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Eiszeit

Von Sebastian Flegel


Die Gruppe marschiert nun schon seit Tagen. Es schneit so stark, dass man kaum den Vordermann erkennen kann. Das Knurren ihrer Mägen lässt sie fast wahnsinnig werden, es klingt so, als würde ein verreckendes Tier verzweifelt gegen sein Schicksal ankämpfen, wie die Fatamorgana einer Oase in der tödlichen Wüste. Die Hirschfelle halten der Kälte kaum stand. Sie können spüren, wie von der großen Zehe an in Richtung Herzen Zelle für Zelle platzt und schließlich nur noch tote Materie zurück bleibt. Lange kann das nicht mehr so weitergehen!
Die schmerzende Erfrierung frisst sich langsam aber todsicher durch die Beine und die Arme, genauso, wie sich der mächtige, im Innern tiefblaue Eispanzer aus westlicher Richtung ins Tal schiebt, mit einer weißen Schneedecke geschützt, die ihn so unschuldig und liebenswürdig aussehen lässt. Doch alles, was sich ihm in den Weg stellt, vernichtet und assimiliert er.
Ihm entgegen, nach Westen, geht auch die Gruppe, um womöglich verendete Tiere zu finden und sich an deren saftigen Fleisch zu laben.
Ein lauter Schrei leistet für einige Augenblicke dem weinenden Wind Gesellschaft. Es war der Anführer der Gruppe, der geschrien hat. Sie nennen ihn alle Sabu. Er ist eine sehr auffallende Gestalt, groß, muskulös, und er hat eine für diese Breiten ungewöhnlich dunkle Hautfarbe, die dunkelste der Gruppe.
Der Trupp rennt blind dem Schrei hinterher und bleibt mit hängender Kinnlade stehen vor einem riesigen Mammut. Es hat die bedrohlichen Stoßzähne tief in den Schnee gegraben, und seine Augen sind mit einer triefend stinkenden Flüssigkeit verklebt. Saob und einige andere junge Männer versuchen mit spitzen Steinen Fell und Haut aufzuschlitzen um an das weiße, erlösende Fleisch zu kommen.
Doch das borstige Fell wirkt wie Stacheldraht und bald schmerzen und bluten die Hände fürchterlich und der Magen knurrt immer noch.
Eine Frau wird plötzlich auf ein paar schwarze Punkte in der weißen Matrix aufmerksam. Eine zweite Gruppe nähert sich. Sie kommt aus der Richtung, aus der auch der Eispanzer kommt. Ihre Vorfahren bildeten einst alle eine große Gruppe, doch ein Teil zog vor vielen Jahren aus, neue Jagdgründe zu finden, und sie taten dies mit Erfolg, nun kehren sie jedoch mit dem todbringenden Eispanzer im Rücken zurück.
Sie kommen nun auch bei der Mammutleiche an. Sie sind alle viel heller, von der Hautfarbe her. Sabus Augen funkeln und werden immer größer. Diese kleinen, blassen Männer haben in Leder eingewickeltes Holz und Mammutstoßzähne bei sich, ideal, um das das Tier zu zerfleischen.
Einer von Sabus Truppe deutet auf den Stoßzahn in der Hand von Gerbo, dem Anführer der aus dem Westen gekommenen Gruppe. Dieser setzt ein diabolisches Grinsen auf die Lippen und mustert die abgemagerten, fast erfrorenen Anhänger von Sabus Truppe. Ohne zu wissen, dass Sabu der Anführer der ist, winkt Gerbo ihn zu sich. Er hätte jeden nehmen können, aber Sabu fällt in diesem reinweißen, bitterkalten Schneegestöber mit seiner dunklen Haut am meisten auf. Enthusiastisch blickt Sabu den kleineren Fürsten an, dann zuckt er auf, blickt Gerbo tief in die Augen, Blut in seinem Rachen bringt ihn zum Würgen, Gerbo zieht den Stoßzahn grinsend aus Sabus Bauch, und dieser fällt nieder in den weichen Schnee, um hier jämmerlich auszubluten, zu erfrieren und zu verhungern zugleich. Geschockt blickt die nun führerlose Gruppe zu Gerbo auf, obwohl dieser selbst klein und schmächtig ist.
Er gibt der Gruppe zu verstehen, sie solle das Mammut aufmachen und droht ihnen mit dem Stoßzahn. Verängstigt machen sich die Hungergestalten daran, mit Händen und Steinen an der scharfen Mammuthaut herumzukratzen. Ihre Hände sind bereits zu Stummeln geschliffen, ihr warmes Blut hat das Fell etwas aufgetaut, als Gerbo sie mit dem Stoßzahn verscheucht und ihn in die getauten Stellen in das Mammut rammt. Einige andere aus der westlichen Gruppe machen bereits Feuer, und wenig später wird das erste Fleisch gegart. Auch Sabus Gruppe bekommt ein paar Stückchen hingeworfen, doch sie sitzen vor dem Fleisch wie die Katze vorm Mauseloch, mit ihren verstümmelten Händen können sie das Fleisch nicht fassen und wühlen mit ihren Gesichtern verzweifelt im Schnee herum.
Gerbo schickt ein gellendes Lachen in schmatzend-winselnde Stille.
Regungslos, die Gesichter vom Schnee verweht, liegen sie da, als Gerbos Bande weiterzieht.



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