Dieser Schuster weiß mehr über Schuhe. Er hat die Sohlen angeschnitten, geklebt und genäht - zu einem Preis, für den ich daheim nicht einmal Schnürsenkel erhalten hätte.
Mein Freund und Begleiter, Billy alias Mr. Marius Billy, Präsident des kongolesischen Artists-in-Residence-Programms, dessen erster und einziger Teilnehmer ich bin, zahlt bei Rodriguez die Hotelrechnung. Rodriguez leitet zugleich die lokale Inter-Kongo-Agentur und bestellt uns für 9.30 Uhr zum Flugplatz. Ein wertvoller Tipp. In der Regel kommt man zeitiger und wartet. Manchmal bis zum Abend.
Auf der Präfektur treffen wir die Distriktsdirektoren für Finanzen und für Kunst und Kultur. Die vergangenen drei Tage waren ständig Amtspersonen um uns. Zumindest verlangten diese beiden außer ihrer Bewirtung keine zusätzliche Entlohnung für die nur manchmal erwünschte Begleitung. Der Direktor für Tourismus und Hotellerie hatte weniger Skrupel. Allein durch die Ankündigung, dies dem Präfekten mitzuteilen, konnten wir sein "Honorar" drücken.
Vor uns auf dem Schreibtisch steht eine Optima-Schreibmaschine aus DDR-Produktion. Dass es diese DDR nicht mehr gibt, weiß keiner. Dass Deutschland reich ist, wissen alle. Und ich bin Deutscher.
Der Reporter von Radio Kongo erscheint. Jeder Schulfunk daheim verfügt über bessere Technik, aber er versteht sein Handwerk. Billy antwortet auf Französisch und Lingala, ich sage einige englische Sätze. Tage später in einem anderen Distrikt erkennt uns ein Taxifahrer aufgrund des Interviews.
Wir erfahren, dass der Präfekt am Vormittag nicht ins Büro kommt. Also führt uns der Kulturdirektor zu dessen Haus. Die großzügige Ausstattung des Gartenpavillons, in den uns ein Sekretär bittet, lässt auf gute Beziehungen zur im Distrikt einschlagenden Holzexportfirma schließen. Europäisches Kapital. Zwischen Soldaten mit russischen Maschinenpistolen graben Gärtner.
Der Präfekt erscheint, entschuldigt sich unter Verweis auf seine kranke Frau, die heute nach Brazzaville ins Krankenhaus soll. Ich bedanke mich für seine Hilfe, würdige die wunderbare Landschaft und die freundlichen Menschen. Dann beanstande ich jedoch die permanenten Kontrollen durch Militär, Polizei, Gendarmerie und Immigrationsbehörde. Der Präfekt bittet um Verständnis: der vergangene Krieg sei noch zu nahe und im Pool-Distrikt würde erneut gekämpft. Er betont, dass er eine weitere Zusammenarbeit mit "Afrique
Profonde" wünscht; sicher ließen auch die Kontrollen irgendwann nach. Mir imponiert dieser Mann. Wieder ruft das Megaphon.
Zurück in der Präfektur übergibt uns der Kultur- an den Finanzdirektor. Ich habe nie erfahren, ob diese permanente Beschattung im Eigen- oder im Fremdauftrag erfolgt. Allein afrikanische Höflichkeit reicht jedenfalls nicht zur Erklärung.
Auf dem Weg ins Hotel besuchen wir den Marktplatz. Laethycia hatte am Vorabend angerufen, Billys Verlobte, und uns gebeten, frisches Wild nach Brazzaville mitzubringen, da dieses dort schwer erhältlich und relativ teuer sei. Wir einigen uns auf Affe und kaufen ein enthauptetes Tier für 3000 zentralafrikanische Francs - reichlich 4 Euro. Die Räucheraffen sehen im Vergleich dazu wenig appetitlich aus.
In einer Schubkarre, Vorderbeine auf den Rücken gebunden, das Maul geknebelt, ein lebendes Krokodil. 9000 Francs, für jeden Gourmet ein Schnäppchen. Auch mich lockt die Vorstellung von gedünstetem Krokodilfleisch zu frischem NGOK-Bier. Doch all die Direktoren und Polizisten haben unsere Finanzen stark belastet. Auch weiß ich nicht, womit das Krokodil unterwegs füttern.
Zurück im Hotel nehme ich meine wöchentliche Malaria-Prophylaxe ein. Leider bleiben die von anderen Reisenden beschriebenen Halluzinationen bislang aus. Glücklicherweise auch die Depressionen. Dann Frühstück: frisches Baguette mit Banane.
Wir fahren zum Flugplatz, vorbei an der Frau mit Singer-Nähmaschine auf dem Kopf, vorbei am mit Macheten den Straßenrand säubernden Militär.
Der Kulturdirektor wartet schon. Er übergibt mir den Film, welcher mir bei meiner Ankunft vor vier Tagen abgenommen wurde. Ich hatte herumstehende Fluggäste fotografiert. Obwohl ich weiß, dass man auf Flughäfen keine Kamera zeigt. Aber einerseits hatte ich eine Fotoerlaubnis der Kulturministerin, andererseits konnte ich die strategische Bedeutung eben dieser Sandpiste nicht erkennen. Das Foto selbst war mir ziemlich egal, doch auf dem Film waren schon Bilder vom Treffen mit dem Generaldirektor für Kunst und Kultur
und vom Denkmal des Königs Makoko, des Gründers von Brazzaville. Ich war sogar dem Flughafenkommandanten gegenüber laut geworden. Ohne die Anweisung des Präfekten wäre der Film jedoch verloren. Ich spendiere beiden Direktoren ein Bier.
