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Da und dort

©  Ralf Pfennig


Ganz schön durchgeschüttelt und durchgeschwitzt erreichen Mark und ich einen Zeltplatz mitten in Afrika. Wie sagte unser Guide vor ein paar Tagen beim Anblick eines kleinen Denkmals, hier wäre die Mitte des Kontinents. "Das Herz von Afrika!"
Wir steigen aus dem Landrover, überlassen das Aufbauen der Zelte unseren einheimischen Begleitern und gehen ein paar Schritt. Hügeliges Land, Bäume im Hintergrund, ein paar Felder in der Nähe der Straße. Ein kleiner Ort mit einfachsten Häusern, an den Geschäften rostige Gitter und dicke Schlösser. Und über allem liegt ein ganz feiner, roter Staub. Bei jedem Schritt steigt eine Wolke vom Boden auf. Ich bemühe mich ganz sanft zu gehen. Vergeblich. Beim kleinsten Windhauch ist die ganze Luft erfüllt vom Staub. Jeder Wagen auf der Straße wird verfolgt von einer einem Kilometer langen roten Wolke. Schon legt sich eine Schicht Partikel auf meiner Haut ab.
Kinder kommen lachend auf uns zu. Ihre lockigen Haare haben einen rötlichen Schimmer von all dem Staub. Sie schauen uns neugierig an, folgen eine Zeit unseren Schritten. Die älteren Bewohner gehen ihren Beschäftigungen nach. Einige heben ihre Köpfe, nicken kurz. Wir erwidern ihren Gruß und gehen dem Horizont entgegen.
"Ein von Gott vergessenes Land!", sagt Mark, als ein übervoll beladener Lastwagen an uns vorbei fährt und wir in einer besonders dicken Wolke eingehüllt sind. Er fährt nicht einmal besonders schnell. Zu viele Unebenheiten auf der unbefestigten Straße erlauben auch gar kein höheres Tempo.
"Ein von Gott verfluchtes Land", antworte ich. Mein Blick fällt dabei auf eine Wäscheleine, auf der Kleidung zum trocknen hängt. "Wie kann man es hier nur aushalten?"
"Eine sehr staubige Angelegenheit, dies alles." Mark versucht sich den Staub von der Hose abzuwischen, was wahrscheinlich nur dazu führt, dass er den Staub so richtig ins Gewebe drückt.
"Wie es hier wohl in der Regenzeit aussieht", überlege ich.
"Wahrscheinlich gar schrecklich!", Mark betont jedes einzelne Wort.

Bedeckter Himmel, ein kühler Wintertag. Berlins Häuserschluchten sehen für mich jetzt noch grauer aus als gewöhnlich, nach all dem satten Grün Afrikas. Auch die kahlen Bäume sehe ich nun mit anderen Augen. Menschen bewegen sich schnell durch die Stadt, blass schauen viele aus. Einigen tragen Bräune aus dem Solarium spazieren, andere Transparente.
"Kommst du auch", werde ich gefragt.
"Bin schon anderweitig verabredet", antworte ich und ernte ungläubige Blicke.
"Der Krieg muss verhindert werden!"
Welcher, will ich fragen, und weiß doch selbst die Antwort. Einer ist Thema in allen Medien, obwohl er noch gar nicht stattfindet. Sondersendungen und bald werden Bilder folgen.
"Ja ja, schrecklich", murmle ich.
"Es ist wichtig, dass ganz viele kommen", werde ich sanft ermahnt.
Aber ich möchte jetzt nicht über diesen Krieg diskutieren. Fast alle meine Worte würden eh bei meinem Gegenüber auf offene Ohren stoßen. Also, was soll das Gerede? Kein gegenseitiges auf die Schulter klopfen. Weltmachtpolitik wird woanders gemacht. Außerdem sind es zu viele Aspekte, um sie schnell auf der Straße nur anzusprechen. Ich möchte keine Missverständnisse produzieren, auch keine provokanten Äußerungen machen. Für einen Skandal bin ich zu unbedeutend. So verabschiede ich mich schnell und gehe eilig weiter, fühle mich allerdings ein wenig wie ein geprügelter Hund, der meist auch nicht weiß warum.
Mark treffe ich am S-Bahnhof.
"Ganz schön voll die Stadt", sagt er.
Wir gehen zu mir, wollen den Videofilm von unserem gemeinsamen Urlaub anschauen, noch einmal uns an Afrika erinnern.
"Ich schalte schon mal den Fernseher an", sagt Mark, während ich die Kassette in den Recorder einlege. Es laufen gerade die Nachrichten. Gebannt schauen wir auf den Schirm. Gut aufbereitet die Meldungen, zwei, drei Länder werden genannt, eine Hand voll Politiker beherrscht das Bild. Keine Zeit für andere Meldungen aus der weiten Welt. Auch die vielen Mitbürger auf der Straße scheinen dem engen Blickwinkel zu folgen.
"Schmeiß den Recorder an!"
Gern folge ich Marks Worten. Die Farben der Savanne führen mich in eine andere Welt. Schwarze Gesichter schauen mich an. Bilder von frei lebenden Tieren folgen. Zebras und Warzenschweine, Antilopen und Löwen, unglaublich große Herden von Gnus. Keine Zäune sind zu sehen. Die Illusion von Freiheit. Denn es sind Aufnahmen aus dem Naturschutzgebiet! Nur so können die Tiere in dieser unglaublichen Anzahl überleben.
Eine Giraffe geht langsam durch das Bild, um ihren Hals eine Schlinge, blutverschmiert die daraus entstandene Wunde, Vögel sitzen pickend auf den armen Tier. Ob Insekten aus der Wunde genommen werden oder offenes Fleisch stibitzt wird, ist nicht zu erkennen. Eine Giraffe liefert viel Fleisch, wurde uns gesagt. Die Schlinge ist also nicht das Werk von gewöhnlichen Wilddieben, sondern von hungrigen Dorfbewohnern.
Wir schauen schweigend zu. Auch hatte ich keine Musik zu diesen Bildern gewählt. Nichts erschien mir passend. Erst bei den nächsten Aufnahmen reden wir wieder, erinnern uns an das Vergangene. Unsere Begleiter winken ein letztes mal in die Kamera. Abspann.
Ich spule das Band zurück, das Fernsehprogramm schaltet sich automatisch ein, Bilder aus der Stadt, Sprechchöre, Spruchbänder. Mark betätigt gleich die Fernbedienung. Nur das leise Schleifen des spulenden Bandes ist zu hören.
"Ein schöner Film", sagt er.
Ich winke ab.
"Unzufrieden?"
"Die Bilder können nicht das ausdrücken, was wir wirklich erlebt haben."
"Der wirkliche Film spielt sich im Kopf ab", sagt Mark munter. "Das ist doch immer so! Einem Bild allein kann man nicht trauen."
Ich nicke ihm wissend zu. Schließlich habe ich den Film gemacht.
"Kommst du mit, wenn es auf eine Gorillasafari geht? Ich habe da eine interessante Adresse."
Ich zögere mit einer Antwort.
"Noch einmal Afrika. Überlege nicht zu lange. Bald gibt es keine Gorillas mehr. Weißt ja, Bürgerkrieg und so."
Ja, ich weiß. Auch wenn in den 15 Minuten der Tagesschau dafür keine Zeit ist. Zu unbedeutend das Herz von Afrika. Kein schwarzes Gold auf dem schwarzen Kontinent!
"Flüchtlinge, Rebellen und Soldaten erschießen Gorillas um sie zu essen", sagt Mark. "Einfach so."
"Ob das der richtige Platz für eine Urlaubsreise ist?"
"Angst?"
"Einfach ein ungutes Gefühl. Ich würde mich nicht wohl in meiner Haut fühlen. Ich käme mir vor, als wäre ich ein Außerirdischer. Schon jetzt war der Unterschied zwischen den Afrikanern und uns groß. Dabei ist Tansania ein friedliches, gar demokratisches Land."
"Ich verstehe dich. Aber entweder man will was von der Welt sehen oder nicht!"

Ein paar Tage drauf gehe ich mit einem Plakat aus dem Haus. Ich begegne anderen mit ähnlichen Werken in der Hand. Viele Menschen sind unterwegs. Aber ich fühle mich nicht zu ihnen gehörig. Unsere Wege trennen sich. Allein stehe ich vor der Botschaft. Die Polizisten fragen nach einer Genehmigung. Passanten schauen mich verwundert an. Keine Kamera richtet sich auf mich, kein Journalist lässt sich blicken.
Nur ein Afrikaner kommt auf mich zu.
"Wollen mal wieder die Weißen uns Schwarzen sagen, was wir zu tun haben? Ich dachte diese Zeiten sind vorbei!", sagt er.

Mark hat mir ein Buch über Gorillas geschenkt. Außerdem hat er einen Brief an seinen Abgeordneten geschrieben und sammelt Spenden für bedrohte Menschenaffen. Er möchte das Geld persönlich nach Afrika bringen. So wird er eines Tages zu seiner Safari kommen, Gorillas sehen.

Ich habe die Patenschaft für ein mir unbekanntes afrikanisches Mädchen übernommen. Den Betrag kann ich von der Steuer absetzen!


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