Die üblichen Kontrollen und das übliche Gerangel folgen. Der den Pass kontrollierende Polizist verzichtet diesmal auf die Erhebung seiner privaten Steuer. Zur Entschädigung langt er tief in meine Zigarettenpackung. Rodriguez stellt die Bordkarten aus; unser Gepäck wird gesondert abgefertigt.
Nach weiteren Kontrollen auf dem Rollfeld besteigen wir endlich die AN-24. Sämtliche Beschriftungen an und in der Maschine sind russisch, selbst die für den Notausstieg. Von den Fluggästen ganz abgesehen, zweifle ich sogar an, dass die französischen Piloten diese Sprache beherrschen. Und dass das Anschnallen in Flugzeugen lediglich die spätere Identifizierung erleichtern soll, ist mir ohnehin seit langem klar.
Vor uns sitzt die kranke Frau des Präfekten in Begleitung des Direktors der Holzexportfirma. Dank seiner Unterstützung hatten wir den Nationalpark von Noubale-Ndoki besuchen können. Auf der oberen Hierarchieebene hilft man ohne Gegenleistungen. Ich spare mir die Vermutungen darüber, welche Deals zwischen Präfektur und Firma laufen. Immerhin fliegen wir jetzt mit derselben Linienmaschine.
Alle Plätze sind belegt, am Eingang stapelt sich Gepäck. Der Steward trägt eine mit Frachtnummer versehene MPi in die Pilotenkanzel. Aus der Plastiktüte vor unseren Füßen riecht der Affe. Seinen jungen Artgenossen, den ein Soldat im geflochtenen Käfig mitführt, beunruhigt dies.
Zwei Gepäckträger bringen einen Schwerkranken auf einer Trage und legen ihn vorn im Gang ab. Der begleitende Arzt hängt den Tropf an einen Koffergriff. Um in die Kanzel zu gelangen, klettern Pilot und Copilot auf den Armlehnen über den Patienten. Während unseres anderthalbstündigen Flugs bekommen wir Orangenlimonade serviert.
In Brazzaville wollen wir eigentlich nur den Affen übergeben und die AN-24 der "Pont Aviation Limited" nach Nkayi besteigen. Wir erfahren jedoch, dass der Flug wegen Besuchs des Tschad-Präsidenten gestrichen wurde und wir erst am nächsten Morgen weiter kommen. Ein Taxi bringt uns zur ehemaligen koreanischen Botschaft, jetzt Missions- und Gästehaus.
Alle Zimmer sind belegt, da wegen des Angriffs der Rebellen vor drei Tagen viele Bewohner aus den betroffenen Stadtteilen geflüchtet und noch nicht heimgekehrt sind. Schließlich findet sich ein freies Doppelbett. Wir stellen unser Gepäck ab und fahren zum Restaurant "Rock Eden" nach Moungali. Die letzten Meter müssen wir laufen; sämtliche Hauptstraßen im Stadtbezirk sind wegen des Staatsbesuchs gesperrt. An Kreuzungen und Einmündungen stehen Polizisten und Soldaten mit Maschinenpistolen oder leichten
Maschinengewehren. Wir holen unseren Freund Moustapha, den Stoffhändler und Moslem, zum Essen ab. Ich bestelle Kongo-Fisch mit Kassava; das schwere Erdnussöl während der vergangenen Tage hatte sich auf meinen Magen gelegt. Billy bekommt einen Malaria-Anfall.
Moustapha erzählt von den jüngsten Kämpfen. Offiziell wird von drei gefallenen Soldaten und dreizehn toten Rebellen gesprochen. Allein im Hauptkrankenhaus sollen jedoch über fünfzig Menschen gestorben sein. Einen Tag lang waren in Brazzaville sämtliche Läden geschlossen, ruhte jeglicher Verkehr. Laethycia kommt kurz im Taxi vorbei, den Affen abzuholen. Sie hat die vergangenen Tage ihre Wohnung nicht verlassen.
Auf dem Heimweg herrscht wieder normaler Verkehr. Kurz aufeinander fallen drei Schüsse und wir suchen Schutz in einem Geschäft. Dann nehmen wir doch ein Taxi. Ich bade in der Waschschüssel und wechsle meine eingestaubte und verschwitzte Kleidung.
Gegen 20 Uhr bringt Laethycia Baguettes und einen Kochtopf, aus dem sie in Chili-Knoblauch-Soße angerichteten Affen austeilt. Das Fleisch schmeckt angenehm würzig nach Wild und Wald. Ich esse auch die Leber. Den Unterarm mit Hand lege ich zurück. Ich muss an die abertausend Menschenhände denken, die ein Jahrhundert zuvor in Belgisch-Kongo abgehackt und durch Räuchern konserviert wurden. Während wir Makako essen, tönen aus dem Nachbarraum Bittgesänge für die unlängst Gefallenen. Am Himmel über Brazzaville kreist
ein Hubschrauber.
Eingereicht am 27. Mai 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.
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